20.09.2011
Finanzgericht Baden-Württemberg: Urteil vom 24.05.2011 – 11 K 2375/09
1. Die überdachende Besteuerung nach Art. 4 Abs. 4 S. 1 DBA-Schweiz geht der Grenzgängerregelung des Art. 15a ABs. 1 S. 4 DBA-Schweiz vor. Danach kann die BRD bei einer in der Schweiz ansässigen natürlichen Person, die nicht die schweizerische Staatsangehörigkeit besitzt und die in der BRD insgesamt mindestens fünf Jahre unbeschränkt steuerpflichtig war, in dem Jahr, in dem die unbeschränkte Steuerpflicht zuletzt geendet hat, und in den folgenden fünf Jahren die aus der Bundesrepublik Deutschland stammenden Einkünfte und die in der BRD belegenen Vermögenswerte, ungeachtet anderer Vorschriften des Abkommens, besteuern.
2. Dies gilt nach der Gegenausnahme des Art. 4 Abs. 4 S. 4 DBA-Schweiz jedoch nicht, wenn die natürliche Person in der Schweiz ansässig geworden ist, um hier eine echte unselbstständige Arbeit für einen Arbeitgeber auszuüben, an dem sie über das Arbeitsverhältnis hinaus weder unmittelbar noch mittelbar durch Beteiligung oder in anderer Weise wirtschaftlich wesentlich interessiert ist. Dabei muss die Absicht der Berufstätigkeit in der Schweiz weder der alleinige noch der vorrangige Beweggrund für den Zuzug in die Schweiz gewesen sein.
3. Eine bloße, nicht auf ein konkretes Arbeitsverhältnis bezogene Absicht der Arbeitsaufnahme in der Schweiz reicht für die Anwendung der Ausnahmeregelung des Art. 4 Abs. 4 S. 4 DBA-Schweiz nur dann aus, wenn der Steuerpflichtige seine bisherige Beschäftigung im Inland aufgegeben oder verloren hat und er jetzt in der Schweiz eine abhängige Beschäftigung sucht.
4. Die Ausnahmeregelung des Art. 4 Abs. 4 S. 4 DBA-Schweiz greift nicht, wenn der Steuerpflichtige in der Schweiz tätig wird und seine im Inland ausgeübte Arbeitnehmertätigkeit fortführt. Die subjektive Absicht, eine Arbeit in der Schweiz aufzunehmen, ist nicht ausreichend.
5. Das Gesuch um einen erwerbslosen Aufenthalt in der Schweiz beim schweizerischen Migrationsamt spricht gegen die Absicht, in der Schweiz eine Anstellung zu finden.
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Finanzrechtsstreit
hat der 11. Senat des Finanzgerichts Baden-Württemberg aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 24. Mai 2011 durch Vorsitzenden Richter am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … Richterin am Finanzgericht … Ehrenamtliche Richter …
für Recht erkannt:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Es ist streitig, ob die Klägerin der sog. überdachenden Besteuerung gemäß Art. 4 Abs. 4 DBA-Schweiz unterliegt oder ob die Ausnahmevorschrift des Art. 4 Abs. 4 Satz 4 DBA-Schweiz eingreift.
Die ledige Klägerin, die die deutsche, nicht jedoch die schweizerische Staatsangehörigkeit besitzt, ist von Beruf Bilanzbuchhalterin. Sie war in den Jahren vor dem Streitjahr 2006 im Inland stets unbeschränkt einkommensteuerpflichtig.
Die Klägerin war im Streitjahr bis zum 30. April 2006 bei der B GmbH in X / Deutschland angestellt. Sie bewarb sich nach deren Insolvenz wegen einer neuen beruflichen Betätigung nicht nur bei inländischen, sondern auch bei schweizerischen Arbeitgebern. Hierzu legte sie Kopien von Bewerbungsschreiben vor (Rb-Akte Bl. 15 -18; wobei sie aber darauf hinwies, dass sie sich darüber hinaus z.B. auch bei drei schweizerischen Personalvermittlungsbüros beworben habe):
• C AG, R / Schweiz (Bewerbung vom 20. Mai 2006)
• D AG, U / Schweiz (Bewerbung vom 10. Juni 2006)
• T AG, Z / Schweiz (Bewerbung vom 10. Juni 2006)
• Kantonales Steueramt, Z / Schweiz (Absage vom 14. Juni 2006)
Am 14. Juni 2006 schloss sie dann aber mit der inländischen Firma M GmbH, S / Deutschland, einen zunächst auf ein Jahr befristeten Arbeitsvertrag ab dem 19. Juni 2006 ab (FG-Akte Bl. 85 ff.). Der Arbeitsvertrag wurde noch im Juli 2006 um ein Jahr bis zum 18. Juni 2008 verlängert (FG-Akte Bl. 94; vgl. auch Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten vom 28. Juli 2009, Seite 3, 2. Absatz; FG-Akte Bl. 22).
Nach dem Verlust ihres Arbeitsplatzes bei der B GmbH in X / Deutschland verlegte die Klägerin am 2. Mai 2006 ihren Wohnsitz von ihrem bisherigen Wohnort in E, nach R.
Am 14. Juni 2006 – also am Tag des Abschlusses des Arbeitsvertrages mit der inländischen Firma M GmbH – stellte die Klägerin beim Migrationsamt Thurgau ein Gesuch auf Ausländerbewilligung EU-17/EFTA (Formular A1). Als Zweck des Aufenthalts gab sie „Wohnen in Z / Schweiz” an. Unter „Arbeitgeberdaten” wies sie auf den Arbeitsvertrag mit der Firma M GmbH in S / Deutschland hin (FG-Akte Bl. 95; vgl. auch Schreiben des Migrationsamt Thurgau vom 14. Juli 2006 mit dem Betreff „Gesuch um einen erwerbslosen Aufenthalt in der Schweiz”; Schreiben der Klägerin vom 28. September 2006 unter Erwähnung ihres Antrags vom 14. Juni 2006 im Betreff, FG-Akte Bl. 54 und 55). Das Migrationsamt Thurgau erteilte der Klägerin am 9. Oktober 2006 die Zusicherung der Aufenthaltsbewilligung. Als Aufenthaltszweck ist „Im Ausland erwerbstätig” vermerkt (FG-Akte Bl. 56).
Am 14. Juli 2006 zog die Klägerin von R /Deutschland nach L / Schweiz, um (vgl. Mietvertrag vom 6. Juli 2006; Beginn Mietverhältnis 15. Juli 2006 – Rb-Akte Bl. 102 f.; Anschlussmietvertrag vom 28. September 2006 – Rb-Akte Bl. 104 f; Kontoauszüge über die Mietzahlungen – Rb-Akte Bl. 107 ff.; Kopie der Rechnung der Umzugsspedition vom 2. August 2006 über den Transport des Hausrats usw. von R /Deutschland nach L / Schweiz – Rb-Akte Bl. 137; Kopie der Zollbestätigung vom 14. Juli 2006 über die Einfuhr des Hausrats usw. in die Schweiz – Rb.-Akte Bl. 138). Die melderechtliche Ummeldung ihres Wohnsitzes zu ihren Eltern in N / Deutschland zum 15. Juli 2006 (ESt-Akte Bl. 38), von wo sie sich erst zum 15. Oktober 2006 nach L / Schweiz abgemeldet hat (ESt-Akte Bl. 37; vgl. Ansässigkeitsbescheinigung vom 27. November 2006 – ESt-Akte Bl. 35 – sowie Schreiben der Einwohnerkontrolle L / Schweiz vom 16. Oktober 2006-ESt-Akte Bl. 36), sei lediglich deshalb erfolgt, weil eine Anmeldung in der Schweiz ohne Aufenthaltsgenehmigung melderechtlich nicht möglich gewesen sei. Aus diesem Grund habe sie die Wohnung in L / Schweiz auch für die ersten drei Monate als Ferienwohnung angemietet. Tatsächlich habe sie nicht bei ihren Eltern in N / Deutschland gewohnt. Die Beteiligten gingen und gehen aufgrund dieses Vortrags in der Folge übereinstimmend davon aus, dass die Klägerin ab dem 15. Juli 2006 ihren steuerlichen Wohnsitz in die Schweiz verlegt hatte und ein inländischer Wohnsitz (§ 8 AO) nicht mehr bestand.
In Art. 3 des schweizerischen Bundesgesetzes über die direkte Bundessteuer (DBG) vom 14. Dezember 1990 (Inkrafttreten zum 1. Januar 1995; Art. 3 seitdem ohne Änderungen; vgl. Übersicht über Änderungen / Aufhebungen unter www.admin.ch. /Dokumentation / Gesetzgebung / Systematische Sammlung / Landesrecht / Finanzen) wird zur Steuerpflicht Folgendes geregelt:
„Abs. 1
Natürliche Personen sind aufgrund persönlicher Zugehörigkeit steuerpflichtig, wenn sie ihren steuerrechtlichen Wohnsitz oder Aufenthalt in der Schweiz haben.
Abs. 2
Einen steuerrechtlichen Wohnsitz in der Schweiz hat eine Person, wenn sie sich hier mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält oder wenn ihr das Bundesrecht hier einen besonderen gesetzlichen Wohnsitz zuweist.
Abs. 3
Einen steuerrechtlichen Aufenthalt in der Schweiz hat eine Person, wenn sie in der Schweiz ungeachtet vorübergehender Unterbrechung:
a. während mindestens 30 Tagen verweilt und eine Erwerbstätigkeit ausübt;
b. während mindestens 90 Tagen verweilt und keine Erwerbstätigkeit ausübt. …”
Auch nach ihrem Umzug in die Schweiz bewarb sich die Klägerin um eine Arbeitsstelle bei schweizerischen Arbeitgebern (vgl. Rb-Akte Bl. 19 – 23, FG-Akte Bl. 57; die Absageschreiben waren an die schweizerische Anschrift der Klägerin adressiert). Mit Schriftsatz vom 17. Mai 2011 legte die Klägerin eine Vielzahl von Absageschreiben schweizerischer Unternehmen vor (2006: insgesamt 16 Bewerbungen; 2007: 87 Bewerbungen; 2008: 184 Bewerbungen). Auf die Zusammenfassung der Absageschreiben in der Anlage 1 zum Schriftsatz vom 17. Mai 2011 sowie den vorgelegten Ordner „Bewerbungsunterlagen 2006 – 2008” wird wegen der Einzelheiten verwiesen.
Am 10. Januar 2008 wurde der Klägerin von der M GmbH die fristlose Kündigung ausgesprochen. Nach vorübergehender Arbeitslosigkeit war die Klägerin vom 12. Januar bis 23. Februar 2009 bei der Firma Ü GmbH in R /Deutschland beschäftigt. Vom 24. März 2009 bis 30. September 2009 arbeitete sie für die Firma Fe GmbH in Ge / Schweiz (vgl. FG-Akte Bl. 107). Vom 20. Januar bis 20. März 2010 war die Klägerin bei der Firma Fi in R /Deutschland angestellt und vom 25. Oktober 2010 bis zum 31. Januar 2011 war sie bei der Firma Ku R /Deutschland als Elternzeitvertretung tätig. Seit dem 1. Februar 2011 arbeitet sie für die Firma Te AG in Ge / Schweiz.
In ihrer Einkommensteuererklärung für das Jahr 2006 erklärte die Klägerin Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 34.128 EUR. Dieser Betrag setzt sich wie folgt zusammen:
B GmbH, X / Deutschland, 1.1. bis 30.4.2006 (ESt-Akte Bl. 40) | 20.272,96 EUR |
M GmbH, S / Deutschland, 19.6. bis 14.10.2006 (ESt-Akte Bl. 41) | 13.855,61 EUR |
34.128,57 EUR |
Im Einkommensteuerbescheid 2006 vom 23. Juli 2007 erhöhte jedoch das beklagte Finanzamt (künftig: FA) die Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit um diesen Arbeitslohn auf insgesamt (34.128,57 EUR zzgl. 10.317,89 EUR =) 44.446 EUR.
Gegen den Bescheid legte die Klägerin am 30. Juli 2007 Einspruch ein, in dem sie sich u.a. gegen den nach ihrer Auffassung zu hohen Ansatz des Arbeitslohnes wendete.
Mit geändertem Bescheid vom 31. August 2007 half das FA wegen anderer, nun nicht mehr streitiger Einwendungen, dem Einspruchsbegehren ab (§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a AO). Den Arbeitslohn setzte es aber nach wie vor in Höhe von 44.446 EUR an.
Gegen den geänderten Einkommensteuerbescheid legte die Klägerin am 12. September 2007 erneut Einspruch ein. Sie begehrte nun, ihren in der Zeit vom 15. Juli bis 31. Dezember 2006 bezogenen Arbeitslohn steuerfrei zu belassen.
Mit Einspruchsentscheidung vom 7. Mai 2009 wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück. Für die Klägerin greife die sog. überdachende Besteuerung gemäß Art. 4 Abs. 4 DBA-Schweiz ein. Die Ausnahmeregelung des Art. 4 Abs. 4 Satz 4 DBA-Schweiz komme nicht zur Anwendung, da die Klägerin zum Zeitpunkt ihres Umzugs bei einem inländischen Arbeitgeber beschäftigt gewesen sei. Zudem habe sie ihre angebliche Absicht, in die Schweiz verzogen zu sein, um dort einer nichtselbständigen Arbeit nachzugehen, nicht ausreichend belegt.
Hiergegen richtet sich die am 27. Mai 2009 bei Gericht eingegangene Klage. Zur Begründung führt die Klägerin aus, Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 20.377 EUR, die sie ab dem 15. Juli bis 31. Dezember 2006 erzielt habe, seien nach Art. 15a Abs. 1 DBA-Schweiz in Deutschland unter Progressionsvorbehalt (§ 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG in der im Streitjahr gültigen Fassung) steuerfrei.
Die steuerfreien Einkünfte seien wie folgt zu berechnen:
Arbeitslohn vom 15.07. – 15.10.2006 | 10.750,00 EUR |
Arbeitslohn vom 16.10. – 31.12.2006 | 10.317,89 EUR |
Summe | 21.067,89 EUR |
abzüglich Werbungskosten (Entfernungspauschale) | ./. 690,30 EUR |
Einkünfte | 20.377,59 EUR |
Die Klägerin beantragt,
den geänderten Einkommensteuerbescheid vom 31. August 2007 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 7. Mai 2009 abzuändern und unter Wegfall des Steuerabzugs für ausländische Einkünfte in Höhe von 988 EUR bislang berücksichtigte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 20.377 EUR steuerfrei zu belassen und lediglich bei der Berechnung des Steuersatzes (Progressionsvorbehalt) zu berücksichtigen,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
Es beruft sich dabei im Wesentlichen auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung.
Der Berichterstatter hat am 20. April 2011 einen Erörterungstermin abgehalten. Auf die Niederschrift wird Bezug genommen (FG-Akte Bl. 132 f.).
In der mündlichen Verhandlung wurde die Klägerin angehört. Ihre Angaben wurden tontechnisch aufgezeichnet. Wegen des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift und den ihr als Anlage beigefügten Tonträger verwiesen. Dem Senat lagen bei seiner Entscheidung die vom FA vorgelegten Behördenakten vor (1 Bd. Rechtsbehelfsakten; 1 Bd. Einkommensteuerakten).
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Das FA hat zutreffend die von der Klägerin in der Zeit von 15. Juli bis 31. Dezember 2006 erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit der inländischen Besteuerung unterworfen.
I. Die Klägerin war mangels feststellbarem inländischen Wohnsitzes im steuerlichen Sinne (§ 8 AO) – die Meldung bei den Eltern ist hierfür nicht ausschlaggebend – oder gewöhnlichen Aufenthalts (§ 9 AO) ab ihrem Wegzug in die Schweiz zum 15. Juli 2006 nicht mehr unbeschränkt einkommensteuerpflichtig (§ 1 Abs. 1 EStG). Sie unterlag jedoch mit ihren ab dem Wegzug in die Schweiz erzielten Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) der beschränkten Steuerpflicht gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 4 a EStG, da sie ihre Arbeit für die Firma M GmbH in S / Deutschland und damit im Inland ausübte. Diese Einkünfte erfasste das FA zu Recht im Rahmen der Veranlagung für den Veranlagungszeitraum 2006 zusammen mit den während des Bestehens der unbeschränkten Steuerpflicht erzielten Einkünften (§ 2 Abs. 7 Satz 3 EStG).
II. Das DBA-Schweiz steht der Erfassung der Einkünfte nicht entgegen.
1. Nach Art. 15a Abs. 1 DBA-Schweiz können Löhne, Gehälter und ähnliche Vergütungen, die ein Grenzgänger aus unselbständiger Arbeit bezieht, im Ansässigkeitsstaat besteuert werden. Die Klägerin wohnte seit dem 15. Juli 2006 mit alleinigem steuerlichem Wohnsitz in L / Schweiz (Schweiz), wo sie eine Wohnung in der Absicht dauernden Verweilens anmietete. Sie wurde damit aufgrund der hieraus resultierenden unbeschränkten Steuerpflicht in der Schweiz zu diesem Zeitpunkt dort ansässig (Art. 4 Abs. 1 DBA-Schweiz; Art. 3 Abs. 1 und 2 DBG). Sie arbeitete bei der Firma M GmbH in S / Deutschland, wohin sie arbeitstäglich pendelte. Sie war damit Grenzgängerin von der Schweiz nach Deutschland. Somit könnten die von der Klägerin erzielten Einkünfte in dieser Zeit in Deutschland grundsätzlich nicht besteuert werden.
2. Allerdings geht die sog. überdachende Besteuerung (Art. 4 Abs. 4 DBA-Schweiz) der Grenzgängerregelung vor (Art. 15a Abs. 1 Satz 4 DBA-Schweiz). Danach kann die Bundesrepublik Deutschland bei einer in der Schweiz ansässigen natürlichen Person, die nicht die schweizerische Staatsangehörigkeit besitzt und die in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt mindestens fünf Jahre unbeschränkt steuerpflichtig war, in dem Jahr, in dem die unbeschränkte Steuerpflicht zuletzt geendet hat, und in den folgenden fünf Jahren die aus der Bundesrepublik Deutschland stammenden Einkünfte und die in der Bundesrepublik Deutschland belegenen Vermögenswerte, ungeachtet anderer Vorschriften des Abkommens, besteuern (Art. 4 Abs. 4 Satz 1 DBA-Schweiz).
Die Klägerin besitzt nicht die schweizerische Staatsangehörigkeit und war mindestens fünf Jahre in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig. Damit kann Deutschland die Einkünfte der Klägerin aus ihrer inländischen Tätigkeit besteuern.
3. Die Ausnahmevorschrift des Art. 4 Abs. 4 Satz 4 DBA-Schweiz kommt im Streitfall nicht zum Tragen.
Danach greift die durch Art. 4 Abs. 4 Satz 1 DBA-Schweiz geregelte Zuweisung des Besteuerungsrechts zur Bundesrepublik Deutschland nicht ein, wenn die natürliche Person in der Schweiz ansässig geworden ist, um hier eine echte unselbständige Arbeit für einen Arbeitgeber auszuüben, an dem sie über das Arbeitsverhältnis hinaus weder unmittelbar noch mittelbar durch Beteiligung oder in anderer Weise wirtschaftlich wesentlich interessiert ist.
a) Dabei muss diese Absicht weder der alleinige noch der vorrangige Beweggrund für den Zuzug in die Schweiz gewesen sein. Nach Auffassung des BFH reicht auch ein Umzug in die Schweiz aus Anlass der Eheschließung aus, wenn nur die Absicht hinzutritt, dort einer unselbständigen Tätigkeit nachzugehen; es sei nicht einmal erforderlich, dass die beabsichtigte Arbeitsaufnahme schon konkrete Formen angenommen hat (vgl. etwa das Urteil vom 2. September 2009 I R 111/08, BStBl II 2010, 387).
Eine bloße, nicht auf ein konkretes Arbeitsverhältnis bezogene Absicht der Arbeitsaufnahme in der Schweiz genügt für die Anwendung der Ausnahmeregelung des Art. 4 Abs. 4 Satz 4 DBA-Schweiz nach Auffassung des erkennenden Senats allerdings nur dann, wenn der Steuerpflichtige seine bisherige Beschäftigung im Inland aufgegeben oder verloren hat und er jetzt in der Schweiz eine abhängige Beschäftigung sucht. Anders verhält es sich jedoch, wenn er in der Schweiz ansässig wird, seine im Inland ausgeübte Arbeitnehmertätigkeit aber gleichwohl fortführt. Wollte man in einem solchen Fall die bloße – nicht realisierte – Absicht der Aufnahme einer Beschäftigung in der Schweiz für die Anwendung des Art. 4 Abs. 4 Satz 4 DBA-Schweiz genügen lassen, dann führte das dazu, dass das deutsche Besteuerungsrecht selbst dann vom ersten Tag des Umzugs in die Schweiz an auf die Schweiz übergehen kann, wenn der Steuerpflichtige in der Folgezeit – wie zuvor – bei einem deutschen Arbeitgeber in Deutschland beschäftigt bleibt. Dass dies vom Zweck der Regelungen in Art. 4 Abs. 4 Sätze 1 und 4 DBA-Schweiz gefordert oder auch nur nahegelegt würde, vermag der Senat nicht zu erkennen. Er verweist hierzu auf seine diesbezüglichen Ausführungen im Urteil vom 22. Januar 2008 11 K 245/05, EFG 2008, 1360; dort unter 4 a. ee. der Gründe), an denen er festhält. Auch der Wortlaut des Art. 4 Abs. 4 Satz 4 DBA-Schweiz („um hier eine … unselbständige Arbeit … auszuüben”) zwingt jedenfalls nicht zu einer Zuweisung des Besteuerungsrechts allein nach subjektiven Gesichtspunkten (Absichten), bei denen die objektiven Umstände (Fortbestehen des inländischen Arbeitsverhältnisses) nicht für die Feststellung des objektiven Tatbestands, sondern lediglich insoweit von Bedeutung sind, als sie geeignet sind, eine behauptete Absicht zu bestätigen oder zu widerlegen.
b) Der Senat ist deshalb der Auffassung, dass die Anwendung des Art. 4 Abs. 4 Satz 4 DBA-Schweiz im Streitfall schon daran scheitert, dass die Klägerin etwa einen Monat vor ihrem Wegzug in die Schweiz ein Arbeitsverhältnis in Deutschland begründet und dieses noch ca. 1 ½ Jahre fortgesetzt hat, bis ihr gekündigt wurde. Diese objektiven Umstände drängen sowohl die Bedeutung eines etwa vorhandenen Wunsches, bei nächster sich bietender Gelegenheit zu einem schweizerischen Arbeitgeber zu wechseln, als auch diejenige hierauf gerichteter Bewerbungen der Klägerin in den Hintergrund.
c) Eine Anwendung des Art. 4 Abs. 4 Satz 4 DBA-Schweiz schiede allerdings auch dann aus, wenn die bloße Absicht, in der Schweiz einer unselbständigen Tätigkeit nachzugehen, trotz fortdauernder Beschäftigung in Deutschland beachtlich wäre. Denn der Senat hat sich unabhängig von dieser nicht ohne Weiteres mit der von der Klägerin behaupteten Absicht in Einklang zu bringenden Beschäftigung in Deutschland nicht davon überzeugen können, dass sie zur Verwirklichung einer solchen Absicht in die Schweiz verzogen ist.
aa) Diesbezügliche Zweifel ergeben sich nämlich nicht nur aus der Fortführung des im Juni 2006 begründeten Arbeitsverhältnisses bei der M GmbH in Deutschland, welches sie im Juli 2006 und damit zeitlichen Zusammenhang mit ihrem Umzug in die Schweiz sogar noch um ein weiteres Jahr verlängert hat. Gegen das Motiv der Arbeitsplatzsuche als maßgeblichen Grund für den Umzug in die Schweiz sprechen vielmehr vor allem auch ihre Angaben gegenüber dem Migrationsamt in Thurgau. Am 14. Juni 2006 – also am Tag der Unterzeichnung des Arbeitsvertrags mit der Firma M GmbH – stellte die Klägerin beim Migrationsamt Thurgau ein Gesuch auf Ausländerbewilligung EU-17/EFTA (Formular A1). Als Zweck des Aufenthalts gab sie „Wohnen in Z / Schweiz” an. Unter „Arbeitgeberdaten” wies sie auf den Arbeitsvertrag mit der Firma M GmbH in S / Deutschland hin (FG-Akte Bl. 95). Es handelte sich also um ein Gesuch auf erwerbslosen Aufenthalt. Dies lässt sich auch dem Schriftwechsel zwischen der Klägerin und dem Migrationsamt Thurgau entnehmen, den die Prozessbevollmächtigten als Anlage 6 zum Schriftsatz vom 28. Juli 2009 bei Gericht eingereicht haben (Schreiben des Migrationsamt Thurgau vom 14. Juli 2006 mit dem Betreff „Gesuch um einen erwerbslosen Aufenthalt in der Schweiz”; Schreiben der Klägerin vom 28. September 2006 unter Erwähnung ihres Antrags vom 14. Juni 2006 im Betreff, FG-Akte Bl. 54 und 55). Das Migrationsamt Thurgau erteilte der Klägerin am 9. Oktober 2006 die Zusicherung der Aufenthaltsbewilligung. Als Aufenthaltszweck vermerkte es „Im Ausland erwerbstätig”.
bb) Die von der Klägerin im Rahmen ihrer Anhörung gemachten Angaben und die zur Untermauerung vorgelegten Unterlagen erachtet der Senat nicht für geeignet, die hinsichtlich des behaupteten Umzugsmotivs gegebenen Zweifel auszuräumen.
Dabei gesteht der Senat der Klägerin zu, dass sich ihr Arbeitsverhältnis bei der M GmbH nicht so entwickelt haben mag, wie sie sich dies vorgestellt, zumindest aber erhofft hatte. Wenn sie das in der mündlichen Verhandlung mit einem nicht gewachsenen Vertrauensverhältnis begründet hat, dann kann dieser Umstand allerdings erst nach geraumer Zeit und nicht bereits einen Monat nach Beginn des Arbeitsverhältnisses der Grund dafür gewesen sein, sich nach einer anderen Alternative umzusehen. Eine etwa im Herbst 2006 oder noch später gefasste Absicht, einen Arbeitsplatzwechsel in die Schweiz in die Wege zu leiten, könnte allerdings für den bereits im Juni 2006 durch Kontaktaufnahme mit dem Migrationsamt Thurgau vorbereiteten und Juli 2006 vollzogenen Wohnsitzwechsel in die Schweiz nicht mehr kausal geworden sein. Vor diesem Hintergrund kommt auch der Vielzahl der Bewerbungen der Klägerin bei Unternehmen in der Schweiz in der Zeit ab August 2006 nicht die Bedeutung zu, die sie selbst ihnen zumisst. Dies überdies auch deshalb, weil sie sich offenbar nicht ausschließlich in der Schweiz, sondern auch in Deutschland nach anderen Arbeitgebern umgesehen hat. Der Senat schließt das u. a. daraus, dass sie im Anschluss an ihre Beschäftigung bei der M GmbH und zwischenzeitlicher Arbeitslosigkeit seit Anfang 2009 noch für drei weitere inländische Arbeitgeber – wenn auch jeweils nur wenige Monate – in Deutschland tätig gewesen ist. Letztlich hat auch die Klägerin weitere Bewerbungen bei deutschen Firmen nicht bestritten. Ihr Blick war selbst zu Zeiten ihrer Ansässigkeit in der Schweiz immer noch auch auf Beschäftigungsmöglichkeiten in Deutschland gerichtet.
Gegen einen beschäftigungsbedingten Umzug in die Schweiz spricht auch, dass die Klägerin nach Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses bei der B GmbH in X / Deutschland im Frühjahr 2006 nicht etwa zur Arbeitsplatzsuche in die Schweiz, sondern am 2. Mai 2006 zunächst nach R /Deutschland umgezogen ist. Wenn sie dann im Juli 2006 vier Wochen nach der Begründung eines Arbeitsverhältnisses in Deutschland von R / Deutschland in die Schweiz verzogen ist, dann erscheint es wenig glaubhaft, dass dies geschah, um dort eine unselbständige Arbeit auszuüben. Mindestens ebenso naheliegend ist es, dass der neuerliche Umzug nach nicht ganz drei Monaten darauf zurückzuführen war, dass die Wohnung in R / Deutschland nicht ihren Wünschen entsprach. Die Klägerin hat im Rahmen ihrer Anhörung selbst angegeben, das Mietverhältnis über die Wohnung in einem Zweifamilienhaus, in dem auch die Vermieterin selbst eine Wohnung bewohnt habe, sei problematisch gewesen. Die Vermieterin habe sich besonders an ihren drei Katzen gestört und sei schließlich froh gewesen, als sie – die Klägerin – wieder ausgezogen sei (Aufzeichnung 4:48 – 5:17). Selbst wenn sie daraufhin gezielt eine Wohnung in der Schweiz gesucht haben sollte, muss das angesichts ihrer damaligen Beschäftigungssituation nichts mit dem Wunsch nach beruflicher Veränderung zu tun gehabt haben. Es kann ebenso auf der Überlegung beruht haben, dass in der Schweiz ihre Arbeitseinkünfte – wo immer sie sie auch erzielte und künftig erzielen werde –niedriger besteuert werden.
d) Die Klägerin ist nach alledem im Sommer 2006 nicht wegen vager – noch nicht weiter konkretisierter – beruflicher Perspektiven, sondern aus anderen Gründen in die Schweiz verzogen. Jedenfalls ist es ihr nicht gelungen, den Senat von etwas anderem zu überzeugen.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO.
Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung und zur Fortbildung des Rechts zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO).