02.08.2013
Finanzgericht München: Urteil vom 13.03.2013 – 3 K 235/10
1. Die Regelung des § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 1 UStG ist, wenn sich der Unternehmer darauf beruft, unionsrechtskonform dahingehend
zu auszulegen, dass abweichend vom Gesetzeswortlaut nicht nur eine juristische Person, sondern auch eine Personengesellschaft
in der Rechtsform einer GmbH & Co KG in das Unternehmen eines Organträgers eingegliedert sein kann. Es ist nicht mit dem Grundsatz
der Rechtsformneutralität vereinbar, die Wirkung der Organschaft auf eine juristische Person als Organgesellschaft zu beschränken.
2. Die für das Vorliegen einer Organschaft erforderliche Beherrschung der Organgesellschaft durch den Organträger ist jedenfalls
bei der vom gesetzlichen Leitbild der Personengesellschaft abweichenden, kapitalistisch strukturierten Personengesellschaft
ebenfalls gegeben.
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
In der Streitsache
hat der 3. Senat des Finanzgerichts München durch … den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht … die Richter am Finanzgericht
… sowie die ehrenamtlichen Richter … auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 13. März 2013 für Recht erkannt:
1. Die Umsatzsteuer für 2001 der Klägerin wird unter Änderung des Umsatzsteuerbescheids vom 9. Dezember 2009 auf … EUR festgesetzt.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in
Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit
in derselben Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I.
Streitig ist, ob die im Streitjahr von der Klägerin sowie der A GmbH an die B GmbH & Co KG (bzw. die B GmbH) sowie die C GmbH
& Co KG (bzw. die C GmbH) erbrachten Leistungen steuerpflichtige Umsätze oder nichtsteuerbare Innenleistungen darstellen.
Satzungsgemäßer Gegenstand des Unternehmens der mit Satzung vom … als … gegründeten Klägerin waren Einrichtung, Betrieb, Beratung
und Verwaltung von Fach- und Rehabilitationskliniken, ärztlichen Versorgungs- und gesundheitstechnischen Einrichtungen, von
Senioren- und Pflegeheimen sowie des Gaststätten- und Beherbergungsgewerbes.
Die Klägerin war alleinige Gesellschafterin der Altenheimbetriebsgesellschaften B GmbH und C GmbH, der Catering- und Reinigungsleistungen
erbringenden Servicegesellschaft A GmbH (nachfolgend: A GmbH) sowie der D GmbH, die mit Gesellschafterbeschluss vom 1. Februar
2001 in E GmbH umfirmierte (nachfolgend: E GmbH).
Geschäftsführer der E GmbH war im Streitjahr Herr X, Geschäftsführer der A GmbH war im Streitjahr Herr Y. Herr X war im Streitjahr
zudem bei der Klägerin angestellt, Herr Y war im Streitjahr zum vertretungsbefugten Generalbevollmächtigten der Klägerin bestellt.
Mit Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 14. August 2000 (im Handelsregister eingetragen am 20. September 2000 bzw.
17. Oktober 2000) wurden die B GmbH in die B GmbH & Co KG (nachfolgend: B KG) sowie die C GmbH in die C GmbH & Co KG (nachfolgend:
C KG) umgewandelt. Nach dieser Umwandlung waren jeweils die Klägerin als Kommanditistin sowie die E GmbH als persönlich haftende
Gesellschafterin an der B KG sowie der C KG beteiligt.
Mit Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 1. Februar 2001 (im Handelsregister eingetragen am 21. März 2001) brachte
die Klägerin ihre Anteile an der B KG sowie der C KG gegen Gewährung neuer Anteile in die E GmbH ein. Die Einbringung erfolgte
mit Rückwirkung zum 19. September 2000 (C KG) bzw. 16. Oktober 2000 (B KG).
In ihrer am 2. August 2004 (Frühleerung) eingereichten Umsatzsteuererklärung für 2001, der der Beklagte (das Finanzamt – FA
–) zustimmte, errechnete die Klägerin ihre Umsatzsteuer mit dem Betrag von … EUR.
Im Anschluss an eine Betriebsprüfung (Bericht vom 3. Dezember 2007) setzte das FA die Umsatzsteuer für 2001 mit nach § 164
Abs. 2 Abgabenordnung (AO) geändertem Bescheid vom 15. April 2008 auf den Betrag von … EUR fest. Hierbei behandelte das FA
die im Streitjahr von der Klägerin sowie der A GmbH an die B KG sowie die C KG erbrachten entgeltlichen Leistungen in Höhe
von … DM als steuerpflichtig. Das FA verwies hierbei auf die Feststellungen der Betriebsprüfung, wonach die B KG sowie die
C KG nach ihrer Umwandlung in Personengesellschaften nicht mehr gem. § 2 Abs. 2 Nummer 2 UStG in das Unternehmen der Klägerin
eingegliedert sein konnten und deshalb die von der A GmbH an sie erbrachten Umsätze steuerbare und steuerpflichtige Außenumsätze
darstellten.
Den dagegen eingelegten Einspruch wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 9. Dezember 2009 als unbegründet zurück.
Hiergegen hat die Klägerin Klage erhoben.
Zur Begründung trägt die Klägerin im Wesentlichen vor, dass die Voraussetzungen einer Organschaft vorlägen. Zwar beschränke
die Vorschrift des § 2 Abs. 2 Nummer 2 UStG den Anwendungsbereich der Organschaft auf Kapitalgesellschaften als mögliche Organgesellschaften,
aber damit verstoße diese Vorschrift gegen Art. 11 der MehrwertsteuerSystemrichtlinie und stehe dem Grundsatz der Rechtsform-
und Wettbewerbsneutralität entgegen. Jedenfalls entfalte die Einbringung der B KG sowie der C KG in die E GmbH steuerrechtliche
Rückwirkung auf den 19. September 2000 (C KG) bzw. 16. Oktober 2000 (B KG) und begründe damit ein Organschaftsverhältnis.
Im Übrigen wird auf die Schriftsätze der Klägerin vom 11. Januar 2010, 12. Januar 2010, 11. Januar 2013 sowie 8. März 2013
verwiesen.
Die Klägerin beantragt,
die Umsatzsteuer für 2001 unter Änderung des Umsatzsteuerbescheids vom 15. April 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung
vom 9. Dezember 2009 auf … EUR herabzusetzen,
hilfsweise
die Revision zuzulassen
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise
die Revision zuzulassen.
Das FA bezieht sich zur Klageerwiderung im Wesentlichen auf die Einspruchsentscheidung und trägt ergänzend dazu vor, dass
sich die Klägerin nicht direkt auf Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 77/388/EWG berufen könne, da dem nationalen Gesetzgeber insoweit
ein Umsetzungsermessensspielraum eingeräumt sei und sich die Regelung des § 2 Abs. 2 Nummer 2 UStG im Rahmen des eingeräumten
Ermessens bewege.
Im Übrigen wird auf den Schriftsatz des FA vom 1. März 2010 verwiesen.
Auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung wird Bezug genommen.
II.
Die Klage ist begründet. Die von der Klägerin und der Organgesellschaft A GmbH an die B KG sowie die C KG erbrachten entgeltlichen
Leistungen unterliegen als sog. Innenumsätze nicht der Umsatzsteuer, da die beiden Kommanditgesellschaften als Organgesellschaften
der Klägerin zu behandeln sind.
1. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG ist Unternehmer, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Die gewerbliche
oder berufliche Tätigkeit wird nach § 2 Abs. 2 Nummer 2 Satz 1 UStG nicht selbständig ausgeübt, wenn eine juristische Person
nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers
eingegliedert ist (Organschaft).
Unionsrechtlich beruht diese Vorschrift auf Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der im Streitjahr anwendbaren Sechsten Richtlinie des
Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG. Danach
können die Mitgliedstaaten im Inland ansässige Personen, die zwar rechtlich unabhängig, jedoch durch gegenseitige finanzielle,
wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, zusammen als einen Steuerpflichtigen behandeln.
Die Ausübung der Ermächtigung, „Personen … als einen Steuerpflichtigen zu behandeln”, führt zu einer „Verschmelzung zu einem
einzigen Steuerpflichtigen[, die] es ausschließt, dass die untergeordneten Personen weiterhin getrennt Mehrwertsteuererklärungen
abgeben und innerhalb und außerhalb ihres Konzerns weiter als Steuerpflichtige angesehen werden, da nur der einzige Steuerpflichtige
befugt ist, diese Erklärungen abzugeben” (Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 22. Mai 2008 C-162/07, Ampliscientifica
und Amplifin, Slg. 2008, I-4019 Rdnr. 19). Dementsprechend setzt die nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG erforderliche Eingliederung
in ein anderes Unternehmen ein Verhältnis der Über- und Unterordnung zwischen einer Organgesellschaft als „untergeordneter
Person” und dem sog. Organträger voraus (Urteile des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 18. Dezember 1996 XI R 25/94, BStBl II 1997,
441; vom 19. Mai 2005 V R 31/03, BStBl II 2005, 671; vom 3. April 2008 V R 76/05, BStBl II 2008, 905 und vom 22. April 2010
V R 9/09, BFH/NV 2010, 1581).
Die Eingliederungsvoraussetzungen des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG dienen der Feststellung, ob das für die Organschaft erforderliche
Über- und Unterordnungsverhältnis vorliegt, das zur Verschmelzung zu nur einem einzigen Steuerpflichtigen führt.
2. Im Streitfall sind die von der A GmbH an die B KG sowie die C KG erbrachten Umsätze in Höhe von … DM nicht steuerbar und
steuerpflichtig, da diese Unternehmen gem. § 2 Abs. 2 Nummer 2 UStG in das Unternehmen der Klägerin eingebunden sind.
a) Die Klägerin ist Unternehmerin im Sinne des § 2 UStG. Sie betätigte sich im Streitjahr nicht lediglich als geschäftsleitende
Holding, sondern erbrachte ausweislich ihres Vortrags in der mündlichen Verhandlung, an dem der Senat nicht zweifelt, an die
mit ihr verbundenen Unternehmen Leistungen gegen Entgelt auf den Gebieten Controlling, Finanzbuchhaltung, steuerliche und
rechtliche Beratung, IT, Facilitymanagement sowie Personalverwaltung. Der B KG überließ sie zudem mobile Pflegeplatzausstattungen
gegen Entgelt.
b) Die A GmbH, die B KG sowie die C KG sind organisatorisch in das Unternehmen der Klägerin eingegliedert.
aa) Die organisatorische Eingliederung setzt voraus, dass der Organträger die mit der finanziellen Eingliederung verbundene
Möglichkeit der Beherrschung der Tochtergesellschaft in der laufenden Geschäftsführung wahrnimmt, wobei er die Organgesellschaft
durch die Art und Weise der Geschäftsführung beherrschen muss (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 5. Dezember 2007 V R 26/06, BStBl
II 2008, 451; vom 14. Februar 2008 V R 12, 13/06, BFH/NV 2008, 1365 und vom 3. April 2008 V R 76/05, BStBl II 2008, 905).
Die organisatorische Eingliederung setzt dabei in aller Regel eine personelle Verflechtung der Geschäftsführungen des Organträgers
und der Organgesellschaft voraus. Neben diesem Regelfall kann sich die organisatorische Eingliederung auch daraus ergeben,
dass leitende Mitarbeiter des Organträgers als Geschäftsführer der Organgesellschaft tätig sind. Demgegenüber reicht es nicht
aus, dass ein leitender Mitarbeiter des Mehrheitsgesellschafters nur Prokurist bei der möglichen Organgesellschaft ist, während
es sich beim einzigen Geschäftsführer der möglichen Organgesellschaft um eine Person handelt, die weder Mitglied der Geschäftsführung
noch leitender Angehöriger des Mehrheitsgesellschafters war (vgl. BFH-Urteil vom 28. Oktober 2010 V R 7/10, BStBl II 2011,
391).
bb) Danach sind die B KG und die C KG organisatorisch mit der Klägerin verflochten. Denn im Streitfall übte der Geschäftsführer
der E GmbH, Herr X, der zudem auch die Geschäfte der B GmbH sowie C GmbH führte, eine leitende Stellung bei der Klägerin aus.
Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem vorgelegten Schreiben der Klägerin an diesen vom 7. Januar 2000, wonach
ihm ab Dezember 1999 die Geschäftsführung aller von der Klägerin betriebenen Einrichtungen auf Basis der Kompetenzregelungen
„Geschäftsleitung operatives Geschäft” übertragen wurde. Da ferner nur die von X geführte E GmbH zur Geschäftsführung der
beiden Kommanditgesellschaften befugt war, ist auch insoweit der organisatorische Einfluss der Klägerin gesichert.
cc) Die A GmbH ist ebenfalls organisatorisch in die Klägerin eingegliedert. Der Geschäftsführer der A GmbH, Herr Y, war mit
Vertrag vom 21. August 1999 zum Generalbevollmächtigten der Klägerin bestellt und übte damit ebenfalls eine leitende Stellung
bei ihr aus. Andernfalls müsste die Klage schon deshalb (teilweise) Erfolg haben, da die Umsätze der A GmbH der Klägerin nicht
zugerechnet werden könnten.
c) Die A GmbH, die B KG sowie die C KG sind wirtschaftlich in das Unternehmen der Klägerin eingegliedert.
aa) Für die wirtschaftliche Eingliederung i.S. von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG müssen die Unternehmensbereiche von Organträger und
Organgesellschaft miteinander verflochten sein. Dabei kann die wirtschaftliche Eingliederung auf entgeltlichen Leistungen
des Mehrheitsgesellschafters (Organträger) gegenüber seiner Tochtergesellschaft (Organgesellschaft) beruhen, wenn diesen für
das Unternehmen der Organgesellschaft mehr als nur unwesentliche (geringfügige) Bedeutung zukommt (vgl. zuletzt BFH-Urteil
vom 6. Mai 2010 V R 26/09, BStBl II 2010, 1114). Es ist dann im Regelfall davon auszugehen, dass der Organträger aufgrund
derartiger Leistungen auf die Organgesellschaft Einfluss nehmen kann, für ihn auch aufgrund der Möglichkeit zur Beendigung
dieser Leistungsbeziehung eine „beherrschende Stellung” besteht (BFH-Urteil vom 9. September 1993 V R 124/89, BStBl II 1994,
129) und somit für ihn „besondere Einwirkungsmöglichkeiten” vorliegen (BFH-Urteil vom 25. Juni 1998 V R 76/97, BFH/NV 1998,
1534).
bb) Die A GmbH, die B KG sowie die C KG sind dem entsprechend wirtschaftlich mit der Klägerin verflochten.
Im Streitfall erbrachte die Klägerin an die A GmbH, die B KG sowie die C KG entgeltliche Leistungen auf den Gebieten Controlling,
Finanzbuchhaltung, steuerliche und rechtliche Beratung, IT, Facilitymanagement sowie Personalverwaltung; diesen zentralen
Verwaltungsleistungen kommt für das Unternehmen der og. Gesellschaften eine nicht nur unwesentliche Bedeutung zu. Umgekehrt
übernahmen die B KG und C KG mit dem Betrieb von Altenheimen sowie die A GmbH als Servicegesellschaft für Catering- und Reinigungsleistungen
für die Klägerin Teile deren Kerngeschäfts.
d) Die A GmbH, die B KG sowie die C KG sind finanziell in das Unternehmen der Klägerin eingegliedert.
aa) Finanziell muss der Organträger in der Weise an der Organgesellschaft beteiligt sein, dass er seinen Willen durch Mehrheitsbeschluss
in der Gesellschafterversammlung durchsetzen kann (BFH-Urteil vom 7. Juli 2011 V R 53/10, BFH/NV 2011, 2195 m.w.N.).
bb) Im Streitfall war die Klägerin im Streitjahr zu 100% an der E GmbH sowie an der A GmbH beteiligt. Die E GmbH war wiederum
Komplementärin der B KG sowie der C KG. Aus diesem Grunde konnte die Klägerin ihren Willen in der Gesellschafterversammlung
der E GmbH sowie an der A GmbH unmittelbar durchsetzen und über die E GmbH als Komplementärin mittelbar bei der B KG sowie
der C KG. Zudem war die Klägerin alleinige Kommanditistin der beiden Kommanditgesellschaften.
e) Der Eingliederung der B KG sowie der C KG steht nicht entgegen, dass diese Unternehmen keine juristischen Personen sind.
aa) Zwar beschränkt § 2 Abs. 2 Nummer 2 Satz 1 UStG seinem eindeutigen Wortlaut nach die Anwendbarkeit der organschaftlichen
Zurechnung (mit der Folge auch der mangelnden Steuerbarkeit der Innenleistungen) auf juristische Personen als Organgesellschaften.
Auch ist eine Rückbeziehung der Einbringung der Anteile der Klägerin an den beiden Kommanditgesellschaften in die E GmbH umsatzsteuerrechtlich
nicht zulässig (vgl. BFH-Urteil vom 10. Dezember 2008 XI R 1/08, BStBl II 2009, 1026).
bb) Die Regelung des § 2 Abs. 2 Nummer 2 Satz 1 UStG ist jedoch – nachdem sich die Klägerin darauf berufen hat – unionsrechtskonform
dahingehend zu erweitern, dass – wie im Streitfall – auch eine Personengesellschaft in der Rechtsform einer GmbH & Co KG in
das Unternehmen eines Organträgers eingegliedert sein kann.
aaa) Nach der Rechtsprechung des EuGH, der sich der BFH angeschlossen hat, müssen die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der
Bestimmungen der Richtlinie 77/388/EWG die ihr zugrunde liegenden allgemeinen Grundsätze, insbesondere den Grundsatz der steuerlichen
Neutralität, beachten (z.B. EuGH-Urteile vom 12. Januar 2006 C-246/04, Turn- und Sportunion Waldburg, Slg. 2006, I-589, und
vom 28. Juni 2007 C-363/05, JP Morgan Fleming Claverhouse Investment Trust plc, Slg. 2007, I-5517; BFH-Urteile vom 26. September
2007 V R 54/05, BStBl II 2008, 262 sowie vom 16. April 2008 XI R 73/07, BStBl II 2009, 1024). Dies gilt auch, wenn Mitgliedstaaten
von Ermächtigungen Gebrauch machen, die ihnen die Richtlinie 77/388/EWG einräumt (BFH-Urteil vom 22. Juli 2010 V R 36/08,
BFH/NV 2011, 316).
Der Grundsatz der Steuerneutralität (vgl. EuGH-Urteil vom 22. Mai 2008 Rs. C-162/07, Ampliscientifica und Amplifin, Slg. 2008,
I-4019 zu Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG:) verlangt in seiner Ausprägung der Rechtsformneutralität (vgl.
dazu EuGHUrteil vom 10. September 2002 Rs. C-141/00, Kügler, Slg. 2002, I-6833 sowie BFH-Urteil vom 14. Mai 2008 XI R 70/07,
BStBl II 2008, 912), dass die Rechtsform des Steuerpflichtigen im Umsatzsteuerrecht grundsätzlich unerheblich ist (vgl. z.B.
BFH-Urteil vom 26. September 2007 V R 54/05, BFHE 219, 241, BStBl II 2008, 262, unter II.1.b, m.w.N.; Birkenfeld, UR 2008,
2, 5, m.w.N.) und gebietet eine weitgehende Gleichbehandlung von Kapital- und Personengesellschaften (vgl. BFH-Urteil vom
1. Dezember 2010 XI R 43/08, BStBl II 2011, 600 m.w.N.).
bbb) Es ist nicht mit dem Grundsatz der Rechtsformneutralität vereinbar, die Wirkung der Organschaft auf eine juristische
Person als Organgesellschaft zu beschränken.
Die für das Vorliegen einer Organschaft erforderliche Beherrschung der Organgesellschaft durch den Organträger ist jedenfalls
bei der im Streitfall vorliegenden, vom gesetzlichen Leitbild der Personengesellschaft abweichenden, kapitalistisch strukturierten
Personengesellschaft ebenfalls gegeben (so auch Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 2 Rz. 840; weitergehend bejaht Birkenfeld,
UR 2010, 198, 202 die allgemeine Eignung von Personengesellschaften als Organgesellschaft). Denn eine Personengesellschaft
in der Rechtsform einer GmbH & Co KG kann wie eine juristische Person – anders als eine natürliche Person oder eine lediglich
aus natürlichen Personen bestehende Personengesellschaft – unselbständig dem Willen eines anderen Rechtsträgers (nämlich des
Organträgers) unterworfen sein, da bei ihr lediglich einD GmbH und damit eine juristische Person als Komplementärin gem. §
164 des Handelsgesetzbuchs (HGB) die Geschäfte führt.
Zum selben Ergebnis gelangt man im Streitfall, wenn man Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG dahingehend versteht,
dass diese Vorschrift den Mitgliedsstaaten zwar ein Ermessen bezüglich der Einführung der Organschaft einräumt, jedoch im
Fall des Gebrauchmachens von dieser Ermächtigung Einschränkungen des Anwendungsbereichs (wie hier die Beschränkung auf juristische
Personen als Organgesellschaften) als unzulässig ansieht (vgl. Schlussanträge des Generalanwalts beim Gerichtshof der Europäischen
Union vom 27. November 2012 in der Rechtssache C-480/10 Europäische Kommission gegen Königreich Schweden zur inhaltlich gleichlautenden
Vorschrift des Art. 11 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem).
f) Ob das FA lediglich die im Streitjahr bis zum Zeitpunkt der Eintragung der formwechselnden Umwandlung in das Handelsregister
am 21. März 2001 erbrachten Leistungen der Klägerin sowie der A GmbH an die B KG sowie die C KG als steuerpflichtig behandelt
hat oder auch die im Zeitraum danach an deren Rechtsnachfolgerinnen, nämlich die B GmbH sowie die C GmbH erbrachten Leistungen,
kann deshalb offenbleiben.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich
der Kosten und über den Vollstreckungsschutz folgt aus § 151 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711
Zivilprozessordnung.
4. Die Revision wird gem. § 115 Abs. 2 Nummer 1 FGO zugelassen, da die Sache grundsätzliche Bedeutung hat.