14.11.2012
Finanzgericht des Saarlandes: Urteil vom 21.06.2012 – 1 K 1041/11
1. Eine Verpflichtung zur erneuten Anmeldung von Kapitalertragsteuer besteht nicht, wenn das FA eine ordnungsgemäße und zutreffende Kapitalertragsteueranmeldung aus Gründen aufgehoben hat, die sich später als unrichtig herausstellen.
2. Das Wahlrecht, einen Entrichtungsschuldner, der seiner Verpflichtung zur Abgabe einer Steueranmeldung nicht oder nicht ordnungsgemäß nachgekommen ist, entweder durch Haftungsbescheid oder aber durch Steuerbescheid in Gestalt eines Nachforderungsbescheids in Anspruch zu nehmen, steht der Finanzverwaltung nicht nur in den Fällen zu, in denen die Besteuerungsmerkmale in vollem Umfang geschätzt werden müssen, sondern auch in den Fällen, in denen sachverhaltsbezogen eine Nachforderung geltend gemacht wird.
3. Bei der Nachforderung von Kapitalertragsteuer vom Entrichtungsschuldner geht es um die Schuld des Vergütungsschuldners, die Kapitalertragsteuer einzubehalten und abzuführen. Der Entrichtungsschuldner ist in diesem Falle nicht Steuerschuldner, sondern Haftungsschuldner.
4. Die materiell-rechtliche Gleichbehandlung von Haftungs- und Nachforderungsbescheid hat zur Folge, dass es für die Bestimmtheit und damit die Wirksamkeit des Verwaltungsaktes ausreicht, wenn in ihm der Entrichtungsschuldner, der zugleich Haftungsschuldner ist, bezeichnet ist.
5. Die (originäre) Pflicht des Schuldners der Kapitalerträge zur Anmeldung und Abführung von Kapitalertragsteuer auf Dividenden gemäß §§ 43 ff. EStG besteht nur im sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Durchführung einer Gewinnausschüttung.
6. Es spricht einiges dafür, § 174 Abs. 4 AO auch anzuwenden, wenn es nicht um denselben Steuerschuldner, sondern um den Steuerentrichtungsschuldner einerseits und den Steuerschuldner andererseits geht. Der Entrichtungsschuldner ist insoweit nicht Dritter i. S. d. § 174 Abs. 5 AO.
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In dem Rechtsstreit
hat der 1. Senat des Finanzgerichts des Saarlandes durch den Präsidenten des Finanzgerichts Dr. Schmidt-Liebig als Vorsitzender, den Richter am Finanzgericht Hardenbicker, die Richterin am Finanzgericht Eggers-von Wittenburg sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. Lindemann (Arzt i.R.) und Dipl.-Ing. Strehl (Architekt) aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 21. Juni 2012 für Recht erkannt:
1. Der Bescheid zur Kapitalertragsteuer für 2000 vom … 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom … 2011 wird aufgehoben.
2. Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
3. Die Revision wird zugelassen.
4. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Die Klägerin ist eine … in der Rechtsform einer GmbH. Mit notariellem Vertrag vom … 2000 erhöhte sie ihr Stammkapital (… EUR) um 1.500 EUR. Diese neue Stammeinlage wurde als so genannter „Vorzugsgeschäftsanteil” zu einem Ausgabepreis von … DM ausgegeben und von der Gesellschaft … […KG” – nachfolgend: R] übernommen. Auf den Vorzugsgeschäftsanteil entfiel eine Vorzugsdividende i.H.v. … DM. Diese am …Dezember 2000 beschlossene Gewinnausschüttung erfolgte für das Geschäftsjahr 1999. Für die Ausschüttung wurden der um die ausschüttungsbedingte Körperschaftsteuerminderung erhöhte Bilanzgewinn sowie Gewinnrücklagen verwendet (Bilanz-Erläuterung 2000, Bil 2000, Bl. 11).
Die Dividende wurde am … Dezember 2000 gezahlt. Die Klägerin meldete die entsprechende Kapitalertragsteuer i.H.v. X DM nebst Solidaritätszuschlag mit der Kapitalertragsteueranmeldung für Januar 2001 (die der Beklagte als Anmeldung für Dezember 2000 deutete, da sie bereits am 10. Januar 2001 einging und als Auszahlungsdatum den 15. Dezember 2000 benannte) beim Beklagten an und führte die entsprechenden Beträge an diesen ab (vgl. KapSt, Bl. 4). Die sich aus der Ausschüttung ergebende Körperschaftsteuerminderung von knapp … DM wurde im Körperschaftsteuerbescheid 1999 vom … 2001 zunächst erklärungsgemäß berücksichtigt.
Nachdem das für die Besteuerung der R zuständige Finanzamt dem Beklagten mitgeteilt hatte, dass die ausgewiesenen Gewinnausschüttungen nicht als Einlage und Gewinnausschüttung sondern als Darlehensrückzahlung zu werten seien, änderte der Beklagte am … Juli 2002 den weiterhin unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 AO stehenden Körperschaftsteuerbescheid für 1999 und machte die Körperschaftsteuerminderung rückgängig. Der Bescheid blieb unangefochten.
Mit Bescheid vom … Juli 2002 (KapSt Bl. 8) hob der Beklagte die Kapitalertragsteueranmeldung für Dezember 2000 nach §§ 168, 164 Abs. 2 AO auf und teilte der Klägerin mit, die gezahlte Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlag könne nur auf Antrag zurückerstattet werden. Daraufhin stellte die Klägerin einen solchen Antrag am … August 2002 (KapSt Bl. 7) und erhielt die Kapitalertragsteuer – nach teilweiser Verrechnung – erstattet.
Die Klägerin forderte die R in der Folgezeit auf, die Steuerbescheinigung über die Gewinnausschüttung zurückzugeben und informierte – nachdem dies nicht geschah – sowohl den Beklagten als auch das für die R zuständige Finanzamt hierüber (vgl. KapSt Bl. 24 ff.).
Mit Bescheid vom … September 2004 hob der Beklagte neben weiteren hier nicht relevanten Änderungen den Vorbehalt der Nachprüfung im Körperschaftsteuerbescheid 1999 auf (KSt, Bl. 53). Hiergegen legte die Klägerin am … September 2004 Einspruch ein (die Begründung erfolgte am … Juni 2005 – KSt 1999 Bl. 55 ff.). Dieser richtete sich gegen die vom Beklagten vorgenommene Beurteilung der Vorzugsdividende als Darlehensrückzahlung. Das Einspruchsverfahren ruhte antragsgemäß im Hinblick auf das in einem gleichgelagerten Fall anhängige Revisionsverfahren (I R 97/05).
Nachdem der BFH mit Urteil vom 28. Juni 2006 (I R 97/05, BFH/NV 2006, 2083) bestätigte, dass es sich in derartigen Gestaltungsfällen bei den Vorzugsdividenden um Gewinnausschüttungen und nicht um Darlehensrückzahlungen handelt, gab der Beklagte dem Einspruch statt und erließ am … Dezember 2009 einen geänderten Körperschaftsteuerbescheid (vgl. Probeberechnung, KSt Bl. 84).
Mit auf § 174 Abs. 4 AO gestütztem Bescheid vom … Dezember 2009 für 2000 setzte der Beklagte gegenüber der Klägerin Kapitalertragsteuer auf X DM nebst Solidaritätszuschlag fest (KapSt Bl. 130 f.). Zur Begründung führte er aus, auf die Einsprüche der Klägerin vom … September 2004 und … April 2008 hin seien die Körperschaftsteuerbescheide 1999 und 2000 nach § 172 Abs. 1 Nr. 2a AO am … Dezember 2009 geändert worden. Aus der nun gegebenen abweichenden rechtlichen Beurteilung der Gewinnausschüttung sei nach § 43, 43 a, 44 EStG Kapitalertragsteuer zu entrichten.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am … Dezember 2009 Einspruch ein (Rbh Bl. 3 f.), den der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom … Februar 2011 als unbegründet zurückwies (Bl. 19 ff.).
Am 17. Februar 2011 hat die Klägerin Klage erhoben (Bl. 1). Sie beantragt,
den Bescheid zur Kapitalertragsteuer für 2000 vom … Dezember 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom … Februar 2011 aufzuheben, hilfsweise, die Nichtigkeit des Bescheides festzustellen.
Der Bescheid sei gem. § 125 AO nichtig (Bl. 11, 63, 74). Ihm fehle ein notwendiger Inhalt, nämlich die Angabe des Steuerschuldners. Das Finanzamt habe die Wahl, ob es einen Haftungsbescheid oder einen Nachforderungsbescheid erlasse. Der Nachforderungsbescheid sei ein Steuerbescheid im Sinne von § 157 AO, auch wenn es sich materiell-rechtlich um die Geltendmachung eines Haftungsanspruchs handele. Nach § 157 Abs. 1 AO müssten schriftliche Steuerbescheide unter anderem angeben, wer die Steuer schulde. Steuerschuldner sei vorliegend die R. Diese sei allerdings im Nachforderungsbescheid nicht genannt. Es sei auf den Beschluss des FG München verwiesen (vom 7. April 2010 7 V 508/10, EFG 2010, 1375). Das vom Beklagten zitierte BFH-Urteil vom 3. Dezember 1996 betreffe einen Haftungsbescheid und gelte daher hier nicht. Auch der Umstand, dass der Bescheid an die steuerentrichtungspflichtige Klägerin bekannt gegeben worden sei, erfülle nicht die Anforderung des § 157 Abs. 1 S. 2 AO. Die Benennung des Steuerschuldners „R” werde dadurch nicht entbehrlich. Die Klägerin sei auch nicht Steuerschuldnerin im Sinne von § 33 AO. Als Steuerentrichtungspflichtige sei sie zwar Steuerpflichtige, aber nicht Steuerschuldnerin.
Zumindest sei der Bescheid rechtswidrig. Denn ihm fehle bereits die Ermächtigungsgrundlage. § 167 AO, 44 Abs. 5 EStG und 45 a Abs. 5 EStG seien nicht einschlägig. Auch komme § 174 Abs. 4 AO als verfahrensrechtliche Änderungsnorm nicht in Betracht (Bl. 11 ff., 63 ff., 74 ff.).
Nach § 167 AO sei eine Steuerfestsetzung nur vorzunehmen, wenn der Steuerpflichtige die Steueranmeldung nicht abgebe oder die Festsetzung zu einer abweichenden Steuer führe. Zutreffend sei, dass der Beklagte vorliegend die durch Steueranmeldung festgesetzte Steuer aufgehoben habe. Dies unterfalle § 167 AO. Der Nachforderungsbescheid vom … Dezember 2009 sei hingegen nicht von § 167 AO gedeckt. Die zuvor erwähnte Aufhebung der Steuerfestsetzung führe zu deren Wegfall. Unverändert bleibe aber die Tatsache, dass eine Steueranmeldung abgegeben worden sei. Formal handele es sich bei dem Nachforderungsbescheid um die erstmalige Festsetzung von Kapitalertragsteuer und nicht um eine abweichende Steuerfestsetzung (Bl. 11, 63).
Auch § 44 Abs. 5 S. 1 EStG sei nicht erfüllt. Voraussetzung für die Haftung des Schuldners von Kapitalerträgen für die Kapitalertragsteuer sei nach § 44 Abs. 5 S. 1 EStG, dass er seine Pflichten vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt habe. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Die Klägerin habe entsprechend ihrer Rechtsauffassung die Kapitalertragsteuer mit Anmeldung vom 10. Januar 2001 ordnungsgemäß angemeldet und abgeführt. Die Aufhebung der Kapitalertragsteueranmeldung durch den Beklagten mit Bescheid vom … Juli 2002 sei von Amts wegen und ohne entsprechenden Antrag der Klägerin erfolgt. Diese habe lediglich die Erstattung auf Aufforderung des Beklagten hin mit Schreiben vom … August 2002 beantragt.
Die Klägerin sei auch nicht verpflichtet gewesen, mit dem Einspruch vom … September 2004 gegen den Körperschaftsteuerbescheid 1999 die Kapitalertragsteuer noch mal anzumelden. Zu diesem Zeitpunkt habe erhebliche Rechtsunsicherheit über die Behandlung des Rücklagenmanagements bestanden. Diese sei erst durch die Rechtsprechung des BFH im Jahre 2006 beseitigt worden. Ob dieser Rechtsprechung gefolgt werden könnte, sei zum Zeitpunkt der Einspruchseinlegung äußerst ungewiss gewesen, zumal abzusehen gewesen sei, dass erst eine Entscheidung des BFH Klarheit über die zutreffende rechtliche Behandlung bringen würde. Darüber hinaus habe der Beklagte weitere dreieinhalb Jahre gebraucht, um zu entscheiden, ob er dem BFH folge. Erhebliche Ungewissheiten über die rechtliche Beurteilung eines Sachverhalts könnten nach dem BFH-Urteil vom 13. September 2000 (BStBl II 2001, 67 dort unter 3 c aa) der Gründe) auch für ein fehlendes Verschulden sprechen (Bl. 12).
Der Beklagte hätte im Übrigen die Möglichkeit gehabt, den Abzug der nicht gezahlten Kapitalertragsteuer bei R zu verhindern beziehungsweise verfahrensmäßig offen zu halten. Diesem Zweck habe offenbar auch die Aufforderung gedient, die Steuerbescheinigung zurückzufordern beziehungsweise bei Nichterfüllung dieser Aufforderung die beteiligten Finanzämter zu informieren. Dem Beklagten hätte es auch freigestanden, viel früher entsprechend seiner in dem Rechtsstreit vertretenen (allerdings nicht zutreffenden) Rechtsauffassung einen Nachforderungsbescheid oder alternativ einen Haftungsbescheid zu erlassen. Auch hätte der Beklagte das für R zuständige Finanzamt darüber informieren können, dass infolge seiner Rechtsauffassung die Kapitalertragsteuerfestsetzung aufgehoben worden sei und infolgedessen keine einbehaltene Kapitalertragsteuer zur Anrechnung kommen könne (Bl. 12). Sofern der Beklagte nun ausführe, ihm habe nach Aufhebung der Kapitalertragsteuerfestsetzung kein anderes verfahrensrechtliches Mittel als der Nachforderungsbescheid zur Verfügung gestanden, so sei zu berücksichtigen, dass sich der Beklagte selbst in diese verfahrenstechnische „Sackgasse” begeben habe. Im Juli 2002, als er die Kapitalertragsteuerfestsetzung (mittels Anmeldung) gem. § 168 Satz 1 AO aufgehoben habe, habe noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung zur Frage der Behandlung von Vorzugsdividenden vorgelegen. Klarheit habe nicht vor der Entscheidung des BFH im Jahr 2006 bestanden. Der Beklagte hätte die Kapitalertragsteuerfestsetzung nicht aufheben sollen; dann nämlich wäre die Klägerin gehalten gewesen, einen Änderungsantrag gem. § 164 Abs. 2 AO zu stellen und der Beklagte hätte alle Zeit gehabt (insoweit gelte § 171 Abs. 3 AO – Ablaufhemmung), den Ausgang des BFH-Verfahrens abzuwarten. Alternativ hätte der Beklagte den Aufhebungsbescheid seinerseits aufheben können oder diesen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gem. § 164 Abs. 1 AO erlassen können (Bl. 75).
Die Klägerin habe niemals die vom Beklagten vertretene Rechtsauffassung geteilt. Gegen den Körperschaftsteueränderungsbescheid vom … Juli 2002 habe sie nur deshalb keinen Einspruch erhoben, weil der Bescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gem. § 164 Abs. 1 AO gestanden habe und sie nicht neben dem ihr damals bekannt gewordenen Musterverfahren … ein weiteres prozessuales Verfahren habe anstrengen wollen.
Es bestehe auch keine Verpflichtung, eine einmal ordnungsgemäß erfolgte Steueranmeldung zu wiederholen, wenn die Verwaltung die Steuerfestsetzung aufgehoben habe. § 153 AO greife nur, wenn der Steuerpflichtige erkenne, dass die abgegebene Erklärung unrichtig oder unvollständig sei. Die Kapitalertragsteueranmeldung vom 10. Januar 2001 sei aber richtig und vollständig gewesen. Im Übrigen wäre zu bedenken, ob der Einspruch vom … September 2004 nicht als Anzeige im Sinne von § 153 AO ausgelegt werden müsste (Bl. 13).
Die Aufhebung der Steuerfestsetzung führe nicht dazu, dass die einmal erfolgte Anmeldung der Kapitalertragsteuer als nicht mehr existent zu werten sei, also das Schicksal der Steuerfestsetzung teile. Es sei keine Verpflichtung zu einer „erstmaligen „Kapitalertragsteueranmeldung neu entstanden.
Die Klägerin habe sich mit dem Einspruch gegen den Körperschaftsteuerbescheid auch nicht in Widerspruch zu ihrem eigenen Verhalten gesetzt. Sie habe sich zu keiner Zeit die Rechtsauffassung des Finanzamts zu Eigen gemacht, etwa weil sie die entsprechenden Bescheide nicht angefochten hätte. Die Finanzverwaltung habe es in der Hand gehabt, die ihrer Meinung nach richtigen Folgen bei den Steuerveranlagungen der R zu ziehen. Hier werde versucht, der Klägerin die Folgen für eine zunächst unzutreffende rechtliche Beurteilung des Beklagten und offenbar fehlende Abstimmung mit dem für R zuständigen Finanzamt im Rahmen einer Art Garantiehaftung aufzuerlegen (Bl. 13).
Wenn sich aus der unterschiedlichen rechtlichen Beurteilung eines Sachverhalts widersprechende Belastungsfolgen ergäben, sei der Bürger nicht verpflichtet, der von der Verwaltung vertretenen Rechtsauffassung entgegenzutreten, insbesondere dann nicht, wenn sich später die vom Bürger vertretene Auffassung als zutreffend erweise (Bl. 64).
Der Beklagte könne sich auch nicht auf Ausführungen der Klägerin in ihrem Gerichtsverfahren … berufen; dort sei es um einen Erlass aus Billigkeitsgründen gegangen und die Klägerin habe aus ihrer damaligen Sicht auf Grund der Unkenntnis der zutreffenden rechtlichen Behandlung entsprechend argumentieren müssen (Bl. 64).
§ 44 Abs. 5 AO sei auch deshalb nicht anwendbar, da es sich um eine Konkretisierung der akzessorischen Haftungsschuld handele. Nach Aufhebung der Kapitalertragsteuerfestsetzung habe am … Dezember 2009 wegen Eintritt der Festsetzungsverjährung gem. § 191 Abs. 5 Nr. 1 AO i.V.m. 169 Abs. 2 Nr. 2, 170 Abs. 2 Nr. 1 AO der angefochtene Bescheid nicht mehr ergehen dürfen. Im Übrigen habe die Klägerin den Exkulpationsnachweis gem. § 44 Abs. 5 Satz 1 2. Halbsatz EStG erbracht (Bl. 76).
Die Klägerin sei auch nicht gemäß § 45a Abs. 5 (bzw. 6 a.F.) EStG verpflichtet gewesen, eine berichtigte Kapitalertragsteuerbescheinigung zu erteilen. Eine Berichtigungspflicht beziehungsweise eine Mitteilungspflicht, dass keine Ausschüttung stattgefunden habe, sei aus dem Gesetz und dem Sinn und Zweck der Norm nicht zu entnehmen (so auch Ramackers in Littmann/Bitz/Pust, EStG, Rz. 24 zu § 45a EStG). Selbst wenn man die Ansicht verträte, nach Klärung der Rechtslage mit Änderungsbescheid vom … Dezember 2009 hätte eine Berichtigung der Kapitalertragsteuerbescheinigung erfolgen müssen, sei zu berücksichtigen, dass die ursprüngliche Bescheinigung nicht ursächlich für die zu Unrecht gewährte Steueranrechnung gewesen sei. Die Klägerin habe ihre steuerlichen Pflichten vorliegend erfüllt. Der Beklagte könne nun keine „Gefährdungshaftung” zu Lasten der Klägerin konstruieren (Bl. 14). Im Übrigen habe der Beklagte selbst zeitgleich mit der Änderung des Körperschaftsteuerbescheides am … Dezember 2009 den hier streitigen Nachforderungsbescheid erlassen, so dass der Vorwurf einer Pflichtverletzung wegen fehlender Abgabe einer Kapitalertragsteueranmeldung bereits aus diesem Grund nicht erhoben werden könne (Bl. 14). Im Übrigen könnte ein Verstoß gegen § 45 a Abs. 5 EStG nur durch einen Haftungsbescheid geahndet werden (Bl. 64). Die Klägerin habe zu keiner Zeit eine Ersatzbescheinigung erstellt – und mangels Voraussetzungen auch nicht erstellen müssen – und könne somit auch nicht gegen eine Pflicht aus § 45 a Abs. 5 EStG verstoßen haben; die Exkulpation gem. § 44 Abs. 5 EStG werde hierdurch nicht tangiert (Bl. 76).
Der Nachforderungsbescheid finde auch keine Rechtsgrundlage in § 174 Abs. 4 AO. Dieser erfordere, dass aus dem irrig beurteilten Sachverhalt für „denselben” Steuerpflichtigen die zutreffenden steuerlichen Folgen gezogen werden könnten. Vorliegend sei Steuerschuldner aber die R und damit im Verhältnis zur Klägerin ein Dritter. Es hätte einer Hinzuziehung nach § 174 Abs. 5 AO bedurft, welche aber unterblieben sei (Bl. 14, 77). Daher seien die Ansprüche auf Kapitalertragsteuer mit Ablauf des 31. Dezember 2007 verjährt. Mangels vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Verhaltens der Klägerin komme eine verlängerte Festsetzungsfrist nicht in Betracht (Bl. 14, 77). Auch § 174 Abs. 4 S. 3 AO könne daher hier nicht weiterhelfen (Bl. 77).
Es sei auch das Verhältnis des § 167 AO zu den Änderungsvorschriften des § 174 Abs. 4 und Abs. 5 AO wegen der Unterschiede der Haftungsschuld und der Steuerschuld zu klären. Die uneingeschränkte Anwendung der Änderungsvorschriften des § 174 AO würde zu einer Art Garantiehaftung des Abführungsverpflichteten führen. Dies sei verfassungsrechtlich bedenklich (Bl. 14). Den Korrekturvorschriften der §§ 172 ff. AO fehle eine eigenständige materiellrechtliche Gestaltungswirkung, sie könnten einen Steueranspruch nicht zum Entstehen bringen, sondern im Idealfall allenfalls Deckungsgleichheit zwischen der im Bescheid geregelten und der kraft Gesetzes entstandenen Steuerschuld herbeiführen (Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Rz. 127 vor §§ 172 ff. AO – Bl. 77).
Der Beklagte beantragt,
die Klage als unbegründet abzuweisen.
Der Bescheid sei nicht nach § 125 AO nichtig. In einem Nachforderungsbescheid müsse (anders als in einem Haftungsbescheid) nur die Person benannt sein, in deren Vermögen zu vollstrecken sei (Entrichtungspflichtiger). Dies sei vorliegend erfolgt. Der eigentliche Steuerschuldner (R) müsse nicht genannt werden. Der Beschluss des FG München (7 V 508/10 vom 7. April 2010, EFG 2010, 1375) betreffe einen mit dem vorliegenden nicht vergleichbaren Sachverhalt eines Vergütungs-Steuerschuldners i.S.v. § 50 a Abs. 5 S. 2 EStG. Überdies sei für die Klägerin aufgrund der Änderungen der Körperschaftsteuerbescheide und der Erläuterung hierzu, insbesondere aus der Rückforderung der Kapitalertragsteuerbescheinigung offenkundig, dass Steuerschuldnerin die R gewesen sei. Im Übrigen sei auch ein Entrichtungspflichtiger ein Steuerpflichtiger im Sinne von § 33 Abs. 1 3. Alt. AO (Bl. 43, 55, 67).
Der Bescheid sei auch nicht rechtswidrig.
Er finde seine Rechtsgrundlage in § 167 Abs. 1 2. Alt. AO, da die Klägerin ihren steuerlichen Pflichten nicht nachgekommen sei (Bl. 44, 57, 68). Zwar habe sie zunächst eine Kapitalertragsteueranmeldung im Januar 2001 abgegeben; sie habe aber später versäumt, diese wieder aufgelebten Pflichten zu erfüllen. Nachdem der Beklagte die Kapitalertragsteuerfestsetzung gem. § 168 AO aufgehoben habe, sei die Festsetzung nicht mehr existent gewesen. Die Klägerin sei sodann erneut verpflichtet gewesen, eine – steuerlich gesehen – nunmehr erstmalige Kapitalertragsteueranmeldung für Dezember 2000 einzureichen. Dies habe sie schuldhaft nicht getan. Es habe insoweit eine neue Verfahrenssituation bestanden. Nur so könne die materielle Steuergerechtigkeit gewahrt werden (Bl. 68). Es sei hypothetisch zu behaupten, die Klägerin sei in Gefahr gelaufen, eine abermalige Aufhebung einer neuen Kapitalertragsteueranmeldung zu erhalten. Überdies habe die Klägerin im Verfahren … selbst behauptet, dass „der vorliegende Sachverhalt – die Änderung des Körperschaftsteuerbescheides 1999 sowie die Aufhebung der Festsetzung der Kapitalertragsteuer im Februar 2002 – als ein einheitlicher Lebensvorgang zu werten sei, welcher als Gesamtkomplex gewürdigt werden müsse” und dass „es gegen Treu und Glauben verstoßen würde, wenn bei einer derartigen Sachlage die Liquiditätsvorteile, die bei dem Beklagten durch die ursprüngliche Sachbehandlung entstanden seien, bei der Zinserhebung nicht berücksichtigt würden”. Auch der BFH spreche in seiner Entscheidung vom 28. Juli 2009 (I B 42/09 BFH/NV 2010, 5) davon, dass beide Bescheide [Körperschaftsteuer und Kapitalertragsteuer] auf „ein und demselben wirtschaftlichen Vorgang beruhten und insofern eine wirtschaftliche Gesamtbetrachtung geboten sei” (Bl. 47 – EE S. 9 ff.).
Es sei auch unzutreffend zu argumentieren, der Beklagte sei Herr über das Verfahren gewesen (Bl. 47). Richtig sei, dass der Beklagte keine verfahrensrechtlichen Möglichkeiten gehabt habe, das Verfahren „offen zu halten” (vgl. Einspruchsentscheidung S. 8 – Bl. 47). Das BFH-Urteil vom 20. Oktober 2010 I R 54/09 sei zur Anrechnung von Kapitalertragsteuer beim Gläubiger ergangen und könne auf den Entrichtungspflichtigen – wie vorliegend die Klägerin – nicht angewandt werden (Bl. 47). Der Beklagte habe auch keine Möglichkeiten, Sicherungsmaßnahmen gegen eine ungerechtfertigte Anrechnung der bescheinigten Kapitalertragsteuer zu ergreifen. Im Gegenteil: die Klägerin sei nach Aufhebung der Kapitalertragsteuerfestsetzung Herrin des Verfahrens gewesen, weil die Abgabe der Kapitalertragsteuerfestsetzung nunmehr ausschließlich von ihrer Willensentscheidung abhängig geworden war. (Bl. 58). Der Gesetzgeber habe dem Entrichtungspflichtigen eine besondere Mitwirkungspflicht (§ 45 a Abs. 5 EStG) auferlegt.
Der Beklagte habe die – durch Anmeldung vorgenommene – Kapitalertragsteuerfestsetzung nach seiner damaligen Rechtsauffassung zutreffend gem. §§ 164 Abs. 2, 168 AO aufgehoben und konsequent auch im Körperschaftsteuerbescheid 1999 umgesetzt. Hätte der Beklagte nur die Folgerungen bei der Körperschaftsteuer gezogen und die Kapitalertragsteuerfestsetzung bestehen lassen, hätte es gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen (Bl. 48, EE S. 7). Die Klägerin habe die steuerliche Einordnung auch hingenommen, denn sie habe den Körperschaftsteuerbescheid 1999 bestandskräftig werden lassen, obwohl sie es verfahrensrechtlich in der Hand gehabt habe, ihren Rechtsstandpunkt weiter zu verfolgen (Bl. 48, Einspruchsentscheidung S. 7). Zudem habe sie entgegen ihrer eigenen Auffassung den Antrag auf Erstattung der Kapitalertragsteuer gestellt.
Die Anfechtung des Körperschaftsteuerbescheides (in Gestalt des Bescheides über die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung gem. § 164 AO) am … September 2004 bzw. die Begründung dieses Einspruchs am … Juni 2005 habe – entgegen der Auffassung des FG in seinem Beschluss vom … – die neue Pflicht der Klägerin bedingt, eine neue Kapitalertragsteueranmeldung einzureichen; die Voraussetzungen des § 44 Abs. 5 EStG seien damit erfüllt (Bl. 47 – Einspruchsentscheidung S.9).
Eine Aufhebung des Aufhebungsbescheides sei nicht möglich gewesen, da nach der ersten Aufhebung die Kapitalertragsteuerfestsetzung nicht mehr existent gewesen sei. Der Nachforderungsbescheid vom … Dezember 2009 stelle vielmehr den nach § 174 Abs. 4 AO geänderten Freistellungsbescheid vom … Juli 2002 dar (Bl. 57).
Der erneuten Verpflichtung zur Einreichung der Kapitalertragsteueranmeldung stehe auch nicht entgegen, dass der Beklagte den Nachforderungsbescheid zeitgleich mit dem Erlass des Körperschaftsteueränderungsbescheides im September 2009 erlassen habe. Die Klägerin habe genügend Zeit gehabt und aus ihrem Gesamtverhalten sei erkennbar gewesen, dass sie keine Steueranmeldung mehr einreichen würde (Bl. 59).
Die Klägerin habe auch keinen Exkulpationsnachweis i.S.v. § 44 Abs. 5 S. 1 EStG geführt. Ihr sei klar gewesen, dass ihre erstmalige Steueranmeldung nach der Aufhebung (das sei keine Reduzierung auf 0 EUR) nicht mehr existent gewesen sei (Bl. 47, EE S. 13). Sofern die Klägerin die Abgabe einer zweiten Steueranmeldung unterlassen habe, um ihren „Verfahrensvorteil” zu erhalten, sei dies nicht unverschuldet; insbesondere sei dies kein Verbotsirrtum (so auch BFH vom 20. August 2008 I R 29/07, BStBl II 2010, 142).
Was die Steuerbescheinigung angehe, so greife § 45 a Abs. 5 AO bei rechtssystematischem Verständnis auch bei unverschuldetem Verhalten. Aus ihm ergebe sich die Verpflichtung zur Rückforderung und zur Berichtigung der ausgestellten Kapitalertragsteuerbescheinigung. Nur hierdurch könnte die unzutreffende Anrechnung der Steuern beim Gläubiger vermieden werden. Die bloße Mitteilung an das Veranlagungsfinanzamt reiche nicht aus. Konsequenterweise hafte die Klägerin als Ausstellerin einer Kapitalertragsteuerbescheinigung, die den Voraussetzungen des § 45 a Abs. 2 bis 4 EStG nicht entspreche, für die Steuer. Durch das Wort „und” komme es in der Tat zu einer weitergehenden Verpflichtung des Entrichtungsschuldners (Bl. 48). Die Klägerin hätte – nachdem die Kapitalertragsteuerfestsetzung aufgehoben und die Steuer zurückgezahlt worden war – nicht nur die unzutreffende Bescheinigung zurückfordern, sondern auch eine berichtigte Bescheinigung ausstellen müssen. Dies habe sie nicht getan. Dass der Beklagte sie nur zur „Rückforderung” aufgefordert habe, entbinde sie nicht von der gesetzlichen Pflicht (Bl. 61).
§ 174 Abs. 4 S. 1 AO sei einschlägig. Die Norm eröffne die Möglichkeit, Vor- und Nachteile inhaltlich einander widersprechender Steuerfestsetzungen durch den Erlass oder die Änderung eines anderen Steuerbescheides auszugleichen. Vorliegend sei auf Betreiben der Klägerin der Körperschaftsteuerbescheid 1999 zu ihren Gunsten geändert worden, so dass die Nachforderung von Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag nach § 174 Abs. 4 AO auch verfahrensrechtlich möglich sei. Derjenige, der erfolgreich für seine Rechtsposition gestritten habe, müsse auch die damit verbundenen Nachteile hinnehmen.
Der Aufhebungsbescheid über Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag 2000 vom … Juli 2002 sei ein Steuerbescheid über eine Steuerfreistellung i.S.v. § 155 Abs. 1 Satz 3 AO (so auch FG Köln vom 18. November 2002, 2 K 2067/02 – Bl. 49, 70, EE S. 14 ff.). Daraus sei herzuleiten, dass § 174 Abs. 4 AO den Erlass des Bescheides über Kapitalertragsteuer vom … Dezember 2009 gebiete.
Die Festsetzungsfrist sei zwar grundsätzlich mit Ablauf des 31. Dezember 2007 abgelaufen. Es greife aber die zehnjährige Festsetzungsfrist, da die Klägerin vorsätzlich bzw. grob fahrlässig ihrer Pflicht zur erneuten Abgabe der Steueranmeldung nicht nachgekommen sei (Bl. 49, 60, EE S. 16). Für die Frage der Festsetzungsfrist sei auch unbeachtlich, dass die Klägerin den Beklagten über die Höhe der Steuer nicht im Unklaren gelassen habe (Bl. 60). Ungeachtet dessen greife § 174 Abs. 4 S. 3 AO, da mit dem Nachforderungsbescheid lediglich die steuerlichen Folgen aus der Änderung des Körperschaftsteuerbescheides 1999 gezogen worden seien.
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, auf die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten (vgl. Bl. 80 f.) sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Nachforderungsbescheid für 2000 über Kapitalertragsteuer vom … Dezember 2009 ist ohne Rechtsgrundlage ergangen und daher aufzuheben.
I.
1. Nach § 125 AO sind Verwaltungsakte nichtig, wenn sie an einem besonders schweren Fehler leiden und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommender Umstände offenkundig ist. Schriftliche Steuerbescheide müssen die festgesetzte Steuer nach Art und Betrag bezeichnen und angeben, wer die Steuer schuldet, § 157 Abs. 1 S. 2 AO.
2. Ist ein Entrichtungsschuldner seiner Verpflichtung zur Abgabe einer Steueranmeldung nicht oder nicht ordnungsgemäß nachgekommen, kann er entweder durch Haftungsbescheid gemäß § 191 Abs. 1 1. Alt. AO i.V.m. § 44 Abs. 5 EStG oder durch Steuerbescheid in Gestalt eines Nachforderungsbescheids gemäß § 155 AO in Verbindung mit § 167 Abs. 1 S. 1 AO in Anspruch genommen werden. Dies gilt nicht nur für die Inanspruchnahme durch Nachforderungsbescheid in den Fällen, in denen die Besteuerungsmerkmale in vollem Umfang geschätzt werden müssen (vgl. BFH vom 7. Juli 2004 VI R 171/00, BStBl II 2004, 1087; Urteil vom 7. Juli 2004 VI R 168/01, BFH/NV 2005, 357), sondern auch in den Fällen, in denen – wie vorliegend – sachverhaltsbezogen eine Nachforderung geltend gemacht wird (BFH vom 13. September 2000 I R 61/99, BStBl II 2001, 67). Der Senat hat angesichts der insoweit eindeutigen Gesetzeslage in Einklang mit der Rechtsprechung des BFH und der herrschenden Meinung in der Literatur keinen Zweifel an dem insoweit bestehenden „Wahlrecht” der Finanzverwaltung (vgl. zum Streitstand und allgemein zum Verhältnis Haftungsbescheid/Nachforderungsbescheid Drüen in DB 2005, 299).
Bei dem Nachforderungsbescheid handelt es sich um einen Steuerbescheid im Sinne von § 157 AO. Allerdings geht es bei der Inanspruchnahme durch Nachforderungsbescheid um die Geltendmachung der durch die Steueranmeldung ausgelösten Entrichtungsschuld, im Falle einer Nachforderung von Kapitalertragsteuer also um die Schuld des Vergütungsschuldners, die Kapitalertragsteuer einzubehalten und abzuführen. Der Entrichtungsschuldner ist nicht Steuerschuldner i.S.v. § 43 Abs. 1 AO i.V.m. § 44 Abs. 1 EStG; Steuerschuldner ist vielmehr der Gläubiger der Kapitalerträge. Der Entrichtungsschuldner ist aber Haftungsschuldner im Sinne von § 33 AO.
Ungeachtet, welchen Weg das Finanzamt wählt, ändert das Vorgehen gegenüber einem Entrichtungssteuerschuldner (anders als gegenüber einem selbst anmeldenden Steuerschuldner wie etwa bei Umsatzsteuervoranmeldungen) über einen Nachforderungsbescheid nichts daran, dass es sich materiell-rechtlich um die Geltendmachung eines Haftungsanspruchs handelt. Dies hat zum einen zur Folge, dass die tatbestandlichen Erfordernisse der einschlägigen Haftungsnorm, hier § 44 Abs. 5 EStG, zu beachten sind (st. Rspr. vgl. BFH vom 20. August 2008 I R 29/07, BStBl II 2010, 142 m.w.N.), denn anderenfalls würden die strengeren Haftungsvoraussetzungen ausgehebelt und der Entrichtungssteuerschuldner zu Unrecht als (eigener) Steuerschuldner qualifiziert.
Des Weiteren hat die materiell-rechtliche Gleichbehandlung von Haftungs- und Nachforderungsbescheid zur Folge, dass es für die Bestimmtheit und damit die Wirksamkeit des Verwaltungsaktes ausreicht, wenn in ihm der Entrichtungsschuldner, der in Fällen wie dem vorliegenden zugleich Haftungsschuldner ist, bezeichnet ist. Zwar ist der Entrichtungsschuldner nicht Steuerschuldner der Kapitalertragsteuer i.S.v. § 37, 43 AO (so auch FG München vom 7. April 2010 7 V 508/10, EFG 2010, 1375). Hieraus die Forderung abzuleiten, der Nachforderungsbescheid müsse nicht nur den Entrichtungspflichtigen, sondern auch den Steuerschuldner bezeichnen, erscheint dem Senat zu weit gehend. Zum einen ist der Entrichtungsschuldner materiell-rechtlich Haftungsschuldner, auch wenn er nicht durch Haftungsbescheid sondern durch Steuerbescheid in Anspruch genommen wird. Zum anderen ist § 167 AO für eine „Steuerfestsetzung” gegenüber einem Nicht-Steuerschuldner – eben dem Entrichtungsschuldner – systematisch und dem Wortlaut nach ohnehin nicht anwendbar (Frotscher, AO, Rz. 13 zu § 167). Gleichwohl ist eine Steuerfestsetzung nach § 167 AO nach der gefestigten Rechtsprechung des BFH gegen einen Entrichtungspflichtigen zulässig (z.B. BFH vom 13. September 2000 I R 61/99, BStBl II 2001, 67). Dann aber muss es auch ausreichen, wenn in dem auf § 167 AO gestützten Bescheid nicht der Vergütungsgläubiger (Steuerschuldner i.S.v. § 37, 43 AO i.V.m. §§ 43, 44 Abs. 1 S. 1 EStG), sondern nur der „Entrichtungssteuerschuldner” genannt ist. Insoweit wird bei Nachforderungsbescheiden dem in § 157 AO verankerten Benennungsverlangen des Steuerschuldners dadurch Rechnung getragen, dass nicht der materiell-rechtliche Steuerschuldner, sondern derjenige benannt ist, der in Anspruch genommen und in dessen Vermögen erforderlichenfalls vollstreckt werden soll. Dies wird im Übrigen dem inhaltlichen Bestimmtheitsgrundsatz aus § 119 AO gerecht, nach dem erforderlich ist, dass aus dem Verwaltungsakt zumindest durch Auslegung hinreichend sicher entnommen werden können muss, wer was von wem warum verlangt (vgl. Tipke/Kruse § 125 AO, Rz. 7). Der im summarischen Verfahren geäußerten anderslautenden Rechtsauffassung des FG München im Fall des § 50 a EStG schließt sich der Senat nicht an.
II.
1. Der angefochtene Nachforderungsbescheid ist nach Maßgabe des Vorstehenden nicht deshalb nichtig, weil er die R nicht als Steuerschuldner bezeichnet. Unzweifelhaft bezeichnet er die Klägerin als Entrichtungsschuldnerin. Das reicht für einen Nachforderungsbescheid gem. § 167 AO aus. Ungeachtet dessen ist vorliegend auch aber die R als materiell-rechtlicher Steuerschuldner der Kapitalertragsteuer aus dem Nachforderungsbescheid durch die Bezugnahme auf das Einspruchsverfahren, namentlich das Einspruchsschreiben vom … September 2004 (KSt 1999 Bl. 55), und damit auch auf die entsprechende Einspruchsbegründung vom … Juni 2005 (KSt 1999 Bl. 57) der Klägerin in den Bescheiderläuterungen hinreichend sicher identifizierbar. Es ist nicht erforderlich, dass der Steuerschuldner sich zwingend aus demselben Schriftstück unmittelbar ergibt. Es reicht vielmehr aus, wenn sich der Steuerschuldner auch unter Zuhilfenahme anderer Unterlagen (z.B. Betriebsprüfungsbericht) sicher identifizieren lässt (Tipke/Kruse, § 157 AO, Rz. 12). Insoweit hat der Senat keinen Zweifel, dass die Klägerin als Bescheidadressat unter Zuhilfenahme der im Erläuterungstext benannten Schreiben der Klägerin und durch den Hinweis auf „Gewinnausschüttungen im Rahmen des sog. Rücklagenmanagements” zweifelsfrei die R als Schuldnerin der Kapitalertragsteuer identifizieren konnte.
2.Der Nachforderungsbescheid ist jedoch ohne Rechtsgrundlage ergangen und deshalb rechtswidrig. Der Beklagte hat die Klägerin mittels eines Steuernachforderungsbescheides gem. § 167 AO (KapSt Bl. 130) in Anspruch genommen. Dass es sich hierbei nicht um einen Haftungsbescheid handelt, ergibt sich zum einen aus der Bezeichnung des Bescheides, zum anderen aus der Begründung mit § 174 Abs. 4 AO, der nur zum Erlass bzw. zur Änderung von Steuerscheiden ermächtigt, und daraus, dass der Bescheid keine Hinweise auf eine beim Haftungsbescheid stets erforderliche Ermessensausübung enthält.
2.1.Bei dem Bescheid handelt es sich um eine Neufestsetzung der Kapitalertragsteuer und nicht um einen Änderungsbescheid. Dies schließt der Senat aus dem Gesamteindruck des mit der Überschrift „Bescheid für 2000 über Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag” versehenen Verwaltungsakts. Insbesondere enthält der Bescheid keinen Hinweis darauf, dass er einen anderen Bescheid ändert. Ein Änderungsbescheid muss aber ausdrücklich als solcher gekennzeichnet sein, damit gerade die Änderungswirkung (Beseitigung der formellen und materiellen Bestandskraft des Vorbescheides) eintritt. Zudem würde ein Änderungsbescheid den ursprünglichen – geänderten – Bescheid konkret benennen. Allein die Nennung „Der Bescheid ergeht nach § 174 Abs. 4 AO” reicht nicht aus, da diese Norm sowohl den Neuerlass eines Steuerbescheides, als auch einen Änderungsbescheid als Rechtsfolge vorsieht.
Für die Inanspruchnahme der Klägerin durch Nachforderungsbescheid gem. § 167 AO müssten jedoch die Haftungsvoraussetzungen erfüllt sein. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Nach § 44 Abs. 5 EStG entfällt die Haftung des Schuldners der Kapitalerträge und damit im Ergebnis auch eine Nachforderung nach § 167 Abs. 1 AO, wenn dieser nachweist, dass er die ihm auferlegten Pflichten weder vorsätzlich noch grob fahrlässig verletzt hat. Eine schuldhafte Pflichtverletzung liegt nicht vor.
Gemäß § 43 Abs. 1 Nr. 1 EStG wird bei inländischen Kapitalerträgen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG, zu denen auch die von der Klägerin vorgenommene inkongruente Gewinnausschüttung an die R gehört, die Einkommensteuer bzw. Körperschaftsteuer durch Abzug vom Kapitalertrag (Kapitalertragsteuer) erhoben. Die Klägerin war daher als Schuldnerin der Dividende grundsätzlich verpflichtet, im Zeitpunkt der Dividendenzahlung den Steuerabzug für Rechnung der R als Dividendengläubiger vorzunehmen (§ 44 Abs. 1 Sätze 2 und 3 EStG). Sie war nach Satz 5 der Vorschrift verpflichtet, die einbehaltene Steuer bis zum 10. des auf die Entstehung der Steuer folgenden Monats (d.h. bis 10. Januar 2001) an das Finanzamt abzuführen (Entrichtungssteuerschuld). Nach § 45 a Abs. 1 Satz 1 EStG hatte sie die einbehaltene Kapitalertragsteuer dem Finanzamt innerhalb derselben Frist anzumelden.
2.2.Die Klägerin hat im Zusammenhang mit der Gewinnausschüttung im Dezember 2000 alle Pflichten als Entrichtungsschuldnerin gem. §§ 43 ff. EStG erfüllt. Sie hat die Kapitalertragsteuer zutreffend berechnet, angemeldet und an den Beklagten abgeführt. Die insoweit unrichtige Bezeichnung als „Steueranmeldung für Januar 2001” ist unbeachtlich, denn der Beklagte hat die Steueranmeldung als für Dezember 2000 verstanden und die steuerlichen Konsequenzen für Dezember 2000 gezogen. Dass der Beklagte die bei objektiver Betrachtung materiell-rechtlich zutreffende und ordnungsgemäß angemeldete Kapitalertragsteuer durch Bescheid vom … Juli 2002 aufgehoben hatte, ändert an der ordnungsgemäßen Pflichterfüllung durch die Klägerin nichts.
Das Steueranmeldungsverfahren ist ein modifiziertes Festsetzungsverfahren; nach § 168 AO steht die Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO) gleich. Dies bedeutet auch, dass das Finanzamt die angemeldete Steuer nach § 164 Abs. 2 AO aufheben oder ändern kann. Tut es dies, so erlässt es einen eigenen Verwaltungsakt in Gestalt eines Steuerbescheids (§§ 155, 157 AO). Nach § 155 Abs. 1 AO erfolgt eine Steuerfestsetzung nur, soweit nichts anderes vorgeschrieben ist. § 167 Abs. 1 S. 1 AO schreibt jedoch vor, dass eine Steuerfestsetzung bei Steueranmeldungen nur erforderlich (und möglich) ist, wenn die Festsetzung zu einer abweichenden Steuer führt oder der Steuer- oder Haftungsschuldner keine Steueranmeldung abgibt. Insoweit schränkt § 167 Abs. 1 AO den § 155 Abs. 1 AO ein (vgl. BFH vom 7. Juli 2004 VI R 171/00, BStBl II 2004, 1087). Vorliegend wurde mit dem Aufhebungsbescheid vom … Juli 2002 zwar keine abweichende Steuer (etwa auf Null) „festgesetzt”, allerdings unterfällt die vollständige Aufhebung der mittels Steueranmeldung festgesetzten Steuer ebenfalls dem Regelungsgehalt des § 167 Abs. 1 S. 1 AO.
2.3.Die Klägerin war nicht verpflichtet, nach dem Aufhebungsbescheid vom … Juli 2002 eine (neue) Kapitalertragsteuererklärung abzugeben. Der nach § 164 Abs. 2 i.V.m. §§ 155 Abs. 1, 167 Abs. 1 AO dem Grunde nach zulässige Aufhebungsbescheid stand infolge anderer Rechtsauffassung des Beklagten in Widerspruch zu der Steueranmeldung. Er überlagerte insoweit das Steueranmeldungsverfahren, als er diese Steuerfestsetzung aufhob. Der Beklagte wurde damit selbst „Herr über die Steuerberechnung und Steuerfestsetzung”. Daraus folgt, dass für die Klägerin als Entrichtungssteuerschuldnerin keine Verpflichtung mehr bestand, gem. §§ 43 ff. EStG weiter tätig zu werden.
Dies änderte sich auch nicht dadurch, dass die Klägerin letztlich – um das Verfahren angesichts des Musterprozesses vor dem BFH betreffend die Frage des … offen zu halten – den Änderungsbescheid über Körperschaftsteuer vom … September 2004 mit dem Einspruch angefochten hat. Es besteht keine Verpflichtung der Klägerin, die Kapitalertragsteuer erneut anzumelden. Eine derartige Verpflichtung ist nicht gesetzlich kodifiziert.
2.3.1. Die (originäre) Pflicht zur Anmeldung und Abführung von Kapitalertragsteuer auf Dividenden gem. §§ 43 ff. EStG besteht nur im sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Durchführung einer Gewinnausschüttung. In diesem Rahmen ist die Klägerin ihren originären Pflichten vollständig nachgekommen. Das Gesetz sieht keine Pflicht vor, eine Steueranmeldung allein deshalb zu wiederholen, weil das Finanzamt die Steueranmeldung durch eigene Steuerfestsetzung wegen anderer Rechtsansicht überlagert hat.
2.3.2. Eine Pflicht zur erneuten Kapitalertragsteueranmeldung ergibt sich auch nicht aus § 153 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO. Eine solche Pflicht besteht nur in den Fällen, in denen der Steuerpflichtige erkennt, dass eine von ihm abgegebene Erklärung unrichtig oder unvollständig ist und es dadurch zu einer Verkürzung von Steuern kommen kann oder bereits gekommen ist. Die von der Klägerin eingereichte Kapitalertragsteueranmeldung war weder unrichtig noch unvollständig. Sie entsprach zwar nicht der Rechtsauffassung des Beklagten, allerdings stand sie zu jedem Zeitpunkt in Einklang mit der durch die Rechtsprechung des BFH bestätigten Rechtslage (BFH-Urteil vom 28. Juni 2006 I R 97/05 BFH/NV 2006, 2207). Indem die Klägerin die Kapitalertragsteuer auf Aufforderung des Beklagten mit Schreiben vom … August 2002 zurückforderte, machte sie sich die Rechtsauffassung des Beklagten auch nicht zu eigen. Dies geschah auch nicht dadurch, dass sie den Aufhebungsbescheid vom … Juli 2002 unangefochten ließ und ebenfalls nicht dadurch, dass sie den Körperschaftsteuerbescheid 1999 durch Einspruchseinlegung wegen unsicherer Rechtslage und im Hinblick auf das schwebende Revisionsverfahren beim BFH „offenhielt”. Selbst wenn die Klägerin ihre Rechtsauffassung geändert hätte, ist aus dem Gesetz keine Verpflichtung zur erneuten Abgabe der Kapitalertragsteueranmeldung erkennbar. Im Übrigen kannte der Beklagte seit Einreichung der originären Kapitalertragsteueranmeldung im Januar 2001 sämtliche im Zusammenhang mit der Ausschüttung stehenden Umstände. Eine Steuerverkürzung beruhte folglich nicht auf einer „unterlassenen” Steueranmeldung, sondern auf der verfahrensrechtlichen Handhabung durch die Finanzverwaltung.
2.3.3. Im Übrigen ergibt sich für ein Postulat einer erneuten Kapitalertragsteueranmeldung keine Notwendigkeit. Denn der Beklagte wurde selbst durch die die ursprüngliche Steueranmeldung „überlagernde Festsetzung” mit Aufhebungsbescheid vom … Juli 2002 „Herr über das Festsetzungsverfahren”. Das Verfahren über die Festsetzung der Kapitalertragsteuer befand sich seitdem in seiner Sphäre, da er von der Möglichkeit der „eigenen” Steuerfestsetzung nach § 155 Abs. 1 i.V.m. § 167 Abs. 1 AO Gebrauch gemacht hat. Hätte die Klägerin mit der Einlegung des Einspruchs gegen den Körperschaftsteuerbescheid 1999 eine erneute Kapitalertragsteuererklärung gleichen Inhalts wie zuvor eingereicht, wäre sie Gefahr gelaufen, dass der Beklagte abermals eine von der Steueranmeldung abweichende Steuerfestsetzung vorgenommen hätte. Denn es gab keinen Anhaltspunkt für die Antragstellerin, davon auszugehen, dass der Beklagte 2004 von seiner durch den Aufhebungsbescheid vom … Juli 2002 unmissverständlich geäußerten Rechtsansicht abweichen würde.
Der Beklagte hatte es selbst in der Hand, die (eigene) Steuerfestsetzung angesichts der im Ergebnis unklaren Rechtslage verfahrensrechtlich „offen” zu halten. Er war selbst bereits in Kenntnis aller für die Festsetzung der Kapitalertragsteuer notwendigen Informationen. Er – und nicht etwa die Klägerin – hatte die Möglichkeit, das System von Kapitalertragsteuereinbehalt und Anrechnung derselben beim Vergütungsgläubiger (hier die R) zu überwachen und zu verhindern, dass einerseits die Kapitalertragsteuer nicht gezahlt würde und andererseits diese beim Vergütungsgläubiger zur Anrechnung führt. Dieses Risiko kann er nicht durch das Postulat einer erneuten Kapitalertragsteueranmeldung auf die Klägerin abwälzen. So ist auch die Entscheidung des BFH (vom 20. August 2007 I B 98/07, BFH/NV 2007, 2276) zu verstehen, der explizit ausführt:
„Sollte es… zu Doppelerstattungen kommen, so hätte angesichts des laufenden Klageverfahrens insoweit gegenüber den Gesellschaften durch entsprechende Vorbehaltsfestsetzungen oder Widerrufsvorbehalte verfahrensrechtliche Vorsorge getroffen werden müssen und wären etwaige Doppelerstattungen gegenüber diesen Gesellschaften rückgängig zu machen.”
Es ist zwar zutreffend, dass auch die Klägerin die gesamte Angelegenheit rechtlich überschaute. Sie hatte aber keine besseren Erkenntnisse als der Beklagte.
2.3.4. Auch aus Treu und Glauben kann eine Pflicht zur erneuten Kapitalertragsteueranmeldung nicht begründet werden. Dies scheitert vorliegend bereits daran, dass dem Beklagten alle Umstände der Steuerfestsetzung umfassend bekannt waren. Dass die Klägerin im Verfahren … in ihren Schriftsätzen selbst ausgeführt hat, dass die Änderung der Körperschaftsteuerbescheides 1999 und die Aufhebung/Festsetzung der Kapitalertragsteuer ein einheitlicher Lebensvorgang sei, rechtfertigt vorliegend keine andere Beurteilung. Sie setzt sich nicht in Widerspruch zu ihrem Vortrag im hiesigen Verfahren.
2.3.5. Schließlich stellt auch § 45a Abs. 5 EStG keine Grundlage für den Erlass des hier streitigen Nachforderungsbescheides dar. Das Argument, die Klägerin hafte für die Kapitalertragsteuer, da sie die Steuerbescheinigung zwar – erfolglos – zurückgefordert, jedoch keine berichtigte Bescheinigung ausgestellt habe, wie es § 45a Abs. 5 EStG fordere, überzeugt den Senat nicht. Zwar sieht § 45 a Abs. 6 EStG vor, dass der Aussteller einer Bescheinigung, die § 45 a Abs. 2 bis 4 EStG nicht entspricht, für die auf Grund der Bescheinigung verkürzten Steuern haftet. Ungeachtet des Umstandes, dass diese Norm nicht erfüllt ist, da die Bescheinigung von Beginn an die Voraussetzungen der Abs. 2 bis 4 des § 45 a EStG erfüllte, geht es in dem vorliegenden Verfahren nicht um die Inanspruchnahme der Klägerin als Haftungsschuldnerin gem. § 45 a Abs. 6 EStG. Auch § 167 Abs. 1 AO nennt den in § 45 a Abs. 6 EStG geregelten Fall nicht.
3. Entgegen der Ansicht des Beklagten ermächtigt auch § 174 Abs. 4 AO nicht zum Erlass des hier maßgeblichen Nachforderungsbescheids vom … Dezember 2009.
3.1.Nach § 174 Abs. 4 kann das Finanzamt, wenn aufgrund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen ist, der aufgrund eines Rechtsbehelfs oder Antrags des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird, aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheids die richtigen steuerlichen Folgerungen ziehen. Gegenüber Dritten gilt dies allerdings nur, wenn sie an dem Verfahren, das zur Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids geführt hat, beteiligt waren (§ 174 Abs. 5 AO).
Es spricht einiges dafür, § 174 Abs. 4 AO auch anzuwenden, wenn es – wie vorliegend – nicht um denselben Steuerschuldner, sondern um den Steuerentrichtungsschuldner einerseits und den Steuerschuldner andererseits geht. Denn § 174 Abs. 4 AO spricht nicht vom „Steuerschuldner”, sondern vom „Steuerpflichtigen”. Zu den Steuerpflichtigen gehört gem. § 33 Abs. 1 AO auch derjenige, der eine Steuer für Rechnung eines Dritten einzubehalten hat. Unter den Oberbegriff „Steuerschuldner” i.S.v. § 33 AO fallen damit sowohl Steuerschuldner i.S.v. § 37 Abs. 1 AO, als auch Entrichtungsschuldner. Insoweit wäre die Klägerin als Entrichtungsschuldnerin kein „Dritter” i.S.v. § 174 Abs. 5 AO.
3.2.Dennoch scheitert vorliegend eine Änderung gem. § 174 Abs. 4 AO. Denn § 174 AO stellt keine Rechtsgrundlage für die hier streitige Steuerfestsetzung dar. Er ist nur das verfahrensrechtliche Vehikel, um einen bestehenden Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) mittels Steuerbescheid festzusetzen. Eine nach § 174 Abs. 4 AO gebotene Durchbrechung der Bestandskraft soll in der Weise zu einer konsequenten Verwirklichung der Rechtsrichtigkeit führen, dass aus dem zunächst irrig beurteilten Sachverhalt die materiell-rechtlich richtigen Folgerungen gezogen werden (von Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO Rz. 220 zu § 174 AO). Das formelle Recht soll in Einklang mit dem materiellen Recht gebracht werden. Das bedeutet, dass die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die als Konsequenz aus § 174 Abs. 4 AO gezogene Steuerfestsetzung erfüllt sein müssen. Bei der Kapitalertragsteuer handelte es sich materiell-rechtlich um eine Steuerschuld des Gläubigers der Kapitalerträge (hier R), § 44 Abs. 1 S. 1 EStG. Sie entsteht in dem Zeitpunkt, in dem die Kapitalerträge dem Gläubiger zufließen, § 44 Abs. 1 S. 2 EStG. Die Klägerin ist nicht Steuerschuldnerin. Sie ist nur Entrichtungsschuldner und Haftungsschuldner. Nur als solcher kann sie daher materiell-rechtlich in Anspruch genommen werden. Dies erfordert, dass für den Neuerlass eines Nachforderungsbescheides die Voraussetzungen der §§ 155 Abs. 1, 167 Abs. 1 AO unter Beachtung der Exkulpationsmöglichkeit des § 44 Abs. 5 S. 1 letzter Halbsatz EStG erfüllt sind. Dies ist jedoch nicht der Fall.
3.3.Ob der Beklagte befugt gewesen wäre, gem. § 174 Abs. 4 AO statt eines Neuerlasses des Nachforderungsbescheides vom … Dezember 2009 einen „Änderungsbescheid” zu erlassen, konnte der Senat dahinstehen lassen. Denn er wählte diesen Weg nicht. Den Senat überzeugt nicht die Argumentation des Beklagten, der Aufhebungsbescheid vom … Juli 2002 sei ein Freistellungsbescheid nach § 155 Abs. 1 Satz 3 AO und der Nachforderungsbescheid vom … Dezember 2009 sei ein nach § 174 Abs. 4 AO „geänderter Steuerfreistellungsbescheid”. Zum einen enthält der Nachforderungsbescheid keinen derartigen Hinweis auf eine „Änderung”. Zum anderen sieht der Senat in dem Aufhebungsbescheid vom … Juli 2002 keinen Freistellungsbescheid gem. § 155 Abs. 1 S. 3 AO. Denn aus ihm geht kein Verzicht auf eine Steuerfestsetzung hervor (vgl. zum Freistellungsbescheid Seer in Tipke/Kruse, Rz. 9 ff. zu § 155 AO). Der Hinweis des Beklagten auf das Urteil des FG Köln (vom 18. November 2004 2 K 2067/02, EFG 2005, 610) ist nicht zielführend, denn dort ging es um einen Bescheid gegenüber dem Gläubiger der Kapitalerträge, der eine hälftige Erstattung der Kapitalertragsteuer gem. § 44 c EStG a.F. begehrte. Der Fall ist mit dem vorliegenden nicht vergleichbar.
III. Der Kostenausspruch folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 151 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
IV.Die Revision wird gem. § 115 Abs. 2 FGO zugelassen im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfrage, ob eine Verpflichtung zur erneuten Anmeldung von Kapitalertragsteuer besteht, wenn das Finanzamt eine ordnungsgemäße und zutreffende Kapitalertragsteueranmeldung aus Gründen aufgehoben hat, die sich später als unrichtig herausstellen.