25.07.2013
Finanzgericht Köln: Urteil vom 11.04.2013 – 13 K 889/12
Bei einer Veranlagung, die unter Anwendung der Mindestbesteuerung erfolgt ist, ergibt sich im Hinblick auf eine mögliche Definitivbelastung
durch einen späteren Wegfall von Verlustvorträgen keine Verpflichtung des Finanzamts zum Erlass des Steuerbescheides mit Vorläufigkeitsvermerk
nach § 165 AO.
Im Namen des Volkes
URTEIL
In dem Rechtsstreit
hat der 13. Senat in der Besetzung Vorsitzender Richter am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … Richterin am Finanzgericht
… ehrenamtliche Richterin … ehrenamtlicher Richter … auf Grund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 11.04.2013 für Recht
erkannt:
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im vorliegenden Verfahren über die Frage, ob der Beklagte verpflichtet ist, im Hinblick auf eine
mögliche Definitivbelastung der Klägerin durch einen späteren Wegfall von Verlustvorträgen die streitbefangenen, unter Anwendung
der Mindestbesteuerungsvorschriften durchgeführten, Veranlagungen mit einem entsprechenden Vorläufigkeitsvermerk zu versehen.
Die Klägerin ist eine im Jahr 1997 gegründete Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die seit der letzten Änderung ihrer Firma
unter ihrem heutigen Namen im Handelsregister L unter der Nummer HRB … erfasst ist. Während sie nach ihrem Geschäftsgegenstand
zunächst als Holdinggesellschaft gegründet war, wird als Geschäftsgegenstand nunmehr schwerpunktmäßig eine Tätigkeit auf dem
Gebiet der Umwelt, insbesondere im Bereich der Wasserversorgung und Abwasserbehandlung sowie der Durchführung von Entsorgungsdienstleistungen
aller Art angegeben. Sie ist sowohl körperschaftsteuerliche als auch gewerbesteuerliche Organträgerin weiterer Gesellschaften
mit beschränkter Haftung. Im Streitjahr 2004 handelte es sich dabei um vier Organgesellschaften.
Sie gab auf der Basis ihres Jahresabschlusses zum 31. Dezember 2004 beim Beklagten die Steuererklärungen für das Streitjahr
ab und wurde im Wesentlichen erklärungsgemäß unter dem Vorbehalt der Nachprüfung zur Körperschaftsteuer und zum Gewerbesteuermessbetrag
2004 sowie zur gesonderten Feststellung des verbleibenden Verlustabzuges zur Körperschaftsteuer und zur gesonderten Feststellung
des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31. Dezember 2004 veranlagt. Dabei flossen die Ergebnisse der Organgesellschaften
in die entsprechenden Besteuerungsgrundlagen bei der Klägerin ein.
Aufgrund einer Prüfungsanordnung aus dem November 2005 fand bei der Klägerin ab dem Jahr 2006 eine Außenprüfung für die Jahre
2001 bis 2004 statt. Diese endete ohne Durchführung einer Schlussbesprechung, da die Beteiligten die Ergebnisse der Außenprüfung
fortlaufend abgestimmt hatten. Das Ergebnis der Außenprüfung ergibt sich aus dem – hinsichtlich der Besteuerungsgrundlagen
unstreitigen – Betriebsprüfungsbericht vom 11. Januar 2011, auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird.
Auf der Basis der Außenprüfungsergebnisse erließ der Beklagte unter dem 14. und 21. März 2011 nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung
– AO – geänderte Bescheide zur Körperschaftsteuer und über den Gewerbesteuermessbetrag 2004 sowie zu den gesonderten Feststellungen
des vortragsfähigen Gewerbeverlustes und des verbleibenden Verlustabzuges bei der Körperschaftsteuer auf den 31. Dezember
2004. Bei den streitbefangenen Festsetzungen und Feststellungen kamen die Vorschriften über die Mindestbesteuerung gemäß §
8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes – KStG – i.V.m. § 10d Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes – EStG – bzw. § 10a des Gewerbesteuergesetzes
– GewStG – zur Anwendung. Die Körperschaftsteuer wurde auf 334.888 EUR, der Gewerbesteuermessbetrag auf 407.130 EUR festgesetzt.
Der verbleibende Verlustabzug zur Körperschaftsteuer wurde mit 230.589.931 EUR und der vortragsfähige Gewerbeverlust mit 166.629.972
EUR festgestellt. Die Vorbehalte der Nachprüfung wurden in allen Bescheiden aufgehoben.
Dagegen wandte sich die Klägerin mit Einsprüchen vom 17. und 29. März sowie 1. April 2011. Zur Begründung verwies sie zunächst
auf den Beschluss des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 26. August 2010 (I B 49/10, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs
– BFHE – 230,445, Bundessteuerblatt – BStBl – II 2011, 826), in dem der BFH es für ernstlich zweifelhaft angesehen hatte,
ob die so genannte Mindestbesteuerung gemäß § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG verfassungsrechtlichen Anforderungen auch dann standhalte,
wenn eine Verlustverrechnung in späteren Veranlagungszeiträumen aus rechtlichen Gründen endgültig ausgeschlossen sei. Da nicht
ausgeschlossen werden könne, dass künftige Umstrukturierungen des Konzerns der Klägerin die Verlustvorträge nach § 8c KStG
gefährden könnten, müssten die Veranlagungen für alle Jahre, in denen die Mindestbesteuerung zur Anwendung gekommen sei, für
eine entsprechende Korrektur offen gehalten werden. Sie beantragte deshalb die Bescheide insoweit nach § 165 AO vorläufig
zu erlassen.
Mit verbundener Einspruchsentscheidung vom 22. Februar 2012 wies der Beklagte die Einsprüche als unbegründet zurück. Die angefochtenen
Bescheide seien nicht unter Vorläufigkeitsvermerk zu stellen. Eine vorläufige Festsetzung bzw. Feststellung scheitere sowohl
aus materiell-rechtlichen als auch aus verfahrensrechtlichen Gründen.
Die Setzung eines Vorläufigkeitsvermerks sei nach § 165 Abs. 1 Satz 1 AO nur zulässig, soweit ungewiss sei, ob ein Tatbestand
verwirklicht sei, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpfe. Ein Vorläufigkeitsvermerk nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3
AO setze voraus, dass ein Musterverfahren beim Bundesverfassungsgericht – BVerfG – anhängig sei. Beide Voraussetzungen seien
nicht erfüllt.
Eine Tatsachenungewissheit bestehe nicht, da der Sachverhalt des Veranlagungszeitraums 2004 sicher feststehe. Streitig sei
allein, ob ein zukünftig eintretendes Ereignis rückwirkende Auswirkungen auf den Veranlagungszeitraum haben könne. Bis zum
Jahr 2010 sei ein derartiges Ereignis aber nicht eingetreten. Es könne ausgeschlossen werden, dass ein noch späteres Ereignis
aus verfassungsrechtlichen Gründen im Rahmen der Veranlagung für das Streitjahr 2004 Berücksichtigung finden müsse. Insoweit
verweist der Beklagte auf die Rechtsprechung des BFH, wonach keine verfassungsrechtlichen Zweifel an einer Verlustausgleichsbeschränkung
bestünden, soweit der Verlustausgleich nicht versagt, sondern nur zeitlich gestreckt werde. Selbst wenn man eine verfassungskonforme
Einschränkung des § 10d EStG unter bestimmten Konstellationen für zulässig und erforderlich halte, könnte dies jedenfalls
nach Ablauf des Jahres 2010 nicht mehr den Veranlagungszeitraum 2004 betreffen.
Ein Musterverfahren beim BVerfG sei nicht anhängig. Insofern scheide auch eine Vorläufigkeit im Hinblick auf die mögliche
Unvereinbarkeit der Vorschriften über die Mindestbesteuerung mit dem Grundgesetz – GG – aus.
Letztlich verweist der Beklagte darauf, dass die Entscheidung über die Setzung eines Vorläufigkeitsvermerks gemäß § 165 AO
eine Ermessensentscheidung sei. Gegenwärtig bestehe unabhängig von den zuvor dargestellten Rechtsfragen kein Bedürfnis für
die Beifügung eines Vorläufigkeitsvermerks bezüglich der möglichen Auswirkungen einer zukünftigen, rückwirkenden Änderung
der Sach- und Rechtslage, da diese nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO Berücksichtigung finden könne. Gegenteiliges könne aus
der Entscheidung des BFH in BStBl II 2011, 826 nicht abgeleitet werden. Soweit dort die Möglichkeit einer vorläufigen Steuerfestsetzung
erwogen worden sei, bedeute dies nicht, dass der BFH eine vorläufige Steuerfestsetzung für zwingend geboten halte. Vielmehr
sei gleichrangig die Möglichkeit einer Korrektur nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO genannt. Wegen der weiteren Einzelheiten
wird auf die Einspruchsentscheidung verwiesen.
Dagegen wendet sich die Klägerin mit der fristgerecht erhobenen Klage. Unter Bezugnahme auf den unstreitigen Sachverhalt vertritt
sie die Auffassung, dass eine vorläufige Steuerfestsetzung dann vorgenommen werden könne, wenn aufgrund ungewisser Tatsachen
Bedarf entstehen könne, diese nachträglich zu korrigieren.
Die Möglichkeit eines Verlustunterganges bei ihr in den auf das Streitjahr folgenden Jahren stelle eine derartige ungewisse
Tatsache dar. Dies gelte insbesondere hinsichtlich der Möglichkeit eines Verlustuntergangs gemäß § 8c KStG, da der Konzern,
zu dem sie gehöre, eine äußerst komplexe Struktur aufweise, bei der auch versehentlich – und von ihr nicht zu beeinflussen
– der Tatbestand des § 8c KStG durch Umstrukturierungen ausgelöst werden könne.
Entgegen der Auffassung des Beklagten handele es sich insoweit nicht nur um eine ungewisse steuerrechtliche Beurteilung, sondern
um mit Tatsachenfragen unlösbar verbundene rechtliche Beurteilungen. Ob die Mindestbesteuerung im Streitjahr 2004 anzuwenden
sei oder nicht, hänge davon ab, ob es bei verfassungskonformer Auslegung der Vorschrift auch dann bei ihrer Anwendung bleibe,
wenn sie – möglicherweise innerhalb einer gewissen nachfolgenden Zeitspanne – zum definitiven Wegfall der entsprechenden Verluste
führe. Ob die Voraussetzungen für den definitiven Wegfall der Verluste einträten, sei aber Tatbestandsvoraussetzung für die
Anwendung dieser Rechtsüberlegungen. Nach der bisherigen Rechtsprechung des BFH (vgl. BFH-Beschluss vom 8. Juli 1998 I B 111/97,
BStBl II 1998, 702; BFH-Urteil vom 26. Oktober 2005 II R 9/01, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs – BFH/NV –
2006, 478) gehörten auch Vorfragen steuerrechtlicher Art zu den Tatsachen im Sinne des § 165 AO. Der BFH habe bestätigt, dass
sich die Ungewissheit im Sinne des § 165 Abs. 1 Satz 1 AO aus der Abhängigkeit eines Steuerbescheids von Entscheidungen ergeben
könne, die in einem anderen Steuerverfahren zu treffen seien.
Soweit der Beklagte die Anwendung des § 165 AO ablehne, weil die Ungewissheit im vorliegenden Streitverfahren wegen ihrer
Zukunftsbezogenheit nicht aufklärbar sei, sei unklar, welche Konsequenzen daraus abgeleitet werden sollten. Soweit der Beklagte
damit zum Ausdruck bringen wolle, dass § 165 AO auf vergleichbare Fälle nicht anwendbar sei, befinde er sich im Widerspruch
zur Rechtsprechung des BFH. Dieser habe ausdrücklich entschieden, dass die Möglichkeit einer Korrektur von Steuerbescheiden,
die unter Anwendung der Vorschriften der Mindestbesteuerung ergangen seien, für den Fall des definitiven Wegfalls der Verluste
durch § 165 AO geschaffen werden könne. Auch Vertreter der Finanzverwaltung wiesen auf diese Möglichkeit hin.
Auf der Basis der im Zeitpunkt der Klagebegründung (Juli 2012) publizierten Rechtsprechung und Literatur trägt die Klägerin
vor, dass eine sachliche Unbilligkeit eintreten könne, wenn es durch die Anwendung des § 10d Abs. 2 EStG nicht nur zu einer
zeitlichen Verschiebung des Verlustausgleichs komme, sondern zu einem endgültigen Ausschluss des Verlustausgleichs aus tatsächlichen
oder rechtlichen Gründen bei gleichzeitiger Besteuerung des verbleibenden Einkommens. Die Bescheide müssten demnach gemäß
§ 165 Abs. 1 Satz 1 AO vorläufig erlassen werden, um eine Möglichkeit zur verfassungskonformen Auslegung des § 10d EStG nicht
auszuschließen.
Hinsichtlich des vom Beklagten betonten Zeitaspektes verweist sie darauf, dass die Folgejahre noch nicht abschließend besteuert
seien, da die Bescheide unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stünden und die Betriebsprüfung noch nicht abgeschlossen sei.
Soweit der Beklagte seine Entscheidung auf die Möglichkeit einer Korrektur nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO stütze, vermöge
sie ihm nicht zu folgen. Nach ihrer Auffassung stehen beide Korrekturvorschriften nebeneinander. Der Vorläufigkeitsvermerk
stelle gegenüber der Korrektur nach § 175 AO den leichter zu handhabenden Verfahrensweg dar. Im Übrigen wolle sie ihre Rechte
auf breiter Basis wahren. Dies habe der Beklagte bei der Ausübung seines Ermessens nicht berücksichtigt und daher sein Ermessen
nicht pflichtgemäß – auf den vorliegenden Einzelfall hin ausgerichtet – ausgeübt. Im Übrigen sei die Weigerung einen Vorläufigkeitsvermerk
zu setzen, unverhältnismäßig.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Klagebegründungsschrift und den Schriftsatz vom 8. Januar 2013 verwiesen.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verpflichten, den Körperschaftsteuerbescheid für 2004 vom 14. März 2011, den Bescheid über die gesonderte
Feststellung des verbleibenden Körperschaftsteuerverlustabzuges auf den 31. Dezember 2004 vom 14. März 2011, den Gewerbesteuermessbescheid
für 2004 vom 21. März 2011 sowie den Bescheid über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den
31. Dezember 2004 vom 21. März 2011 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22. Februar 2012 hinsichtlich der so genannten
Mindestbesteuerung gemäß § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 10d Abs. 2 EStG, § 10a GewStG für vorläufig zu erklären,
hilfsweise
den Beklagten zu verpflichten, über den Antrag der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden,
im Unterliegensfall, die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Zur Begründung verweist er auf die Einspruchsentscheidung. Ergänzend sei zu beachten, dass die Klägerin eine Vorläufigkeitserklärung
im Hinblick auf eine steuerrechtliche Unklarheit bzw. gegebenenfalls in der Zukunft auftretende Beurteilungsunterschiede bezüglich
eines bereits verwirklichten Sachverhaltes begehre. Dies zeigten die Ausführungen, wonach bei ihr im Rahmen eines international
tätigen Konzerns und vor dem Hintergrund des Organkreises nicht sicher festgestellt werden könne, ob ein schädigendes Ereignis
im Sinne des § 8c KStG eingetreten sei bzw. bei extensiver Gesetzesauslegung im Rahmen einer Außenprüfung eintreten könne.
Entgegen der Auffassung der Klägerin bestehe daher keine Tatsachenungewissheit hinsichtlich der Lebenssachverhalte, die bis
einschließlich 2010 verwirklicht worden seien. Die Ausführungen der Klägerin seien vielmehr so zu verstehen, dass sie die
Ungewissheit der Beurteilung durch eine nachfolgende Betriebsprüfung durch die Vorläufigkeitserklärung überbrücken wolle,
was aber von § 165 AO nicht gedeckt sei. Unsicherheiten in der steuerrechtlichen Beurteilung der feststehenden Sachverhalte
seien kein hinreichender Grund für die Anordnung der Vorläufigkeit (BStBl II 1998, 702).
Unter Bezugnahme auf eine aktuelle Entscheidung des BFH (Urteil vom 22. August 2012 I R 9/11, BFHE 238, 419, Deutsches Steuerrecht
– DStR – 2012, 2435) hält der Beklagte an seiner Auffassung fest, dass die Vorschriften über die Mindestbesteuerung in ihrer
Grundkonzeption nicht gegen das GG verstoßen. Die Klägerin sei daher für das Streitjahr zutreffend und verfassungsgemäß besteuert
worden. Nur wenn in den Folgejahren eine definitive Belastung durch Wegfall des verbleibenden Verlustvortrages eintrete, müsse
überhaupt überprüft werden, ob dies Auswirkungen auf das Streitjahr haben könne. Wenn dies der Fall sei, handele es sich jedenfalls
um ein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, das innerhalb der gemäß § 175 Abs. 1 Satz 2 AO ausgelösten
Verjährungsfrist eine Korrektur der streitigen Veranlagungen ermögliche. Ein Anspruch auf einen Vorläufigkeitsvermerk bestehe
daher aus den bereits in der Einspruchsentscheidung dargelegten Gründen nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze vom 31. Oktober 2012 und 7. März 2013 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber sowohl hinsichtlich des Haupt- als auch des Hilfsantrages unbegründet.
Die angefochtene Entscheidung erweist sich im Rahmen der eingeschränkten Prüfung gemäß § 102 der Finanzgerichtsordnung – FGO
– als rechtmäßig. Der Beklagte hat berechtigt die Setzung des Vorläufigkeitsvermerks im Hinblick auf einen möglichen definitiven
Verlust der Verlustvorträge in der Zukunft abgelehnt.
Die Klage ist als Verpflichtungsklage zulässig.
Das Begehren, einen endgültig ergangenen Bescheid unter einen Vorläufigkeitsvermerk zu stellen, kann zunächst mit dem Einspruch
(Frotscher in Schwarz, Kommentar zur AO, § 165 Rdnr. 121), danach mit der Verpflichtungsklage verfolgt werden (vgl. z.B. Heuermann
in Hübschmann/ Hepp/ Spitaler, AO/FGO, § 165 Rdnr. 45; Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 165 Rdnr. 53; Rüsken in Klein, AO, 11.
Aufl., 2012, § 165 Rdnr. 55b).
Die Klägerin hat zu Recht keinen Antrag auf eine Vorläufigkeitserklärung, sondern einen Antrag auf Verpflichtung des Beklagten
gestellt. Das Finanzgericht darf bei Streitigkeiten über Ermessensentscheidungen i.d.R. nur eine Verpflichtung aussprechen,
die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden (§ 101 Satz 2 FGO) oder wenn der Ermessensspielraum
im konkreten Fall derart eingeschränkt ist, dass lediglich eine Ermessensentscheidung ganz bestimmten Inhalts ermessensgerecht
ist (so genannte Ermessensreduzierung auf Null), den Beklagten entsprechend nach § 101 Satz 1 FGO zu der konkreten Handlung
verpflichten (vgl. BFH-Urteil vom 29. März 2007 IX R 9/05, BFH/NV 2007, 1617 m. w. N.; anders wohl FG Düsseldorf, Urt. vom
12. März 2012 6 K 2199/09 K, Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 2012, 1387 unter 3.).
Zwischen den Beteiligten des vorliegenden Verfahrens ist unstreitig, dass es sich bei der Entscheidung der Finanzbehörde,
ob ein Vorläufigkeitsvermerk gesetzt wird, um eine derartige Ermessensentscheidung handelt (vgl. BFH-Urteil vom 11. Februar
2009 X R 51/06, BFHE 226, 1, BStBl II 2009, 892), bei der nur im Einzelfall ein unmittelbarer Anspruch auf Verpflichtung einer
Finanzbehörde zur Setzung eines Vorläufigkeitsvermerks im Rahmen des § 101 Satz 1 FGO bestehen kann, wenn eine Ermessensreduktion
auf Null gegeben ist (vgl. z. B. Rüsken a.a.O. Rdnr. 26; Seer a.a.O., Rdnr. 25 und 16; BFH-Urteil vom 7. Februar 1992 III
R 61/91, BFHE 167, 279, BStBl II 1992, 592). Dies kann sich insbesondere aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz ergeben, wenn
eine allgemeine Anweisung zur Setzung von Vorläufigkeitsvermerken im Sinne der Regelung in Tz 6 zu § 165 AO des Anwendungserlasses
zur Abgabenordnung – AEAO – vorliegt (vgl. dazu Finanzgericht – FG – Hamburg, Urteil vom 2. Juli 2002 II 47/01, EFG 2002,
1494 unter 4.).
Die zulässige Verpflichtungsklage hat aber keinen Erfolg, da der Beklagte im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen ist, dass
keine Ermessensreduzierung auf Null mit der Folge einer Verpflichtung zur Setzung eines Vorläufigkeitsvermerks im Hinblick
auf den möglichen zukünftigen Untergang der Verlustvorträge der Klägerin vorliegt (1.). Seine Ermessensentscheidung, keinen
Vorläufigkeitsvermerk zu setzen, bewegt sich im Rahmen der gesetzlichen Grenzen des Ermessens und es kann nicht festgestellt
werden, dass er sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat (2.).
1. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass die angefochtenen Bescheide hinsichtlich der so genannten Mindestbesteuerung
gemäß § 8 Abs. 1 KStG i. V. m. § 10d Abs. 2 EStG, § 10a GewStG für vorläufig erklärt werden.
Im Zeitpunkt der insoweit entscheidungserheblichen mündlichen Verhandlung (a.) war der Ermessensspielraum des Beklagten hinsichtlich
des hier streitbefangenen Vorläufigkeitsvermerks nicht derart eingeschränkt, dass lediglich die Entscheidung zur Setzung des
Vorläufigkeitsvermerks ermessensgerecht wäre (b.).
a. Während grundsätzlich bei Verpflichtungsklagen, die auf den Erlass einer Ermessensentscheidung gerichtet sind, die Sach-
und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung maßgeblich ist (vgl. z. B. Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO,
§ 101 FGO Rdnr. 8; von Groll in Gräber, FGO, 7. Aufl., 2010 § 101 Rdnr. 6; Lange in Hübschmann/ Hepp/ Spitaler, AO/FGO, §
101 FGO Rdnr. 27 m. w. N.; BFH-Urteil vom 1. Juli 1981 VII R 84/80, BFHE 134, 79, BStBl II 1981, 740), kommt es bei Ermessensentscheidungen,
wenn wie im Streitfall eine Ermessensreduzierung auf Null geltend gemacht wird, auf die im Zeitpunkt der Entscheidung des
Finanzgerichts bestehende Sach- und Rechtslage an (vgl. BFH-Urteil vom 14. März 2012 XI R 33/09, BFHE 236, 283, BStBl II 2012,
477 mit umfangreichen Nachweisen).
b. Nach Überzeugung des erkennenden Senats besteht im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung und unter Berücksichtigung der
fortentwickelten Rechtsprechung des BFH zur Mindestbesteuerung sowie der dagegen gerichteten Verfassungsbeschwerde keine Ermessensreduzierung
auf Null für den Beklagten, wonach nur die Setzung eines Vorläufigkeitsvermerks im Hinblick auf die möglichen Folgen einer
Definitivsituation, also dem Fall, dass aus der zeitliche Streckung der Verlustausgleichsmöglichkeit zu einem späteren Zeitpunkt
der völlige Ausschluss eines Verlustausgleichs folgt, rechtmäßig wäre.
Der Senat versteht den Antrag der Klägerin so, dass diese sich nicht grundsätzlich gegen die im Streitjahr angewendeten Vorschriften
der Mindestbesteuerung wendet, sondern vielmehr für den Fall, dass es zu einem späteren Zeitpunkt zu einem Definitiveffekt
(vgl. zum Begriff: Bundesministerium der Finanzen – BMF – Schreiben vom 19. Oktober 2011, BStBl I 2011, 974) kommt, über den
begehrten Vorläufigkeitsvermerk eine Änderungsmöglichkeit für die Veranlagungen erhalten will, bei denen die Vorschriften
über die Mindestbesteuerung zur Anwendung gekommen sind.
Dies ergibt sich zunächst aus der Begründung des Antrages auf Setzung des Vorläufigkeitsvermerks, der unter Bezugnahme auf
den Beschluss des BFH in BStBl II 2011, 826 gestellt wurde. Auch im Verlaufe des anschließenden außergerichtlichen und gerichtlichen
Rechtsschutzverfahrens hat die Klägerin ihr Begehren stets im Hinblick auf den möglichen Definitiveffekt begründet, insbesondere
unter Hinweis auf die Folgen aus der Anwendung des § 8c KStG. Hätte sich die Klägerin unmittelbar gegen die Anwendung der
Vorschriften über die Mindestbesteuerung im Streitjahr wenden wollen, hätte sie in der Hauptsache den Antrag stellen müssen,
die Körperschaftsteuer und den Gewerbesteuermessbetrag auf null EUR herabzusetzen.
Die Klägerin begehrt also die Setzung des Vorläufigkeitsvermerks im Hinblick auf die Möglichkeit, dass – aus der Perspektive
des Veranlagungszeitraums – in der Zukunft, – aus der Perspektive des gerichtlichen Entscheidungszeitpunkts – möglicherweise
in der Vergangenheit oder auch in der Zukunft ein Sachverhalt verwirklicht worden ist oder werden wird, der den Definitiveffekt
auslöst.
Hinsichtlich des so verstandenen Antrages auf Setzung eines Vorläufigkeitsvermerk gemäß § 165 Abs. 1 AO besteht für den Beklagten
keine Ermessensreduktion auf Null.
Dies gilt zunächst für die Möglichkeit, nach § 165 Abs. 1 Satz 1 AO einen Vorläufigkeitsvermerk wegen ungewisser Tatsachen
zu setzen.
Eine derartige Ermessensreduzierung auf Null setzte voraus, dass durch die Sachlage des Einzelfalls die Ermessensgrenzen so
eingeengt sind, dass nur eine bestimmte Entscheidung möglich ist, während jede andere notwendig zu einem Ermessensfehler führen
müsste (vgl. Drüen in Tipke Kruse, AO/FGO, § 5 AO Rdnr. 76; Gersch in Klein, AO, § 5 Rdnr. 12; Wernsmann in Hübschmann/ Hepp/
Spitaler, AO/FGO § 5 AO Rdnr. 231 jeweils mit Nachweisen zur Rechtsprechung des BFH).
Eine solche Situation ist im Streitfall nicht gegeben. Dagegen spricht bereits der Wortlaut des Gesetzes. Danach kann eine
Steuer vorläufig festgesetzt werden, soweit ungewiss ist, ob die Voraussetzungen für die Entstehung einer Steuer eingetreten
sind. Dies betrifft vorrangig Fälle, in denen der Sachverhalt bereits verwirklicht ist, er aber vorübergehend nicht mit der
hinreichenden Sicherheit festgestellt werden kann (vgl. Heuermann in Hübschmann/ Hepp/ Spitaler, AO/FGO, § 165 Rdnr. 7; Seer
in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 165 Rdnr. 8; Rüsken in Klein, AO, 11. Aufl., 2012, § 165 Rdnr. 5). Anwendungsfälle sind zum Beispiel
Wertungewissheiten bei der Anschaffung abschreibbarer Wirtschaftsgüter oder Ungewissheit über das Vorliegen der Gewinnerzielungsabsicht
bei der Prüfung, ob eine steuerrelevante Tätigkeit im Rahmen der Einkunftsarten ausgeübt wird (weitere Beispiele bei Seer
a.a.O.).
Im Streitfall geht es aber nicht um eine Ungewissheit bei der Entstehung der Steuer des Streitjahres 2004, sondern vielmehr
um die Frage, ob ein aus der Perspektive des Steuerentstehungszeitpunktes (Ablauf des 31. Dezember 2004) in der Zukunft möglicherweise
eintretendes Ereignis aus verfassungsrechtlichen Gründen auf den Veranlagungszeitraum zurückwirken wird und dort zu einer
veränderten Steuerfestsetzung führen muss. Es ist im Zeitpunkt der Entscheidung aber vollkommen unklar, ob jemals ein Lebenssachverhalt
verwirklicht werden wird, durch den ein Definitiveffekt hinsichtlich der von der Klägerin zum Bilanzstichtag 31. Dezember
2004 vorgetragenen Verluste ausgelöst werden könnte. Auch die Klägerin selbst hat nicht vorgetragen, dass zwischenzeitlich
ein derartiger Sachverhalt verwirklicht worden sei. Es handelt sich also um die Möglichkeit, dass zukünftig ein – möglicherweise
– rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO eintreten wird (wegen der vielfältigen Möglichkeiten insoweit
wird auf den Beispielkatalog unter Textziffer 2.4 des AEAO zu § 175 verwiesen).
Da der Gesetzgeber für derartige Lebenssachverhalte eine spezielle Korrekturvorschrift in § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO geschaffen
hat, deren Anwendung auf Grund der besonderen Verjährungsregelung in § 175 Abs. 1 Satz 2 AO auch nicht durch zwischenzeitlichen
Eintritt der Festsetzungsverjährung unmöglich gemacht werden kann, besteht für den Beklagten – ungeachtet möglicher Ermessenserwägungen,
die für einen Vorläufigkeitsvermerk sprechen könnten – keinesfalls eine Ermessensreduktion auf Null.
Gleiches gilt für die Möglichkeit, einen Vorläufigkeitsvermerk nach § 165 Abs. 1 Satz 2 AO wegen der in Nr. 1 bis 4 genannten
Rechtsungewissheiten und Musterverfahren zu setzen.
Es besteht in Rechtsprechung (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 7. Februar 1993 III R 61/91, BFHE 166, 418, BStBl II 1992, 592; FG
Hamburg, EFG 2002, 1494) und Literatur (vgl. z. B. Wernsmann a.a.O., Rdnr. 231/232) weitgehend Einvernehmen, dass insoweit
Fälle der Ermessensreduktion auf Null denkbar sind, z.B. bei einer allgemeinen Weisung zur Setzung des Vorläufigkeitsvermerks
in vergleichbaren Fällen oder wenn ansonsten die Notwendigkeit bestünde, ein Klageverfahren nach § 74 FGO auszusetzen. Die
einzelnen Finanzbehörden sind aber gehalten, von der Möglichkeit der Vorläufigkeitsfestsetzung nur dann Gebrauch zu machen,
soweit sie hierzu durch das BMF oder gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder angewiesen worden sind
(vgl. Textziffer 6 des AEAO zu § 165).
Auch danach besteht im vorliegenden Verfahren keine Ermessensreduzierung auf Null. Eine allgemeine Anweisung zur Setzung von
Vorläufigkeitsvermerken in den Fällen eines Definitiveffekts bzgl. der Mindestbesteuerung kann nicht festgestellt werden.
Vielmehr hat das BMF in BStBl I 2011, 974 unter Bezugnahme auf den Beschluss des BFH in BStBl II 2011, 826 für bestimmte Lebenssachverhalte
die Aussetzung der Vollziehung angewiesen, aber keine Ausführungen zum Vorläufigkeitsvermerk gemacht.
Nach Überzeugung des erkennenden Senats besteht auch keine Verpflichtung, das vorliegende Verfahren nach § 74 FGO auszusetzen,
wenn der Vorläufigkeitsvermerk nicht gesetzt wird. Nach herrschender Meinung (vgl. Nachweise bei Koch in Gräber, FGO, § 74
Rdnr. 12; Brandis in Tipke/Kruse, § 74 FGO Rdnr. 14) ist ein finanzgerichtliches Verfahren ggf. nach § 74 FGO auszusetzen,
wenn ein nicht offensichtlich aussichtsloses Musterverfahren beim BVerfG anhängig ist, dessen Gegenstand die Verfassungsmäßigkeit
einer im Streitfall entscheidungserheblichen gesetzlichen Regelung und nicht (nur) die Verfassungsmäßigkeit der Auslegung
und Anwendung an sich verfassungsgemäßer Normen ist, und zahlreiche Parallelverfahren in der Finanzgerichtsbarkeit anhängig
sind.
Die Besonderheit des vorliegenden Verfahrens liegt darin, dass alleiniger Streitgegenstand die Anwendung des § 165 AO ist.
Soweit für den Senat ersichtlich, liegen zu der hier streitigen Frage auch keine Musterverfahren beim BFH oder BVerfG vor.
Die Verfassungsbeschwerde (Aktenzeichen 2 BvR 2998/12) gegen die Entscheidung des BFH vom 22. August 2012 (I R 9/11, BFHE
238, 419, BFH/NV 2013, 161) zielt auf die generelle Nichtanwendung der Vorschriften über die Mindestbesteuerung im Hinblick
auf eine in 15 oder 20 Jahren prognostizierte Liquidation der dortigen Klägerin ab. Es geht dort also um die Nichtanwendung
der streitbefangenen Mindestbesteuerungsvorschriften vor Eintritt des Definitiveffekts. Unabhängig davon stellt die Frage,
ob ein Vorläufigkeitsvermerks zu setzen ist, einen von der eigentlichen Steuerfestsetzung zu unterscheidenden Streitgegenstand
dar (vgl. z. B. BFH Urteile vom 11. Februar 2009 X R 51/06, BFHE 226, 1, BStBl II 2009, 892; vom 23. Januar 2013 I R 35/12,
DStR 2013, 646).
Es kann daher hier dahingestellt bleiben, ob der Senat bei gleicher Rechtsfrage in dem vorliegenden Verfahren und dem Verfahren
vor dem BVerfG – ohne einen entsprechenden Antrag der Klägerin – das Klageverfahren nach § 74 FGO aussetzen müsste, obwohl
diverse Entscheidungen des BFH vorliegen, die die Verfassungsmäßigkeit der Streckung der Verlustverrechnung durch die Vorschriften
der Mindestbesteuerung bejaht haben (vgl. z.B. neben den bereits genannten Entscheidungen des I. Senats des BFH vom 22. August
2012 und 23. Januar 2013 die Entscheidungen des IV. Senats des BFH vom 20. September 2012 IV R 36/10, BFHE 238, 429, BFH/NV
2013, 138; und IV R 29/10, BFHE 238, 518, BFH/NV 2013, 103) und die Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde mangels
Publikation der Begründung nicht eingeschätzt werden können.
2. Der Beklagte hat sich mit seiner Entscheidung, keinen Vorläufigkeitsvermerk zu setzen, auch im Rahmen der gesetzlichen
Grenzen des ihm eingeräumten Ermessens bewegt. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass er sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt
hat.
Hinsichtlich der Überprüfung der Ermessensentscheidung des Beklagten ist insoweit die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der
letzten Verwaltungsentscheidung maßgeblich. Dies entspricht der ganz herrschenden Meinung zur Überprüfung von Ermessensentscheidungen
(vgl. z. B. Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 101 FGO Rdnr. 8; von Groll in Gräber, FGO, 7. Aufl., 2010 § 101 Rdnr. 6; Lange
in Hübschmann/ Hepp/ Spitaler, AO/FGO, § 101 FGO Rdnr. 27 m.w.N.; BFH-Urteil vom 1. Juli 1981 VII R 84/80, BFHE 134, 79, BStBl
II 1981, 740) und ist zwischen den Beteiligten des vorliegenden Verfahrens nicht umstritten.
Grundsätzlich unstreitig zwischen den Beteiligten und dem Gericht ist auch, dass sich der Beklagte bei seiner Entscheidung,
die Setzung eines Vorläufigkeitsvermerk abzulehnen, innerhalb der gesetzlichen Grenzen des § 165 AO, der ein entsprechendes
Entschließungsermessen einräumt, bewegt hat.
Entgegen der Auffassung der Klägerin erweist sich die Entscheidung des Beklagten unter Berücksichtigung der Sach- und Rechtslage
im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung im Ergebnis auch als ermessensfehlerfrei.
Eine fehlerfreie Ermessensausübung setzt voraus, dass die Behörde ihre Entscheidung anhand eines einwandfrei und erschöpfend
ermittelten Sachverhalts trifft und dabei die Gesichtspunkte tatsächlicher und rechtlicher Art berücksichtigt, die nach Sinn
und Zweck der Norm, die das Ermessen einräumt, maßgeblich sind (vgl. BFH, BStBl II 2012, 477 unter II. 4.b. cc. m.w.N.).
Die Besonderheit des vorliegenden Verfahrens liegt insoweit darin, dass der Beklagte seine ablehnende Entscheidung auf mehrere
Begründungen gestützt hat.
Dass der Vorläufigkeitsvermerk im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung nicht nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO auf ein anhängiges
Musterverfahren vor dem BVerfG gestützt werden konnte, ist zwischen den Beteiligten unstreitig.
Zwar sind die von der Klägerin im Kern angegriffenen Ausführungen des Beklagten zur Frage eines möglichen Vorläufigkeitsvermerks
gem. § 165 Abs. 1 Satz 1 AO wegen Ungewissheit im Tatsächlichen problematisch. Das Vorbringen des Beklagten insoweit stellt
eine, teilweise in sich widersprüchliche, Vermischung von Definitionen und angenommenen Folgen einer möglichen Verfassungswidrigkeit
definitiver Effekte, insbesondere deren maximaler zeitlicher Rückwirkung dar. Der Senat kann aber im vorliegenden Verfahren
offen lassen, ob diese Ausführungen den Anforderungen an eine fehlerfreie Ermessensausübung genügen. Denn der Beklagte hat
seine Entscheidung, keinen Vorläufigkeitsvermerk zu setzen, auf eine zweite eigenständige Begründung gestützt, bei deren Begründung
kein Ermessensmangel festgestellt werden kann.
Ausdrücklich unter Übernahme der Auffassung der Klägerin, es handle sich hinsichtlich der Möglichkeit des Eintritts eines
Definitiveffekts in späteren Jahren um eine in den Anwendungsbereich des § 165 Abs. 1 Satz 1 AO fallende – ggf. mit Rechtsfragen
unlösbar verbundene – Tatsachenungewissheit, ist die Setzung des Vorläufigkeitsvermerk abgelehnt worden, da nach Überzeugung
des Beklagten selbst bei dieser Ausgangslage kein Bedürfnis für einen Vorläufigkeitsvermerk bestehe, weil die später eintretende,
rückwirkende Änderung der Rechtslage durch eine Korrektur nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO umgesetzt werden könne.
Er bewegte sich insoweit im Rahmen der alternativen Überlegungen des BFH in dem Beschluss vom 26. August 2010,BStBl II 2011,
826 und des zwischenzeitlich ergangenen BMF-Schreibens in BStBl I 2011, 974, wo das BMF unter Textziffer 5 ebenfalls eine
Rückwirkung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO thematisiert hatte.
Der Beklagte hat mit seiner Entscheidung deutlich gemacht, dass er das Interesse der Klägerin erkannt hat, dieses aber durch
alternative Korrekturvorschriften als hinreichend gewahrt ansieht. Er befand sich mit dem Verweis auf die Korrekturmöglichkeit
bei rückwirkenden Ereignissen in Übereinstimmung mit der publizierten höchstrichterlichen Rechtsprechung und den Verlautbarungen
des BMF. Dies stellt im Hinblick auf den weiten Ermessensspielraum, der der Verwaltung nach § 165 AO eingeräumt worden ist,
und unter Berücksichtigung der allgemeinen Vorgaben für die Ermessensausübung (vgl. Textziffer 1 des AEAO zu § 5 AO) eine
vertretbare Entscheidung im Rahmen des Ermessensspielraums dar.
Im Rahmen der eingeschränkten Prüfung gem. § 102 FGO hat der Senat nicht zu entscheiden, ob die umgekehrte Entscheidung, der
Setzung eines Vorläufigkeitsvermerks im Hinblick auf die möglichen Effekte einer Definitivsituation, nicht für das Kooperationsverhältnis
mit der Klägerin, die kein unangemessenes Begehren an den Beklagten gerichtet hatte, und den von erheblichen Haftungsrisiken
bedrohten Berater die bessere und zukunftsweisende Entscheidung gewesen wäre.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.