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  • 29.11.2011 · IWW-Abrufnummer 120076

    Finanzgericht Niedersachsen: Urteil vom 14.09.2011 – 3 K 447/10

    Zur Frage, ab wann eine originär gewerbliche Tätigkeit zu Anwendung der Abfärberegelung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG führt.


    Die Höhe des Freibetrages nach § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 GewStG stellt eine geeignete Größe zur Anwendung der Abfärberegelung dar.


    Tatbestand
    Die Beteiligten streiten über die Frage, ob die Einkünfte der Klägerin als gewerbliche Einkünfte anzusehen sind.
    Die Klägerin wurde zum 1. Januar 2007 als Werbeagentur von den zu jeweils hälftig beteiligten Gesellschaftern K. und P. gegründet und zum 30. Juni 2008 wieder abgemeldet. Seit dem 1. Juli 2008 wird die Geschäftstätigkeit durch die P. GmbH mit denselben Beteiligten fortgeführt.
    Die Klägerin hat ihren Gewinn durch Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (im Folgenden: EStG) ermittelt und in ihren Steuererklärungen Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit erklärt.
    Bei einer im Jahr 2009 durchgeführten Außenprüfung des Prüfungszeitraums 2007 wurde festgestellt, dass in den bisher erklärten Einkünften aus selbständiger Tätigkeit auch Einnahmen aus Provisionszahlungen enthalten waren, die als Entgelt für die Vermittlung von Druckaufträgen gezahlt wurden und unstreitig den Einkünften aus gewerblicher Tätigkeit zuzurechnen waren. Laut Bericht der Außenprüfung vom 17. Juli 2009 betrugen die Einnahmen aus Provisionszahlungen im Prüfungszeitraum 2007 insgesamt 10.840 € und damit 4,18% der Gesamterlöse (netto) in Höhe von 259.330,52 €. Der Anteil der erklärten Provisionen im Zeitraum 1. Januar bis 30. Juni 2008 am Gesamterlös betrug 4,91% (8.237,26 € von 167.724 €).
    Die Beklagte sah die Voraussetzungen der sog. Abfärberegelung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG als gegeben an, da die in dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 11. August 1999 (XI R 12/98, BStBl. II 2000, 229) genannte Geringfügigkeitsgrenze von 1,25% überschritten war. Dementsprechend qualifizierte sie sämtliche Einkünfte der Klägerin in Bescheiden für das Jahr 2007 vom 27. Juli 2009 und für das Jahr 2008 vom 22. Oktober 2009 als solche aus Gewerbebetrieb und setzte gleichzeitig für die Streitjahre Gewerbesteuermessbeträge fest. Der für die Klägerin maßgebliche Gewerbesteuerhebesatz beträgt 430%.
    Nach erfolglosem Vorverfahren hat die Klägerin am 30. Juli 2010 Klage erhoben.
    Sie ist der Auffassung, der Anteil der gewerblichen Einnahmen am Gesamterlös sei als nur geringfügig einzuordnen, und verweist auf die von dem Finanzgericht Münster in seinem Urteil vom 19. Juni 2008 (8 K 4272/06 G, EFG 2008, 1975) genannte Grenze von 5%.
    Die Klägerin beantragt sinngemäß,
    den Bescheid für 2007 über den Gewerbesteuermessbetrag vom 27. Juli 2009 und den Bescheid für 2008 über den Gewerbesteuermessbetrag vom 22. Oktober 2009, jeweils in der Fassung des Einspruchsbescheides vom 29. Juni 2010, ersatzlos aufzuheben.
    Der Beklagte beantragt,
    die Klage abzuweisen.
    Er bleibt bei seiner Auffassung, dass die Geringfügigkeitsgrenze aufgrund der genannten Entscheidung des Bundesfinanzhofs bei 1,25% anzusetzen und daher im Streitfall überschritten sei.
    Gründe
    I. Die zulässige Klage ist begründet.
    Die Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag für die Streitjahre vom 27. Juli 2009 und vom 22. Oktober 2009 und die hierzu ergangenen Einspruchsentscheidungen sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung). Die Tätigkeit der Klägerin ist nicht als gewerblich zu qualifizieren.
    1. Der Gewerbesteuer unterliegt nach § 2 Abs. 1 Satz 1 des Gewerbesteuergesetzes (im Folgenden: GewStG) jeder stehende Gewerbebetrieb, soweit er im Inland betrieben wird. Nach § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG ist unter Gewerbebetrieb ein gewerbliches Unternehmen im Sinne des Einkommensteuergesetzes zu verstehen. Gewerbebetrieb im Sinne des § 15 Abs. 2 Satz 1 EStG ist eine selbständige nachhaltige Betätigung, die mit der Absicht, Gewinn zu erzielen, unternommen wird und sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt, wenn die Betätigung weder als Ausübung von Land- und Forstwirtschaft noch als eine Ausübung eines freien Berufs noch als eine andere selbständige Arbeit anzusehen ist. Als Gewerbebetrieb in vollem Umfang gilt allerdings nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG auch die mit Einkünfteerzielungsabsicht unternommene Tätigkeit einer Offenen Handelsgesellschaft, einer Kommanditgesellschaft oder einer anderen Personengesellschaft, wenn die Gesellschaft auch eine Tätigkeit im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1 der Vorschrift ausübt.
    Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Haupttätigkeit der Klägerin auf dem Gebiet des Webdesigns nicht als gewerbliche Tätigkeit in diesem Sinne, sondern als freiberufliche Tätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG einzuordnen ist. Allerdings übt die Klägerin mit der Vermittlung von Druckaufträgen - ebenfalls unstreitig - auch eine gewerbliche Tätigkeit aus, die nach der gesetzlichen Anordnung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG zu einer Einordnung ihrer Einkünfte in vollem Umfang als solche aus Gewerbebetrieb führen würde.
    2. Nach dem Wortlaut des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG reicht selbst eine geringfügige gewerbliche Tätigkeit neben einer ansonsten nicht gewerblichen Tätigkeit für den Eintritt der Abfärbewirkung aus. Es ist jedoch nahezu einhellige Auffassung in Rechtsprechung und Literatur, dass die Abfärberegelung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG nicht ausnahmslos zur Wirkung kommen darf. Vielmehr soll sie aus Gründen der Verhältnismäßigkeit bei einem „äußerst geringen Anteil” originär gewerblicher Tätigkeit keine Anwendung finden (vgl. BFH-Urteil vom 11. August 1999 - XI R 12/98, BFHE 189, 419, BStBl. II 2000, 299). Das Bundesverfassungsgericht hat die Abfärberegelung gerade auch im Hinblick auf ihre restriktive Interpretation durch die Fachgerichte als „verfassungsrechtlich vertretbar” bewertet (Urteil vom 15. Januar 2008 - 1 BvL 2/04, BVerfGE 120, 1). Es ist allerdings streitig, bis zu welcher Grenze ein „äußerst geringer Anteil” vorliegt.
    a. Der Bundesfinanzhof hat mit Urteil vom 11. August 1999 (XI R 12/98, BFHE 189, 419, BStBl. II 2000, 299) entschieden, dass jedenfalls bei einem Anteil von 1,25% der originären gewerblichen Tätigkeit die umqualifizierende Wirkung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG nicht eingreift. In einem Beschluss in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes vom 8. März 2004 (IV B 212/03, BFH/NV 2004, 954) hat er einen Anteil von 2,81% als unschädlich angesehen. In den Gründen wird auf den Freibetrag des § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 GewStG in Höhe von 24.500 € verwiesen, der sich „aus Gründen des Sachzusammenhangs” für die Bestimmung der Höhe einer Geringfügigkeitsgrenze anbiete. Das Finanzgericht Münster (Urteil vom 19. Juni 2008 - 8 K 4272/06 G, EFG 2008, 1975) lehnt die Heranziehung des Freibetrages nach § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 GewStG ausdrücklich ab und sieht einen Anteil der originär gewerblichen Einkünfte von 5% als geringfügig an. Das FG Köln (Urteil vom 1. März 2011 - 8 K 4450/08, EFG 2011, 1167) stellt dagegen auf die Verhältnismäßigkeit der steuerlichen Auswirkung im Einzelfall ab.
    b. Nach Auffassung des Gerichts stellt die Höhe des gewerbesteuerlichen Freibetrages nach § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 GewStG eine geeignete Größe zur gleichheits- und verhältnismäßigen Anwendung der Abfärberegelung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG dar.
    Zwar führt das FG Münster in seinem Urteil (vom 19. Juni 2008 - 8 K 4272 G, EFG 2008, 1975) zutreffend aus, dass der Freibetrag nicht den Zweck hat, Klein- und Kleinstgewerbetreibende gewerbesteuerlich freizustellen, sondern im Hinblick auf eine rechtsformneutrale Ausgestaltung der Gewerbesteuer bei Personenunternehmen einen fiktiven Unternehmerlohn berücksichtigen soll. Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass ein Gewerbeertrag in Höhe dieses Betrages - bei Anwendung der von dem Bundesverfassungsgericht (im Urteil vom 15. Januar 2008 - 1 BvL 2/04, BVerfGE 120, 1) nahegelegten „Gestaltungsoption”, nämlich der Gründung einer zweiten personenidentischen Schwestergesellschaft - gewerbesteuerlich nicht belastet würde. Sinn und Zweck der Abfärberegelung soll es sein, „die erheblichen Schwierigkeiten zu vermeiden, mit denen die Ermittlung von Einkünften unterschiedlicher Einkunftsarten ein und derselben Gesellschaft verbunden wäre” (BFH-Urteil vom 30. August 2001 - VI R 43/00, BStBl. II 2002, 152). Ist daher die Trennung der selbständigen von den gewerblichen Einkünften - wie im Streitfall - völlig unproblematisch und unstreitig möglich, besteht keine Rechtfertigung die in einer Personengesellschaft anfallenden Einkünfte steuerlich anders zu behandeln als diejenigen, die in zwei organisatorisch getrennten Schwestergesellschaften erzielt werden. Es erscheint daher unabhängig vom Sinn und Zweck des gewerbesteuerlichen Freibetrages geboten, diesen als Orientierung für die Bemessung der Geringfügigkeit der gewerblichen Einkünfte heranzuziehen.
    Im Streitfall kommt hinzu, dass es bei Anwendung der Abfärberegelung im Jahr 2007 wegen originär gewerblichen Einkünften der Klägerin in Höhe von 10.840 € zu einer Gewerbesteuer in Höhe von 15.071,50 € und im Jahr 2008 wegen Einkünften in Höhe von 8.237,26 € zu einer Gewerbesteuer in Höhe von 6.170,50 € käme, die gewerblichen Einkünfte damit vollständig oder zu einem überwiegenden Teil „wegbesteuert” würden. Das Gericht ist - im Anschluss an die Ausführungen des FG Köln (Urteil vom 1. März 2011 - 8 K 4450/08, EFG 2011, 1167) - der Auffassung, dass hierdurch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt würde.
    Ob neben dem Rückgriff auf den Freibetrag nach § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 GewStG - kumulativ oder alternativ - eine zusätzliche prozentuale Grenze bei 5% des Gesamtumsatzes zur Anwendung kommt, kann im Streitfall dahinstehen, da die von der Klägerin erzielten gewerblichen Einkünfte in den Streitjahren weder den gewerbesteuerlichen Freibetrag in Höhe von 24.500 € noch die Höhe von 5% des Gesamtumsatzes übersteigen.
    3. Der angefochtene Gewerbesteuerbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung wird aufgehoben. Ein Messbetrag nach § 14 GewStG war nicht festzusetzen, da die Höhe der gewerblichen Einkünfte der Klägerin aus der Vermittlung von Druckaufträgen unter dem Freibetrag des § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 GewStG liegt.
    II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung.
    III. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung). Der Bundesfinanzhof hat sich (in einem Hauptsacheverfahren) bislang noch nicht ausdrücklich zu der umstrittenen Frage geäußert, ob die Abfärbewirkung gem. § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG auch dann Geltung beanspruchen kann, wenn die originär-gewerblichen Einkünfte unter dem gewerbesteuerlichen Freibetrag des § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 GewStG in Höhe von 24.500 € liegen.

    VorschriftenEStG § 15 Abs. 3 Nr. 1