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  • 21.10.2004 · IWW-Abrufnummer 042714

    Bundesfinanzhof: Urteil vom 15.07.2004 – V R 84/99

    Eine zur Gründung einer Kapitalgesellschaft errichtete Personengesellschaft (sog. Vorgründungsgesellschaft), die nach Gründung der Kapitalgesellschaft die bezogenen Leistungen in einem Akt gegen Entgelt an diese veräußert und andere Ausgangsumsätze von vornherein nicht beabsichtigt hatte, ist zum Abzug der Vorsteuer für den Bezug von Dienstleistungen und Gegenständen ungeachtet dessen berechtigt, dass die Umsätze im Rahmen einer Geschäftsveräußerung nach § 1 Abs. 1 a UStG nicht der Umsatzsteuer unterliegen. Maßgebend sind insoweit die beabsichtigten Umsätze der Kapitalgesellschaft.



    (Nachfolgeentscheidung zum Urteil des EuGH vom 29. April 2004 Rs. C-137/02 --FA Offenbach am Main-Land gegen Faxworld Vorgründungsgesellschaft Peter Hünninghausen und Wolfgang Klein GbR--)


    Gründe:

    I.

    Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine am 1. Oktober 1996 gegründete (Personen-)Gesellschaft bürgerlichen Rechts (F-GbR). Als Vorgründungsgesellschaft war ihr einziger Gesellschaftszweck, die Gründung der Firma F-AG (AG) vorzubereiten. Hierzu mietete sie Büroräume an, erwarb Anlagegüter und ließ in den Büroräumen Einbauten durchführen. Außerdem versandte sie Informationsschreiben und betrieb Werbung für die noch zu gründende AG. Nach Gründung der AG mit notarieller Urkunde vom 28. November 1996 stellte sie ihre Tätigkeit ein und übertrug in Erfüllung ihres Gesellschaftszwecks ihre gesamten zuvor erworbenen Gegenstände zum Kaufpreis von 87 495,29 DM (Rechnung vom 1. Dezember 1996) auf die neu gegründete AG. Die AG konnte ohne weiteres Zutun ihre unternehmerische Tätigkeit in den von der Klägerin angemieteten und für die Bedürfnisse der AG eingerichteten Büroräumen aufnehmen.

    Die Klägerin behandelte diesen Vorgang als nicht steuerbare Geschäftsveräußerung. Die ihr für die in Anspruch genommenen Leistungen in Rechnung gestellte Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt 12 689,98 DM machte sie erfolglos als Vorsteuer geltend (Umsatzsteuerbescheid für 1996 vom 5. Januar 1998). Nach Ansicht des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt --FA--) war die Klägerin nicht Unternehmerin, weil ihr einziger --beabsichtigter-- Ausgangsumsatz die nach § 1 Abs. 1 a des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG) nicht als Lieferung zu behandelnde Geschäftsveräußerung war.

    Das Finanzgericht (FG) gab in dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2000, 40 veröffentlichten Urteil der Klage mit der Begründung statt, der Grundsatz der Neutralität der Umsatzsteuer gebiete die Berücksichtigung der Vorsteuer, auch wenn die Klägerin von vornherein nur beabsichtigt habe, die bezogenen Leistungen nicht selbst zur Ausführung besteuerter Umsätze zu verwenden, sondern die Leistungen nur im Hinblick auf die wirtschaftliche Tätigkeit der zu gründenden AG bezogen habe.

    Hiergegen wendet sich das FA mit der Revision.

    Der erkennende Senat des Bundesfinanzhofes (BFH) hat mit Beschluss vom 23. Januar 2002 V R 84/99 (BFHE 197, 364, BFH/NV 2002, 881) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

    "Ist eine allein mit dem Ziel der Gründung einer Kapitalgesellschaft errichtete (Personen-)Gesellschaft zum Abzug der Vorsteuer für den Bezug von Dienstleistungen und Gegenständen berechtigt, wenn sie nach Gründung der Kapitalgesellschaft die bezogenen Leistungen in einem Akt gegen Entgelt an die später gegründete Kapitalgesellschaft veräußert und andere Ausgangsumsätze von vornherein nicht beabsichtigt waren und wenn in dem betreffenden Mitgliedstaat die Übertragung des Gesamtvermögens so behandelt wird, als ob keine Lieferung bzw. Dienstleistung vorliegt (Art. 5 Abs. 8 Satz 1, Art. 6 Abs. 5 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG in der Fassung der Richtlinie 95/7/EG des Rates vom 10. April 1995 (Richtlinie 77/388/EWG)?"

    Der EuGH hat die Frage mit Urteil vom 29. April 2004 Rs. C-137/02 --Faxworld-- (Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 2004, 362) wie folgt beantwortet:

    "Eine allein mit dem Ziel der Gründung einer Kapitalgesellschaft errichtete Personengesellschaft ist zum Abzug der Vorsteuer für den Bezug von Dienstleistungen und Gegenständen berechtigt, wenn entsprechend ihrem Gesellschaftszweck ihr einziger Ausgangsumsatz die Übertragung der bezogenen Leistungen mittels eines Aktes gegen Entgelt an die Kapitalgesellschaft nach deren Gründung war und wenn, weil der betreffende Mitgliedstaat von der in den Artikeln 5 Absatz 8 und 6 Absatz 5 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, die Übertragung des Gesamtvermögens so behandelt wird, als ob keine Lieferung oder Dienstleistung vorliegt."

    Das FA meint, das Urteil des EuGH sei so zu verstehen, dass umsatzsteuerrechtlich --entgegen der nationalen zivilrechtlichen Beurteilung-- auch die Vorgründungsgesellschaft als mit der Kapitalgesellschaft identisch zu behandeln sei. Deshalb seien der Kapitalgesellschaft die Leistungsbezüge der Vorgesellschaft zuzurechnen und bei ihr zu berücksichtigen. Der BFH müsse klarstellen, dass sich das Urteil nur auf die Identität der Vorgründungsgesellschaft mit der Kapitalgesellschaft beziehe, und dass nicht "jede (Privat-)Person die Umsatzsteuer für Eingangsumsätze in Anspruch nehmen kann, sofern ein Unternehmer hiermit zukünftig wirtschaftliche Tätigkeiten ausübt".

    Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

    Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Revision.

    II.

    Die Revision ist unbegründet. Eine allein mit dem Ziel der Gründung einer Kapitalgesellschaft errichtete (Personen-)Gesellschaft, die nach Gründung der Kapitalgesellschaft die bezogenen Leistungen in einem Akt gegen Entgelt an die später gegründete Kapitalgesellschaft veräußert und andere Ausgangsumsätze von vornherein nicht beabsichtigt hatte, ist zum Abzug der Vorsteuer für den Bezug von Dienstleistungen und Gegenständen ungeachtet dessen berechtigt, dass die Umsätze im Rahmen einer Geschäftsveräußerung nach § 1 Abs. 1 a UStG nicht der Umsatzsteuer unterliegen. Maßgebend sind insoweit die mit der Kapitalgesellschaft beabsichtigten Umsätze.

    1. Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG kann der Unternehmer die folgenden Vorsteuerbeträge abziehen: die in Rechnungen i.S. des § 14 UStG gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen oder sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind.

    a) Diese Voraussetzungen liegen --entgegen der Auffassung des FA-- im Streitfall vor, denn die Klägerin hat die Eingangsleistungen für die Vorbereitung der wirtschaftlichen Tätigkeit der zu gründenden Kapitalgesellschaft bezogen. Dem Vorsteuerabzug der Klägerin steht nicht entgegen, dass nach nationalem Zivilrecht das von der Vorgründungsgesellschaft, der Klägerin, erworbene Vermögen und die von ihr begründeten Rechte und Pflichten nicht ohne weiteres auf die zu gründende Kapitalgesellschaft übergehen, sondern durch besonderes Rechtsgeschäft übertragen werden müssen, und deshalb die beabsichtigte Tätigkeit nicht von demselben Unternehmer ausgeübt wird (vgl. EuGH-Urteil in UR 2004, 362, RandNr. 28 letzter Satz).

    Für die Beantwortung der Frage, ob eine Person Leistungen für Zwecke einer wirtschaftlichen Tätigkeit bezogen hat und deshalb Steuerpflichtige i.S. der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG --Richtlinie 77/388/EWG-- (Unternehmer i.S. des § 2 UStG) ist, muss außer Betracht bleiben, dass die Geschäftsveräußerung nach § 1 Abs. 1 a UStG nicht der Umsatzsteuer unterliegt; hierzu hat der EuGH in RandNr. 29 entschieden, dass der Anwendungsbereich des Art. 4 der Richtlinie 77/388/EWG nicht dadurch geändert werden kann, dass ein Mitgliedstaat von der durch Art. 5 Abs. 8 dieser Richtlinie vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, die --entgeltliche oder unentgeltliche oder durch Einbringung in eine Gesellschaft bewirkte-- Übertragung des Gesamtvermögens oder eines Teilvermögens als nicht steuerbar zu behandeln.

    b) Die Klägerin --und nicht, wie das FA offenbar meint, die noch zu gründende Kapitalgesellschaft-- ist berechtigt, die ihr für die Vorbereitung der Gründung der Kapitalgesellschaft bezogenen in Rechnung gestellten Vorsteuerbeträge nach Maßgabe der von der Kapitalgesellschaft nach ihrer Gründung beabsichtigten Umsätze geltend zu machen.

    Zwar hatte die Klägerin als Vorgründungsgesellschaft nicht die Absicht, selbst besteuerte Umsätze auszuführen, weil ihr einziger Gesellschaftszweck die Vorbereitung der Tätigkeit der Aktiengesellschaft war, dennoch betrifft die Mehrwertsteuer, die die Klägerin abziehen will, Leistungen, die sie zur Durchführung von besteuerten Umsätzen in Anspruch genommen hatte, auch wenn es sich dabei nur um beabsichtigte Umsätze der Kapitalgesellschaft handelte (EuGH-Urteil in UR 2004, 362, RandNr. 41). Um die Neutralität der Umsatzsteuer zu gewährleisten und mit Rücksicht darauf, dass im Fall der nicht steuerbaren Geschäftsveräußerung der Erwerber umsatzsteuerrechtlich Rechtsnachfolger des Übertragenden ist (§ 1 Abs. 1 a UStG), kann unter diesen spezifischen Umständen eine "Vorgründungsgesellschaft als Übertragender die besteuerten Umsätze des Begünstigten der Übertragung, nämlich der Aktiengesellschaft, berücksichtigen ..., um die Vorsteuer auf die Eingangsleistungen, die sie für die Zwecke der besteuerten Umsätze des Begünstigten der Übertragung in Anspruch genommen hat, abzuziehen" (EuGH-Urteil in UR 2004, 362, RandNr. 42).

    Hiernach stand der Klägerin der Vorsteuerabzug zu, denn die Klägerin hat die Leistungen für die unternehmerische Tätigkeit der am 28. November 1996 des Streitjahres 1996 gegründeten AG bezogen.

    RechtsgebieteUStG 1993, Richtlinie 77/388/EWGVorschriftenUStG 1993 § 1 Abs. 1 Buchst. a UStG 1993 § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1993 § 2 Abs. 1 Richtlinie 77/388/EWG Art. 5 Abs. 8 Richtlinie 77/388/EWG Art. 6 Abs. 5