· Fachbeitrag · Umsatzsteuer
Vorsicht „Steuerfalle“ bei EU-Verkäufen, denen ein Wareneinkauf im EU-Ausland vorangeht
von Dipl.-Finw. Rüdiger Weimann, Dozent, Lehrbeauftragter und freier Gutachter in Umsatzsteuerfragen, Dortmund
| Wird in einer Rechnung über ein innergemeinschaftliches Dreiecksgeschäft abgerechnet, ist ausdrücklich auf das Vorliegen eines solchen Geschäftes und auf die Steuerschuldnerschaft des letzten Abnehmers hinzuweisen. Dabei sind die USt-IdNr. des Unternehmers und die des Leistungsempfängers anzugeben (§ 14a Abs. 7 UStG). Diesbezügliche Abrechnungsfehler sind nicht rückwirkend heilbar ‒ so die eindeutige Rechtsprechung von EuGH (8.12.22, C-247/21, Luxury Trust Automobil) und BFH (17.7.24, XI R 35/22 [XI R 14/20]). |
1. Relevanz für deutsche Lieferanten und betroffene Branchen
Das Urteil erscheint auf den ersten Blick wenig praxisrelevant zu sein. Die genauere Betrachtung zeigt jedoch, dass die unterschiedlichsten Branchen immer wieder in innergemeinschaftliche Dreiecksgeschäfte eingebunden sind. Die Einbindung erfolgt i. d. R. unbewusst. Darin liegt die besondere Gefahr. Denn Abrechnungsfehler führen zu einem missglückten Dreiecksgeschäft und damit zu erheblichen Mehrkosten. Ein deutscher Lieferant muss die neue Rechtsprechung beachten, wenn er
- Ware in das EU-Ausland verkauft, die er vorab in einem anderen EU-Mitgliedstaat von einem Vorlieferanten eingekauft hat und
- die Ware von seinem Lieferanten direkt zum Kunden transportiert wird oder
- der deutsche Lieferant die Ware selbst direkt zu seinem Kunden transportiert ‒ und zwar in seiner Eigenschaft als „Abnehmer“ seines Vorlieferanten (vgl. Abschn. 25b.1 Abs. 5 UStAE).
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Ein niederländisches Unternehmen (NL) bestellt bei einem deutschen Büroausstatter (D) dringend benötigte Ersatzteile für ein Fotokopiergerät. D kauft die Ersatzteile direkt beim italienischen Hersteller (I). I trägt die Transportverantwortung für die „schnelle Auslieferung“ an NL in Amsterdam und rechnet gegenüber D netto ab, liefert die Ersatzteile also steuerfrei innergemeinschaftlich. Alle Beteiligten verwenden gegenüber den Geschäftspartnern die von ihren Ländern erteilten USt-IdNrn. |
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Derartige Geschäfte gehören zum Tagesgeschäft der unterschiedlichsten Branchen, beispielhaft seien hier genannt:
- Ersatzteilhandel: Hinweis auf den Grundfall
- Anlagenbau: Wie der Grundfall. D errichtet als Anlagenbauer Erdtanksysteme für die Lagerung flüssiger Chemikalien. Eine solche Anlage hat D auch bei NL errichtet. Als eine dort verbaute Pumpe ausfällt, bestellt NL diese bei D. D bestellt die Pumpe seinerseits bei I und lässt sie ‒ wie beschrieben ‒ von I direkt an NL ausliefern.
- Kfz-Handel: Wie der Grundfall. D ist Kfz-Händler und handelt mit High-End-Fahrzeugen, vorzugsweise von italienischen Sportwagenherstellern. Ein solches Fahrzeug bestellt NL bei D. D kauft das Fahrzeug direkt beim italienischen Hersteller (I) und lässt es wie beschrieben von I direkt an NL ausliefern.
Beachten Sie | Häufig erfolgen solche Geschäfte ein Stück weit außerplanmäßig und unter Zeitdruck, weil nur Ware verkauft wird, die sich bereits in einem Auslieferungslager befindet oder weil der EU-ausländische Kunde dringend Ware benötigt, die der deutsche Lieferant „auf die Schnelle“ besorgen soll. Die Einbindung des Unternehmens in ein innergemeinschaftliches Dreiecksgeschäft erfolgt damit i. d. R. unbewusst. Gerade darin liegt die besondere Gefahr.
2. Beurteilung nach den allgemeinen Regeln für Reihengeschäfte
Ohne die Sonderregelung des § 25b UStG wäre der Grundfall wie folgt zu lösen:
- I tätigt in Italien eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung an D (§ 4 Nr. 1 Buchstabe b i. V. m. § 6 a UStG).
- D tätigt in den Niederlanden einen innergemeinschaftlichen Erwerb von I (§ 3d S. 1 UStG).
- D tätigt zusätzlich in Deutschland einen innergemeinschaftlichen Erwerb von I, da er für den Einkauf die deutsche USt-IdNr. verwandt hat (§ 3d S. 2 UStG).
- D tätigt in den Niederlanden eine „normale“ (Inlands-)Lieferung an NL. Die Lieferung ist steuerbar und steuerpflichtig. D hat gegenüber NL damit eine Rechnung unter Ausweis der niederländischen Umsatzsteuer aufzumachen.
PRAXISTIPP | D müsste sich ‒ sähe § 25b UStG keine Ausnahmeregelung vor ‒ aufgrund des innergemeinschaftlichen Erwerbs von I und seiner eigenen Lieferung an NL in den Niederlanden umsatzsteuerlich registrieren lassen. Dies wiederum würde für D einen erhöhten administrativen Aufwand auslösen durch
der bereits bei der Kalkulation eines Auftrags und damit von den (i. d. R. mit steuerlichen Fragen wenig befassten) Ein- und Verkaufsabteilungen berücksichtigt werden muss. Erfahrungsgemäß beläuft sich dieser Mehraufwand auf ca. 10.000 bis 12.000 EUR (pro zusätzliche Registrierung). |
3. Vereinfachung in Deutschland nach § 25b UStG
Liegt ein innergemeinschaftliches Dreiecksgeschäft vor, wird die Steuerschuld für die (Inlands-)Lieferung unter den Voraussetzungen des § 25b Abs. 2 UStG von dem ersten Abnehmer (D) auf den letzten Abnehmer (NL) übertragen. Im Fall der Übertragung der Steuerschuld gilt zugleich auch der innergemeinschaftliche Erwerb des ersten Abnehmers als besteuert (§ 25b Abs. 3 UStG).
PRAXISTIPP | Die Vereinfachung des § 25b UStG besteht nun darin, dass die eigentlich erforderliche steuerliche Registrierung des D als mittlerer Unternehmer im Bestimmungsland NL entfällt. |
Beachten Sie | Die Annahme, § 25b UStG regele das innergemeinschaftliche Dreiecksgeschäft abschließend, geht weit über die tatsächliche Bedeutung der Vorschrift hinaus. Insbesondere bestimmen sich die Liefer- und Erwerbsorte ausschließlich nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 3, 3d UStG.
4. Vereinfachung in anderen EU-Mitgliedstaaten nach Art. 141 MwStSystRL
§ 25b UStG gilt ausschließlich für Umsätze, die in Deutschland bewirkt werden. Im Beispielsfall geht es aber um die Umsätze des D in den Niederlanden. Maßgebend ist also insoweit das niederländische Umsatzsteuerrecht.
PRAXISTIPP | Der deutsche § 25b UStG setzt aber lediglich EU-Vorgaben durch Art. 141 MwStSystRL in deutsches Recht um. Das Umsatzsteuerrecht aller anderen EU-Mitgliedstaaten und auch der Niederlande tut dies ebenfalls. Aus § 25b UStG ergeben sich daher entsprechend auch die Rechtsfolgen in den Niederlanden. |
5. Besonderheiten bei der Rechnungserteilung
Nach § 25b Abs. 2 Nr. 3 UStG ist materielle Voraussetzung für die Übertragung der Steuerschuld, dass der erste Abnehmer dem letzten jeweils am Dreiecksgeschäft beteiligten Abnehmer eine Rechnung i. S. d. § 14a Abs. 7 UStG erteilt, in der die Steuer nicht gesondert ausgewiesen ist (Abschn. 25b.1 Abs. 8 S. 1 UStAE). Im Beispielsfall muss also D zur Vermeidung der Registrierung dem NL eine entsprechende Rechnung erteilen. Neben den bekannten Rechnungspflichtangaben (§ 14 Abs. 4 UStG) sind in der Rechnung des ersten Abnehmers danach folgende zusätzliche Angaben erforderlich:
- Hinweis auf das Vorliegen eines innergemeinschaftlichen Dreiecksgeschäfts wie z. B. „Innergemeinschaftliches Dreiecksgeschäft nach § 25b UStG“ oder „Vereinfachungsregelung nach Art. 141 MwStSystRL“
- Hinweis auf die Steuerschuld des letzten am Dreiecksgeschäft beteiligten Abnehmers
- Angabe der USt-IdNr. des ersten und des letzten am Dreiecksgeschäft beteiligten Abnehmers
Beachten Sie | Der letzte am Dreiecksgeschäft beteiligte Abnehmer soll durch die Hinweise in der Rechnung eindeutig und leicht erkennen können, dass er letzter Abnehmer in einem innergemeinschaftlichen Dreiecksgeschäft ist und die Steuerschuld auf ihn übertragen wird (Abschn. 25b.1 Abs. 8 S. 3 UStAE).
6. Strenge Anforderungen von EuGH und BFH an die Rechnung
Der EuGH (Rz. 59 ff. des Besprechungsurteils) und diesem insoweit wörtlich folgend der BFH (Rz. 46) vertreten eine zumindest in Teilen sicher unerwartet strenge Rechtsauffassung. Sie messen der Rechnungsangabe „Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers“ materielle Bedeutung bei. Ein diesbezüglicher Fehler ist nicht rückwirkend heilbar.
6.1 Rechnungspflichtangabe
Nach Art. 226 Nr. 11a MwStSystRL und in deren Umsetzung nach § 14a Abs. 7 UStG muss die vom Zwischenerwerber ausgestellte Rechnung die Angabe „Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers“ enthalten. Der Zwischenerwerber kann diese Angabe nicht durch einen anderen Hinweis ersetzen. Der Enderwerber im Rahmen eines Dreiecksgeschäfts ist daher nicht wirksam als Schuldner der Mehrwertsteuer bestimmt worden, wenn die vom Zwischenerwerber ausgestellte Rechnung nicht die Angabe „Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers“ enthält.
Die fehlende Angabe „Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers“ auf einer Rechnung kann nicht im Nachhinein durch Ergänzung eines Hinweises darauf, dass diese Rechnung ein innergemeinschaftliches Dreiecksgeschäft betrifft und dass die Steuerschuld auf den Empfänger der Lieferung übergeht, „geheilt“ werden. Der EuGH erkennt zwar ausdrücklich an, dass das Grundprinzip der Neutralität der Mehrwertsteuer verlangt, dass der Vorsteuerabzug oder die Erstattung der Vorsteuer gewährt wird, auch wenn der Steuerpflichtige bestimmten formellen Anforderungen nicht genügt hat. Dies gilt jedoch gerade nicht, wenn gegen materielle Anforderungen verstoßen wird. Folglich würde es sich in einem solchen Fall nicht um eine Rechnungskorrektur handeln, sondern um die erstmalige Ausstellung der erforderlichen Rechnung, die keine Rückwirkung entfalten kann.
6.2 Auf Rechnung des Zwischenerwerbers anzuwendendes nationales Recht
Nicht beantwortet hat der EuGH in seinem Urteil die Frage, ob die Vorschriften über die Rechnungsstellung des Mitgliedstaats des Zwischenerwerbers oder jene des Mitgliedstaats des Enderwerbers anzuwenden sind. Dem vorlegenden Gericht stellt sich diese Frage, weil die Steuerpflichtige im Rahmen des Ausgangsverfahrens geltend macht, dass das Umsatzsteuerrecht des Bestimmungslands anzuwenden sei. Danach sei es nicht erforderlich, dass die Rechnungen einen Hinweis auf den Übergang der Steuerschuld enthielten.
Aus den o. g. Ausführungen ergibt sich jedoch, dass die Antwort auf diese Frage keine Auswirkung auf den Ausgang des Ausgangsrechtsstreits haben kann. Da auf den streitgegenständlichen Rechnungen die Angabe „Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers“ fehlt, ist die Bestimmung des Enderwerbers zum Schuldner der Mehrwertsteuer nämlich nicht wirksam erfolgt. Der Zwischenerwerber ist daher in dem Mitgliedstaat als Schuldner dieser Steuer anzusehen, der ihm die Identifikationsnummer erteilt hat, die er für den fraglichen innergemeinschaftlichen Erwerb verwendet hat.
Die in der MwStSystRL genannten Anforderungen können jedenfalls nicht von einem Mitgliedstaat zum anderen variieren. Das vorlegende Gericht hat das auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbare Recht, sei es das Recht des Mitgliedstaats des Zwischenerwerbers oder das Recht des Mitgliedstaats des Enderwerbers, in Übereinstimmung mit dem Unionsrecht auszulegen.
7. Gebrochener Transport
Die Besonderheit der besprochenen Fälle liegt darin, dass der Liefergegenstand im Rahmen der Beförderung oder Versendung durch eine Warenbewegung unmittelbar vom ersten Unternehmer an den letzten Abnehmer gelangt. Primäre Rechtsfolge eines Reihengeschäftes ist, dass es zwischen den Beteiligten zu einer Vielzahl von Lieferumsätzen i. S. d. § 3 Abs. 1 UStG kommt.
Reihengeschäfte sind damit nichts anderes als die Aneinanderreihung mehrerer Liefergeschäfte (vgl. Abschn. 3.14 Abs. 2 UStAE). Je nach Zurechnung der Warenbewegung zu einer der Lieferungen ergibt sich die Umsatzbesteuerung eines oder mehrerer Lieferanten in der Reihe im europäischen Ausland. Die Probleme lassen sich vermeiden, wenn mehrere Transporte aneinandergereiht werden und konsequent beim jeweils eigenen Vertragspartner enden.
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Wie der Grundfall. Zwischen D und I wird vereinbart, dass I die Ersatzteile selbst mit eigenem Lkw oder unter Beauftragung eines Spediteurs/Frachtführers zu D bringt. D bringt die Ersatzteile dann ‒ ebenfalls mit eigenem Lkw oder unter Beauftragung eines Dritten ‒ zu NL. |
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FAZIT | Mit der Einstufung einer Rechnungspflichtangabe als materielle Voraussetzung für eine Steuervergünstigung beschreiten EuGH und BFH einen neuen Weg. Lieferanten ist daher unbedingt anzuraten, die Vorgaben im Zweifel genauestens einzuhalten ‒ gilt es doch, im Einzelfall ca. 10.000 bis 12.000 EUR einzusparen. |