Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • 25.09.2013

    Finanzgericht Hamburg: Beschluss vom 16.08.2013 – 4 K 147/11

    Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften wird
    folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt: War eine Ware im
    Jahr 2005 als Färbemittel oder Farbstoff in die Position
    3212 der Kombinierten Nomenklatur einzureihen, die aus Lösungsmitteln
    und einer Polymethin-Substanz besteht, die zwar eine gewisse - jedenfalls
    auf textile Stoffe nicht beständige - färbende
    Wirkung haben kann, bei der einzureihenden Ware jedoch dazu dient,
    Informationen über in einer Untersuchungslösung
    (vorbehandeltes Blut) enthaltene Partikel (weiße Blutkörperchen)
    dadurch zu erhalten, dass die Substanz im Wege der ionischen Anlagerung
    an definierte Bestandteile der Partikel (Nukleinsäuren) molekulare
    Strukturen bildet, die bei Bestrahlung mit einem Laserlicht bestimmter
    Wellenlänge für eine begrenzte Zeit fluorochrom
    werden und dieser Zustand und sein Ausmaß mit einer speziellen
    Photozelle gemessen wird?


    Tatbestand

    I.

    Die Beteiligten streiten darüber, ob die Ware mit der
    Handelsbezeichnung „A” im Jahr 2005 vorrangig
    als „Färbemittel für den Laborgebrauch” in
    die Pos. 3212 9090 der Kombinierten Nomenklatur (KN) mit einem Zollsatz
    von 6,5 % einzureihen war.


    1. Die Ware ist eine für
    den Einzelverkauf aufgemachte bläulich-transparente Flüssigkeit
    (im Folgenden: die zu tarifierende Flüssigkeit), die zu
    96,9 % bzw. 3 % aus den Lösungsmitteln
    Ethylenglykol bzw. Methanol besteht und zu 0,002 % aus
    einer synthetischen, organischen Substanz, die chemisch den Polymethinen
    angehört und innerhalb der Polymethine zu den Cyaninen zählt
    (im Folgenden Polymethin). Die Ware ist chemisch ein organisches Erzeugnis.


    Die zu tarifierende Flüssigkeit wird bestimmungsgemäß zur
    Untersuchung von weißen Blutkörperchen (Leukozyten)
    eingesetzt. Vor dem Einsatz der zu tarifierenden Flüssigkeit
    ist das zu untersuchende Blut unter Einsatz eines anderen Mittels
    so aufzubereiten, dass die roten Blutkörperchen (Erythrozyten)
    aufgelöst und die Zellmembranen der Leukozyten perforiert
    werden. Wird die zu tarifierende Flüssigkeit zugegeben,
    so kommt es zu einer ionischen Anlagerung des Polymethins an die
    in den perforierten Leukozyten enthaltenen Nukleinsäuren.
    Bei Bestrahlung der aus dem Polymethin der Ware und den Nukleinsäuren
    entstehenden Moleküle mit Laserlicht einer bestimmten Wellenlänge
    (633 nm) wird die Lichtenergie absorbiert und sogleich als Licht
    mit einer etwas längeren Wellenlänge abgestrahlt
    (ca. 660 nm). Diese als Fluoreszenz bezeichnete spontane Emission
    von Licht beim Übergang eines angeregten Systems in einen
    Zustand niedrigerer Energie ist - neben der Phosphoreszenz - eine
    Form der Lumineszenz („kaltes Leuchten”), die
    nach dem Ende der Bestrahlung in kürzester Zeit abklingt.


    In der Anwendungspraxis wird das im Wege der Fluoreszenz abgestrahlte Licht
    in einem Analysegerät durch optische Detektoren gemessen
    und ausgewertet und elektronisch auf einem Monitor dargestellt.
    Durch entsprechende Einstellung des dabei verwendeten EDV-Programms
    kann der Nutzer den Messwerten für die Darstellung auf
    dem Monitor Farben zuweisen, die unabhängig von Eigenfarben
    der Substanzen sind.


    In einer Publikation der Klägerin heißt es
    zur Funktionsweise u. a. wie folgt:


    ”...A ist ein Polymethin-Fluoreszenzfarbstoff, der Nukleinsäuren
    im Kern und Zytoplasma der Leukozyten anfärbt, wodurch
    Rückschlüsse auf die Zellaktivität und
    den Reifegrad möglich sind. ...”


    Zu einer Anhaftung von Farbpartikeln oder zu einer sichtbaren
    Verfärbung der Prüflösung kommt es bei
    der beschriebenen Anwendung nicht.


    2. Die streitgegenständliche Ware
    wurde von der Klägerin am 01.07.2005 und am 04.07.2005
    jeweils unter Angabe der Codenummer 3822 0000 00 0 - Zollsatz 0 % -
    angemeldet und sodann in den freien Verkehr überführt.


    Der Beklagte erließ am 18.06.2007 einen Nacherhebungsbescheid
    in Bezug auf verschiedene Waren; im Hinblick auf die streitgegenständliche
    Ware „A”, weil sie nach Auffassung des Beklagten
    in die Codenummer 3926 9099 90 0 - Zollsatz 6,5 % - einzureihen
    sei.


    Die Klägerin legte Einspruch ein, den der Beklagte mit
    Einspruchsentscheidung vom 13.01.2009 als unbegründet zurückwies.


    Die Klägerin hat am 10.02.2009 Klage erhoben.

    Auf Antrag vom 27.05.2009 erhielt die Klägerin von den
    niederländischen Zollbehörden eine verbindliche
    Zolltarifauskunft (vZTA), in der die streitgegenständliche
    Ware antragsgemäß in die Pos. 3822 KN eingereiht
    wurde.


    Am 12.08.2009 wurde die „Durchführungsverordnung
    (EU) Nr. 827/2011 der Kommission vom 12.08.2011 zur Einreihung
    von bestimmten Waren in die Kombinierte Nomenklatur” (im
    Folgenden: Einreihungsverordnung, ABl EU Nr. L 211/9, Gerichtsakte
    Bl. 90 f.) erlassen. Die Einreihungsverordnung bestimmt, dass die
    Ware mit der Bezeichnung


    „Blauer Polymethin-Farbstoff (Fluoreszenzfarbstoff)
    verdünnt in einem Lösungsmittelgemisch aus Ethylenglykol
    und Methanol. Zusammensetzung (GHT): Ethylenglycol 96,9 %,
    Methanol 3,0 %, Polymethin-Farbstoff 0,002 %.
    Das Erzeugnis soll in automatischen Blutanalysegeräten
    verwendet werden. Es wird zur Anfärbung von zuvor speziell
    aufbereiteten weißen Blutkörperchen durch Fluoreszenzmarkierung
    verwendet. Die Ware ist als etikettiertes Kleingebinde für
    den Laborgebrauch aufgemacht.”


    in den KN-Code 3212 90 00 eingereiht wird.

    Die niederländische Zollbehörde hat daraufhin
    die von ihr erteilte vZTA aufgehoben.


    3. Die Klägerin meint, die Einreihungsverordnung
    beantworte die Streitfrage nicht, denn sie gelte nicht rückwirkend
    für den streitgegenständlichen Einfuhrfall. Die
    Verordnung sei zudem nicht klarstellender Natur, denn die in ihr
    beschriebene Ware sei ohne diese Verordnung nicht in Pos. 3212 9000 KN
    einzureihen. Erst durch die - in ihrer Begründung zudem
    widersprüchliche - Einreihungsverordnung werde die Positionsbeschreibung
    der Pos. 3212 9000 KN auf die beschriebene Ware erweitert. Deshalb
    könne der Einreihungsverordnung keine Indizwirkung für
    eine für die Zeit vor ihrem Erlass vorzunehmende Einreihung
    zukommen.


    Im Übrigen stehe auch nicht fest, dass die Warenbeschreibung
    der Einreihungsverordnung überhaupt auf die streitgegenständliche
    Ware ziele. Anders als in der Warenbeschreibung der Einreihungsverordnung
    und in ihrer Begründung ausgeführt, enthalte die
    streitgegenständliche Ware keinen blauen Polymethin-Farbstoff,
    denn das in ihr enthaltene Polymethin sei - anders viele andere
    Substanzen aus der Gruppe der Polymethine - kein Farbstoff und auch
    kein Farbmittel. Dass das in der zu tarifierenden Flüssigkeit enthaltene
    Polymethin eine leicht bläuliche Eigenfarbe habe, mache
    es nicht ohne weiteres zum Farbmittel. Das Diagnoseverfahren, für
    das die Ware verwendet werde, basiere nicht auf einer Färbewirkung
    und auch nicht auf einer fluoreszierenden Wirkung des in der streitgegenständlichen
    Ware enthaltenen Polymethins. Vielmehr diene das Polymethin allein
    dazu, die Nukleinsäure in den zu untersuchenden Leukozyten
    mittels Ionentransfers zu markieren, um dann die fluoreszierende
    Wirkung zu messen. Erst der so entstehende Polymethin-Nukleinsäure-Komplex
    habe die konkret zu messende fluoreszierende Wirkung. Für
    das bloße Auge sei keinerlei Änderung der Prüfungslösung
    festzustellen, sie bleibe unverändert blutrot. Ohnehin
    seien die Fluoreszenzsignale erst nach etlichen Filtrationsschritten
    durch einen speziellen Fluoreszenzdetektor mit einer entsprechenden
    elektronischen Verstärkung messbar.


    Wenn in dem zitierten Firmenprospekt die Formulierung „anfärben” verwendet
    werde, so handele es sich dabei keineswegs um eine konkrete chemische Vorgangsbeschreibung,
    sondern sie sei lediglich in einem übertragenen Sinne als
    eine sinnbildhafte Analogie zu überkommenden Methoden der Untersuchung
    von Blut zu verstehen. Soweit nach dem weiteren Text des Prospektes
    von verschiedenen Farben der Blutbestandteile die Rede sei, handele
    es sich nicht um das Ergebnis eines Einfärbeprozesses,
    sondern um lediglich am Monitor sichtbare, virtuelle, fiktive Farben,
    die in dem Anwenderprogramm für bestimmte einzelne Messergebnisse
    hinterlegt seien. Keine dieser Farben sei nach Zugabe der streitgegenständlichen
    Ware zur Blutprobe real existent.


    Die Klägerin beantragt,

    den Einfuhrabgabenbescheid vom 18.06.2007 in der Fassung der
    Einspruchsentscheidung vom 13.01.2009 insoweit aufzuheben, als auf
    den Import von „A” 6,5 % Zoll-Euro nacherhoben
    wurde.


    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Der Beklagte meint, die streitgegenständliche Ware entspreche
    der Warenbeschreibung in der Einreihungsverordnung. Die Einreihungsverordnung
    sei lediglich klarstellender Natur und könne daher auch
    für Einfuhrvorgänge herangezogen werden, die zeitlich
    vor ihrem Erlass stattgefunden hätten.


    Bei der Ware handele es sich um eine Mischung eines Farbmittels
    mit Verdünnungsmitteln und damit um ein (in Packungen für
    den Einzelverkauf aufgemachtes) Färbemittel, das als Spezialfärbemittel
    in Laboratorien eingesetzt werde und der Pos. 3212 KN unterfalle,
    wo es in die Unterposition 3212 9090 00 0 einzureihen sei.


    Zum einen gehöre das in der zu tarifierende Flüssigkeit
    enthaltene Polymethin zur Gruppe der Polymethine und sei daher wie
    diese per se ein Farbmittel.


    Zum anderen seien auch Fluoreszenzfarben von Kapitel 32 KN erfasst.
    Die Wirkweise des in der zu tarifierenden Flüssigkeit enthaltenen
    Polymethins sei typisch für die Fluoreszenzfarbstoffe:
    Das an die Nukleinsäure angelagerte Polymethin absorbiere
    bei Bestrahlung mit bestimmtem Laserlicht dessen Lichtenergie und
    gebe sie als Licht längerer Wellenlänge wieder
    ab. Für die Einreihung sei es unerheblich, ob die hervorgerufene
    Farbveränderung mit dem bloßen Auge erkennbar
    sei.


    4. Der ersuchende Senat hat zur streitgegenständlichen
    Flüssigkeit aufgrund seines Beweisbeschlusses vom 28.02.2013
    ein Sachverständigengutachten eingeholt. Der Sachverständige
    hat untersucht, ob mit der Flüssigkeit ein textiler Faserstoff
    eingefärbt werden kann. Als Ergebnis seines Praxisversuchs
    hat der Sachverständige festgehalten, dass der Faserstoff
    eine Blaufärbung angenommen habe. Es handele sich um eine
    ca. 0,17 %ige Färbung. Die erreichte Farbtiefe
    liege fast im normalen Bereich. Im Vergleich zu klassischen blauen
    basischen Farbstoffen sei sie ca. 50 % schwächer.
    Die Färbung sei nicht permanent, bei einer Überprüfung
    der Waschechtheit falle der Farbstoff vom Gewebe. Zur Erklärung
    des Versuchsergebnisses hat der Sachverständige ausgeführt,
    die anfängliche Färbung komme durch Ausbildung
    adsorptiver Wechselwirkungen zu Stande. Soweit sich möglicherweise „Van
    de Waals”- oder Ionenbindungen bildeten, seien diese nicht
    ausreichend stark, um eine permanente Färbung zu bewirken.


    Gründe

    II.

    Der beschließende Senat setzt das Verfahren in analoger
    Anwendung des § 74 FGO aus und legt dem Gerichtshof der
    Europäischen Union gemäß Art. 267 des Vertrages über
    die Arbeitsweise der Europäischen Union die im Tenor genannte Frage
    zur Vorabentscheidung vor. Denn die rechtliche Würdigung
    des Falles ist unionsrechtlich zweifelhaft:


    1. Unionsrechtlicher Rahmen

    Im Streitfall entscheidend ist die Auslegung der Kombinierten
    Nomenklatur in Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87
    des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und
    statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif in der
    durch die Verordnung (EG) Nr. 1810/2004 der Kommission
    vom 07.09.2004 geänderten Fassung (Kombinierte Nomenklatur
    - KN).


    Anmerkung 3 zu Kapitel
    32 (HS) lautet:


    „Zu den Positionen 3203, 3204, 3205 und 3206 gehören
    auch Zubereitungen auf der Grundlage von Farbmitteln (einschließlich,
    soweit es die Position 3206 betrifft, Pigmente der Position 2530
    oder des Kapitels 28, Metallflitter und Metallpulver) von der zum
    Färben beliebiger Stoffe oder zum Herstellen von Farbzubereitungen
    verwendeten Art. Zu diesen Positionen gehören jedoch weder
    in nicht wässrigen Medien dispergierte flüssige
    oder pastenförmige Pigmente von der zum Herstellen von Anstrichfarben
    verwendeten Art (Position 3212), noch die anderen Zubereitungen
    der Positionen 3207, 3208, 3209, 3210, 3212, 3213 oder 3215”.


    Pos. 3212 KN hat in seiner dritten Alternative
    den Wortlaut „Färbemittel und andere Farbmittel,
    in Formen oder Packungen für den Einzelverkauf”.


    Die Unterposition 3212 90 90 KN lautet:

    „Färbemittel und andere Farbmittel, in Formen
    oder Packungen für den Einzelverkauf”.


    Der Zollsatz für Waren der Codenummer 3212 90 90 00
    0 betrug im Streitjahr 6,5 %.


    Die Erläuterungen zum Harmonisierten System (HS) Pos.
    3212 Rz. 10.0 lauten hierzu:


    „Färbemittel sind Erzeugnisse, die „keinen
    Film bilden” und im Allgemeinen aus Mischungen von Farbmitteln,
    insbesondere mit inerten Verdünnungsmitteln, grenzflächenaktiven
    Stoffen, die das Eindringen und Haften des Farbstoffes erleichtern,
    und zuweilen Beizmitteln bestehen.”


    Pos. 3804 KN lautet:

    „Synthetische organische Farbmittel, auch chemisch einheitlich;
    Zubereitungen im Sinne der Anmerkung 3 zu diesem Kapitel auf der
    Grundlage synthetischer organischer Farbmittel; synthetische organische
    Erzeugnisse von der als fluoreszierende Aufheller oder als Luminophore
    verwendeten Art, auch chemisch einheitlich”


    In den Erl. 3204 (HS) Rz. 34.0 bis 36.0 heißt es:

    „Organische Luminophore sind synthetische Erzeugnisse,
    die unter Einwirkung von Lichtstrahlen aufleuchten oder, genauer
    gesagt, fluoreszieren. Einige von ihnen haben gleichzeitig den Charakter
    von Farbmitteln. Als Beispiel dieser Luminophore ist die feste Lösung
    des Rhodamins B in Kunststoff zu nennen, die rot fluoresziert und
    meist pulverförmig ist. Die Mehrzahl der organischen Luminophore
    (z. B. ...) sind dagegen selbst keine Farbmittel. Sie werden in
    Mischungen mit Farbpigmenten verwendet, deren Wirkung sie verstärken.
    Sie gehören hierher auch als chemisch einheitliche Verbindungen.
    Wenn sie keine luminophoren Eigenschaften haben, z. B. wegen geringerer
    Reinheit oder abweichender Kristallstruktur, gehören sie
    jedoch zu Kapitel 29, z. B. das zum Aufblähen von Kautschuk
    verwendete Salicylaldazin zu Position 2928.”


    Pos. 3822 0000 KN (3822 0000 00 0 Zollsatz
    frei) hat den Wortlaut:


    „Diagnostik- oder Laborreagenzien auf einem Träger
    und zubereitete Diagnostik- oder Laborreagenzien, auch auf einem
    Träger, ausgenommen Waren der Position 3002 oder 3006;
    zertifizierte Referenzmaterialien”


    Die Erläuterungen zum Harmonisierten System (HS) Pos
    3822 Rz. 12.0/15.0 lauten:


    „Ebenfalls von dieser Position ausgeschlossen sind folgende
    Reagenzien, auch in Aufmachung von der Art zur Verwendung als Diagnostik-
    oder Laborreagenz: ...c) Farbmittel der Position 3204, einschließlich
    der in Anmerkung 3 zu Kapitel 32 genannten Zubereitungen”.


    2. Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage

    Das Gericht ist mit den Beteiligten einig, dass die streitgegenständliche Ware
    vom Wortlaut der Pos. 3822 KN erfasst wird. Ungeklärt ist
    allerdings, ob die Ware auch - wie der Beklagte meint - dem Wortlaut
    der Pos. 3212 KN entspricht. Dann wäre sie gemäß Anm.
    3 zu Kapitel 32 (HS) vorrangig dort einzureihen ist: Wäre
    sie nicht unter Pos. 3212 KN einzureihen, wäre der Nacherhebungsbescheid
    rechtswidrig.


    3. Rechtliche Überlegungen des Senats
    in Bezug auf die Vorlagefrage


    Das entscheidende
    Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren ist
    allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen,
    wie sie im Wortlaut der Positionen und Unterpositionen der KN und
    in den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind
    (vgl. Allgemeine Vorschriften für die Auslegung der KN
    --AV-- 1 und 6). Dazu gibt es nach dem Übereinkommen zum
    Harmonisierten System Erläuterungen und Einreihungsavise
    (Tarifavise), die ebenso wie die Erläuterungen zur KN ein
    wichtiges, wenn auch nicht verbindliches Erkenntnismittel für
    die Auslegung der einzelnen Tarifpositionen darstellen (vgl. EuGH-Urteil
    vom 27.11.2008, C-403/07).


    Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, die auch der ersuchende Senat
    seinen Entscheidungen zugrunde legt, darf auf den Verwendungszweck
    einer Ware nur dann abgestellt werden, wenn im Wortlaut der Bestimmungen
    oder in den Erläuterungen dazu ausdrücklich auf
    dieses Kriterium Bezug genommen wird und die ausschließliche
    oder hauptsächliche Verwendungseignung der Ware im Augenblick
    der Zollabfertigung erkennbar ist (BFH, Urteil vom 14.11.2000, VII R 83/99, BFH/NV
    2001, 499, juris).


    Was „Färbemittel” und „Farbmittel” sind,
    ist in der maßgeblichen Pos. 3212 KN und in den Anmerkungen
    nicht definiert, aber der zitierten Erl 3212 (HS) Rz. 10.0 zu entnehmen.
    Wenn dort von einem „Eindringen und Haften des Farbstoffs” die
    Rede ist, wird Bezug genommen auf einen Farbstoff einerseits und
    einen zu färbenden Stoff andererseits; bei den Färbe-
    und Farbmitteln handelt es sich demnach um Substanzen, die einem
    zu färbenden Stoff einen Farbstoff zuführen.


    Die Beschreibung der Pos. 3212 KN setzt nach dem Verständnis
    des ersuchenden Senats also zunächst objektiv die färbende
    Eigenschaft der Ware voraus und darüber hinaus einen entsprechenden
    Verwendungszweck, dass nämlich die Ware zum Färben
    eines zu färbenden Stoffes, d. h. zum Vermitteln einer
    Farbe dienen soll. Eine farbmittelbedingte Färbung tritt dann
    ein, wenn ein - der zu färbende - Stoff aufgrund des Färbe-
    oder Farbmittels seine Farbe ändert. Schon der Begriff
    des Färbens selbst beinhaltet eine Zweckrichtung.


    Würde hingegen allein die objektiv färbende
    Eigenschaft einer Ware für eine Einreihung in die Pos.
    3212 KN ausreichen, würde eine Vielzahl von allgemein nicht
    als Färbemittel oder Farbmittel verstandener, ganz verschiedener
    Substanzen - wie z. B. Rotwein oder Kohle - dem Wortlaut der Pos.
    3212 KN unterfallen, nur weil sie eine färbende Wirkung
    haben.


    Der sodann maßgebliche, objektiv
    erkennbare Verwendungszweck der streitgegenständlichen
    Ware ist - unstreitig - die oben näher beschriebene Blutanalyse,
    bei der - allein - die fluoreszierende Wirkung der aus der Verbindung
    von eingesetztem Polymethin und der RNA der Blutzelle entstehenden
    Substanz genutzt wird.


    Für die Frage, ob die Fluoreszenz, die infolge der Anwendung
    einer Ware auf einen Stoff entsteht, eine Farbänderung
    im Sinne der Tarifposition ist, geben der Wortlaut der Pos. 3212
    KN und die Anmerkungen und Erläuterungen unmittelbar keine
    Auskunft.


    Es kann jedoch auf die zum selben Kapitel 32 gehörende
    Position 3204 KN zurückgegriffen werden. In deren Warenbeschreibung
    werden zwar nicht - wie in Pos. 3212 KN - Farbmittel allgemein erfasst,
    aber ein Teil von ihnen, nämlich die organischen Farbmittel,
    sofern sie nicht als Zubereitungen den in Anmerkung 3 zu Kap. 32
    (HS) genannten Positionen unterfallen. Der Wortlaut der Pos. 3204
    KN differenziert zwischen „synthetischen organischen Farbmitteln” und „synthetischen
    organischen Erzeugnisse von der als fluoreszierenden Aufheller oder
    als Luminophore verwendeten Art.” Nach Erl. 3204 (HS) Rz.
    34.0 sind organische Luminophore synthetische Erzeugnisse, „die
    unter Einwirkung von Lichtstrahlen aufleuchten oder, genauer gesagt,
    fluoreszieren”. Weiter heißt es in den folgenden
    beiden Randziffern: „Einige von ihnen haben gleichzeitig den
    Charakter von Farbmitteln. Als Beispiel dieser Luminophore ist die feste
    Lösung des Rhodamins B in Kunststoff zu nennen, die rot
    fluoresziert und meist pulverförmig ist. Die Mehrzahl der
    organischen Luminophore ... sind dagegen selbst keine Farbmittel.
    ....”


    Dass der Tarif den Charakter von Luminophoren also gegen den
    von Farbmitteln abgrenzt, etwa, indem herausgestellt wird, dass
    einige gleichzeitig beide Charaktere haben, spricht nach Ansicht
    des ersuchenden Senats dafür, dass die Eigenschaft zu fluoreszieren
    nicht maßgeblich für eine Einreihung als Farbmittel
    ist (auch, wenn sie diese nicht ausschließt).


    Soweit die zu tarifierende Flüssigkeit
    bzw. das in ihr enthaltene Polymethin neben dem nicht zur Einreihung
    in Pos. 3212 KN führenden Charakter als Lumonophor auch
    eine färbende Wirkung hat, ist es - selbst wenn es auf
    die nach dem Sachverständigengutachten fehlende Beständigkeit der
    Färbung nicht ankommen sollte - nach Ansicht des Senats
    gleichwohl nicht als Farbmittel einzureihen, weil es nur den oben
    beschriebenen Verwendungszweck hat und dieser nicht auf einer Färbewirkung
    beruht. Dass in dem zitierten Firmenprospekt gleichwohl die Formulierung „anfärben” verwendet
    wird, hat für die zutreffende Einreihung keine Bedeutung
    - selbst wenn dies auf das Ergebnis der Einreihungsverordnung von
    Einfluss gehabt haben sollte.


    Auf die Einreihungsverordnung vom 12.08.2011
    kommt es nach Auffassung des ersuchenden Senats schon deshalb nicht
    an, weil diese erst zu einem Zeitpunkt in Kraft gesetzt worden ist,
    als die streitgegenständliche Einfuhr bereits längst
    beendet war.


    Nur vorsorglich weist der ersuchende Senat
    darauf hin, dass auch eine Einreihung in die Pos. 3206 KN nicht
    in Betracht kommt, weil die streitgegenständliche Ware
    jedenfalls kein anorganisches, sondern ein organisches Erzeugnis
    ist.