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  • 28.06.2013

    Finanzgericht Berlin-Brandenburg: Urteil vom 25.04.2013 – 3 K 3273/11

    Es ist verfassungsgemäß, wenn Verluste aus privaten Wertpapierveräußerungsgeschäften im ersten Jahr der Anwendung der Abgeltungssteuer
    – soweit für die Veräußerungsgeschäfte aufgrund des Anschaffungszeitpunkts noch die alte Rechtslage des Halbeinkünfteverfahrens
    gilt – nur zu Hälfte mit den Neugewinnen aus Wertpapierveräußerungen verrechnet werden.


    IM NAMEN DES VOLKES

    URTEIL

    In dem Rechtsstreit


    hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg – 3. Senat – aufgrund mündlicher Verhandlung vom 25. April 2013 durch den Vorsitzenden
    Richter am Finanzgericht …, die Richterin am Finanzgericht …, den Richter am Finanzgericht …, die ehrenamtlich Richterin …
    und die ehrenamtliche Richterin …


    für Recht erkannt:


    Die Klage wird abgewiesen.

    Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

    Die Kosten des Verfahrens werden den Klägern auferlegt.

    Tatbestand:

    Die Beteiligten streiten um die Höhe der Verrechnung von Verlusten aus privaten Wertpapierveräußerungsgeschäften im Streitjahr
    2009, dem ersten Jahr der Anwendung der Abgeltungssteuer auf Kapitaleinkünfte, soweit für die Veräußerungsgeschäfte aufgrund
    des Anschaffungszeitpunkts noch die alte Rechtslage gilt, im Hinblick auf das Halbeinkünfteverfahren – HEV –.


    I.

    Durch Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer –ESt – zum 31. Dezember
    2008 vom 8. März 2010 (ESt-A Bd. 1 Bl. 44) wurde für die Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften des Klägers der Verlustvortrag
    auf 63.703 EUR festgestellt. Im Streitjahr 2009 erzielte der Kläger Kapitalerträge i. S. v. § 20 Einkommensteuergesetz – EStG
    – in Höhe von 95.371 EUR (davon Veräußerungsgewinne i. S. v. § 20 Abs. 2 EStG von 87.717 EUR, davon wiederum Aktienveräußerungsgewinne
    i. S. v. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG in Höhe von 59.038 EUR). Bei den sonstigen Einkünften erklärte der Kläger als private
    Veräußerungsgeschäfte anderer Wirtschaftsgüter als Grundstücke dem Halbeinkünfteverfahren unterliegende Verluste aus Wertpapiergeschäften
    in Höhe von
    26.244 EUR (ESt-A Bd. 1 Bl. 38R) unter Bezugnahme auf die Aufstellung seiner Bank (ESt-A Bd. 1 Bl. 39). Die Aufstellung umfasst mehrere
    Verkäufe von Wertpapieren, die 2008 angeschafft und 2009 nach weniger als 12 Monaten veräußert wurden, unter jeweiliger Angabe
    von Veräußerungspreis, Anschaffungskosten und Transaktionskosten sowie dem jeweils daraus resultierenden Ergebnis je Verkauf.
    Die Ergebnisse waren sämtlich negativ und als dem Halbeinkünfteverfahren unterliegend gekennzeichnet; ihre Summe ergibt den
    vom Kläger deklarierten Betrag.


    Mit zweimal nur wegen anderer, nicht streitiger Punkte geändertem und weiterhin unter Vorbehalt der Nachprüfung stehendem
    ESt-Bescheid für die klägerischen, zusammen veranlagten Eheleute zuletzt vom 3. Juni 2011 (ESt-A Bd. 1 Bl. 77 = FG-A Bl. 25)
    berechnete der Beklagte (das Finanzamt – FA –) die nach § 32d Abs. 1 EStG (Abgeltungssteuer) zu besteuernden Einkünfte dahingehend,
    dass es von den Erträgen von insgesamt 95.371 EUR zwei Positionen abzog, nämlich „Verrechnung von Verlusten aus privaten Veräußerungsgeschäften
    i. S. d. § 23 EStG in der bis zum 31.12.2008 anzuwenden Fassung” in Höhe von
    13.122 EUR (die Hälfte von 26.244 EUR) sowie „Verrechnung von Vorträgen aus privaten Veräußerungsgeschäften” in Höhe von 63.703 EUR,
    und so zu einer Zwischensumme (vor noch nicht ausgeschöpftem Sparer-Pauschbetrag) in Höhe von 18.546 EUR gelangte.


    II.1.

    Mit Einspruchsschreiben vom 14. Juni 2011, eingegangen am 15. Juni 2011 (ESt-A Bd. 1 Bl. 75), begehrten die Kläger die Anrechnung
    der Verluste aus den privaten Veräußerungsgeschäften in voller Höhe (26.244 EUR). Zwar unterlägen die Verluste dem HEV, jedoch
    sei die Berechnungsmethode des FA fehlerhaft. Zunächst seien die vollen Gewinne aus der Veräußerung von Kapitalanlagen mit
    den vollen Verlusten zu saldieren und erst die sich daraus ergebende Differenz sei zu halbieren. Aus § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG
    n. F. ergebe sich keine Einschränkung dahingehend, dass die sog. „Altverluste” nicht in der von der Bank bescheinigten Höhe,
    sondern nur hälftig anzurechnen seien. Auf § 3 Nr. 40 EStG werde weder in § 20 Abs. 6 noch in § 23 Abs. 3 Satz 9 EStG Bezug
    genommen. Auch aus dem BMF-Schreiben vom 22. Dezember 2009 betreffend Einzelfragen zur Abgeltungssteuer ergebe sich kein Hinweis
    auf eine Beschränkung auf die Hälfte. Für Gewinne aus privaten Veräußerungsgeschäften, mit denen eine Verrechnung ebenfalls
    möglich wäre, sei anerkannt, dass zunächst Gewinne und Verluste zu saldieren seien und anschließend das Halbeinkünfteverfahren
    angewendet werde. Schließlich ergebe sich aus der neueren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes – BFH –, dass § 3 Nr. 40 EStG
    lediglich eine Doppelbegünstigung ausschließen wolle und daher ein Beteiligungsverlust gemäß § 17 EStG in voller Höhe zu berücksichtigen
    sei, wenn der Steuerpflichtige aus der Beteiligung keine Einnahmen erzielt habe. Auch der Grundsatz der leistungsgerechten
    Besteuerung gebiete die volle Anrechnung, denn aufgrund der Abgeltungssteuer mit dem gedeckelten Steuersatz von 25 % würden
    sich die angerechneten Verluste auch nur noch begrenzt auf die Steuer auswirken im Vergleich zum Regeltarif für die Einkünfte
    aus anderen Einkunftsarten. Würden die Verluste nur hälftig angerechnet, sei der Steuerpflichtige ungerechtfertigt doppelt
    belastet.


    2.

    Mit Einspruchsentscheidung vom 11. Oktober 2011 (ESt-A Bd. 1 Bl. 87) wies das FA den Einspruch als zulässig, aber unbegründet
    zurück. Die Anwendung neuen bzw. alten Rechts bei Einführung der Abgeltungssteuer ergebe sich aus § 52a EStG. Nach altem Recht
    sei bei Veräußerungsgeschäften i. S. v. § 23 EStG gemäß § 3 Nr. 40 Buchstabe j EStG das HEV anwendbar gewesen. Dies gelte
    gemäß § 52a Abs. 3 Satz 2 EStG fort in Fällen, in denen § 23 EStG a. F. auch nach 2008 noch Anwendung finde; die alte Rechtslage
    sei insoweit bei Anschaffung vor 2009 erhalten geblieben. Bei Anschaffung nach 2008 gelte hingegen § 20 Abs. 1 Nr. 1. EStG
    n. F.; ein Teileinkünfteverfahren sei aufgrund der Neufassung von § 3 Nr. 40 EStG hier nicht vorgesehen. Die hälftige Anrechnung
    ergebe sich somit daraus, dass für Veräußerungsverluste i. S. v. § 23 EStG a. F. das HEV weiterhin anzuwenden sei, während
    die Veräußerungsgewinne i. S. v § 20 Abs. 2 EStG n. F. einem HEV oder Teileinkünfteverfahren nicht unterlägen. Die Rechtsprechung
    zu § 17 EStG i. V. m. § 3c EStG sei nicht einschlägig.


    III.

    Mit ihrer Klage vom 7. November 2011, eingegangen am selben Tage, wiederholen und vertiefen die Kläger das Vorbringen aus
    dem Einspruchsverfahren.


    Die Kläger beantragen,

    den Einkommensteuerbescheid 2009 zuletzt vom 3. Juni 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11. Oktober 2011 dahingehend
    zu ändern, dass bei der Berechnung der Einkünfte, die nach § 32d Abs. 1 EStG (Abgeltungssteuer) besteuert werden, Verluste
    aus privaten Veräußerungsgeschäften i. S. v. § 23 EStG in der bis zum 31. Dezember 2008 anzuwendenden Fassung nicht in Höhe
    von 13.122 EUR, sondern in Höhe von 26.244 EUR verrechnet werden.


    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Das FA verweist auf seine Einspruchsentscheidung.

    IV.

    Die ESt-Akte der Kläger Bd. 1 (angelegt 2009) lag vor.

    Entscheidungsgründe:

    Die zulässige Klage ist nicht begründet.

    Der angefochtene ESt-Bescheid 2009 ist rechtmäßig (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung – FGO –).

    I.

    Die Berechnung der Einkünfte im Bescheid entspricht der einfachgesetzlichen Rechtslage (§ 2 Abs. 3, § 3 Nr. 40 Buchstabe j
    a. F., § 3c Abs. 2, § 20 Abs. 6 Satz 1 n. F., § 23 Abs. 3 Satz 1, § 23 Abs. 3 Satz 9 n. F., § 52a Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 Satz
    2, Abs. 10 Satz 1, Abs. 11 Satz 4 EStG).


    1. a)

    Das System des EStG mit seinen sieben Einkunftsarten ist dadurch gekennzeichnet, dass sich die Summe der Einkünfte (§ 2 Abs.
    3 EStG) als Saldo der Einkünfte der einzelnen Einkunftsarten ergibt. Negative Einkünfte einer Einkunftsart werden zunächst
    mit positiven Einkünften derselben Einkunftsart ausgeglichen (sog. horizontaler Verlustausgleich); sodann werden verbleibende
    positive und negative Einkünfte verschiedener Einkunftsarten ausgeglichen (sog. vertikaler Verlustausgleich, Weber-Grellet
    in Schmidt, EStG, 32. Aufl. 2013, § 2 Rn. 57). Beides ist aufgrund des Grundsatzes der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit
    (objektives Nettoprinzip) grundsätzlich geboten.


    Die Zuordnung von einzelnen Einkünften zu einer bestimmten Einkunftsart hat Bedeutung u. a. für die Art der Gewinnermittlung
    und für Zeitpunkt und Umfang der Erfassung von Vermögensmehrungen und -minderungen (a. a. O. § 2 Rn. 27). Der vorzunehmende
    vertikale Verlustausgleich ändert nichts daran, dass bei den Einkünften jeder Einkunftsart die Ermittlung nach den Regeln
    der jeweiligen Einkunftsart zu erfolgen hat.


    b)

    Durch § 23 Abs. 3 Satz 8 und 9 EStG in der Fassung vor Einführung der Abgeltungssteuer (entspricht Satz 7 und 8 n. F.) wurde
    der vertikale Verlustausgleich für Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften (ausnahmsweise) ausgeschlossen. Durch § 23
    Abs. 3 Satz 9 und 10 EStG in der Fassung nach Einführung der Abgeltungssteuer wurde der vertikale Verlustausgleich für solche
    Einkünfte (als Rückausnahme) beschränkt auf die nunmehr zu den Kapitaleinkünften zählenden Wertpapierveräußerungsgewinne i.
    S. v. § 20 Abs. 2 EStG n. F. wieder zugelassen.


    Auch dies ändert nichts daran, dass trotz des jetzt ggf. wieder möglichen vertikalen Verlustausgleichs die Ermittlung der
    Einkünfte nach den Regeln der jeweiligen Einkunftsart zu erfolgen hat.


    2. a)

    Für die Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften ermittelt sich der Gewinn oder Verlust gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 EStG
    als Differenz zwischen Veräußerungspreis einerseits und den Anschaffungs- und Werbungskosten andererseits.


    aa)

    Vor Einführung der Abgeltungssteuer waren der Veräußerungspreis gemäß § 3 Nr. 40 Buchstabe j EStG bei Veräußerung von Beteiligungen,
    wie z. B. Aktien, nur hälftig und die Anschaffungs- und Werbungskosten dann gemäß § 3c Abs. 2 EStG ebenfalls nur hälftig zu
    berücksichtigen. Die Halbierung im Rahmen des HEV erfolgte also schon bei der Ermittlung der bei der Differenzbildung für
    jedes einzelne Veräußerungsgeschäft gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 EStG einzusetzenden Größen, nämlich Veräußerungspreis, Anschaffungskosten
    und Werbungskosten, nicht erst beim so ermittelten Gewinn oder Verlust des einzelnen Veräußerungsgeschäfts oder gar erst bei
    der Saldierung der Gewinne und Verluste etwaiger mehrerer Veräußerungsgeschäfte.


    bb)

    Soweit sich nach Einführung der Abgeltungssteuer und dem damit verbundenen Einschluss von Wertpapierveräußerungsgewinnen oder
    -verlusten in die Kapitaleinkünfte Veräußerungsgeschäfte aufgrund des Anschaffungszeitpunktes schon in 2008 gemäß den Abgrenzungsvorschriften
    52a Abs. 10 Satz 1 und Abs. 11 Satz 4 EStG) noch nach den alten Vorschriften und mithin als sonstige Einkünfte gemäß §
    23 EStG beurteilen, gilt in gleicher Methode das HEV. Dies folgt explizit aus dem Gesetzeswortlaut (§ 52a Abs. 3 Satz 2 bezüglich
    § 3 Nr. 40 und § 52a Abs. 4 Satz 2 bezüglich § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG) (ebenso Lappas, Verrechnung von Verlusten aus Kapitalvermögen
    und Verrechnung von so genannten Altverlusten, Stbg 2009, 446, Fn. 24).


    3.

    Hingegen gilt für die (privaten) Kapitaleinkünfte nach Einführung der Abgeltungssteuer, einschließlich der jetzt dazuzählenden
    Wertpapierveräußerungen, kein Halb- oder Teileinkünfteverfahren. Dieses ist durch § 3 Nr. 40 Satz 2 EStG n. F. i. V. m. §
    20 Abs. 8 EStG n. F. nunmehr auf „betriebliche Kapitaleinkünfte” beschränkt. Im Bereich der Abgeltungssteuer, die ebenfalls
    nur für „private” Kapitaleinkünfte gilt (§ 32d Abs. 1 Satz 1 EStG n. F., dort der einschränkende Relativsatz), gibt es daher
    kein Halb- oder Teileinkünfteverfahren. Die Gewinne werden hier in voller Höhe dem im Vergleich zum allgemeinen, progressiven
    Tarif allerdings ermäßigten Steuersatz unterworfen.


    4.

    Der vertikale Verlustausgleich führt daher hier dazu, dass aufgrund der Gewinnermittlungsvorschriften „halbierte” sog. Altverluste
    gemäß § 23 EStG mit „vollen” Neugewinnen aus § 20 Abs. 2 EStG ausgeglichen werden (a. A., jedoch ohne Begründung, das Rechenbeispiel
    bei Harenberg in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 20 EStG Rn. 614).


    Dies gilt im Übrigen nicht nur, wie von den Klägern thematisiert, für die Altverluste (Wortgebrauch allgemein nicht nach dem
    Realisierungszeitpunkt, sondern nach den anwendbaren Vorschriften im Sinne von „altes Recht”, vgl. Graf/Paukstadt, Abgeltungssteuer,
    FR 2011, 249, 263 unter 3.3.4 „Altverlustverrechnung”; Lappas, Stbg 2009, 446, Fn. 23; Harenberg in Herrmann/Heuer/Raupach,
    EStG/KStG, § 20 EStG Rn. 614), die durch Verkäufe im Streitjahr realisiert wurden, sondern auch, was die Kläger nicht angreifen,
    für den festgestellten Verlustvortrag aus privaten Veräußerungsgeschäften zum Ende des Vorjahres.


    5.

    Soweit die Kläger im Kern argumentieren, erst müssten die vollen Gewinne mit den vollen Verlusten saldiert und die sich daraus
    ergebende Differenz dürfe erst danach halbiert werden, entspricht dies nicht der vorstehend dargestellten Systematik des EStG
    für die Gewinnermittlung. Die Kläger bemerken zwar zutreffend, dass weder § 20 Abs. 6 noch § 23 Abs. 3 Satz 9 EStG n. F. Einschränkungen
    hinsichtlich der Höhe der Verrechnung vorsehen. Sie übersehen jedoch, dass bereits bei Bestimmung der Größen „Veräußerungspreis”,
    „Anschaffungskosten” und „Werbungskosten” § 3 Nr. 40 Buchstabe j und § 3c Abs. 2 EStG anzuwenden sind, so dass in den Verrechnungsvorschriften
    die Halbierung nicht vorgesehen werden brauchte; die Halbierung ist bereits vor der Verrechnung erfolgt.


    Der Verweis auf die Anmerkung in Schmidt (Weber-Grellet in Schmidt, EStG, 30. Aufl. 2011, § 23 Rn. 6) geht fehl, weil es hierbei
    ausschließlich um die Gesetzesänderung ab Veranlagungszeitraum 2002 und die sich dabei ergebenden Überleitungsprobleme geht.
    Die Umstellung auf das Halbeinkünfteverfahren ab Veranlagungszeitraum 2009 ist von dieser Anmerkung nicht erfasst.


    II.

    Der somit einfachgesetzlich vorgesehene Ausgleich halbierter Altverluste mit vollen Neugewinnen ist auch verfassungsgemäß.

    1.

    In einem synthetischen Einkommensteuersystem, d. h. einem System der einheitlichen Besteuerung des gesamten Einkommens, müssen
    Verluste aus einer bestimmten Einkunftsart die Bemessungsgrundlage insgesamt mindern. Denn ausgehend von einer auf der Summe
    aller steuerbaren Einkünfte basierenden Leistungsfähigkeitsindikation führt ein mangelnder Verlustausgleich zu einer Form
    von Mindestbesteuerung, die notwendig gleichheitswidrige Verzerrungen im Verhältnis zu anderen Steuerpflichtigen mit durchweg
    positiven Einkünften bewirkt. Versteht man mit der herrschenden Meinung den Sondertarif für Einkünfte aus privatem Kapitalvermögen
    aufgrund des objektiven Nettoprinzips als Unterprinzips des Leistungsfähigkeitsprinzips nicht als dem Gesetzgeber freigestellte
    Entscheidung für ein Schedulensteuersystem (duales System), sondern als rechtfertigungsbedürftige Abweichung von der an sich
    gebotenen Gleichbehandlung aller Einkunftsarten, so bedürfen folglich auch die damit einhergehenden Einschränkungen der einkunftsartübergreifenden
    Verlustverrechnung eines besonderen sachlichen Grundes (vgl. Englisch, Verfassungsrechtliche und steuersystematische Kritik
    der Abgeltungssteuer, StuW 2007, 221, 235 m. w. N.; Stapperfend, Verluste im Einkommensteuerrecht, DStJG 24 [2001], 329, 365).


    2.

    Zwar ist die Verrechnung der Altverluste mit den Neugewinnen aus Wertpapierveräußerungen gerade nicht gesetzlich beschränkt.
    Der Umstand, dass die Altverluste unter Anwendung des HEV ermittelt werden, die Neugewinne, mit denen sie ausgeglichen werden,
    aber ohne HEV, bewirkt jedoch im Endeffekt quasi ein hälftiges Verlustausgleichsverbot. Dies zeigt sich daran, dass wenn effektive
    Verluste mit effektiven Gewinnen zu verrechnen sind, und entweder beide dem HEV unterliegen oder beide nicht, dann Verluste
    in einer bestimmten Höhe geeignet sind, die Steuer soweit zu mindern, wie sie durch Gewinne in genau der Höhe der Verluste
    entstanden ist. Unterliegen die Verluste jedoch dem HEV, die Gewinne, mit denen die Verluste zu verrechnen sind, aber nicht,
    dann sind die Verluste nur noch geeignet, die Steuer insoweit zu mindern, wie sie durch die Gewinne in Höhe der Hälfte des
    Betrages der Verluste entsteht. Das den Verlusten innewohnende Steuerminderungspotential wird also effektiv reduziert im Vergleich
    zu dem Fall, dass sowohl Gewinne als auch Verluste dem HEV unterliegen.


    Dies wiegt umso schwerer, als die Neugewinne auch nur noch dem pauschalen Steuersatz unterliegen und der Verlustausgleich
    damit tariflich nur noch beschränkte Wirkung entfaltet.


    3.

    Diese hälftige Nichtausgleichung der Verluste ist jedoch gerechtfertigt.

    a)

    Dies ergibt sich primär aus der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu einem Systemwechsel.

    Die dem Steuergesetzgeber zustehende Gestaltungsfreiheit umfasst von Verfassungs wegen die Befugnis, neue Regeln einzuführen,
    ohne durch Grundsätze der Folgerichtigkeit an frühere Grundentscheidungen gebunden zu sein. Dies gilt zwar nur dann, wenn
    wirklich ein neues Regelwerk geschaffen wird. Die umfassende Gestaltungsfreiheit bei Entscheidungen für neue Regeln kann vom
    Gesetzgeber dann nicht in Anspruch genommen werden, wenn solche neuen Regeln nach Ziel und Wirkung die Orientierung an alternativen
    Prinzipien nicht erkennen lassen (BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 2008 2 BvL 1/07, DStR 2008, 2460, Juris Rn. 80).


    Mit der Einführung der Abgeltungssteuer liegt ein solcher Systemwechsel jedoch vor. Die damit letztendlich eingeführte Schedulenbesteuerung
    mit zwei getrennten Tarifen stellt ein wesentlich neues Element im althergebrachten Einkommensteuersystem dar. Bestimmte Friktionen
    infolge des Übergangs sind daher hinzunehmen.


    b)

    Diese Erwägung wird gestützt durch die Überlegung, welche Konsequenzen eine anderweitige, das faktische hälftige Verlustausgleichsverbot
    vermeidende Regelung hätte.


    Falls sich bei nach altem Recht zu beurteilenden Veräußerungsvorgängen in der Summe Gewinne ergäben, wäre die Anwendung des
    HEV weiterhin geboten, um eine im System der Besteuerung von Kapitalgesellschaften und deren Anteilseignern nach Abschaffung
    des Anrechnungsverfahrens sonst gegebene Doppelbesteuerung zu vermeiden. Auch die Kläger würden nicht wollen, dass, hätten
    sie aus den Wertpapiergeschäften im Übergangszeitraum nicht Verluste, sondern Gewinne erzielt, ihnen das HEV genommen würde
    und sie die Gewinne in voller Höhe dem allgemeinen, progressiven Steuersatz unterwerfen müssten.


    Somit bliebe nur, die Anwendung des HEV (jedenfalls im Ergebnis, unabhängig von der rechtstechnischen Umsetzung, etwa durch
    eine Verrechnung mit den „doppelten Verlusten” in § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG n. F.) davon abhängig zu machen, ob aus solchen
    Veräußerungen in der Summe Gewinne erzielt wurden (dann HEV) oder Verluste (dann kein HEV), was aber seinerseits ein nur schwer
    zu rechtfertigender Systembruch wäre. Dies gilt umso mehr, als die Gewinnermittlung im Rahmen des § 23 EStG die Besonderheit
    aufweist, dass sie nicht, wie bei den anderen Einkommensarten, zeitraumbezogen, sondern zeitpunktbezogen ist (BFH, Urteil
    vom 20. Juni 2012 IX R 67/10, DStR 2012, 1801, Juris Rn. 23 m. w. N.). Der Gewinn oder Verlust eines Veräußerungsgeschäfts
    i. S. v. § 23 EStG ergibt sich grundsätzlich im Zeitpunkt der Veräußerung, die sonstigen Einkünfte einfach aus der Addition
    dieser einzelnen zeitpunktbezogenen Gewinne oder Verluste, nicht aus der Betrachtung von Verhältnissen bzw. deren Veränderung
    im Veranlagungszeitraum als Ganzes. Dem würde es widersprechen, wollte man die Gewinnermittlung im Veräußerungszeitpunkt –
    nämlich mit oder ohne HEV – davon abhängig machen, ob sich in der Summe ein Gewinn oder Verlust einstellt, was sich nämlich
    erst zum Ablauf des Veranlagungszeitraums sagen ließe und damit gegen die Zeitpunktbezogenheit der Gewinnermittlung bei §
    23 EStG verstoßen würde.


    c)

    Lediglich ergänzend ist noch zu erwähnen, dass eine überperiodische Verlustverrechnung nur begrenzt von Art. 14 Abs.1 GG geschützt
    ist. Die bei Entstehung eines Verlustes gegebene Möglichkeit, den Verlust später ausgleichen zu können, erstarkt nicht zu
    einer grundgesetzlich geschützten Vermögensposition. Die Ausgleichsfähigkeit steht unter dem Vorbehalt der Beschränkung durch
    einfaches Recht. Dies ist von Verfassungs wegen hinzunehmen, solange die Abzugsfähigkeit von Verlusten nicht in ihrem Kernbereich
    betroffen ist, etwa indem sie gänzlich ausgeschlossen wird (BFH, Urteil vom 11. Februar 1998 I R 81/97, DStR 1998, 1087, Juris
    Rn. 17; ausführlich BFH, Urteil vom 22. August 2012 I R 9/11, DStR 2012, 2435, Juris Rn. 18, 19, 21, 24).


    Hier geht es zwar nicht um eine überperiodische Verrechnung, sondern um den Ausgleich von innerhalb desselben Veranlagungszeitraums
    realisierten Verlusten. Allerdings geht es um den Ausgleich von durch Anschaffung vor einem Systemwechsel bereits angelegten
    Verlusten mit erst nach einem Systemwechsel begründeten Verlusten und daher um einen zwar nicht gleichen, aber doch ähnlichen
    Sachverhalt. Da der Ausgleich der Altverluste nicht systematisch ausgeschlossen, sondern lediglich aufgrund unterschiedlicher
    Berechnungsmethoden rein faktisch halbiert wird, ist der gesetzgeberische Gestaltungsspielraum nicht überschritten.


    d)

    Schließlich ist noch anzuführen, dass die Möglichkeit des Verlustrücktrages unberührt bleibt (§ 23 Abs. 3 Satz 8 EStG n. F.)
    und bei einem Verlustrücktrag von Veräußerungsverlusten dann dem HEV unterliegende Verluste von ebenfalls dem HEV unterliegenden
    Veräußerungsgewinnen des Vorjahrs völlig systemkonform abgezogen würden. Diese auch nach der Einführung der Abgeltungssteuer
    bestehenbleibende Rücktragsmöglichkeit spricht für die Verfassungsmäßigkeit der Übergangsregelung. Dass die Kläger im konkreten
    Fall davon keinen Nutzen haben, weil der Kläger schon im Vorjahr Veräußerungsverluste erlitten und aus den Vorvorjahren angesammelt
    hat, ist unerheblich, denn die Verfassungsmäßigkeit einer Übergangsregelung ist allgemein zu beurteilen.


    III.1.

    Die Zulassung der Revision folgt aus § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. Die Frage des Ausgleichs von dem HEV unterliegenden Verlusten
    mit nicht dem HEV unterliegenden Gewinnen ist, soweit ersichtlich, bisher höchstrichterlich nicht geklärt. Zwar betrifft diese
    Rechtsfrage nur eine Übergangsvorschrift, es ist jedoch damit zu rechnen, dass sich diese Frage in nicht absehbarer Zukunft
    weiterhin bei einer nicht ganz unerheblichen Zahl noch anhängiger Verfahren stellt. Aufgrund der Entwicklung des Aktienmarktes
    in den Jahren 2008 und 2009 dürften Verluste bei Anschaffung in 2008 und Gewinne bei Anschaffung in 2009 und jeweiliger Veräußerung
    in 2009 durchaus häufig auftreten. Hinzu kommt, dass sich dieselbe Frage auch bei der Verrechnung der Verlustvortrags aus
    privaten Veräußerungsgeschäften zum 31. Dezember 2008 mit Kapitaleinkünften aus Veräußerungsgewinnen 2009 stellt, zwar aufgrund
    des Klageantrages nicht bei den hiesigen Klägern, jedoch in einer Vielzahl von anderen Fällen. Der Verlustvortrag ist noch
    bis ins Jahr 2013 möglich (§ 52a Abs. 11 Satz 11 EStG).


    2.

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

    VorschriftenEStG § 32d Abs. 1, EStG § 23 Abs. 3 S. 1, EStG § 23 Abs. 3 S. 9, EStG § 3 Nr. 40 Buchst. j, EStG § 3c Abs. 2, EStG § 20 Abs. 6, GG Art. 3 Abs. 1, GG Art. 14 Abs. 1, EStG § 52a Abs. 3 S. 2, EStG § 52a Abs. 4 S. 2, EStG § 52a Abs. 10 S. 1, EStG § 52a Abs. 11 S. 4, EStG § 2 Abs. 3