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  • 01.02.2012

    Finanzgericht Köln: Urteil vom 22.11.2011 – 13 K 2853/07

    § 8b Abs. 7 KStG verstößt für den Veranlagungszeitraum 1999 gegen Art. 63 AEUV, wenn die Beteiligung einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der Gesellschaft in der Weise ermöglicht, dass deren Tätigkeit bestimmt werden kann.

    Zum Verhältnis der europarechtlichen Niederlassungsfreiheit zur Kapitalverkehrsfreiheit.


    Im Namen des Volkes

    URTEIL

    In dem Rechtsstreit

    hat der 13. Senat in der Besetzung Vorsitzender Richter am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … ehrenamtlicher Richter … ehrenamtlicher Richter … auf Grund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 22.11.2011 für Recht erkannt:

    Tatbestand

    Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte berechtigt war, den Gewinn der Klägerin gemäß § 8 b Abs. 7 des Körperschaftsteuergesetzes in der für das Streitjahr 1999 gültigen Fassung – im Folgenden KStG – um 5 % nicht abzugsfähige Betriebsausgaben aus einer steuerfreien Dividende der in der USA ansässigen A Corporation – im Folgenden AC – zu erhöhen.

    Die Klägerin war im Streitjahr 1999 zu 33,5 % an der AC beteiligt. Aus dieser Beteiligung erzielte sie eine Brutto-Dividende in Höhe von 4.527.504,95 EUR, für die in den USA 5% Quellensteuer einbehalten wurden (Art. 10 Abs. 2a) des Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen und einiger anderer Steuern (Fassung bis 2006/2007 – im Folgenden DBA-USA –). Es ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass die mit der Beteiligung im Streitjahr 1999 tatsächlich entstandenen Kosten 10.953,18 DM (5.600,27 EUR) betragen haben. Dieser Betrag setzt sich zusammen aus den Kosten einer Reise der Geschäftsleitung im Januar 1999 (1.261,00 EUR) sowie zwei weiteren Reisen im April 1999 (2.304,83 EUR) und Oktober 1999 (2.034,44 EUR).

    Mit Bescheiden/Änderungsbescheiden vom 8. April 2005 veranlagte der Beklagte die Klägerin zur Körperschaftsteuer 1999, Feststellungen gem. § 47 Abs. 1 und 2 KStG a.F., Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Körperschaftsteuer auf den 31. Dezember 1999, Gewerbesteuermessbetrag 1999 und Zerlegung des Gewerbesteuermessbetrages. Dabei nahm er die von der AC gezahlte Dividende (wohl) nach Art. 23 Abs. 2 Satz 1 a) Sätze 1 und 3 des DBA-USA von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer aus, berücksichtigte jedoch steuererhöhend 5 % der Brutto-Dividende nach § 8b Abs. 7 KStG a.F. als nicht abzugsfähige Betriebsausgaben.

    Die hiergegen am 11. Mai 2005 eingelegten Einsprüche wies der Beklagte mangels Vorlage einer Begründung mit Einspruchsentscheidung vom 25. Juni 2007 als unbegründet zurück.

    Innerhalb der Klagefrist beantragte die Klägerin am 4. Juli 2007 die Änderung der vorgenannten Bescheide nach § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 a i.V.m. S. 3 der Abgabenordnung – AO –. Hiermit begehrte sie den Ansatz der 5% nicht abzugsfähigen Betriebsausgaben rückgängig zu machen. Bevor der Beklagte über diesen Änderungsantrag entschieden hat, hat die Klägerin am 26. Juli 2007 gegen die Einspruchsentscheidung vom 25. Juni 2007 Klage erhoben, mit der sie das ursprünglich mit ihrem Änderungsantrag verfolgte Begehren im Klageverfahren gegen die Steuerbescheide weiterverfolgt.

    Die Klägerin vertritt die Auffassung, § 8 b Abs. 7 KStG in der im Streitjahr 1999 gültigen Fassung sei wegen eines Verstoßes gegen die in Artikel 63 Abs. 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der europäischen Union – AEUV; früher Artikel 56 EG-Vertrag – geregelten Kapitalverkehrsfreiheit nicht anwendbar. Die Kapitalverkehrsfreiheit werde nicht durch die Niederlassungsfreiheit (Artikel 49 AEUV) verdrängt. Nach mittlerweile ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs – EuGH – sei bei der Frage, ob eine nationale Regelung unter die Niederlassungsfreiheit oder aber die Kapitalverkehrsfreiheit falle, auf den Gegenstand der betreffenden Regelung abzustellen (EuGH, Urteil vom 10. Februar 2011, Rechtssache – Rs C-436/08 und Rs C-437/08, Rn. 34, www.curia.eu). Eine Regelung, die nur auf Beteiligungen anwendbar sei, die einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen und das Tätigwerden einer Gesellschaft ermöglichten, fiele nach der Rechtsprechung des EuGH unter die Niederlassungsfreiheit (EuGH, Urteil vom 21. Januar 2010, Rs C-311/08, Rn. 28 – SGI). In den Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit fielen Beteiligungen, die die Möglichkeit verschafften, sich tatsächlich an der Verwaltung der Gesellschaft und deren Kontrolle zu beteiligen (sogenannte Direktinvestitionen) sowie der Erwerb von Wertpapieren allein in der Absicht, eine Geldanlage zu tätigen (sogenannte Portfolio-Investitionen); EuGH, Urteil vom 17. September 2009, Rs C-182/08, Rn. 40). Nach diesen Grundsätzen sei § 8 b Abs. 7 KStG zumindest auch dem Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit zuzuordnen. Denn die Vorschrift gelte in der Fassung des Streitjahres 1999 unabhängig von der Möglichkeit, auf die Tochtergesellschaft einen sicheren Einfluss ausüben zu können (Finanzgericht – FG – Köln, Urteil vom 24. Februar 2011, 13 K 80/06, EFG 2011, 1651). In diesem Zusammenhang sei auch das Urteil des BFH vom 9. August 2006 I R 95/05 (Zeitschrift für internationales Steuerrecht – IStR – 2006, 864 ff.) zu erwähnen. In dieser Entscheidung bestätige der BFH seine Rechtsprechung in den Verfahren I R 78/04, IStR 2007, 70 und I R 50/05, IStR 2007, 111, in dem er unabhängig vom Bestehen eines Beherrschungsverhältnisses von der parallelen Anwendbarkeit beider Grundfreiheiten im Rahmen der Betriebsausgabenfiktion des § 8 b Abs. 5 KStG 2002 ausgehe. Dieser Entscheidung habe sich das FG Münster im Urteil vom 9. November 2007 9 K 2912/04 ausdrücklich angeschlossen.

    Soweit der Beklagte sich in diesem Zusammenhang auf den Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 9. Februar 2011 I R 71/10 stütze, in dem der BFH die im vorliegenden Fall streitige Thematik ausdrücklich offen gelassen habe, stehe das dem Erfolg ihrer Klage nicht entgegen. Es sei bekannt, dass die Finanzverwaltung die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nicht akzeptiere und das verschiedene Vertreter der Finanzverwaltung ihre kritische Ansicht in Literaturbeiträgen zum Ausdruck gebracht hätten. Dass der BFH die Streitfrage in dem vorgenannten Beschluss offen gelassen habe, entspreche der allgemeinen Methodik zur Begründung gerichtlicher Entscheidungen. Die von den Parteien im Rahmen des Rechtsstreits aufgeworfenen Rechtsfragen würden danach nur insoweit gerichtlich entschieden, als dies für die Begründung des Urteils/Beschlusses notwendig sei. Aus dem Umstand, dass der Bundesfinanzhof eine Rechtsfrage ausdrücklich offen gelassen habe, könne daher nicht der Schluss gezogen werden, der Senat beabsichtige in Zukunft von seiner bisherigen Rechtsprechung abzurücken.

    Der vom Beklagten vertretene Vorrang der Niederlassungsfreiheit vor der Kapitalverkehrsfreiheit existiere selbst dann nicht, wenn die streitgegenständliche Vorschrift zwar keine Kontrollbeteiligung voraussetze, im konkreten Einzelfall jedoch eine Mehrheitsoder Beherrschungsbeteiligung vorliege. Die beiden Rechtsinstitute seien vielmehr, wie das FG Köln in dem zitierten Urteil entschieden habe, nebeneinander anzuwenden, wenn die streitgegenständliche Vorschrift selbst nicht auf eine Beherrschungsbeteiligung abziele.

    Dem stehe die Rechtsprechung des EuGH im Urteil vom 21. Januar 2010, RS C-311/08 – SGI – nicht entgegen. Zwar prüfe der EuGH in diesem Verfahren die Niederlassungsfreiheit. Der EuGH habe jedoch nicht zu entscheiden gehabt, ob die Anwendung der Niederlassungsfreiheit die Anwendung der Kapitalverkehrsfreiheit immer dann ausschließe, wenn im konkreten Fall eine wesentliche Beteiligung betroffen sei. Eine entsprechende Aussage in das Urteil hineinzulesen sei schon insoweit verfehlt als in dem vom EuGH zu entscheidenden Fall ausschließlich Beteiligungen an Gesellschaften in Mitgliedsstaaten betroffen gewesen seien. Die im vorliegenden Streitfall zu entscheidende Rechtsfrage sei daher nicht entscheidungserheblich gewesen. Auch habe die streitgegenständliche Vorschrift in der Rechtssache SGI einen viel engeren, sachlichen Anwendungsbereich gehabt, der auf ein Beherrschungsverhältnis abgezielt habe.

    Das gleiche gelte in der Rechtssache C-439/07 (EuGH, Beschluss vom 4. Juni 2009). Auch dieser Entscheidung könne das vom Beklagten vertretene Exklusivitätsverhältnis für die Niederlassungsfreiheit nicht entnommen werden.

    Überdies habe der BFH schon mit Urteil vom 26. November 2008 I R 7/08 die 5 %ige Hinzurechnung von Dividenden aus Drittstaaten als nicht abzugsfähige Betriebsausgaben für gemeinschaftswidrig gehalten (BFH-Urteil vom 26. November 2008 I R 7/08, BFH/NV 2009, 849).

    Hilfsweise sei darauf hinzuweisen, dass es im Streitfall an dem vom Beklagten behaupteten Beherrschungsverhältnis fehle. Die pauschale Annahme eines Beherrschungsverhältnisses bei einer Beteiligungshöhe von 25% sei nicht haltbar. Im Übrigen habe § 8b Abs. 7 KStG in der für das Streitjahr 1999 geltenden Fassung keine Beteiligungsgrenze von 25% vorausgesetzt. Insoweit könne offen bleiben, ob eine Beteiligung i.H.v. 25% regelmäßig eine gewisse Kontrolle über das Unternehmen oder dessen Leitung gewähre. Sie gewähre jedenfalls keinen sicheren Einfluss auf die Gesellschaft. Denn ein sicherer Einfluss erfordere das Vorliegen von Umständen, die eine Beherrschung der Geschäftsführung erlaube.

    Selbst eine Beteiligung von ca. 33% vermittle nicht zwangsläufig eine Kontrolle oder Leitung über die ausländische Kapitalgesellschaft. Ihr Anteil i.H.v. 33,5% an der AC verschaffe ihr weder einen beherrschenden Einfluss im Board of directors noch in der Aktionärsversammlung. Aufgrund einer 1980 geschlossenen Aktionärsvereinbarung habe sie zwei der acht Sitze im Board of directors gehalten. Die Laufzeit der Aktionärsvereinbarung sei auf 10 Jahre, mithin bis 1990 befristet gewesen und nicht verlängert worden. Ab 1991 hätte die Mehrheitsaktionärin ihr jederzeit die Sitze im Board of directors verwehren können. Mit einer Beteiligung von ca. 33% sei nach dem Recht von Delaware auch keine Sperrminorität verbunden, so dass sie jederzeit von der beherrschenden Aktionärin hätte überstimmt werden können. Über die reine Beteiligung hinaus hätten ihr keine Rechte zugestanden, mit denen sie die Geschäftsleitung der AC hätte beeinflussen können. Zwar habe sie einen Vertreter in dem fakultativen Aufsichtsrat der AC gestellt. Einen Anspruch auf diese Aufsichtsratsposition habe sie jedoch nicht gehabt, so dass sie ihren Vertreter jederzeit wieder hätte verlieren können.

    Im Streitfall sei die Verletzung der Kapitalverkehrsfreiheit auch nicht durch den speziellen Rechtfertigungsgrund des Artikels 57 EG (nunmehr Artikel 67 AEUV) gerechtfertigt. Hiernach dürften Vorschriften, die bereits vor dem 31. Dezember 1993 bestanden hätten, unter gewissen weiteren Voraussetzungen trotz ihrer Beschränkung auf die Kapitalverkehrsfreiheit weiter angewendet werden. Am 31. Dezember 1993 habe das deutsche Steuerrecht jedoch keine dem 8b Abs. 5/7 KStG vergleichbare Regeln enthalten.

    Die Klägerin beantragt,

    unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 25. Juni 2007 die Bescheide über Körperschaftsteuer, Gewerbesteuermessbetrag, Feststellung gem. § 47 Abs. 2 Körperschaftsteuergesetz 1999 und Feststellung der Besteuerungsgrundlagen gem. § 47 Abs. 1 KStG zum 31. Dezember 1999 mit der Maßgabe zu ändern, dass die Hinzurechnung der nicht abzugsfähigen Betriebsausgaben im Zusammenhang mit der von der A Corporation, USA, ausgezahlten Dividende auf die tatsächlich entstandenen Kosten i.H.v. 10.953,18 DM (5.600,27 EUR) beschränkt wird,

    hilfsweise die Revision zuzulassen.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen,

    hilfsweise die Revision zuzulassen.

    Er vertritt die Auffassung, dass der Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit nach der mittlerweile gefestigten Rechtsprechung des EuGH von der Niederlassungsfreiheit verdrängt werde, sofern eine Beteiligung einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der Tochtergesellschaft ermögliche (EuGH-Urteil vom 13. August 2006 Rs C-251/98 – Baars). Die anderslautende Entscheidung des BFH vom 9. August 2006, BStBl II 2007, 279, auf die sich die Klägerin stütze, sei nach dem BMF-Schreiben vom 21. Februar 2007, BStBl I 2007, 302 über den entschiedenen Einzelfall hinaus nicht anwendbar.

    Der Rechtsprechung des Finanzgerichts Köln im Urteil vom 24. Februar 2011 13 K 80/06, auf das sich die Klägerin maßgeblich stütze, könne nicht gefolgt werden. Das Finanzgericht bejahe die Exklusivität der Niederlassungsfreiheit für den Fall, dass die in Streit stehende nationale Regelung einen sicheren Einfluss auf die Gesellschaft voraussetze. Andererseits schließe es eine solche Exklusivität für den Fall der zwar nicht erforderlichen, im konkreten Einzelfall jedoch vorliegenden Kontrollbeteiligung mit dem Hinweis aus, eine solche sei im AEUV nicht angelegt. Dabei werde die Exklusivität der Niederlassungsfreiheit bei tatbestandlich vorausgesetzter Kontrollbeteiligung vom Finanzgericht aber nicht aus dem AEUV, sondern aus der EuGH-Rechtsprechung abgeleitet. Mit dieser Argumentation gehe das Finanzgericht offenbar davon aus, dass es keine ausdrückliche Subsidiaritätsklausel im AEUV gebe. Insoweit sei es verfehlt, wenn das Gericht für die Beantwortung der Frage, ob eine Exklusivität auch im Fall einer tatsächlich vorhandenen Kontrollbeteiligung bestehe, vorwiegend nach einer Begründung im Wortlaut des AEUV suche.

    Im Übrigen sei das Urteil des Finanzgerichts insoweit widersprüchlich, als es einerseits feststelle, dass nach der „Fidium-Finanz”-Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 3. Oktober 2006 Rs C-452/04, Rn. 48) nur eine der beiden Grundfreiheiten anwendbar sein könne, im weiteren Verlauf des Urteils jedoch andererseits die Auffassung vertrete, dass beide Freiheiten dann nebeneinander anwendbar seien, wenn eine Kontrollbeteiligung tatbestandlich nicht vorausgesetzt werde. In der „Fidium-Finanz”-Entscheidung habe der EuGH festgestellt, dass neben der Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit „möglicherweise” auch eine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit vorliegen könne. Es handele sich dann allerdings nur um die zwangsläufige Folge der Beschränkung des reinen Dienstleistungsverkehrs. Der EuGH habe daher der Dienstleistungsfreiheit – entgegen des eindeutigen Wortlauts von Artikel 57 AEUV – den Vorrang vor der Kapitalverkehrsfreiheit eingeräumt.

    Die in der „Fidium-Finanz”-Entscheidung enthaltene Aussage, dass die Kapitalverkehrsfreiheit zurücktreten könne, wenn eine andere Grundfreiheit einschlägig sei, habe der EuGH entgegen der Auffassung des Finanzgerichts Köln auch nicht aufgegeben. In der Entscheidung, auf die sich das Finanzgericht stütze (Urteil vom 26. März 2009 Rs C-326/07) sei es um ein Verfahren der Kommission gegen den Mitgliedsstaat Italien gegangen, so dass naturgemäß nur eine nationale Vorschrift ohne Bezug zu einem konkreten Fall zu prüfen gewesen sei. Zwangsläufig habe der BFH daher nur auf den Gegenstand der Vorschrift abstellen können, ohne aber eine Aussage für den Fall zu treffen, dass eine tatsächliche Kontrollbeteiligung vorliege. Deutlicher habe der EuGH hierzu in der Rechtssache „SGI” Stellung genommen. Hier habe der EuGH auf die konkrete Beteiligungshöhe abgestellt und die Kapitalverkehrsfreiheit nicht angewendet. Dabei habe das Gericht geprüft und festgestellt, dass Beteiligungen von 65% bzw. 34% ihrer Art nach geeignet seien, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen und das Tätigwerden der Gesellschaft zu ermöglichen.

    Entgegen der Rechtsauffassung des Finanzgerichts Köln sei es unbeachtlich, ob der EuGH in dieser Entscheidung zunächst an die Norm selbst anknüpfe und erst dann auf die Höhe der im konkreten Vorlagefall bestehenden Beteiligung verweise. Wichtig sei allein, dass der EuGH auf die konkrete Beteiligungshöhe abgestellt habe.

    Auch lasse das Finanzgericht Köln die von der Finanzverwaltung vorgetragene EuGHEntscheidungen „Burda” (Urteil vom 26. Juni 2006, Rs C-284/06) und „KBC Bank” (Beschluss vom 4. Juni 2009 Rs C-439/07) unbeachtet, obwohl die nationalen Gerichte verpflichtet seien, die vom EuGH getroffenen Feststellungen bei der Anwendung des nationalen Rechts zu berücksichtigen. Die Rechtssachen „Burda” und „KBC Bank” machten deutlich, dass bei der Prüfung der Anwendbarkeit der Kapitalverkehrsfreiheit sowohl auf den Gegenstand der Vorschrift als auch auf den konkreten Sachverhalt abzustellen sei und dass die Kapitalverkehrsfreiheit verdrängt werde, wenn sich die Anwendbarkeit der Niederlassungsfreiheit aus dem Gegenstand der Norm oder aber dem konkreten Sachverhalt ergebe.

    Entgegen der Auffassung des Finanzgerichts Köln lasse sich eine parallele Anwendbarkeit der beiden Grundfreiheiten auch nicht aus der Rechtssache Holböck (Urteil vom 24. Mai 2007 Rs C-157/05) herleiten. In diesem Fall habe eine Kontrollbeteiligung vorgelegen. Auch wenn der EuGH nicht von vornherein die Anwendbarkeit der Kapitalverkehrsfreiheit abgelehnt habe, habe er diese nicht für anwendbar erklärt. Er habe die Frage vielmehr offen gelassen, weil eine etwaige Verletzung jedenfalls durch Artikel 57 EG-Vertrag (nunmehr Artikel 67 AEUV) gerechtfertigt sei.

    Die Urteile des Bundesfinanzhofs, auf die sich das Finanzgericht Köln und dem folgend, die Klägerin stützten, seien im vorliegenden Fall nicht einschlägig. Bis auf eine Ausnahme habe keines der Urteile eine (nahezu) 100%-ige Beteiligung an einer im Drittstaat ansässigen Gesellschaft zum Gegenstand gehabt. Lediglich das Urteil vom 26. November 2008 I R 7/08 betreffe eine 100 %ige Drittstaatenbeteiligung und erkläre § 8b Abs. 5 KStG alte Fassung im Hinblick auf die Kapitalverkehrsfreiheit für anwendbar. Dieses Urteil sei jedoch vor der Veröffentlichung der maßgeblichen Entscheidungen des EuGH über die Verdrängung der Kapitalverkehrsfreiheit durch die Niederlassungsfreiheit ergangen. Im Beschluss vom 9. Februar 2011 I R 71/10 gehe der BFH nunmehr offenbar davon aus, dass die Niederlassungsfreiheit Vorrang vor der Kapitalverkehrsfreiheit genieße, und zwar insbesondere dann, wenn eine Kontrollbeteiligung vorliege. Dort habe der BFH ausgeführt, dass „der insoweit eröffnete Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit (…) jedenfalls unter den Gegebenheiten des Streitfalles auch nicht durch die – vorrangige – Niederlassungsfreiheit (…) verdrängt (werde), weil die Kapitalbeteiligungen der Kläger lediglich sogenannten Streubesitz darstellen, der der Niederlassungsfreiheit nicht unterfalle”.

    Zu Unrecht stütze sich die Klägerin auf die Entscheidung des EuGH im Urteil vom 21. Oktober 2010 Rs C-81/09, Rn. 49 „Idryma Typou AE”. Zwar habe der EuGH dort entschieden, dass eine nationale Regelung, die nicht nur auf Beteiligungen anwendbar sei, die es ermöglichten, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidung der Gesellschaft auszuüben und deren Tätigwerden zu bestimmen, sondern unabhängig vom Umfang der Beteiligung eines Aktionärs an einer Gesellschaft gelte, sowohl unter Artikel 49 AEUV als auch unter Artikel 63 AEUV fallen könnten. Allerdings lasse die Klägerin und auch das FG Köln bei dieser Betrachtung außer Acht, dass der EuGH an dieser Stelle nur das Zwischenergebnis seiner Abgrenzung formuliere. Diese fast immer gleichlautende Aussage des EuGH finde sich nahezu durchgängig in allen zur Abgrenzungsproblematik ergangenen Entscheidungen, insbesondere auch in solchen, in denen die Kapitalverkehrsfreiheit letztlich nicht angewendet werde.

    Soweit der EuGH in einem Fall nicht zur Verdrängung der Kapitalverkehrsfreiheit gekommen sei, sondern dieser den Vorrang eingeräumt habe (Urteil vom 19. September 2009 Rs C-182/08, Rn. 51 „Glaxo Wellcome”) müsse das an den besonderen Umständen des konkreten Einzelfalles gelegen haben. Aus den Schlussanträgen des Generalanwalts ergebe sich, dass im konkreten Fall zwar eine Kontrollbeteiligung vorgelegen habe, dass die betreffenden Unternehmen jedoch keinesfalls das Ziel verfolgt hätten, die Kontrolle über das ausschüttende Unternehmen zu erlangen.

    Nach alledem sei die Niederlassungsfreiheit vorrangig vor der Kapitalverkehrsfreiheit zu prüfen und verdränge Letztere. Das zeige sich vor allem auch daran, dass der EuGH in den Fällen, in denen die in Streit stehende Norm nicht auf eine qualifizierte Beteiligung abstelle, das Vorliegen einer beherrschenden Beteiligung prüfe. Solche Ausführungen wären überflüssig, wenn es nur auf den Gegenstand der Norm ankäme. Diese Auffassung werde auch von Frau Professor Kokott, Generalanwältin am EuGH, vertreten (Kokott/Ost, Europäische Grundfreiheiten und Nationales Steuerrecht, EuZW 2011, 496, 499).

    Hinsichtlich der Frage, ob eine beherrschende Beteiligung vorliege, stütze sich die Klägerin zu Unrecht auf das BMF-Schreiben vom 21. Februar 2007, BStBl I 2007, 302. In dem Schreiben werde ausgeführt, dass bei einer Beteiligung von mehr als 50 % regelmäßig die Regelungen zur Niederlassungsfreiheit Anwendung fänden. Hieraus dürfe nicht im Umkehrschluss geschlossen werden, dass für alle Fälle einer geringeren Beteiligung die Kapitalverkehrsfreiheit Anwendung finde. Nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Baars vermittele eine Beteiligung i.H.v. 1/3 nicht zwangsläufig die erforderliche Kontrolle über ein Unternehmen. Daraus werde deutlich, dass man entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin einen beherrschenden Einfluss auf die Gesellschaft nicht erst bei einer Beteiligung von mehr als 50 % annehmen dürfe. Aus der EuGH-Entscheidung „Lasteyrie du Saillant” könne entnommen werden, dass der EuGH offensichtlich zumindest ab einer Beteiligung von 25 % einen sicheren Einfluss bejahe.

    Entscheidungsgründe

    Die Klage ist begründet.

    Die angefochtenen Steuer- und Feststellungsbescheide sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

    Der Beklagte hat den Gewinn der Klägerin zu Unrecht gemäß § 8b Abs. 7 KStG um 5 % der von der AC bezogenen Dividenden erhöht.

    Diese Gewinnerhöhung entspricht zwar der Anwendung der nationalen körperschaftsteuerrechtlichen Regelungen. Nach § 8b Abs. 7 KStG, für die Gewerbesteuer i.V.m. § 7 GewStG, gelten (u.a.) 5% der Dividenden aus Anteilen an einer ausländischen Gesellschaft, die nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von der Körperschaftsteuer befreit sind, als Betriebsausgaben, die mit den Einnahmen in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang stehen und daher nach § 3c EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG nicht als Betriebsausgaben abgezogen werden können.

    Die Voraussetzungen dieser Kürzungsvorschrift liegen vor. Die von der AC bezogene Dividende wurde in den USA mit einer 5%-igen Quellensteuer belegt, so dass sie nach Art. 23 Abs. 2 Satz 1 a) Satz 2 i.V.m. Art. 10 Abs. 2 Satz 1 a) des DBA-USA nicht der Besteuerung unterlag. Da die nach nationalem Recht vorliegende Berechtigung des Beklagten zur Gewinnerhöhung um 5 % der bezogenen Dividenden zwischen den Beteiligten nicht streitig, sieht der Senat von einer weiteren Begründung ab.

    Die Anwendung des § 8b Abs. 7 KStG verstößt im vorliegenden Fall aber gegen primäres Gemeinschaftsrecht und ist wegen Verstoßes gegen die gemäß Art. 63 AEUV geschützte Kapitalverkehrsfreiheit nicht anzuwenden.

    Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH fallen die direkten Steuern zwar in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, doch müssen diese ihre Befugnisse unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts ausüben (vgl. u.a. EuGH-Urteile vom 13. Dezember 2005 Rs. C-446/03 „Marks & Spencer”, Slg. 2005, I-10837 Rz 29; vom 12. Dezember 2006 Rs. C-374/04 „Test Claimants in Class IV of the ACT Group Litigation”, Slg. 2006, I-11673, Rz 36). Der Spielraum der nationalen Gesetzgeber endet dort, wo die Grundfreiheiten des Vertrages berührt werden (vgl. EuGH-Urteil vom 22. Januar 2009 Rs. C-377/07 „STE-KO Industriemontage GmbH”, Slg. 2009, I-299, Rz 49 m.w.N.). Soweit eine inländische Vorschrift gegen eine der Grundfreiheiten des Gemeinschaftsrechtes verstößt, ist auf Grund des Anwendungsvorranges gemeinschaftsrechtlichen Primärrechtes vor nationalen Rechtsvorschriften (vgl. dazu z.B. BFH-Urteil vom 17. Juli 2008 X R 62/04, BFH/NV 2008, 1927 m.w.N.) eine Anwendung des inländischen Rechtes nicht mehr möglich, ohne dass es einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht oder den EuGH bedarf.

    Dass es sich bei § 8b Abs. 7 KStG um eine europarechtswidrige Vorschrift handelt, hat der BFH bereits mit Urteil vom 13. Juni 2006 I R 78/04 entschieden. Nach Ansicht des BFH, der sich der erkennende Senat anschließt, verstößt § 8b Abs. 7 KStG gegen die in Art. 49 AEUV geregelte Niederlassungsfreiheit, weil er eine Pauschalierung der nicht abzugsfähigen Betriebsausgaben lediglich zu Lasten ausländischer Beteiligungsgesellschaften anordnet (BFH-Urteil vom 13. Juni 2006 I R 78/04, a.a.O., mit Verweis auf EuGH-Urteile vom 18. September 2003 Rs. C-168/01 „Bosal”, EuGHE I 2003, 9409, ABlEU 2003, Nr. C 264, 8, und vom 23. Februar 2006 Rs. C-471/04 „Keller Holding”, ABlEU 2006, Nr. C 131, 20). Entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten beschränkt sich die Kollision der Vorschrift mit primärem Gemeinschaftsrecht jedoch nicht auf einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit. Die Vorschrift verstößt zugleich gegen die in Art. 63 AEUV geregelte Kapitalverkehrsfreiheit. Entgegen der Auffassung des Beklagten verdrängt die Anwendung der Niederlassungsfreiheit nicht die Anwendbarkeit der Kapitalverkehrsfreiheit.

    Für die Beantwortung der Frage, ob eine nationale Regelung unter die Niederlassungs-, Kapitalverkehrs- oder beide Grundfreiheiten fällt, ist nach Ansicht des erkennenden Senates in Einklang mit der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH auf den Gegenstand der betreffenden nationalen Regelung abzustellen (vgl. u.a. EuGH-Urteile vom 10. Februar 2011 Rs. C-436, 437/08 „Haribo Lakritzen Hans Riegel BetriebsgmbH”, Der Betrieb – DB – 2011, 508; vom 24. Mai 2007 Rs. C-157/05 „Holböck”, Slg. 2007, I-4051, Rz 22 und 23; vom 13. März 2007 Rs. C-524/04 „Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation”, Slg. 2007, I-2107, Rz 26 bis 34, und vom 3. Oktober 2006 Rs. C-452/04 „Fidium Finanz”, Slg. 2006, I-9521, Rz 34 und 44 bis 49). Aus der Rechtsprechung des EuGH ergibt sich ferner, dass der EuGH die in Rede stehenden Maßnahmen grundsätzlich nur im Hinblick auf eine dieser beiden Freiheiten prüft, wenn sich herausstellt, dass unter den Umständen des Ausgangsfalls eine der beiden Freiheiten der anderen gegenüber völlig zweitrangig ist und ihr zugeordnet werden kann (EuGH-Urteil vom 3. Oktober 2006 Rs. C-452/04 „Fidium Finanz”, Rz 34).

    Nationale Vorschriften, die nur auf solche Beteiligungen anwendbar sind, die es ermöglichen, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der Gesellschaft auszuüben und deren Tätigkeit zu bestimmen, fallen danach (ausschließlich) unter die Niederlassungsfreiheit (vgl. z.B. EuGH-Urteile vom 12. September 2006 Rs. C-196/04 „Cadbury Schweppes”, Slg. 2006, I-7995, Rz 31 und 32; vom 18. Juli 2007 Rs. C-231/05 „Oy AA”, Slg. 2007, I-6373, Rz 20; vom 21. November 2002 Rs. C-436/00 „X und Y”, Slg. 2002, I-10829, Rz 37, und vom 13. April 2000 Rs. C-251/98 „Baars”, Slg. 2000, I-2787, Rz 22). Insofern betreffen Rechtsvorschriften, die nur die Beziehungen innerhalb einer Unternehmensgruppe regeln, vorwiegend die Niederlassungsfreiheit (z.B. EuGH-Urteil vom 26. Juni 2008 Rs. C-284/06 „Burda”, Slg. 2008, I-4571 Rz 68). Wenn mit solchen Vorschriften gleichzeitig Auswirkungen auf die Kapitalverkehrsfreiheit verbunden sind, rechtfertigt dies regelmäßig keine eigenständige Prüfung der Art. 63 ff. AEUV, weil diese Auswirkungen lediglich als zwangsläufige Folge einer eventuellen Beschränkung der Niederlassungsfreiheit anzusehen sind (z.B. EuGH-Urteil vom 13. März 2007 Rs. C-524/04 „Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation”, Rz 34; EuGH-Beschluss vom 10. Mai 2007 Rs. C-492/04 „Lasertec”, Slg. 2007, I-3775 Rz 20 ff.).

    Unter Art. 63 AEUV über den freien Kapitalverkehr fallen dagegen nach der Rechtsprechung des EuGH insbesondere Direktinvestitionen in Form der Beteiligung an einem Unternehmen durch Besitz von Aktien, die die Möglichkeit verschafft, sich tatsächlich an der Verwaltung dieser Gesellschaft und deren Kontrolle zu beteiligen (sogenannte Direktinvestitionen), sowie der Erwerb von Wertpapieren auf dem Kapitalmarkt allein in der Absicht einer Geldanlage, ohne auf die Verwaltung und Kontrolle des Unternehmens Einfluss nehmen zu wollen (sogenannte Portfolioinvestitionen) (vgl. EuGH-Urteile vom 16. März 1999 Rs. C-222/97 „Trummer und Mayer”, Slg. 1999, I-1661, Rz 21; vom 17. September 2009 Rs. C-182/08 „Glaxo Wellcome”, BFH/NV 2009, 1941, Rz 40; vom 21. Oktober 2010 Rs. C-81/09 „Idryma Typou AE”, ABl EU 2010, Nr. C 346, 12). Wenn die Prüfung ergibt, dass der den freien Kapitalverkehr betreffende Aspekt der Regelung Vorrang vor dem Aspekt der Niederlassungsfreiheit hat, wären Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit die unvermeidliche Folge einer eventuellen Beschränkung des freien Kapitalverkehrs und rechtfertigten damit keine eigenständige Prüfung der Regelung im Hinblick auf die Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49 AEUV (vgl. EuGH-Urteil vom 17. September 2009 C-182/08 „Glaxo Wellcome”, Rz 51).

    Eine nationale Regelung, die nicht nur auf Beteiligungen anwendbar ist, die es ermöglichen, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der Gesellschaft auszuüben und deren Tätigkeiten zu bestimmen, sondern unabhängig vom Umfang der Beteiligung eines Gesellschafters an einer Gesellschaft gilt, kann sowohl unter Art. 49 AEUV als auch unter Art. 63 AEUV fallen (EuGH-Urteile vom 21. Oktober 2010 Rs. C-81/09 „Idryma Typou AE”, Rz 49; vom 26. Juni 2006 Rs. C-284/06 „Burda”, Rz 71; EuGH-Beschluss vom 4. Juni 2009 Rs. C-439/07 „KBC-Bank”, Slg. 2009, I-04409, Rz 69). In einem solchen Fall ist nicht ausschließlich die Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49 AEUV betroffen (so EuGH-Urteil vom 26. März 2009 Rs. C-326/07 „Kommission / Italien”, Slg. 2009, I-02291 Rz 36; anders noch EuGH-Urteil vom 12. September 2006 Rs. C-196/04 „Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas”). Die ausschließliche Prüfung der Niederlassungsfreiheit in dem Verfahren „Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas” hatte seinen Grund allerdings darin, dass in diesem Verfahren die vorgelegten Rechtsvorschriften beherrschte ausländische Gesellschaften betrafen (vgl. dort Rz 32).

    Der gegenteiligen Rechtsauffassung des Beklagten schließt sich der Senat nicht an. Die Finanzverwaltung allgemein (vgl. VV NW OFD Rheinland S 2750a-1012-St 131 vom 28. Dezember 2010) sowie Teile der Literatur (Mitschke, Finanzrundschau – FR – 2009, 898; Benecke, IStR-Länderbericht Heft 13/2009; Wunderlich/ Blaschke, IStR 2008, 754; unentschieden sind Lausterer/ Bindl, DB 2010, 1556; Musil, DB 2009, 1037) vertreten die Rechtsauffassung, dass in Fällen, in denen nationale Regelungen betroffen sind, die einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der Gesellschaft und deren Tätigkeit nicht erfordern, in tatsächlicher Hinsicht aber ein Sachverhalt zu beurteilen ist, in dem aufgrund der Beteiligungshöhe diese sichere Einflussmöglichkeit besteht, die Kapitalverkehrsfreiheit gemäß Art. 63 AEUV von der Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49 AEUV verdrängt wird. Die Befürworter dieser Ansicht berufen sich zur Begründung ihrer Auffassung im Wesentlichen auf die Urteile des EuGH vom 21. Januar 2010 Rs. C-311/08 „SGI” (IStR 2010, 144), vom 26. Juni 2006 Rs. C-284/06 „Burda” und vom 10. Mai 2007 Rs. C-492/07 „Lasertec” sowie auf den Beschluss des EuGH vom 4. Juli 2009 Rs. C-439/07 „KBC-Bank”. Weitere diese Auffassung stützende Rechtsprechung des EuGH findet sich im Schriftsatz des Beklagten vom 8. September 2011, auf den insoweit ergänzend verwiesen wird. Es wird insoweit zutreffend argumentiert, dass der EuGH in diesen Entscheidungen nach der Betrachtung der streitigen Vorschriften in einem zweiten Schritt geprüft habe, ob eine beherrschende Beteiligung vorliege. In einem solchen Fall werde die Kapitalverkehrsfreiheit durch die Niederlassungsfreiheit verdrängt.

    Der erkennende Senat teilt diese Rechtsauffassung nicht.

    Zum einen tragen die von den Befürwortern dieser Auffassung herangezogenen Entscheidungen des EuGH ihre Auffassung nicht. Gegenstand der Entscheidung des EuGH vom 10. Mai 2007 Rs. C-492/07 „Lasertec” waren keine neutralen Vorschriften, sondern solche, die eine wesentliche Beteiligung von mehr als einem Viertel erforderten. Hierzu stellte der EuGH fest, dass nach dem zu beurteilenden Sachverhalt eine Beteiligung von zwei Dritteln vorlag.

    Ähnliches gilt auch für die Entscheidung vom 21. Januar 2010 Rs. C-311/08 „SGI”. Auch hier stellte der EuGH zunächst fest, dass nach der Äußerung der belgischen Regierung die streitige Regelung eine „mittelbare oder unmittelbare Verflechtung” zwischen Unternehmen erfordere, „eine Beteiligung am Kapital der anderen betroffenen Gesellschaft”, die allerdings nicht durch die Ausübung eines „sicheren Einflusses” im Sinne der Rechtsprechung gekennzeichnet sei müsse, sondern sich z. B. auch aus einer relativen Abhängigkeit von Rohstoffen oder einer Abhängigkeit im Bereich der technischen Zusammenarbeit und der Garantien ergeben könne (vgl. dort Rz 29). Erst im Anschluss verweist der EuGH auf die Höhe der im konkreten Vorlagefall bestehenden Beteiligung und sieht die Kapitalverkehrsfreiheit als verdrängt an (vgl. dort Rz 33ff.).

    In der Entscheidung vom 26. Juni 2006 Rs. C-284/06 „Burda” stellte der EuGH zunächst die Neutralität der Vorschriften sowie die beherrschende Beteiligung im vorgelegten Sachverhalt (Rz 72) fest, verwies aber zur Begründung für die Verdrängung der Kapitalverkehrsfreiheit ausschließlich auf solche Entscheidungen des EuGH, die keine neutralen Vorschriften zum Gegenstand hatten, sondern solche, die eine beherrschende Beteiligung erfordern (EuGH-Urteil vom 18. Juli 2007 Rs. C-231/05 „Oy AA”, Slg. 2007, I-6373, Rz 20 Rz 24; hierzu kritisch Rehm/ Nagler, IStR 2009, 247).

    Aus dem angeführten Beschluss vom 4. Juli 2009 Rs. C-439/07 „KBC-Bank” (dort Rz 68ff.), in welchem der EuGH das Verfahren an das vorlegende Gericht zur Entscheidung zurückverwiesen hat, lässt sich ebenfalls nicht eindeutig entnehmen, dass in dem Fall neutraler Rechtsvorschriften und tatsächlicher beherrschender Beteiligung die Kapitalverkehrsfreiheit zugunsten der Niederlassungsfreiheit verdrängt würde (vgl. die Kritik bei Völker, IStR 2009, 705). Der EuGH führt insoweit lediglich aus, dass bei Bestehen einer beherrschenden Beteiligung die Bestimmungen über die Niederlassungsfreiheit Anwendung finden, ohne die Auswirkungen auf die Kapitalverkehrsfreiheit zu klären.

    Zum anderen betont der EuGH in allen Entscheidungen unter Hinweis darauf, dass es sich um eine gefestigte Rechtsprechung handele, den Grundsatz, dass für die Bestimmung der einschlägigen Grundfreiheit auf den Gegenstand der betreffenden nationalen Regelungen abzustellen ist. In Anwendung dieses Grundsatzes hat der EuGH in verschiedenen Entscheidungen die Abgrenzung der Kapitalverkehrsfreiheit von der Niederlassungsfreiheit bei neutralen Vorschriften auch ohne Prüfung der konkreten Beteiligungshöhe angenommen und der Kapitalverkehrsfreiheit den Vorrang eingeräumt (EuGH-Urteil vom 19. September 2009 Rs. C-182/08 „Glaxo Wellcome”, Slg. 2009, I-08591) oder beide Grundfreiheiten geprüft, obwohl eine beherrschende Beteiligung vorlag (EuGH-Urteil vom 24. Mai 2007 Rs. C-157/05 „Holböck”, Slg. 2007, I-04051, bei einer Kapitalbeteiligung von zwei Dritteln). Der EuGH hält bei neutralen Vorschriften auch nach seiner aktuellen Rechtsprechung eine Verletzung beider Grundfreiheiten für möglich, ohne dass der Schutzbereich der einen Grundfreiheit von der anderen verdrängt würde (EuGH-Urteil vom 21. Oktober 2010 Rs. C-81/09 „Idryma Typou AE”, ABl EU 2010, Nr. C 346, 12, Rz 49, 52f., 70).

    Die vom Beklagten geäußerte Kritik an der vorliegenden, vom Senat bereits im Urteil vom 24. Februar 2011 13 K 80/06, a.a.O., geäußerten Rechtsauffassung hält der Senat lediglich insoweit für berechtigt, als die Rechtsprechung des EuGH zu dieser Rechtslage nicht eindeutig ist. Gleichwohl ergibt aus den bereits genannten Gründen, insbesondere den o.g. Judikaten des EuGH und BFH nach Auffassung des erkennenden Senats auch für Drittlandsfälle keine Exklusivität der Niederlassungsfreiheit vor der Kapitalverkehrsfreiheit in Mehrheits- bzw. Beherrschungsfällen, wenn die streitgegenständliche Vorschrift eine Mehrheit oder Beherrschung nicht erfordert. Vielmehr sind Kapitalverkehrsfreiheit und Niederlassungsfreiheit in den Fällen, in denen der Tatbestand der streitgegenständlichen Vorschrift neutral ist, nebeneinander anzuwenden mit der Folge, dass über den Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit auch Drittstaatenbeziehungen geschützt sind. Eine Einschränkung des Schutzbereichs der Kapitalverkehrsfreiheit bei gleichzeitiger Betroffenheit der Niederlassungsfreiheit bedürfte einer besonderen Begründung, die das Gericht weder aus der Systematik der Grundfreiheiten noch mit der hierzu erforderlichen Sicherheit aus der bisherigen Rechtsprechung des EuGH entnehmen kann. Soweit einige Autoren eine Tendenz des EuGH zur einschränkenden Anwendung der Kapitalverkehrsfreiheit aus dem Grunde erkennen, weil es aus mitgliedschaftlicher Sicht kaum nachvollziehbar sei, aufgrund der Grundfreiheiten nun auch noch im Verhältnis zu Drittstaaten in die Pflicht genommen zu werden (so Musil, a.a.O., S. 1040), so hält das Gericht dies nicht für überzeugend. Denn der weite, auf Drittstaaten ausgedehnte Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit ist ausdrücklicher Inhalt des AEUV und als solcher nicht durch eine grundlose Verdrängung der Kapitalverkehrsfreiheit im Verhältnis zur Niederlassungsfreiheit einzuschränken.

    Der Senat sieht sich mit dieser Rechtsauffassung in Einklang mit der Rechtsprechung des BFH zur Frage der Europarechtswidrigkeit der Regelung in § 8b Abs. 3 und Abs. 5 KStG im Jahr 2001 (BFH-Beschluss vom 8. Juni 2010 I B 199/09, BFH/NV 2010, 1863; BFH-Urteile vom 9. August 2006 I R 50/05 BFHE 215, 93, BStBl II 2008, 823; vom 26. November 2008 I R 7/08, BFHE 224, 50, BFH/NV 2009, 849; in diesem Sinne auch Gosch, BFH/PR 2009, 225; Dörfler/ Ribbrock, Der Betriebs-Berater – BB – 2009, 1515; Völker, IStR 2009, 705; Intemann, Gestaltende Steuerberatung 2009, 268).

    Wendet man die vorgenannten Rechtsgrundsätze auf den Streitfall an, ist die streitgegenständliche Regelung in § 8b Abs. 7 KStG zumindest auch dem Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit gemäß Art. 63 ff. AEUV zuzuordnen. Die Regelung gilt für alle Beteiligungen und zwar unabhängig von einer bestimmten Beteiligungshöhe und unabhängig von der Möglichkeit, auf die Tochtergesellschaft einen sicheren Einfluss ausüben zu können.

    Rechtfertigungsgründe für den Verstoß der Regelungen in § 8b Abs. 7 KStG gegen die Kapitalverkehrsfreiheit sind nicht ersichtlich.

    Der erkennende Senat übt wie bereits in der Entscheidung 13 K 80/06, a.a.O., das ihm eingeräumte Ermessen gemäß Art. 267 Abs. 2 AEUV dahingehend aus, dass er keine Vorabentscheidung durch den EuGH herbeiführt. Die Feststellung der einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheit und die Auslegung des Art. 63 AEUV im Hinblick auf die Anwendbarkeit des § 8b Abs. 5 KStG waren bereits Gegenstand der Auslegung durch den EuGH bzw. den BFH. Der erkennende Senat ist davon überzeugt, dass nach der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH eine andere Auslegung des Gemeinschaftsrechts nicht erfolgen kann. Eine erneute Vorlage an den EuGH ist damit nicht erforderlich (vgl. EuGH-Urteil vom 6. Oktober 1982 C-283/81 „Srl CILFIT und Lanificio di Gavardo SpA”, Slg. 1982, 3415).

    Die Klägerin hat akzeptiert, dass die ihr tatsächlich entstandenen Beteiligungsaufwendungen hinsichtlich der AC nicht zum Betriebsausgabenabzug zuzulassen sind und insoweit ihren Klageantrag eingeschränkt; über die Höhe der tatsächlich entstandenen Beteiligungsaufwendungen besteht kein Streit. Über die Streitfrage, ob § 3c Abs. 1 EStG i.V.m. § 8b Abs. 1 KStG bei der europarechtlich erzwungenen Nichtanwendung von § 8b Abs. 7 KStG wiederauflebt und subsidiär anzuwenden wäre braucht daher im vorliegenden Verfahren nicht entschieden zu werden.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO.

    Nach dieser Vorschrift können einem Beteiligten die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist. So verhält es sich im Streitfall. Die Klägerin hat ihr ursprüngliches Klagebegehren in dem Umfang eingeschränkt, in dem ihr tatsächliche Kosten im Zusammenhang mit der Erzielung der streitbefangenen Dividende entstanden sind (10.953,18 DM = 5.600,27 EUR). Insoweit ist sie jedoch nur zu einem geringen Teil (ca. 2,5%) unterlegen, was die Anwendung des § 136 Abs. 1 Satz 3 rechtfertigt (vgl. Gräber/Ruban, FGO, 5. Auflage, § 136 Rz. 6 m.w.N.).

    Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 709 der Zivilprozessordnung.

    Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen. Dem BFH ist Gelegenheit zu einer Äußerung zu geben, ob er im Hinblick auf die jüngeren Entscheidungen des EuGH (insbesondere die Rechtssachen. „Burda”, „SGI” und „KBC-Bank”) an seiner vom erkennenden Senat geteilten Rechtsprechung zur Abgrenzung der gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten der Kapitalverkehrsfreiheit und der Niederlassungsfreiheit festhält.

    VorschriftenAEUV Art 49, AEUV Art 63, KStG 1999 § 8b Abs 7