25.09.2013
Finanzgericht Hamburg: Urteil vom 23.05.2013 – 2 K 50/12
Die Anwendung des Zinssatzes von 6 % per anno gem. § 238
Abs. 1 AO auf ausgesetzte Steuerbeträge gem. § 237
AO verstößt trotz kontinuierlich gesunkenen Zinsniveaus
jedenfalls für einen Zinslauf von 2004 bis 2011 nicht gegen
die Verfassung.
Tatbestand
Streitig ist die Festsetzung von Aussetzungszinsen.
Die Kläger sind Eheleute, die im Veranlagungszeitraum
2002 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Sie hatten am
... 1996 eine Eigentumswohnung erworben, die sie am ... 2002 wieder
veräußerten. Mit Bescheid vom 08.10.2004 setzte
der Beklagte die Einkommensteuer für 2002 insoweit unter Berücksichtigung
eines Veräußerungsgewinns von 61.539 € als
Einkünfte aus einem privaten Veräußerungsgeschäft
i. S. von § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes
(EStG) fest. Hiergegen richtete sich der Einspruch vom 14.10.2004,
mit dem sich die Kläger auf die Verfassungswidrigkeit der
rückwirkenden Verlängerung der Spekulationsfrist
beriefen. Auf den am selben Tag gestellten Antrag auf Gewährung
vorläufigen Rechtsschutzes gewährte der Beklagte
am 26.10.2004 Aussetzung der Vollziehung in Höhe der auf
den Veräußerungsgewinn entfallenden Steuer von
29.632 €. Am 28.10.2004 ordnete der Beklagte das Ruhen
des Verfahrens gem. § 363 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO)
bis zur Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) in der Sache IX
R 46/02 an. Dieses Verfahren hatte der BFH mit Beschluss
vom 16.12.2003 ausgesetzt und das Bundesverfassungsgericht (BVerfG)
angerufen zu der Frage, ob § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz
1 EStG i. V. m. § 52 Abs. 39 Satz 1 EStG in der Fassung
des StEntlG 1999/2000/2002 vom 24.03.1999 mit
dem Grundgesetz (GG) insoweit unvereinbar ist, als danach auch private
Grundstücksveräußerungsgeschäfte nach dem 31.12.1998,
bei denen zu diesem Stichtag die zuvor geltende Spekulationsfrist
von zwei Jahren (§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EStG
a. F.) bereits abgelaufen war, übergangslos der Einkommensbesteuerung
unterworfen werden.
Nachdem das BVerfG am 07.07.2010 entschieden hatte (2
BvL 2/04), behandelte der Beklagte nur noch einen
Betrag von 34.078 € als steuerpflichtigen Veräußerungsgewinn
und setzte mit geändertem Einkommensteuerbescheid für
2002 vom 15.02.2011 die Einkommensteuer entsprechend niedriger fest.
Zugleich wurde die gewährte Aussetzung der Vollziehung
aufgehoben. Mit Bescheid vom 30.03.2011 setzte der Beklagte auf
den ausgesetzten Betrag gem. § 237 Abs. 1 Satz 1 AO i.
V. m. § 238 AO Aussetzungszinsen für die Zeit vom 11.11.2004 bis zum 21.03.2011,
mithin für 76 Monate, in Höhe von 6.023,00 € fest.
Hiergegen richtete sich der Einspruch vom 14.04.2011, mit dem sich
die Kläger darauf beriefen, dass die Festsetzung der Zinsen
wegen der extrem langen Verfahrensdauer von 6 Jahren und vier Monaten
nicht nur überraschend, sondern auch willkürlich
und verfassungswidrig sei. Im Einklang mit der Verfassung könne
allenfalls eine Verzinsung für die Dauer eines Jahres sein.
Mit Entscheidung vom 02.12.2011 wies der Beklagte den Einspruch
zurück. Die Zinsfestsetzung sei nach Maßgabe der
gesetzlichen Regelung erfolgt.
Am 04.01.2012 haben die Kläger Klage erhoben. Sie berufen
sich weiterhin darauf, dass die Zinsfestsetzung wegen der überlangen
Verfahrensdauer verfassungs- und menschenrechtswidrig sei. § 237
AO müsse verfassungskonform dahin ausgelegt werden, dass
er bei überlanger Verfahrensdauer nicht anzuwenden sei
und schon gar nicht Zinsen in Höhe von 6 Prozent per anno
festgesetzt werden dürften. Sie, die Kläger, dürften
auch nicht gezwungen werden, zur Vermeidung der Zinslast den streitigen
Steuerbetrag erst einmal zu zahlen.
Die Kläger beantragen sinngemäß,
den Bescheid über Aussetzungszinsen vom 30.03.2011 und
die Einspruchsentscheidung vom 06.12.2011 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte weist darauf hin, dass die Zinsfestsetzung dem geltenden
Recht ebenso entspreche wie dem Sinn und Zweck der Verzinsungspflicht,
die den Nutzungsvorteil abschöpfen solle, den der Steuerpflichtige
durch die Aussetzung der Vollziehung derjenigen Steuerbeträge
erlange, die im Ergebnis dem Fiskus zustünden.
Die die Kläger betreffende Einkommensteuerakte nebst
Beiakten zur Steuernummer .../.../... hat vorgelegen.
Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung
einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Gründe
Das Gericht entscheidet gem. § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung
(FGO) im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche
Verhandlung.
I. Die zulässige
Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Die Festsetzung der Zinsen
entspricht der geltenden Rechtslage (dazu 1.), durchgreifende verfassungsrechtliche
Zweifel an der Zinshöhe bestehen für den streitigen Zeitraum
nicht (dazu 2.).
1. Nach § 237 Abs. 1 Satz
1 AO ist, soweit ein Einspruch oder eine Anfechtungsklage gegen
einen Steuerbescheid, eine Steueranmeldung oder einen Verwaltungsakt,
der einen Steuervergütungsbescheid aufhebt und ändert, oder
gegen eine Einspruchsentscheidung über einen dieser Verwaltungsakte
endgültig keinen Erfolg gehabt hat, der geschuldete Betrag,
hinsichtlich dessen die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts ausgesetzt
wurde, zu verzinsen. Zinsen werden nach Absatz 2 dieser Vorschrift
erhoben vom Tag des Eingangs des außergerichtlichen Rechtsbehelfs
bei der Behörde, deren Verwaltungsakt angefochten wird,
oder vom Tag der Rechtshängigkeit beim Gericht an bis zum
Tag, an dem die Aussetzung der Vollziehung endet. Die Zinsen betragen
nach § 238 Abs. 1 AO für jeden Monat einhalb Prozent.
Sie sind von dem Tag an, an dem der Zinslauf beginnt, nur für
volle Monate zu zahlen; angefangene Monate bleiben außer
Ansatz.
Der Beklagte hat
am 26.10.2004 Aussetzung der Vollziehung der Einkommensteuer
2002 in Höhe von 29.632,00 € gewährt.
Der Einspruch hatte endgültig keinen Erfolg in Höhe
eines Steuerbetrages von 15.850 €. Für die Verzinsung
dieses Betrages begann der Zinslauf mit der Fälligkeit
der Steuer am 11.11.2004 und endete am 21.03.2011. Die hierauf entfallenden,
mit dem angegriffenen Zinsbescheid festgesetzten Zinsen betragen
6.023,00 €. Die Zinsfestsetzung entspricht der geltenden
Rechtslage.
Die Frage eines eventuellen Zinsverzichts als Billigkeitserweis
gem. § 237 Abs. 4 AO i. V. m. § 234 Abs. 2 AO,
der für die Kläger wirtschaftlich auf dasselbe
Ergebnis hinausliefe, kann nicht in diesem Anfechtungsverfahren
geltend gemacht werden, sondern wäre in einem gesonderten
Verfahren zu klären.
2. Das Gericht ist nicht gehalten, das Verfahren
gem. Art. 100 Abs. 1 GG auszusetzen und eine Entscheidung des BVerfG
zu der Frage einzuholen, ob die Festsetzung von Aussetzungszinsen
entsprechend § 238 AO i. V. m. § 237 Abs. 1 AO
verfassungswidrig ist, weil die vorhandenen verfassungsrechtlichen
Zweifel gegenwärtig für eine Vorlage nicht ausreichen.
a) Aussetzungszinsen sind erstmals durch das Steueränderungsgesetz vom
13.07.1961 (BGBl
I 1961, 981) eingeführt worden. Seit Inkrafttreten
der Abgabenordnung am 01.01.1977 regelt § 237 AO die Verzinsung
im Falle der Aussetzung der Vollziehung. Der gesetzliche Zinssatz
entspricht der bereits zuvor bestehenden Rechtslage nach § 5
Steuersäumnisgesetz. Danach betrugen die Zinsen für
jeden Monat einhalb vom Hundert. Sie waren von dem Tag an, an dem
der Zinslauf begann, nur für volle Monate zu zahlen; angefangene Monate
blieben außer Ansatz. Sinn und Zweck der Verzinsungspflicht gem. § 237
AO ist es, den Nutzungsvorteil wenigstens zum Teil abzuschöpfen,
den der Steuerpflichtige dadurch erhält, dass er während
der Dauer der Aussetzung über eine Geldsumme verfügen
kann, die nach dem im angefochtenen Steuerbescheid konkretisierten
materiellen Recht „an sich” dem Steuergläubiger
zusteht (vgl. z. B. BFH vom 24.07.1979 VII R 67/76, BStBl II 1979,
712; vom 20.09.1995 X R 86/94, BStBl II 1996,
53). Aussetzungszinsen sind das Gegenstück zu
den Prozesszinsen. Wenn von Beginn der Rechtshängigkeit Überzahlungen
verzinst werden, soll das Gleiche auch für Nachzahlungen
gelten, zumal durch die Einführung von Zinsen für
die Aussetzung der Vollziehung erreicht werde sollte, unnötige
Steuerprozesse zu vermeiden (so bereits BT-Drucks III/2573 <S. 37> zum
Entwurf des Steueränderungsgesetzes 1961 betreffend § 251a RAO
1931 n. F., auf den § 237 AO zurückgeht). Das
Gesetz zielt insoweit auf einen gerechten Ausgleich zwischen den
Zinsvorteilen des Steuerpflichtigen und dem Zinsverlust des Steuergläubigers
ab; die Aussetzungszinsen haben den Zweck, dem Steuergläubiger
den Nutzungsvorteil zuzuwenden, der ihm für einen nach
dem materiellen Steuergesetz geschuldeten Betrag gebührt
(vgl. BFH vom 31.03.2010 II
R 2/09, BFH/NV 2010, 1602). Der Gedanke
des angemessenen Ausgleichs für die erlangten Liquiditätsvorteile
durchzieht auch die übrigen Verzinsungsvorschriften, sei
es nach der Abgabenordnung (insbesondere § 233a AO) oder
anderer Verfahrensordnungen wie der Zivilprozessordnung. Vor diesem
Hintergrund bestehen dem Grunde nach keine verfassungsrechtlichen
Bedenken gegen eine Verzinsung des im Fall eines späteren endgültigen
Unterliegens zu zahlenden und von der Vollziehung zunächst ausgesetzten
Betrages.
b) Durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken mit Blick auf
den typisierten Zinssatz von 6 Prozent per anno bestehen für
den hier streitigen Verzinsungszeitraum November 2004 bis März
2011 im Ergebnis nicht.
In der Rechtsprechung ist die Verzinsungsregelung der AO bislang
nicht als verfassungswidrig angesehen worden. Das BVerfG hat mit
Kammerbeschluss vom 03.09.2009 (1 BvR 2539/07, BFH/NV
2009, 2115) im Zusammenhang mit der Beurteilung der Verfassungswidrigkeit
von Nachzahlungszinsen gem. § 233a AO, betreffend den Zeitraum
2001 bis 2006, erkannt, dass ein Zinssatz von einhalb Prozent pro
Monat nicht wegen Verstoßes gegen das Übermaßverbot
zu einer Verletzung des Rechtsstaatsprinzips nach Art. 20 Abs. 3
GG führe. Bei der Verzinsung handele es sich nicht um eine
steuerliche Sanktion. Vielmehr solle nur der potentielle Liquiditätsvorteil
des Steuerpflichtigen abgeschöpft werden. Zwar ermögliche
der aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG folgende Anspruch
des Steuerpflichtigen, nur im Rahmen der verfassungsmäßigen
Ordnung zur Leistung von Steuern und steuerlichen Nebenleistungen
(wie Zinsen) herangezogen zu werden, es ihm auch, hierbei die Berücksichtigung
des Verhältnismäßigkeitsprinzips einzufordern.
Der Steuerpflichtige dürfe nicht zu einer unverhältnismäßigen Abgabe
herangezogen werden. In der Verzinsung mit 6 Prozent pro Jahr liege
indes keine Verletzung des Übermaßverbots.
Indem der Gesetzgeber im Interesse der Praktikabilität
und der Verwaltungsvereinfachung den auszugleichenden Zinsvorteil
und -nachteil typisierend auf einhalb Prozent pro Monat festgesetzt
habe, sei dies jedenfalls rechtsstaatlich unbedenklich und stelle
insbesondere keinen Verstoß gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip
folgende Übermaßverbot dar. Nach der Absicht des
Gesetzgebers solle der konkrete Zinsvorteil- oder -nachteil für
den Einzelfall nicht ermittelt werden müssen. Eine Anpassung
an den jeweiligen Marktzinssatz oder an den Basiszinssatz nach § 247
des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) würde wegen
dessen Schwankungen auch zu erheblichen praktischen Schwierigkeiten
führen, da im Einzelnen für die Vergangenheit
festgestellt werden müsste, welche Zinssätze für
den jeweiligen Zinszeitraum zugrunde zu legen wären (so BTDrucks
8/1410, S. 13 zur Einführung der Vollverzinsung).
In vielen Fällen sei eine solche Ermittlung gar nicht möglich,
weil es von subjektiven Entscheidungen des Steuerpflichtigen abhänge,
in welcher Weise er Steuernachzahlungen finanziere oder das noch
nicht zu Steuerzahlungen benötigte Kapital verwende. Zudem
sei auch bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung
zu berücksichtigen, dass der hohe Zinssatz des § 233a
AO i. V. m. § 238 AO gleichermaßen zugunsten wie
zulasten des Steuerpflichtigen wirke.
Im Hinblick auf diese Entscheidung hat der BFH mit Urteil vom 20.04.2011
(I R 80/10, BFH/NV
2011, 1654) für den dortigen Streitzeitraum 1998
bis 2005 keine Veranlassung gesehen, die Höhe des Zinssatzes
(für Nachzahlungszinsen gem. § 233a AO) in Zweifel
zu ziehen. Das BVerfG sei insbesondere auf die Argumentation eingegangen,
dass am Kapitalmarkt in den Jahren 2001 bis 2006 mit einer üblichen
Anlageform eine Verzinsung von 6 Prozent per anno am deutschen Kapitalmarkt
nicht hätte erreicht werden können.
Die maßgeblichen Grundannahmen des Kammerbeschlusses
des BVerfG dürften allerdings z. T gegenwärtig
nicht mehr zutreffen. Insbesondere bestehen Zweifel, ob die „erheblichen
praktischen Schwierigkeiten” bei einer Anpassung des Zinssatzes
an den jeweiligen Marktzinssatz oder den Basiszinssatz nach § 247
BGB angesichts der Einsatzmöglichkeiten moderner EDV noch
bestehen. Zudem ist fraglich, ob die im Einzelnen nicht ausdifferenzierte Überlegung,
dass der typisierende Zinssatz von 6 Prozent per anno nicht unverhältnismäßig
sei, gegenwärtig noch aufrecht zu halten ist. Gestützt
hat sich das BVerfG hierbei einerseits auf die Annahme, dass es
von den subjektiven Entscheidungen des Steuerpflichtigen abhänge,
in welcher Weise er Steuernachzahlungen finanziere oder das für
Steuerzahlungen benötigte Kapital verwende und andererseits
zu berücksichtigen sei, dass der hohe Zinssatz von 6 Prozent
gleichermaßen zugunsten wie zulasten des Steuerpflichtigen
wirke.
In diesem Zusammenhang ist aber zu beachten, dass sich das Zinnsatzniveau
im letzten Jahrzehnt kontinuierlich nach unten bewegt hat, und zwar gilt
dies sowohl für Haben- wie für Sollzinsen. Beispielsweise
hat der Basiszinssatz gem. § 247 Abs. 2 BGB, der seit Übergang
der Geldpolitik auf die Europäische Zentralbank den Diskontsatz
abgelöst hat und jeweils zum 01.01. und zum 01.07. von
der Deutschen Bundesbank bekannt gemacht wird, seit 2002 folgenden
Verlauf genommen und bewegt sich aktuell im negativen Bereich:
-0,13 % | 01.01.2013 |
0,12 % | 01.07.2012 |
0,12 % | 01.01.2012 |
0,37 % | 01.07.2011 |
0,12 % | 01.01.2011 |
0,12 % | 01.07.2010 |
0,12 % | 01.01.2010 |
0,12 % | 01.07.2009 |
1,62 % | 01.01.2009 |
3,19 % | 01.07.2008 |
3,32 % | 01.01.2008 |
3,19 % | 01.07.2007 |
2,70 % | 01.01.2007 |
1,95 % | 01.07.2006 |
1,37 % | 01.01.2006 |
1,17 % | 01.07.2005 |
1,21 % | 01.01.2005 |
1,13 % | 01.07.2004 |
1,14 % | 01.01.2004 |
1,22 % | 01.07.2003 |
1,97 % | 01.01.2003 |
2,47 % | 01.07.2002 |
Auch Festgeldanlagen mit einer Dauer beispielsweise von 5 Jahren
erzielen gegenwärtig Zinssätze zwischen 1,3 Prozent
und 2,4 Prozent[1], der Sparbuchindex fiel beispielsweise
zwischen Mai 2009 und Mai 2013 von 1,116 auf 0,386.
[Die grafische Darstellung Sparbuchindex (Berechnung)
entfällt hier]
Auch Sollzinsen sind stetig gefallen, beispielsweise betrugen
die Refinanzierungszinsen für mittelgroße und
große Industrieunternehmen im Mai 2013 durchschnittlich
zwischen 1,25 Prozent und 1,9 Prozent[2]. Auch
private Konsumentenkredite sind -abhängig von Bonität,
Laufzeit, Höhe des Darlehens und dergl.- gegenwärtig
bereits zu Zinssätzen unter 4 Prozent zu erlangen.
In Konstellationen wie denen des Streitfalls ist zudem zu beachten,
dass es --anders als in dem Kammerbeschluss des BVerfG vom 03.09.2009
(a. a. O.) zugrunde liegenden Verfahren wegen Nachzahlungszinsen
gem. § 333a AO-- um die Festsetzung von Aussetzungszinsen
geht. Der durch Art. 20 Abs. 3 und Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistete
Anspruch auf effektiven Rechtsschutz und damit auch auf vorläufigen
Rechtsschutz (z. B. BVerfG vom 18.07.1973 1 BvR 23/73, 1 BvR 155/73, BVerfGE 35,
382 Rz. 54 zu § 80 Abs. 1 VwGO; BVerfG vom 25.10.1988 2 BvR 745/88,
BVerGE 79, 69) gerät in Gefahr, wenn im Falle eines späteren
endgültigen Unterliegens --oder Teilunterliegens wie im
Streitfall- eine übermäßige Belastung
mit Zinsen auf den ausgesetzten Steuerbetrag droht. Dabei ist auch einzubeziehen,
dass die Festsetzung von Aussetzungszinsen nicht nur in den Fällen
der vom Steuerpflichtigen beantragten Aussetzung der Vollziehung
zum Tragen kommen kann, sondern auch dann, wenn die Finanzbehörde
von Amts wegen Aussetzung der Vollziehung gem. § 361 Abs.
2 Satz 1 AO gewährt, obwohl der Steuerpflichtige dies weder
beantragt hat noch wünscht, um aus haushalterischen Erwägungen
dem Risiko der hohen Verzinsung zu entgehen, sog. aufgedrängte
Aussetzung der Vollziehung (vgl. z. B. BFH vom 09.05.2012 I R 91/10, BFH/NV
2012, 2004, vorgehend FG Köln vom 08.09.2010 13 K 960/08, EFG 2011, 105 mit
Anm. Neu). Inwieweit der Steuerpflichtige letztendlich erfolgreich
gegen einen späteren Bescheid über Aussetzungszinsen
für einen „zwangsausgesetzten” Betrag
wird vorgehen können, ist derzeit ungewiss und umstritten. Höchstrichterlich
ist die Frage bislang nicht geklärt (s. a. Seer in Tipke/Kruse,
AO, § 361 Rz.5; ders. Ubg 2008, 249).
c) Ungeachtet dessen sieht der Senat aber für den streitigen
Zinszeitraum 2004 bis 2011 die Grenze zum verfassungswidrigen Übermaßverbot
noch nicht als überschritten an.
Der typisierende Zinssatz von 6 Prozent per anno gem. § 258
AO gilt bereits seit über 50 Jahren (s. oben unter a))
und damit über einen Zeitraum, in dem erhebliche Zinsschwankungen
nach oben und unten auftraten. Beispielsweise lag der Zinssatz von
6 Prozent per anno 1978 erheblich über dem seinerzeit vorgesehenen
Zinssatz für Sparguthaben, sodass im Vorfeld der Einführung
der Vollverzinsung befürchtet wurde, Steuerpflichtige könnten
durch Gestaltungen eine zinsgünstige Anlage beim Finanzamt
erreichen (vgl. BT-Drs. 8/1410, S. 12, 13, Bericht der Bundesregierung über
die Möglichkeit der Einführung einer Vollverzinsung
vom 06.01.1978). Der Diskontsatz als Orientierungsgröße
unterlag seit den 50er Jahren regelmäßigen Schwankungen
zwischen Unterwerten von 2,75 Prozent (1959) oder 2,5 Prozent (1988)
und Spitzen von 7,5 Prozent (1970), 7,5 Prozent (1980/1981)
und 8,75 Prozent (1992). Seit Beginn des neuen Jahrhunderts hat
sich der Zinssatz dann kontinuierlich nach unten bewegt, lediglich
zwischen 2007 und 2009 ist es zu einem Anstieg von 1,95 Prozent
per 01.07.2006 über 2,70 Prozent per 01.01.2007 auf 3,32
Prozent per 01.01.2008 gekommen, um sodann ab Mitte 2009 unter die
Ein-Prozent-Grenze zu fallen (0,12 Prozent per 01.07.2009, siehe
im Übrigen oben Basiszinstabelle). Ab dem zweiten Halbjahr
2008 hat sich damit gezeigt, dass sich der Trend der sinkenden Zinsen
nicht umgekehrt hatte, sondern nach einem kurzen „Zwischenhoch” fortsetzte.
Gleichwohl sieht der erkennende Senat den Gesetzgeber von Verfassungs wegen
noch nicht als verpflichtet an, bereits für den hier in
Rede stehenden Verzinsungszeitraum von Ende 2004 bis Anfang 2011
eine Anpassung des typisierenden Zinssatzes von 6 Prozent per anno
an das gesunkene Zinsniveau vorzunehmen. Zwar bedarf eine typisierende Regelung
der Korrektur, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse,
die Grundlage einer zulässigen Typisierung waren, durchgreifend ändern
(z. B. BVerfG vom 26.03.1980 1 BvR 121/76, 1 BvR 122/76, BStBl II 1980,
545 zur Rentenbesteuerung; vom 28.11.1984 1 BvR 1157/82, BStBl II 1985,
181 zur Anhebung des Rechnungszinsfußes bei Pensionsrückstellungen).
Anders als in den letzten vier Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts
mit erheblichen Zinsschwankungen hat sich nunmehr ersichtlich ein
Niedrigzinsniveau stabilisiert und haben sich damit die tatsächlichen
Verhältnisse gegenüber den Gegebenheiten bei Einführung
des Zinssatzes von 6 Prozent per anno entscheidend verändert.
Allerdings führen nach der vornehmlich zu Art. 3 GG
entwickelten verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung vorhandene
Ungleichheiten nicht in jedem Fall zur sofortigen Verfassungswidrigkeit
und werden dem Gesetzgeber zur Beseitigung solcher Ungleichheiten
in bestimmten Fällen Fristen eingeräumt. Das ist
einmal dann der Fall, wenn der Gesetzgeber sich bei Neuregelung
eines komplexen Sachverhaltes zunächst mit einer gröber
typisierenden und generalisierenden Regelung begnügt, um diese
nach hinreichender Sammlung von Erfahrungen allmählich
durch eine entsprechend fortschreitende Differenzierung zu verbessern.
Zum anderen gilt dies auch dann, wenn die tatsächlichen
Verhältnisse sich im Rahmen einer langfristigen Entwicklung
in einer Weise verändert haben, dass die Beseitigung der
Unstimmigkeiten durch eine einfache und daher schnell zu verwirklichende
Anpassung nicht möglich ist (BVerfG vom 26.03.1980 1 BvR 121/76, 1 BvR 122/76, BStBl II 1980,
545 m. w. N.).
Vor dem Hintergrund, dass Zinssätze mit Rücksicht
auf wirtschaftliche und politische Implikationen Schwankungen unterliegen,
wie sie sich in der Vergangenheit stets abgebildet haben, ist dem
Gesetzgeber danach eine gewisse Beobachtungszeit zuzubilligen, bevor
eine Anpassung an die veränderten Verhältnisse
unumgänglich wird. Besonders gilt dies mit Blick darauf,
dass es -wie zuvor dargestellt- Anfang 2007 bis Mitte 2008 zu einem
nennenswerten Anstieg des Basiszinssatzes gekommen ist. Deshalb
war auch zum Ende des hier streitgegenständlichen Verzinsungszeitraums
noch keine Zinsanpassung geboten.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135
Abs. 1 FGO. Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung
gem. § 115 Abs. 2 FGO zuzulassen.
[1] Zahlen lt. Internet
[2] Lt. Reuter Nachrichtendienst vom 16.05.2013