28.06.2013
Finanzgericht Rheinland-Pfalz: Gerichtsbescheid vom 07.05.2013 – 3 K 2361/11
Aufwendungen für die Ausbildung zum Verkehrsflugzeugführer
sind nach gesetzlichen Neuregelungen in § 9 Abs. 6, § 12
Nr. 5 und § 52 Absätze 23d und 30a EStG in der
Fassung des BeitrRLUmsG nicht als - vorweggenommene - Werbungskosten
abzugsfähig.
Tatbestand
Strittig ist die Berücksichtigung von Aufwendungen für
die Ausbildung zum Flugzeugführer als Werbungskosten.
Der Kläger ist Verkehrsflugzeugführer. Die
Ausbildung hierzu hatte der Kläger in den Jahren 2005 und
2006 absolviert. Die Ausbildung wurde zum 21. August 2006 abgeschlossen
(Blatt 79, 87, 91 der Einkommensteuerakte). Bei der Ausbildung handelte
es sich um die berufliche Erstausbildung des Klägers (Blatt 183
der Einkommensteuerakte). Am 11. September 2006 wurde dem Kläger
die Berufspilotenlizenz erteilt (Blatt 79, 87 der Einkommensteuerakte).
Anschließend wurde der Kläger bei der ... Fluggesellschaft
zum 1. Offizier ausgebildet und erwarb die Musterzulassung für
das Verkehrsflugzeug Boeing 737 (Blatt 79, 92 der Einkommensteuerakte).
In seiner Einkommensteuererklärung 2005 begehrte der
Kläger die Berücksichtigung von Aufwendungen in
Höhe von 69.791 € für die Ausbildung
zum Verkehrsflugzeugführer als vorweggenommene Werbungskosten
(Blatt 8 der Einkommensteuerakte). In seiner Einkommensteuererklärung
2006 begehrte der Kläger die Berücksichtigung
der weiter hierfür angefallenen Aufwendungen in Höhe
von 27.839 € als vorweggenommene Werbungskosten (Blatt 63
der Einkommensteuerakte).
In den Einkommensteuerbescheiden 2005 und 2006 vom 14. Dezember
2007 berücksichtigte der Beklagte die geltend gemachten
Werbungskosten nicht. Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben
vom 27. Dezember 2007 Einspruch ein und beantragte die Feststellung
des Verlustvortrages zur Einkommensteuer wegen der geltend gemachten
Werbungskosten (Blatt 20 der Einkommensteuerakte). Mit Schreiben
vom 15. Januar 2008 schlug der Beklagte vor, die Einspruchsverfahren
bis zur Klärung der diesbezüglichen Streitfrage
in vor dem BFH anhängigen Verfahren ruhen zu lassen (Blatt
25, 26 der Einkommensteuerakte).
Mit Einkommensteuerbescheid 2006 vom 29. Februar 2008 berücksichtigte
der Beklagte die nach dem 21. August 2006 entstandenen Aufwendungen
für die Musterzulassung als Werbungskosten und stellte
in dem Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden
Verlustvortrags zur Einkommensteuer zum 31.12.2006 vom gleichen
Tage einen verbleibenden Verlustvortrag in Höhe von 4.413 € fest.
In den Erläuterungen ist unter Bezugnahme auf ein Gespräch
am 14. Februar 2008 ausgeführt, hierdurch erledige sich
der Einspruch des Klägers vom 27. Dezember 2007.
Mit Schreiben vom 29. August 2011 beantragte der Kläger
die Änderung des Verlustfeststellungsbescheids vom 29.
Februar 2008 und begehrte die Berücksichtigung der gesamten
Aufwendungen für die Ausbildung zum Verkehrsflugzeugführer
als vorweggenommene Werbungskosten. Weiterhin beantragte der Kläger
das Ende des Ruhens der Einspruchsverfahren gegen die Einkommensteuerbescheide
2005 und 2006.
Mit Klageschrift vom 7. November 2011 erhob der Kläger
am 8. November 2011 Untätigkeitsklage und begehrte die
Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer
2005 in Höhe von 69.791 € und zur Einkommensteuer
2006 in Höhe von 13.500 € sowie die Änderung
der Einkommensteuerbescheide 2005 vom 14. Dezember 2007 und 2006
vom 29. Februar 2008 in Hinblick auf die Berücksichtigung
der geltend gemachten Ausbildungskosten als Werbungskosten.
Mit Einspruchsentscheidung vom 1. Dezember 2011 verwarf der Beklagte
den Einspruch des Klägers gegen den Einkommensteuerbescheid
2005 als unzulässig. Mit Bescheid vom 19. Dezember 2011
lehnte der Beklagte die begehrte Verlustfeststellung ab. Hiergegen
legte der Kläger mit Schreiben vom 20. Dezember 2011 Einspruch
ein. Der Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 30. Januar
2012 zurückgewiesen.
Der Kläger trägt vor, durch das neu eingeführte
BeitrRLUmsG vom 7. Dezember 2011 habe der Beklagte nicht anders
entscheiden können, als die Verlustfeststellungsanträge
abzulehnen. Letztendlich sei das Gesetz unter den bekannten verfassungsrechtlich
problematischen Ansatzpunkten aber zu überprüfen.
Der Kläger beantragt,
den ablehnenden Bescheid
vom 19. Dezember 2011 und die Einspruchsentscheidung vom 30. Januar
2012 aufzuheben sowie den verbleibenden Verlustvortrag zur Einkommensteuer
2005 auf den 31.12.2005 in Höhe von 69.791 € und
den verbleibenden Verlustvortrag zur Einkommensteuer 2006 auf den
31.12.2006 in Höhe von 13.500 € festzustellen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte trägt vor, der Kläger habe seine
verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das BeitrRLUmsG nicht näher
erläutert. Nach der Rechtsprechung des Finanzgerichts Münster
vom 20. Dezember 2011 (5
K 3975/09 F) sei ein Verfassungsverstoß nicht
ersichtlich.
Gründe
Die Klage, über die das Gericht durch Gerichtsbescheid
nach § 90a FGO entschieden hat, ist unbegründet.
1. Die als Untätigkeitsklage
erhobene Klage ist nicht wegen der zwischenzeitlich im Klageverfahren
ergangenen ablehnenden Bescheide und der Einspruchsentscheidung
unzulässig geworden.
Nach § 46 Abs. 1 Satz 1 FGO ist eine Klage ohne vorherigen
Abschluss eines Vorverfahrens zulässig, wenn über
einen außergerichtlichen Rechtsbehelf ohne Mitteilung eines
zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden
worden ist. Dies gilt nach § 46 Abs. 2 Satz 1 FGO für
die Fälle sinngemäß, in denen über
einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne Mitteilung
eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht
entschieden wurde.
Die mit Klageschrift vom 7. November 2011 am 8. November 2011
bei Gericht eingegangene Klage hat der Kläger zunächst
als Untätigkeitsklage erhoben. Nach Ergehen des ablehnenden
Bescheids vom 19. Dezember 2011 und der Einspruchsentscheidung vom
30. Januar 2012 hat der Kläger weiterhin die Feststellung
des Verlustvortrages zur Einkommensteuer 2005 und 2006 wegen der
geltend gemachten Werbungskosten begehrt. Die Klage war daher als
Verpflichtungsklage fortzuführen.
Denn eine Erledigung einer Untätigkeitsklage tritt nicht
durch einen während des Klageverfahrens erlassenen Steuerbescheid
oder eine Einspruchsentscheidung ein. Die Bezeichnung der Klage
nach § 46 Abs. 1 FGO als Untätigkeitsklage ist
insofern ungenau, als es bei der Klage nicht um eine Untätigkeit
der Behörde geht. Die Klage hat das Ziel, das Finanzamt
zu der begehrten Verlustfeststellung zu veranlassen. Wird daher
während des Klageverfahrens der Antrag abgelehnt und der
Einspruch zurückgewiesen, so wird das Klageverfahren fortgesetzt,
ohne dass eine erneute Klage erforderlich oder zulässig
wäre (vgl. BFH-Beschluss vom 28. Oktober 1988 - III B 184/86, BStBl. II 1989,
107).
2. Der Beklagte hat die Feststellung weiterer
Verluste wegen der Aufwendungen des Klägers für
die Ausbildung zum Verkehrsflugzeugführer zu Recht abgelehnt.
Die geltend gemachten Aufwendungen sind nach §§ 9
Abs. 6, 12 Nr. 5 EStG i.d.F. des Gesetzes zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie sowie
zur Änderung steuerrechtlicher Vorschriften vom 7. Dezember
2011 - BeitrRLUmsG - nicht abzugsfähig.
a) Nach § 10 d Abs. 4 EStG sind negative Einkünfte,
die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte
nicht ausgeglichen werden können, als verbleibender Verlustvortrag
gesondert festzustellen. Negative Einkünfte im Sinne von § 2
Abs. 1 EStG können bei Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit
gem. § 19 EStG durch den Überschuss von Werbungskosten über die
Einnahmen entstehen. Zu den Werbungskosten nach § 9 EStG
können auch Aufwendungen für Bildungsmaßnahmen
gehören, sofern sie beruflich veranlasst sind. Eine berufliche
Veranlassung ist gegeben, wenn ein objektiver Zusammenhang mit dem
Beruf besteht und die Aufwendungen subjektiv zur Förderung
des Berufs getätigt werden. Erzielt der Steuerpflichtige
noch keine Einnahmen, so können dennoch - vorweggenommene
- Werbungskosten vorliegen. In diesem Fall müssen sie in
einem hinreichend konkreten, objektiv feststellbaren Zusammenhang
mit künftigen steuerbaren Einnahmen aus der beruflichen
Tätigkeit stehen. Nach § 9 Abs. 6 EStG in der
Fassung des BeitrRLUmsG sind indes Aufwendungen des Steuerpflichtigen
für seine erstmalige Berufsausbildung oder für
ein Erststudium, das zugleich eine Erstausbildung vermittelt, keine
Werbungskosten, wenn diese Berufsausbildung oder dieses Erststudium
nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfinden.
Nach § 12 Nr. 5 EStG in der Fassung des BeitrRLUmsG gehören
Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine erstmalige
Berufsausbildung oder für ein Erststudium, das zugleich
eine Erstausbildung vermittelt, zu den nicht abzugsfähigen
Aufwendungen, wenn diese Berufsausbildung oder dieses Erststudium
nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfinden.
Die Vorschriften sind nach § 52 Absätze 23d und
30a EStG in der durch Art. 2 Nr. 34 Buchst. d und g des BeitrRLUmsG
geänderten Fassung bereits für Veranlagungszeiträume
ab 2004 anzuwenden (vgl. Finanzgericht des Saarlandes, Urteil vom
4. April 2012 - 2
K 1020/09, in juris).
b) Die gesetzlichen Neuregelungen in § 9 Abs. 6, § 12
Nr. 5 und § 52 Absätze 23d und 30a EStG in der
Fassung des BeitrRLUmsG verstoßen nicht gegen das Rückwirkungsverbot.
Zwar ist eine echte Rückwirkung - Rückbewirkung
von Rechtsfolgen - nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
grundsätzlich unzulässig. Erst mit der Verkündung,
das heißt mit der Ausgabe des ersten Stücks des
Verkündungsblattes, ist eine Norm rechtlich existent. Bis
zu diesem Zeitpunkt, zumindest aber bis zum endgültigen
Gesetzesbeschluss, muss der von einem Gesetz Betroffene grundsätzlich
darauf vertrauen können, dass seine auf geltendes Recht
gegründete Rechtsposition nicht durch eine zeitlich rückwirkende Änderung
der gesetzlichen Rechtsfolgenanordnung nachteilig verändert
wird. In der Rechtsprechung des BVerfG sind jedoch - ohne dass dies
abschließend wäre - Fallgruppen anerkannt, in
denen das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot durchbrochen
ist. So tritt das Rückwirkungsverbot, das seinen Grund
im Vertrauensschutz hat, namentlich dann zurück, wenn sich
kein schützenswertes Vertrauen auf den Bestand des geltenden
Rechts bilden konnte, etwa weil eine gefestigte höchstrichterliche
Rechtsprechung zu einer bestimmten Steuerrechtsfrage nach Änderung
der Rechtsanwendungspraxis rückwirkend gesetzlich festgeschrieben
wird. Dies gilt unabhängig von der Frage, ob der BFH mit
der Änderung seiner Rechtsprechung das bei gleichgebliebener
Gesetzeslage schon bisher „richtige Recht” zutreffend
erkannt oder die frühere Rechtslage fortentwickelnd neu
gestaltet hat. Gemessen hieran darf der Verordnungsgeber die Rechtslage
auch mit Wirkung für die Vergangenheit so regeln, wie sie
bis zur Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung
einer vorherigen gefestigten Rechtsprechung und der einhelligen
Praxis der Finanzverwaltung und damit allgemeiner Rechtsanwendungspraxis
auch auf Seiten der Steuerpflichtigen entspricht. Ein berechtigtes
Vertrauen auf eine hiervon abweichende Rechtslage können die
Steuerpflichtigen jedenfalls vor der Rechtsprechungsänderung
nicht bilden. Es widerspricht weder dem Rechtsstaatsprinzip noch
dem Gewaltenteilungsgrundsatz, wenn der Gesetzgeber eine Rechtsprechungsänderung korrigiert,
die auf der Grundlage der seinerzeit bestehenden Gesetzeslage zwar
mit gutem Grund erfolgt ist, deren Ergebnis er aber für
nicht sachgerecht hält. Nicht die Rücksicht auf
die Recht sprechende Gewalt und deren Befugnis zur Letztentscheidung über
die bestehende Gesetzeslage, sondern nur das sonstige Verfassungsrecht,
insbesondere die Grundrechte der Steuerpflichtigen, begrenzt hier
die Gestaltungsbefugnis des Gesetzgebers bei der Bestätigung
der alten Rechtspraxis durch entsprechende gesetzliche Klarstellung
(vgl. BFH-Urteil vom 19. April 2012 - VI R 74/10, BStBl. II 2012,
577 m.w.N.).
Nach einhelliger Auffassung der Finanzgerichte verstoßen
die gem. § 52 Abs. 23d und 30a EStG in der Fassung des
BeitrRLUmsG rückwirkend bereits ab dem Veranlagungszeitraum
2004 anzuwendenden Vorschriften der §§ 9 Abs.
6, 12 Nr. 5 in der Fassung des BeitrRLUmsG daher nicht gegen das
Rückwirkungsverbot. Auch liegt kein Verstoß gegen
sonstiges Verfassungsrecht vor (vgl. Finanzgericht des Saarlandes,
Urteil vom 4. April 2012 - 2 K 1020/09, a.a.O.; Finanzgericht
Köln, Urteil vom 22. Mai 2012 - 13 K 3413/09, EFG 2012, 1735;
Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 26. November
2012 - 10 K 4245/11, EFG 2013, 433; Finanzgericht
Münster, Urteil vom 20. Dezember 2011, 5 K 3975/09
F, EFG
2012, 612; Finanzgericht Düsseldorf, Urteil vom
14. Dezember 2011 - 14
K 4407/10 F, EFG 2012, 686). Das Gericht teilt
diese Auffassung ausdrücklich und folgt der nicht näher
dargelegten Auffassung des Klägers, das Gesetz bedürfe
der verfassungsrechtlichen Überprüfung, nicht.
Die Aufwendungen für die - nicht auf einem Dienstverhältnis
beruhende - erstmalige Ausbildung zum Berufspiloten in den Veranlagungszeiträumen 2005
und 2006 gem. § 9 Abs. 6, § 12 Nr. 5 i.V.m. § 52
Abs. 23d, Abs. 30a EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG vom 7.12.2011 sind
somit nicht als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger
Tätigkeit abzugsfähig (vgl. Finanzgericht Düsseldorf,
Urteil vom 14. Dezember 2011 - 14 K 4407/10 F, a.a.O.; Finanzgericht
Baden-Württemberg, Urteil vom 26. November 2012 - 10 K 4245/11,
a.a.O.). Der Beklagte hat die vom Kläger begehrte Verlustfeststellung
daher zu Recht abgelehnt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
Die Revision wird in Hinblick auf die beim BFH anhängigen
Revisionsverfahren VI
R 2/12 gegen das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf
vom 14. Dezember 2011 (14 K 4407/10 F, a.a.O.) und VI R 8/12 gegen
des Urteils des Finanzgerichts Münster vom 20. Dezember
2011 (5 K 3975/09
F, a.a.O.) gem. § 115 Abs. 2 FGO zugelassen.