25.09.2013
Finanzgericht Hamburg: Beschluss vom 16.08.2013 – 4 K 147/11
Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften wird
folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt: War eine Ware im
Jahr 2005 als Färbemittel oder Farbstoff in die Position
3212 der Kombinierten Nomenklatur einzureihen, die aus Lösungsmitteln
und einer Polymethin-Substanz besteht, die zwar eine gewisse - jedenfalls
auf textile Stoffe nicht beständige - färbende
Wirkung haben kann, bei der einzureihenden Ware jedoch dazu dient,
Informationen über in einer Untersuchungslösung
(vorbehandeltes Blut) enthaltene Partikel (weiße Blutkörperchen)
dadurch zu erhalten, dass die Substanz im Wege der ionischen Anlagerung
an definierte Bestandteile der Partikel (Nukleinsäuren) molekulare
Strukturen bildet, die bei Bestrahlung mit einem Laserlicht bestimmter
Wellenlänge für eine begrenzte Zeit fluorochrom
werden und dieser Zustand und sein Ausmaß mit einer speziellen
Photozelle gemessen wird?
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Ware mit der
Handelsbezeichnung „A” im Jahr 2005 vorrangig
als „Färbemittel für den Laborgebrauch” in
die Pos. 3212 9090 der Kombinierten Nomenklatur (KN) mit einem Zollsatz
von 6,5 % einzureihen war.
1. Die Ware ist eine für
den Einzelverkauf aufgemachte bläulich-transparente Flüssigkeit
(im Folgenden: die zu tarifierende Flüssigkeit), die zu
96,9 % bzw. 3 % aus den Lösungsmitteln
Ethylenglykol bzw. Methanol besteht und zu 0,002 % aus
einer synthetischen, organischen Substanz, die chemisch den Polymethinen
angehört und innerhalb der Polymethine zu den Cyaninen zählt
(im Folgenden Polymethin). Die Ware ist chemisch ein organisches Erzeugnis.
Die zu tarifierende Flüssigkeit wird bestimmungsgemäß zur
Untersuchung von weißen Blutkörperchen (Leukozyten)
eingesetzt. Vor dem Einsatz der zu tarifierenden Flüssigkeit
ist das zu untersuchende Blut unter Einsatz eines anderen Mittels
so aufzubereiten, dass die roten Blutkörperchen (Erythrozyten)
aufgelöst und die Zellmembranen der Leukozyten perforiert
werden. Wird die zu tarifierende Flüssigkeit zugegeben,
so kommt es zu einer ionischen Anlagerung des Polymethins an die
in den perforierten Leukozyten enthaltenen Nukleinsäuren.
Bei Bestrahlung der aus dem Polymethin der Ware und den Nukleinsäuren
entstehenden Moleküle mit Laserlicht einer bestimmten Wellenlänge
(633 nm) wird die Lichtenergie absorbiert und sogleich als Licht
mit einer etwas längeren Wellenlänge abgestrahlt
(ca. 660 nm). Diese als Fluoreszenz bezeichnete spontane Emission
von Licht beim Übergang eines angeregten Systems in einen
Zustand niedrigerer Energie ist - neben der Phosphoreszenz - eine
Form der Lumineszenz („kaltes Leuchten”), die
nach dem Ende der Bestrahlung in kürzester Zeit abklingt.
In der Anwendungspraxis wird das im Wege der Fluoreszenz abgestrahlte Licht
in einem Analysegerät durch optische Detektoren gemessen
und ausgewertet und elektronisch auf einem Monitor dargestellt.
Durch entsprechende Einstellung des dabei verwendeten EDV-Programms
kann der Nutzer den Messwerten für die Darstellung auf
dem Monitor Farben zuweisen, die unabhängig von Eigenfarben
der Substanzen sind.
In einer Publikation der Klägerin heißt es
zur Funktionsweise u. a. wie folgt:
”...A ist ein Polymethin-Fluoreszenzfarbstoff, der Nukleinsäuren
im Kern und Zytoplasma der Leukozyten anfärbt, wodurch
Rückschlüsse auf die Zellaktivität und
den Reifegrad möglich sind. ...”
Zu einer Anhaftung von Farbpartikeln oder zu einer sichtbaren
Verfärbung der Prüflösung kommt es bei
der beschriebenen Anwendung nicht.
2. Die streitgegenständliche Ware
wurde von der Klägerin am 01.07.2005 und am 04.07.2005
jeweils unter Angabe der Codenummer 3822 0000 00 0 - Zollsatz 0 % -
angemeldet und sodann in den freien Verkehr überführt.
Der Beklagte erließ am 18.06.2007 einen Nacherhebungsbescheid
in Bezug auf verschiedene Waren; im Hinblick auf die streitgegenständliche
Ware „A”, weil sie nach Auffassung des Beklagten
in die Codenummer 3926 9099 90 0 - Zollsatz 6,5 % - einzureihen
sei.
Die Klägerin legte Einspruch ein, den der Beklagte mit
Einspruchsentscheidung vom 13.01.2009 als unbegründet zurückwies.
Die Klägerin hat am 10.02.2009 Klage erhoben.
Auf Antrag vom 27.05.2009 erhielt die Klägerin von den
niederländischen Zollbehörden eine verbindliche
Zolltarifauskunft (vZTA), in der die streitgegenständliche
Ware antragsgemäß in die Pos. 3822 KN eingereiht
wurde.
Am 12.08.2009 wurde die „Durchführungsverordnung
(EU) Nr. 827/2011 der Kommission vom 12.08.2011 zur Einreihung
von bestimmten Waren in die Kombinierte Nomenklatur” (im
Folgenden: Einreihungsverordnung, ABl EU Nr. L 211/9, Gerichtsakte
Bl. 90 f.) erlassen. Die Einreihungsverordnung bestimmt, dass die
Ware mit der Bezeichnung
„Blauer Polymethin-Farbstoff (Fluoreszenzfarbstoff)
verdünnt in einem Lösungsmittelgemisch aus Ethylenglykol
und Methanol. Zusammensetzung (GHT): Ethylenglycol 96,9 %,
Methanol 3,0 %, Polymethin-Farbstoff 0,002 %.
Das Erzeugnis soll in automatischen Blutanalysegeräten
verwendet werden. Es wird zur Anfärbung von zuvor speziell
aufbereiteten weißen Blutkörperchen durch Fluoreszenzmarkierung
verwendet. Die Ware ist als etikettiertes Kleingebinde für
den Laborgebrauch aufgemacht.”
in den KN-Code 3212 90 00 eingereiht wird.
Die niederländische Zollbehörde hat daraufhin
die von ihr erteilte vZTA aufgehoben.
3. Die Klägerin meint, die Einreihungsverordnung
beantworte die Streitfrage nicht, denn sie gelte nicht rückwirkend
für den streitgegenständlichen Einfuhrfall. Die
Verordnung sei zudem nicht klarstellender Natur, denn die in ihr
beschriebene Ware sei ohne diese Verordnung nicht in Pos. 3212 9000 KN
einzureihen. Erst durch die - in ihrer Begründung zudem
widersprüchliche - Einreihungsverordnung werde die Positionsbeschreibung
der Pos. 3212 9000 KN auf die beschriebene Ware erweitert. Deshalb
könne der Einreihungsverordnung keine Indizwirkung für
eine für die Zeit vor ihrem Erlass vorzunehmende Einreihung
zukommen.
Im Übrigen stehe auch nicht fest, dass die Warenbeschreibung
der Einreihungsverordnung überhaupt auf die streitgegenständliche
Ware ziele. Anders als in der Warenbeschreibung der Einreihungsverordnung
und in ihrer Begründung ausgeführt, enthalte die
streitgegenständliche Ware keinen blauen Polymethin-Farbstoff,
denn das in ihr enthaltene Polymethin sei - anders viele andere
Substanzen aus der Gruppe der Polymethine - kein Farbstoff und auch
kein Farbmittel. Dass das in der zu tarifierenden Flüssigkeit enthaltene
Polymethin eine leicht bläuliche Eigenfarbe habe, mache
es nicht ohne weiteres zum Farbmittel. Das Diagnoseverfahren, für
das die Ware verwendet werde, basiere nicht auf einer Färbewirkung
und auch nicht auf einer fluoreszierenden Wirkung des in der streitgegenständlichen
Ware enthaltenen Polymethins. Vielmehr diene das Polymethin allein
dazu, die Nukleinsäure in den zu untersuchenden Leukozyten
mittels Ionentransfers zu markieren, um dann die fluoreszierende
Wirkung zu messen. Erst der so entstehende Polymethin-Nukleinsäure-Komplex
habe die konkret zu messende fluoreszierende Wirkung. Für
das bloße Auge sei keinerlei Änderung der Prüfungslösung
festzustellen, sie bleibe unverändert blutrot. Ohnehin
seien die Fluoreszenzsignale erst nach etlichen Filtrationsschritten
durch einen speziellen Fluoreszenzdetektor mit einer entsprechenden
elektronischen Verstärkung messbar.
Wenn in dem zitierten Firmenprospekt die Formulierung „anfärben” verwendet
werde, so handele es sich dabei keineswegs um eine konkrete chemische Vorgangsbeschreibung,
sondern sie sei lediglich in einem übertragenen Sinne als
eine sinnbildhafte Analogie zu überkommenden Methoden der Untersuchung
von Blut zu verstehen. Soweit nach dem weiteren Text des Prospektes
von verschiedenen Farben der Blutbestandteile die Rede sei, handele
es sich nicht um das Ergebnis eines Einfärbeprozesses,
sondern um lediglich am Monitor sichtbare, virtuelle, fiktive Farben,
die in dem Anwenderprogramm für bestimmte einzelne Messergebnisse
hinterlegt seien. Keine dieser Farben sei nach Zugabe der streitgegenständlichen
Ware zur Blutprobe real existent.
Die Klägerin beantragt,
den Einfuhrabgabenbescheid vom 18.06.2007 in der Fassung der
Einspruchsentscheidung vom 13.01.2009 insoweit aufzuheben, als auf
den Import von „A” 6,5 % Zoll-Euro nacherhoben
wurde.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte meint, die streitgegenständliche Ware entspreche
der Warenbeschreibung in der Einreihungsverordnung. Die Einreihungsverordnung
sei lediglich klarstellender Natur und könne daher auch
für Einfuhrvorgänge herangezogen werden, die zeitlich
vor ihrem Erlass stattgefunden hätten.
Bei der Ware handele es sich um eine Mischung eines Farbmittels
mit Verdünnungsmitteln und damit um ein (in Packungen für
den Einzelverkauf aufgemachtes) Färbemittel, das als Spezialfärbemittel
in Laboratorien eingesetzt werde und der Pos. 3212 KN unterfalle,
wo es in die Unterposition 3212 9090 00 0 einzureihen sei.
Zum einen gehöre das in der zu tarifierende Flüssigkeit
enthaltene Polymethin zur Gruppe der Polymethine und sei daher wie
diese per se ein Farbmittel.
Zum anderen seien auch Fluoreszenzfarben von Kapitel 32 KN erfasst.
Die Wirkweise des in der zu tarifierenden Flüssigkeit enthaltenen
Polymethins sei typisch für die Fluoreszenzfarbstoffe:
Das an die Nukleinsäure angelagerte Polymethin absorbiere
bei Bestrahlung mit bestimmtem Laserlicht dessen Lichtenergie und
gebe sie als Licht längerer Wellenlänge wieder
ab. Für die Einreihung sei es unerheblich, ob die hervorgerufene
Farbveränderung mit dem bloßen Auge erkennbar
sei.
4. Der ersuchende Senat hat zur streitgegenständlichen
Flüssigkeit aufgrund seines Beweisbeschlusses vom 28.02.2013
ein Sachverständigengutachten eingeholt. Der Sachverständige
hat untersucht, ob mit der Flüssigkeit ein textiler Faserstoff
eingefärbt werden kann. Als Ergebnis seines Praxisversuchs
hat der Sachverständige festgehalten, dass der Faserstoff
eine Blaufärbung angenommen habe. Es handele sich um eine
ca. 0,17 %ige Färbung. Die erreichte Farbtiefe
liege fast im normalen Bereich. Im Vergleich zu klassischen blauen
basischen Farbstoffen sei sie ca. 50 % schwächer.
Die Färbung sei nicht permanent, bei einer Überprüfung
der Waschechtheit falle der Farbstoff vom Gewebe. Zur Erklärung
des Versuchsergebnisses hat der Sachverständige ausgeführt,
die anfängliche Färbung komme durch Ausbildung
adsorptiver Wechselwirkungen zu Stande. Soweit sich möglicherweise „Van
de Waals”- oder Ionenbindungen bildeten, seien diese nicht
ausreichend stark, um eine permanente Färbung zu bewirken.
Gründe
II.
Der beschließende Senat setzt das Verfahren in analoger
Anwendung des § 74 FGO aus und legt dem Gerichtshof der
Europäischen Union gemäß Art. 267 des Vertrages über
die Arbeitsweise der Europäischen Union die im Tenor genannte Frage
zur Vorabentscheidung vor. Denn die rechtliche Würdigung
des Falles ist unionsrechtlich zweifelhaft:
1. Unionsrechtlicher Rahmen
Im Streitfall entscheidend ist die Auslegung der Kombinierten
Nomenklatur in Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87
des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und
statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif in der
durch die Verordnung (EG) Nr. 1810/2004 der Kommission
vom 07.09.2004 geänderten Fassung (Kombinierte Nomenklatur
- KN).
Anmerkung 3 zu Kapitel
32 (HS) lautet:
„Zu den Positionen 3203, 3204, 3205 und 3206 gehören
auch Zubereitungen auf der Grundlage von Farbmitteln (einschließlich,
soweit es die Position 3206 betrifft, Pigmente der Position 2530
oder des Kapitels 28, Metallflitter und Metallpulver) von der zum
Färben beliebiger Stoffe oder zum Herstellen von Farbzubereitungen
verwendeten Art. Zu diesen Positionen gehören jedoch weder
in nicht wässrigen Medien dispergierte flüssige
oder pastenförmige Pigmente von der zum Herstellen von Anstrichfarben
verwendeten Art (Position 3212), noch die anderen Zubereitungen
der Positionen 3207, 3208, 3209, 3210, 3212, 3213 oder 3215”.
Pos. 3212 KN hat in seiner dritten Alternative
den Wortlaut „Färbemittel und andere Farbmittel,
in Formen oder Packungen für den Einzelverkauf”.
Die Unterposition 3212 90 90 KN lautet:
„Färbemittel und andere Farbmittel, in Formen
oder Packungen für den Einzelverkauf”.
Der Zollsatz für Waren der Codenummer 3212 90 90 00
0 betrug im Streitjahr 6,5 %.
Die Erläuterungen zum Harmonisierten System (HS) Pos.
3212 Rz. 10.0 lauten hierzu:
„Färbemittel sind Erzeugnisse, die „keinen
Film bilden” und im Allgemeinen aus Mischungen von Farbmitteln,
insbesondere mit inerten Verdünnungsmitteln, grenzflächenaktiven
Stoffen, die das Eindringen und Haften des Farbstoffes erleichtern,
und zuweilen Beizmitteln bestehen.”
Pos. 3804 KN lautet:
„Synthetische organische Farbmittel, auch chemisch einheitlich;
Zubereitungen im Sinne der Anmerkung 3 zu diesem Kapitel auf der
Grundlage synthetischer organischer Farbmittel; synthetische organische
Erzeugnisse von der als fluoreszierende Aufheller oder als Luminophore
verwendeten Art, auch chemisch einheitlich”
In den Erl. 3204 (HS) Rz. 34.0 bis 36.0 heißt es:
„Organische Luminophore sind synthetische Erzeugnisse,
die unter Einwirkung von Lichtstrahlen aufleuchten oder, genauer
gesagt, fluoreszieren. Einige von ihnen haben gleichzeitig den Charakter
von Farbmitteln. Als Beispiel dieser Luminophore ist die feste Lösung
des Rhodamins B in Kunststoff zu nennen, die rot fluoresziert und
meist pulverförmig ist. Die Mehrzahl der organischen Luminophore
(z. B. ...) sind dagegen selbst keine Farbmittel. Sie werden in
Mischungen mit Farbpigmenten verwendet, deren Wirkung sie verstärken.
Sie gehören hierher auch als chemisch einheitliche Verbindungen.
Wenn sie keine luminophoren Eigenschaften haben, z. B. wegen geringerer
Reinheit oder abweichender Kristallstruktur, gehören sie
jedoch zu Kapitel 29, z. B. das zum Aufblähen von Kautschuk
verwendete Salicylaldazin zu Position 2928.”
Pos. 3822 0000 KN (3822 0000 00 0 Zollsatz
frei) hat den Wortlaut:
„Diagnostik- oder Laborreagenzien auf einem Träger
und zubereitete Diagnostik- oder Laborreagenzien, auch auf einem
Träger, ausgenommen Waren der Position 3002 oder 3006;
zertifizierte Referenzmaterialien”
Die Erläuterungen zum Harmonisierten System (HS) Pos
3822 Rz. 12.0/15.0 lauten:
„Ebenfalls von dieser Position ausgeschlossen sind folgende
Reagenzien, auch in Aufmachung von der Art zur Verwendung als Diagnostik-
oder Laborreagenz: ...c) Farbmittel der Position 3204, einschließlich
der in Anmerkung 3 zu Kapitel 32 genannten Zubereitungen”.
2. Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage
Das Gericht ist mit den Beteiligten einig, dass die streitgegenständliche Ware
vom Wortlaut der Pos. 3822 KN erfasst wird. Ungeklärt ist
allerdings, ob die Ware auch - wie der Beklagte meint - dem Wortlaut
der Pos. 3212 KN entspricht. Dann wäre sie gemäß Anm.
3 zu Kapitel 32 (HS) vorrangig dort einzureihen ist: Wäre
sie nicht unter Pos. 3212 KN einzureihen, wäre der Nacherhebungsbescheid
rechtswidrig.
3. Rechtliche Überlegungen des Senats
in Bezug auf die Vorlagefrage
Das entscheidende
Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren ist
allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen,
wie sie im Wortlaut der Positionen und Unterpositionen der KN und
in den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind
(vgl. Allgemeine Vorschriften für die Auslegung der KN
--AV-- 1 und 6). Dazu gibt es nach dem Übereinkommen zum
Harmonisierten System Erläuterungen und Einreihungsavise
(Tarifavise), die ebenso wie die Erläuterungen zur KN ein
wichtiges, wenn auch nicht verbindliches Erkenntnismittel für
die Auslegung der einzelnen Tarifpositionen darstellen (vgl. EuGH-Urteil
vom 27.11.2008, C-403/07).
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, die auch der ersuchende Senat
seinen Entscheidungen zugrunde legt, darf auf den Verwendungszweck
einer Ware nur dann abgestellt werden, wenn im Wortlaut der Bestimmungen
oder in den Erläuterungen dazu ausdrücklich auf
dieses Kriterium Bezug genommen wird und die ausschließliche
oder hauptsächliche Verwendungseignung der Ware im Augenblick
der Zollabfertigung erkennbar ist (BFH, Urteil vom 14.11.2000, VII R 83/99, BFH/NV
2001, 499, juris).
Was „Färbemittel” und „Farbmittel” sind,
ist in der maßgeblichen Pos. 3212 KN und in den Anmerkungen
nicht definiert, aber der zitierten Erl 3212 (HS) Rz. 10.0 zu entnehmen.
Wenn dort von einem „Eindringen und Haften des Farbstoffs” die
Rede ist, wird Bezug genommen auf einen Farbstoff einerseits und
einen zu färbenden Stoff andererseits; bei den Färbe-
und Farbmitteln handelt es sich demnach um Substanzen, die einem
zu färbenden Stoff einen Farbstoff zuführen.
Die Beschreibung der Pos. 3212 KN setzt nach dem Verständnis
des ersuchenden Senats also zunächst objektiv die färbende
Eigenschaft der Ware voraus und darüber hinaus einen entsprechenden
Verwendungszweck, dass nämlich die Ware zum Färben
eines zu färbenden Stoffes, d. h. zum Vermitteln einer
Farbe dienen soll. Eine farbmittelbedingte Färbung tritt dann
ein, wenn ein - der zu färbende - Stoff aufgrund des Färbe-
oder Farbmittels seine Farbe ändert. Schon der Begriff
des Färbens selbst beinhaltet eine Zweckrichtung.
Würde hingegen allein die objektiv färbende
Eigenschaft einer Ware für eine Einreihung in die Pos.
3212 KN ausreichen, würde eine Vielzahl von allgemein nicht
als Färbemittel oder Farbmittel verstandener, ganz verschiedener
Substanzen - wie z. B. Rotwein oder Kohle - dem Wortlaut der Pos.
3212 KN unterfallen, nur weil sie eine färbende Wirkung
haben.
Der sodann maßgebliche, objektiv
erkennbare Verwendungszweck der streitgegenständlichen
Ware ist - unstreitig - die oben näher beschriebene Blutanalyse,
bei der - allein - die fluoreszierende Wirkung der aus der Verbindung
von eingesetztem Polymethin und der RNA der Blutzelle entstehenden
Substanz genutzt wird.
Für die Frage, ob die Fluoreszenz, die infolge der Anwendung
einer Ware auf einen Stoff entsteht, eine Farbänderung
im Sinne der Tarifposition ist, geben der Wortlaut der Pos. 3212
KN und die Anmerkungen und Erläuterungen unmittelbar keine
Auskunft.
Es kann jedoch auf die zum selben Kapitel 32 gehörende
Position 3204 KN zurückgegriffen werden. In deren Warenbeschreibung
werden zwar nicht - wie in Pos. 3212 KN - Farbmittel allgemein erfasst,
aber ein Teil von ihnen, nämlich die organischen Farbmittel,
sofern sie nicht als Zubereitungen den in Anmerkung 3 zu Kap. 32
(HS) genannten Positionen unterfallen. Der Wortlaut der Pos. 3204
KN differenziert zwischen „synthetischen organischen Farbmitteln” und „synthetischen
organischen Erzeugnisse von der als fluoreszierenden Aufheller oder
als Luminophore verwendeten Art.” Nach Erl. 3204 (HS) Rz.
34.0 sind organische Luminophore synthetische Erzeugnisse, „die
unter Einwirkung von Lichtstrahlen aufleuchten oder, genauer gesagt,
fluoreszieren”. Weiter heißt es in den folgenden
beiden Randziffern: „Einige von ihnen haben gleichzeitig den
Charakter von Farbmitteln. Als Beispiel dieser Luminophore ist die feste
Lösung des Rhodamins B in Kunststoff zu nennen, die rot
fluoresziert und meist pulverförmig ist. Die Mehrzahl der
organischen Luminophore ... sind dagegen selbst keine Farbmittel.
....”
Dass der Tarif den Charakter von Luminophoren also gegen den
von Farbmitteln abgrenzt, etwa, indem herausgestellt wird, dass
einige gleichzeitig beide Charaktere haben, spricht nach Ansicht
des ersuchenden Senats dafür, dass die Eigenschaft zu fluoreszieren
nicht maßgeblich für eine Einreihung als Farbmittel
ist (auch, wenn sie diese nicht ausschließt).
Soweit die zu tarifierende Flüssigkeit
bzw. das in ihr enthaltene Polymethin neben dem nicht zur Einreihung
in Pos. 3212 KN führenden Charakter als Lumonophor auch
eine färbende Wirkung hat, ist es - selbst wenn es auf
die nach dem Sachverständigengutachten fehlende Beständigkeit der
Färbung nicht ankommen sollte - nach Ansicht des Senats
gleichwohl nicht als Farbmittel einzureihen, weil es nur den oben
beschriebenen Verwendungszweck hat und dieser nicht auf einer Färbewirkung
beruht. Dass in dem zitierten Firmenprospekt gleichwohl die Formulierung „anfärben” verwendet
wird, hat für die zutreffende Einreihung keine Bedeutung
- selbst wenn dies auf das Ergebnis der Einreihungsverordnung von
Einfluss gehabt haben sollte.
Auf die Einreihungsverordnung vom 12.08.2011
kommt es nach Auffassung des ersuchenden Senats schon deshalb nicht
an, weil diese erst zu einem Zeitpunkt in Kraft gesetzt worden ist,
als die streitgegenständliche Einfuhr bereits längst
beendet war.
Nur vorsorglich weist der ersuchende Senat
darauf hin, dass auch eine Einreihung in die Pos. 3206 KN nicht
in Betracht kommt, weil die streitgegenständliche Ware
jedenfalls kein anorganisches, sondern ein organisches Erzeugnis
ist.