22.05.2014 · IWW-Abrufnummer 141551
Finanzgericht Münster: Urteil vom 11.04.2014 – 4 K 635/14 Kg
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Münster
4 K 635/14 Kg
Tenor:
Die Beklagte wird verpflichtet, den Ablehnungsbescheid vom 06.02.2014 und die hierauf ergangene Einspruchsentscheidung vom 13.02.2014 aufzuheben und gegenüber dem Kläger für das Kind N., geb. am xx.yy.1992, Kindergeld für den Monat Februar 2014 festzusetzen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Festsetzung von Kindergeld für Zeiten eines sog. dualen Studiums.
Der Kläger bezog für seinen in 1992 geborenen Sohn N. bis einschließlich Januar 2014 Kindergeld. N. nahm nach seinem Abitur im August 2012 eine Berufsausbildung zum Industriekaufmann bei der Firma F. GmbH (I-Stadt) auf. Nach Maßgabe des formularmäßigen Berufsausbildungsvertrages, in dem als Ausbildungsberuf die Bezeichnung „Industriekaufmann/Bachelor“ angegeben wurde, sollte die Berufsausbildung am 28.02.2014 enden. Ausbildungsbegleitend besuchte N. das Berufskolleg der Stadt J-Stadt, das er im Juli 2013 abschloss. Im Januar 2014bestand er vor der Industrie- und Handelskammer die Prüfung zum Industriekaufmann. Parallel zu seiner Berufsausbildung zum Industriekaufmann nahm N. ab September 2012 an der Hessischen Berufsakademie (Zweigstelle J-Stadt) ein duales Studium im Bachelor-Studiengang „Business Administration“ auf. Das Studium soll im August 2015 enden. Während der Zeit seiner Berufsausbildung zum Industriekaufmann fanden die Studienveranstaltungen an der Hessischen Berufsakademie jeweils samstags statt.
Ende Januar 2014 - d.h. nach der bestandenen staatlichen Prüfung zum Industriekaufmann - schlossen die Firma F. GmbH und der Sohn des Klägers eine als „Ergänzung zum Ausbildungsvertrag“ überschriebene Vereinbarung, mit der sich die Firma F. GmbH verpflichtete, ab März 2014 die monatlichen Studiengebühren von EUR 235 zu zahlen. Zudem wurde festgelegt, dass N. „im Rahmen der dualen Ausbildung“ ab März 2014 weiterhin seine im Berufsausbildungsvertrag festgelegten Vergütungen beziehen soll. Die wöchentliche Arbeitszeit (regelmäßig montags bis mittwochs) beträgt 24 Stunden; die Studienveranstaltungen an der Hessischen Berufsakademie finden nunmehr jeweils donnerstags und freitags statt.
Die Firma F. GmbH bestätigte, dass das Ausbildungsdienstverhältnis zum Sohn des Klägers erst zum 31.08.2015 ende. Die Studieninhalte der Hessischen Berufsakademie stimmten inhaltlich mit der Beschäftigung des Sohnes des Klägers im Unternehmen F. überein. Das Praxisprojekt sei eine Projektarbeit unter Absprache mit den betreuenden Dozenten der Berufsakademie bzw. den Ansprechpartnern im Unternehmen F.. Das hierfür ausgewählte Thema beschäftige sich mit Optimierungsvorschlägen für Abläufe im Unternehmen und stelle somit eine wissenschaftliche Arbeit für das Unternehmen F. dar. Inhaltlich bauten das duale Studium und die berufliche Ausbildung aufeinander auf. Ferner legte die Firma F. GmbH auf Nachfrage des Berichterstatters dar, dass die u.a. vom Sohn des Klägers besetzte Berufsausbildungsstelle als kombiniertes Ausbildungs- und Studiumspaket ausgeschrieben war.
Auf der Homepage der Hessischen Berufsakademie (www.hessische-ba.de) wird der vom Sohn des Klägers angestrebte Abschluss als „Ausbildung plus Studium“ dargestellt. Es könne eine betriebliche Ausbildung mit einem Studium kombiniert werden („duales Studium“), so dass innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren neben dem Abschluss vor der Industrie- und Handelskammer (nach zwei Jahren) ein Bachelor-Abschluss (nach einem weiteren Jahr) erworben werden könne.
Der Kläger beantragte im Januar 2014 die Fortzahlung des Kindergeldes für N. ab dem Zeitraum Februar 2014.
Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 06.02.2014 ab und begründete dies damit, dass N. seine erste Berufsausbildung (Industriekaufmann) bereits abgeschlossen habe und die besonderen Berücksichtigungsvoraussetzungen des § 32 Abs. 4 Sätze 2 und 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht vorlägen.
Der Einspruch blieb ohne Erfolg. In der Einspruchsentscheidung vom 13.02.2014 führte die Beklagte aus, dass N. sich durch sein Studium an der Hessischen Berufsakademie zwar in einer (weiteren) Berufsausbildung befände. Es handele sich jedoch um eine Zweitausbildung. Dies gelte auch - wie vorliegend -, wenn während eines Studiums eine Berufsausbildung abgeschlossen werde, und zwar unabhängig davon, ob die beiden Ausbildungen sich inhaltlich ergänzten. N. stünde neben seinem Studium (d.h. der Zweitausbildung) seit Februar 2014 in einem Beschäftigungsverhältnis mit einer Arbeitszeit von 24 Stunden/Woche. Damit werde die Grenze des § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG (20 Stunden/Woche) überschritten.
Mit seiner Klage trägt der Kläger vor, dass auch ein dualer Studiengang grundsätzlich nach der Dienstanweisung der beklagten Familienkasse (DA-FamEStG 63.4.3.2 Abs. 1 Satz 3) als Berufsausbildung im Sinne des Gesetzes zu berücksichtigen sei. Dies gelte auch dann, wenn die wöchentliche Arbeitszeit mehr als 20 Stunden betrage. Dies vertrete auch das Finanzgericht Münster in seiner Entscheidung vom 22.08.2013 (Az. 3 K 711/13 Kg).
Der Kläger beantragt (sinngemäß),
die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 06.02.2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13.02.2014 zu verpflichten, für seinen Sohn N. Kindergeld ab Februar 2014 festzusetzen.
Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Klagebegründung nebst Unterlagen sowie auf die Kindergeldakte Bezug genommen.
Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe:
Die Klage, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne die Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden konnte (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), hat Erfolg.
Die Beklagte ist verpflichtet, zu Gunsten des Klägers für dessen Sohn N. auch für den Monat Februar 2014 Kindergeld festzusetzen. Der Ablehnungsbescheid vom 06.02.2014 und die hierauf ergangene Einspruchsentscheidung vom 13.02.2014 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 101 Satz 1 FGO).
1. Der Senat hat im vorliegenden Verfahren ausschließlich über die Kindergeldfestsetzung für den Monat Februar 2014 zu befinden. Denn im finanzgerichtlichen Verfahren kann der Anspruch auf Kindergeld grundsätzlich nur in dem zeitlichen Umfang in zulässiger Weise zum Gegenstand einer Inhaltskontrolle gemacht werden, in dem die Familienkasse den Kindergeldanspruch auch tatsächlich geregelt hat. Der vom Kläger angegriffene Ablehnungsbescheid vom 06.02.2014 und die hierauf ergangene Einspruchsentscheidung vom 13.02.2014 enthalten lediglich eine das Kindergeld bis Februar 2014 ablehnende Regelung. Dies gilt trotz des hier vorliegenden Dauersachverhalts deshalb, da die Familienkasse im Falle eines Einspruchs gegen einen Ablehnungsbescheid längstens eine Regelung des Kindergeldanspruchs bis zum Ende des Monats der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung treffen kann. Das gerichtliche Verfahren führt - bereits aus Gründen der Gewaltenteilung - nicht zu einer Fortsetzung des Verwaltungsverfahrens (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 24.07.2013 XI R 24/12, BFH/NV 2013, 1920).
2. Der Kläger hat für seinen Sohn N., der im Monat Februar 2014 noch nicht das 25. Lebensjahr vollendete, Anspruch auf Kindergeld.
a. Zwar schloss der Sohn des Klägers bereits im Januar 2014 seine (erste) Berufsausbildung ab. Denn ausweislich des Prüfungszeugnisses vom xx.01.2014 bestand er vor der Industrie- und Handelskammer seine Abschlussprüfung nach § 37 des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) zum Industriekaufmann, einem anerkannten Ausbildungsberuf nach § 4 BBiG. Zu diesem Zeitpunkt wurde er in die Lage versetzt, als ausgebildeter Industriekaufmann in jenem Beruf einer Erwerbstätigkeit nachzugehen.
Allerdings befindet er sich auch über den Monat Januar 2014 hinaus in einer Berufsausbildung i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG. Er war (und ist) - was unstreitig ist - Bachelor-Student an der Hessischen Berufsakademie und strebt seinen Abschluss als Bachelor of Arts im Fach „Business Administration“ an. Dass der Sohn des Klägers insoweit keinem Vollzeit-Studium nachgeht, sondern nur an zwei Tagen in der Woche die Hessische Berufsakademie besucht, ist für die Annahme einer Berufsausbildung im kindergeldrechtlichen Sinne unschädlich. Denn der Tatbestand der Berufsausbildung i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG setzt nicht voraus, dass die Vorbereitung auf den künftigen Beruf die Arbeitskraft des Kindes überwiegend beansprucht (vgl. BFH-Urteil vom 24.02.2010 III R 3/08, BFH/NV 2010, 1262).
b. Einer kindergeldrechtlichen Berücksichtigung steht die Vorschrift des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht entgegen.
Hiernach ist selbst im Falle einer Berufsausbildung die Gewährung von Kindergeld ausgeschlossen, wenn das Kind bereits eine erstmalige Berufsausbildung oder ein Erststudium abgeschlossen hat und einer Erwerbstätigkeit nachgeht. Hintergrund dieser seit dem Jahr 2012 geltenden Regelung ist der Umstand, dass der Gesetzgeber die Vermutung aufstellte, dass das Kind nach Abschluss einer Erstausbildung selbst in der Lage ist, für seinen Unterhalt Sorge zu tragen. Diese Vermutung gilt allerdings als widerlegt, wenn sich das Kind in einer weiteren Berufsausbildung befindet und tatsächlich keiner (schädlichen) Erwerbstätigkeit nachgeht, die seine Zeit und Arbeitskraft überwiegend in Anspruch nimmt (vgl. BT-Drs. 17/5125, Seite 41). Vor diesem Hintergrund findet der vorgenannte Ausschluss der Berücksichtigung eines sich weiterhin in Berufsausbildung befindlichen Kindes nach § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG keine Anwendung, wenn
- die Erwerbstätigkeit 20 Stunden an regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit nicht überschreitet;
oder
- die (weitere) Berufsausbildung im Rahmen eines Ausbildungsdienstverhältnisses erfolgt
oder
- die Erwerbstätigkeit im Rahmen eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses i.S. von §§ 8, 8a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch erfolgt.
c. Im Streitfall ist die weitere Berufsausbildung des Sohnes des Klägers zum „Bachelor of Arts“ ab Februar 2014 kindergeldrechtlich begünstigt. Zwar überschreitet der Umfang seiner „Erwerbstätigkeit“ die Unschädlichkeitsgrenze von 20 Stunden/Woche. Allerdings findet die weitere - duale - Berufsausbildung im Rahmen eines Ausbildungsdienstverhältnisses statt.
Der Sohn des Klägers befindet sich auch über den Abschluss seiner Berufsausbildung zum Industriekaufmann hinaus in einem Ausbildungsdienstverhältnis zur Firma F. GmbH. Das Unternehmen bestätigte, dass das Ausbildungsdienstverhältnis erst zum 31.08.2015 - d.h. zum Zeitpunkt des Abschlusses des Bachelor-Studiums an der Hessischen Berufsakademie - ende. Dieser Wertung entspricht auch der Umstand, dass die Firma F. GmbH und der Sohn des Klägers am 29.01.2014 eine als „Ergänzung zum Ausbildungsvertrag“ überschriebene Vereinbarung schlossen, wonach sich die F. GmbH verpflichtete, für den Sohn des Klägers die monatlich anfallenden Studiengebühren zu zahlen und dieser weiterhin seine ursprünglich vereinbarte Berufsausbildungsvergütung beziehen soll. Hinzu kommt, dass nach der Bestätigung der Firma F. GmbH die vom Sohn des Klägers zu erlernenden Inhalte des Bachelor-Studiengangs mit der (offenbar künftigen) Tätigkeit im Unternehmen verzahnt sind. Insofern ist ferner zu berücksichtigen, dass die Ausbildung zum Industriekaufmann und das Bacherlor-Studium an der Hessischen Berufsakademie nicht rein zufällig aufeinander aufbauen. Bereits in der Stellenausschreibung bot - wie bestätigt - die Firma F. GmbH eine kombinierte Ausbildung zum Industriekaufmann und ein Bachelor-Studium an. Auch die Hessische Berufsakademie verdeutlicht auf ihrer Internetpräsenz die Vorteile einer parallel verlaufenden Kombination aus Ausbildung und Studium („BA. Dual. Genial: Ausbildung plus Studium“). Hieraus ergibt sich, dass der Sohn des Klägers sich nicht mit der erfolgreich abgeschlossenen staatlichen Prüfung zum Industriekaufmann als endgültig „berufsausgebildet“ ansah, sondern dies erst als ersten Baustein seiner dualen Berufsausbildung wertete. Denn nach Maßgabe der Vereinbarungen mit der Firma F. GmbH - insbesondere unter Berücksichtigung des Stellenausschreibungsprofils - wird die im August 2012 begonnene Berufs- und Studienausbildung letztlich erst im August 2015 insgesamt beendet sein.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, diejenige zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
4. Der Senat lässt die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache sowie zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu (§ 115 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 FGO). Das Hessische Finanzgericht verneinte in seiner Entscheidung vom 21.11.2013 8 K 807/12, EFG 2014, 457, der ein durchaus vergleichbarer Sachverhalt (IHK-Ausbildung zum Fachinformatiker sowie duales Bachelor-Studium mit dem Schwerpunkt Wirtschaftsinformatik) zugrunde lag, den Kindergeldanspruch für Zeiten nach Abschluss der IHK-Prüfung. Das Revisionsverfahren gegen die Entscheidung des Hessischen Finanzgerichts wird unter dem Az. XI R 1/14 geführt.