· Fachbeitrag · Umsatzsteuer
Ausfuhren sollen bei Kenntnis vom Weiterverkauf durch den Kunden steuerpflichtig sein
von Dipl.-Finw. Rüdiger Weimann, Dozent und freier Gutachter in Umsatzsteuerfragen, Partner der kmk Steuerberatungsgesellschaft mbH, Dortmund
| Das FG Münster hat darauf erkannt, dass die erste Lieferung im Rahmen eines Ausfuhr-Reihengeschäfts als ruhende Lieferung steuerpflichtig erfolgt, wenn dem Ausgangslieferanten vor Beginn des Transports bekannt ist, dass sein Kunde die Ware bereits vorab an einen Dritten verkauft hat ( FG Münster 16.1.14, 5 K 3930/10 U ). Das Urteil sorgt derzeit für Erstaunen, liegt aber eigentlich auf der Linie der neueren Rechtsprechung von EuGH und BFH. |
1. Der Urteilsfall
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Ein deutsches Unternehmen (D) verkaufte Handys an ein britisches Unternehmen (GB). Letzteres beauftragte ein Beförderungsunternehmen mit dem Transport an seinen (End-)Kunden in Dubai. Dort kamen die Geräte auch tatsächlich an. Zu Beginn des Transports wusste D bereits von der Weiterveräußerung der Ware durch GB.
D behandelte den Vorgang als steuerfreie Ausfuhrlieferung. Dem folgte das Finanzamt nicht; die Lieferung des D an GB sei als ruhende Lieferung in Deutschland umsatzsteuerpflichtig. Das FG Münster pflichtete dem Finanzamt bei. |
2. Die Kenntnis von der Weiterveräußerung steht der Steuerbefreiung entgegen
Das FG stellte zur Beantwortung der Frage, wem die bewegte Lieferung und damit die Ausfuhrbefreiung zugerechnet werden muss, zunächst fest, dass eine umfassende Würdigung aller Umstände des Einzelfalles erforderlich ist. Ein wichtiges Indiz dabei sei, ob der Zwischenerwerber (GB) dem Ausgangslieferanten (D) mitgeteilt hat, dass er die Ware bereits vor der Beförderung oder Versendung an einen Endabnehmer weiterverkauft hat. Dem liegt die Überlegung zu Grunde, dass aufgrund einer derartigen Mitteilung für den Ausgangslieferanten erkennbar ist, dass die Beförderung oder Versendung nicht seiner Lieferung zuzurechnen ist (FG Münster, a.a.O., Rz. 39).
PRAXISHINWEIS | Für die erforderliche Abgrenzung kommt es also auf
des Zwischenerwerbers an, den Liefergegenstand zu befördern oder zu versenden (FG Münster, a.a.O., Rz. 38). |
3. Erkenntnisse von EuGH und BFH zum EU-Warengeschäft
Argumentation und Denkweise sind an sich nicht neu. EuGH und BFH haben dieses Gedankengut in den letzten Jahren sukzessive entwickelt (EuGH 16.12.10, C-430/09, Euro Tyre Holding, BFH/NV 11, 379; EuGH 27.9.12, C-587/10, VStR, BFH/NV 12, 1919; BFH 11.8.11, V R 3/10, BFH/NV 11, 2208).
Beachten Sie | Das letztere Urteil erging allerdings zur Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung. Das FG überträgt die Gedanken nunmehr erstmals auf die Steuerbefreiung der Ausfuhrlieferung.
Wichtig | Auch den vom EuGH im Grundsatzurteil „Rs. Mecsek-Gabona“ entwickelten Maßstäben wird das Urteil weitgehend gerecht (siehe EuGH 6.9.12, C-273/11, BFH/NV 12, 1919). Für die Beurteilung eines (Ausgangs- oder Eingangs-) Umsatzes kommt es danach immer auf den Kenntnisstand der Beteiligten bei Ausführung des Umsatzes an! Soweit das FG auf das tatsächliche Gelangen ins Drittland abstellt, ist dies m.E. nicht haltbar, da der EuGH ausdrücklich auf die Kenntnis des Lieferanten im Lieferzeitpunkt abstellt und der tatsächliche Transport denknotwendig erst später erfolgen kann. Diese Einschränkung begegnet damit den schon gegen die neue Gelangensbestätigung geäußerten Bedenken.
GESTALTUNGSHINWEIS | Im Ergebnis hat danach der Zwischenerwerber im Fall des Weiterverkaufs die Möglichkeit, durch Mitteilung oder Verschweigen des Weiterverkaufs die Beförderung oder Versendung entweder dem Eingangsumsatz („Lieferung an ihn“ i.S.v. § 3 Abs. 6 S. 6 UStG) oder dem eigenen Ausgangsumsatz zuzuordnen (vgl. auch FG Münster, a.a.O., Rz. 47). |
4. Verwendung der USt-IdNr. hier ohne Aussagekraft
„Durch die Verwendung der englischen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer hat die S Ltd im Streitfall auch kein ‚Wahlrecht‘ dahingehend ausgeübt, dass die bewegte Lieferung im Verhältnis Organtochter/S Ltd stattfinden sollte. Jedenfalls bei Liefervorgängen mit Drittlandsbezug misst der Senat der Verwendung oder Nichtverwendung der USt-IdNr. durch den Zwischenerwerber keine maßgebliche Rolle bei“ (FG Münster, a.a.O., Rz. 47). Das FG Münster lässt den Einsatz der USt-IdNr. aber zutreffend unbeachtet, da die USt-IdNr. lediglich der umsatzsteuerlichen Erfassung und Gestaltung von EU-Geschäften dient (vgl. z.B. A 3.14 Abs. 10 UStAE).
5. Vorgehen in der Praxis
Das FG hat wegen grundsätzlicher Bedeutung und zur Fortbildung des Rechts die Revision zugelassen (FG Münster, a.a.O., Rz. 50). Bis zu einer höchstrichterlichen Entscheidung empfiehlt sich in der Praxis folgendes Vorgehen:
CHECKLISTE / Vertragliche Absicherung bei Ausfuhren |
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Die empfohlenen vertraglichen Zusatzvereinbarungen könnten wie folgt lauten:
Musterschreiben / Information über Weiterverkauf vor Ausfuhr |
Der Vertragspartner ... (Käufer) informiert den Vertragspartner ... (Verkäufer) dahingehend, dass er die Kaufsache (§ ...) bereits vor dem Transportbeginn weiterveräußert hat. Aus diesem Grunde erklärt sich der Käufer mit einer Bruttoabrechnung (inklusive deutsche Umsatzsteuer) einverstanden. |
MUSTERSCHREIBEN / Information über Ausbleiben des Weiterverkaufs |
Der ... (Käufer) informiert den ... (Verkäufer) dahingehend, dass er die Kaufsache (§ ...) vor dem Transportbeginn noch nicht weiterverkauft hat. Sollte dies unzutreffend sein oder von der Finanzverwaltung anders beurteilt werden, wird der Käufer dem Verkäufer die festgesetzte Umsatzsteuer mit Nebenleistungen (Zinsen) nachzahlen.
Sollte der Käufer sich nach Abschluss dieses Vertrages und vor Transportbeginn umentscheiden, wird er den Verkäufer umgehend informieren und dann mit einer Bruttoabrechnung (inklusive deutsche Umsatzsteuer) einverstanden sein. |
6. Wichtige Erkenntnis zum (fehlenden) Vertrauensschutz
Letztlich sind auch die Ausführungen interessant, mit denen das FG Münster einen Vertrauensschutz aberkennt (Rz. 48 des Urteils): „Die Klägerin genießt keinen Vertrauensschutz gemäß § 176 AO. Zur Frage der Zuordnung der bewegten Lieferung gemäß § 3 Abs. 6 S. 6 UStG existierte keine klare höchstrichterliche Rechtsprechung, die von der Finanzverwaltung angewandt wurde und die sich geändert hat (§ 176 Abs. 1 Nr. 3 AO). …“
FAZIT | Das Urteil zeigt wieder einmal, welche Risiken die Umsatzsteuer für den leistenden Unternehmer insbesondere bei Anwendung der Steuerbefreiungen mit sich bringt. Gleichzeitig wird wieder einmal deutlich, wie wenig man selbst bei den Finanzgerichten auf Vertrauensschutz hoffen darf. Die Vorschriften zur Bestimmung des Lieferorts gelten in dieser Form bereits seit dem 1.1.97 - und noch immer gibt es zu dieser alltäglichen Fallgestaltung keine verlässliche Rechtsprechung. Für die Praxis ein unhaltbarer Zustand, den das FG Münster aber wohl für normal hält. BFH und EuGH tun sich da merklich leichter. Dem Ausgang des Revisionsverfahrens darf man daher mit Spannung entgegensehen. |