15.02.2012
Finanzgericht Düsseldorf: Urteil vom 13.07.2011 – 15 K 206/11 Kg
Die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht eines polnischer Saisonarbeiters mit Familienwohnsitz in Polen nach § 1 Abs. 3 EStG kann nur für die Monatszeiträume eine Kindergeldberechtigung nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 b EStG begründen, in denen der Steuerpflichtige die für die fiktive Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG erforderlichen inländischen Einkünfte im Sinne des § 49 EStG erzielt.
Tatbestand
Der Kläger ist polnischer Staatsangehöriger und arbeitete in den Monaten März bis Juli 2008 bei einem deutschen Baumschulbetrieb in „O-Stadt” in abhängiger sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung. Der Kläger lebt mit seiner nicht erwerbstätigen Ehefrau und seiner am 28.07.2004 geborenen Tochter „L” in Polen.
Im Mai 2009 beantragte der Kläger die Gewährung von Kindergeld für „L” unter Hinweis auf an seine Ehefrau gezahlte polnische Kindergeldleistungen von 48 PLN monatlich. Mit Bescheid vom 18.06.2009 setzte die Beklagte Kindergeld für „L” für die Monate März bis Juli 2008 unter Anrechnung polnischer Familienleistungen in Höhe von monatlich 48 EUR fest.
Dem dagegen gerichteten Einspruch, der auf Gewährung von ganzjährigem Kindergeld und Korrektur der Anrechnung gerichtet war, gab die Beklagte mit Änderungsbescheid vom 13.08.2009 insoweit statt, als sie die Anrechnung der polnischen Familienleistungen wegen der offensichtlichen Devisenverwechselung zugunsten des Klägers korrigierte. Im Übrigen wies sie den Einspruch als unbegründet zurück, da sie der Auffassung war, dass dem Kläger für die Zeit seiner Nichtbeschäftigung im Inland kein Kindergeldanspruch zustehe.
Mit seiner Klage verfolgt der Kläger sein Begehren auf ganzjähriges Kindergeld weiter. Er trägt vor, er sei, wie das Finanzamt – FA – „J-Stadt” bestätigt habe, im gesamten Veranlagungszeitraum 2008 unbeschränkt steuerpflichtig im Sinne des § 1 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes – EStG – gewesen. Ihm stehe daher das Kindergeld für das volle Kalenderjahr zu. Sein Anspruch dürfe nicht auf die Monate beschränkt werden, in denen er Einkünfte nach § 49 EStG erzielt habe. Dies würde ihn gegenüber selbständig Tätigen ungerechtfertigt benachteiligen. Ferner würde ein Abstellen auf einzelne Monate zu abstrusen Ergebnissen führen. So könne für einzelne Monate der Kindergeldanspruch bestehen, obgleich wegen Überschreitens der Einkommensgrenzen des § 1 Abs. 3 EStG in anderen Monaten die unbeschränkte Steuerpflicht nicht fingiert werden könne. Die von dem 10. Senat des Finanzgerichts – FG – Düsseldorf in seinem Urteil vom 16.03.2010 (10 K 1829/09 KG) vertretene monatliche Sichtweise, auf die sich die Beklagte berufe, sei daher fehlerhaft und nicht anzuwenden. Dies gelte vor allem, weil es an hinreichenden Prüfungsmöglichkeiten des Vorliegens der Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 EStG durch die Familienkasse für einzelne Monate fehle. Dementsprechend habe der Bundesfinanzhof – BFH – in anderem Zusammenhang aus Gründen eines unvertretbaren Verwaltungsaufwandes den bei den Einkünften und Bezügen des Kindes zu beachtenden Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 EStG dem Monatsgrenzbetrag vorgezogen.
Zumindest müsse das vorliegende Klageverfahren aber ruhend gestellt werden, da die Entscheidung des 10. Senates dem BFH vorgelegt worden sei.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 18.06.2009 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 13.08.2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13.12.2010 zu verpflichten, gegenüber dem Kläger Kindergeld für dessen Kind „L” für den Zeitraum Januar 2008 bis einschließlich Dezember 2008 unter Abzug polnischer Leistungen festzusetzen und zu gewähren.
Die Beklagte, die an ihrer Auffassung festhält, beantragt,
die Klage abzuweisen.
Hinsichtlich der Einzelheiten zum Sachverhalt und zum Vorbringen der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der dem Gericht vorgelegten Kindergeldakte Bezug genommen.
Das Gericht entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung, § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung – FGO –.
Gründe
Die Klage ist unbegründet. Die Beklagte hat die Festsetzung des Kindergeldes für die Monate Januar und Februar 2008 sowie August bis Dezember 2008 zu Recht abgelehnt. Denn der Kläger war in diesen Monaten, in denen er nicht in Deutschland gearbeitet hat, nicht kindergeldberechtigt.
Nach § 62 Abs. 1 EStG hat Anspruch auf Kindergeld, wer im Inland seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat oder ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland nach § 1 Abs. 2 EStG unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist oder nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wird.
Der Kläger erfüllt keine dieser Voraussetzungen.
Es ist weder vom Kläger geltend gemacht noch gibt es Anhaltspunkte dafür, dass er in dem streitbefangenen Zeitraum in Deutschland gewohnt oder sich hier gewöhnlich aufgehalten hat.
Eine unbeschränkte Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 2 EStG besteht ebenfalls nicht. Der Kläger hat nicht in einem Dienstverhältnis zu einer inländischen juristischen Person des öffentlichen Rechts gestanden.
Auch kann er für den hier maßgebenden Zeitraum nicht als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig im Sinne des § 1 Abs. 3 EStG behandelt werden. Eine unbeschränkte Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG begründet nämlich nur für die Zeiträume eine Kindergeldberechtigung, in denen der Steuerpflichtige die für die fiktive Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG erforderlichen inländischen Einkünfte im Sinne des § 49 EStG erzielt. Denn diese Steuerpflicht entsteht nach § 1 Abs. 3 Satz 1, 2. Halbsatz EStG nur, soweit inländische Einkünfte im Sinne des § 49 EStG vorliegen. Die Konjunktion „soweit” hat nicht nur konditionale Bedeutung („sofern”), sondern sie beinhaltet auch ein zeitliches Moment mit der Folge, dass die Einkünfte im Sinne des § 49 EStG den Beginn und das Ende der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG markieren (Urteile des FG Düsseldorf vom 16.03.2010 - 10 K 1829/09 KG, Rev. BFH III R 27/10, juris, und vom 27.04.2010 - 10 K 3402/08 KG, Rev. BFH III R 38/10, juris).
Die von dem Kläger gegen diese Wertung erhobenen Einwendungen greifen nicht durch.
So ist bereits nicht erkennbar, dass durch die Beschränkung der Fiktion auf Zeiten der Erzielung inländischer Einkünfte im Sinne des § 49 EStG eine Benachteiligung von nichtselbständig tätigen Personen gegenüber selbständig bzw. gewerblich tätigen Personen eintritt. Denn die Beschränkung erfasst die betreffenden Personen ohne Rücksicht auf die Art ihrer inländischen Einkünfte, da sie durch die Verweisung auf § 49 EStG auf sämtliche Einkunftsarten abhebt.
Ferner führt die Fiktionsbeschränkung nicht zu der von dem Kläger behaupteten monatlichen Betrachtungsweise und Prüfung. Ob die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG überhaupt fingiert werden kann, hängt nach dem eindeutigen Wortlaut des § 1 Abs. 3 Satz 2 EStG allein von den Einkommensverhältnissen des Steuerpflichtigen im gesamten Kalenderjahr ab. Denn nur wenn die in dieser Vorschrift genannten relativen und absoluten Einkünftegrenzen im Kalenderjahr eingehalten werden, ist das Wahlrecht des Steuerpflichtigen nach § 1 Abs. 3 EStG eröffnet. Die Wirkung des ausgeübten Wahlrechts beschränkt sich dabei allerdings nach § 1 Abs. 3 Satz 1 EStG ausdrücklich auf die Besteuerung der inländischen Einkünfte. Eine Besteuerung des Welteinkommens und damit eine Besteuerung des gesamten Jahreseinkommens findet nicht statt (Heinicke in Schmidt, EStG, 30. Aufl. 2011, § 1 Rz. 70). Entsprechend reduziert sich auch die Kindergeldberechtigung.
Ein Ruhen des Verfahrens wegen der gegen die Urteile des 10. Senates des FG Düsseldorf anhängigen Revisionen beim BFH nach § 155 FGO – i.V.m. § 251 der Zivilprozessordnung – ZPO – kam nicht in Betracht. Die Beklagte hat dieser Vorgehensweise nicht zugestimmt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
Die Revisionszulassung beruht auf § 115 Abs. 2 Nr. 1, 2 FGO.