22.10.2013 · IWW-Abrufnummer 133257
Finanzgericht Münster: Urteil vom 20.09.2013 – 4 K 718/13 E
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Münster
4 K 718/13 E
Tenor:
Der Beklagte wird verpflichtet, unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 19.01.2012 und der daraufhin ergangenen Einspruchsentscheidung vom 28.02.2013 die Einkommensteuerfestsetzung für das Jahr 2010 dahingehend zu ändern, dass die vom Kläger im Jahr 2010 vereinnahmten Zinsen in Höhe von EUR 3.537 – unter Berücksichtigung der auf die Zinsen entfallenden Kirchensteuer – dem Abgeltungsteuersatz von 25% unterworfen werden.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Kläger abwenden, soweit nicht die Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leisten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob Zinsen aus einem privat gewährten Darlehen dem tariflichen Einkommensteuersatz oder dem Abgeltungsteuersatz von 25% (§ 32d Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes – EStG –) unterliegen.
Die Kläger sind Eheleute und werden für das Streitjahr 2010 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger ist evangelischer, die Klägerin römisch-katholischer Konfession. Der Kläger ist Steuerberater und Wirtschaftsprüfer. Er war zunächst alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer einer Steuerberatungs GmbH. Mit Wirkung zum 31.12.2008 übertrug er einen Geschäftsanteil der GmbH an den Steuerberater T.. Mit Wirkung zum 01.01.2009 wurde die Steuerberatungs GmbH in eine Partnerschaftsgesellschaft, die I. + Partner Steuerberatungsgesellschaft, formgewechselt. Herr T. erwarb vom Kläger eine fünfprozentige Beteiligung an der neu gegründeten Partnerschaftsgesellschaft zum Kaufpreis von EUR 57.500.
Den Kaufpreis für die Beteiligung an der I. + Partner Steuerberatungsgesellschaft finanzierte Herr T. durch ein Darlehen, das ihm der Kläger aus privaten Mitteln mit Wirkung zum 01.01.2009 zur Verfügung stellte. Das Darlehen ist mit 5% p.a. zu verzinsen. Zur Sicherung des Darlehensrückzahlungsanspruchs verpfändete Herr T. dem Kläger seinen Anteil an der I. + Partner Steuerberatungsgesellschaft. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Darlehensvertrag vom 31.12.2008 Bezug genommen.
Sowohl den Darlehensrückzahlungsanspruch als auch die Zinszahlungsverpflichtung auf den 31.12.2009 passivierte die I. + Partner Steuerberatungsgesellschaft im Sonderbetriebsvermögen von Herrn T. (Sonderbetriebsvermögen II).
Im März 2010 zahlte Herr T. an den Kläger die für den Zeitraum vom 01.01.2009 bis 23.03.2010 fälligen Zinsen in Höhe von insgesamt EUR 3.537,85. Kapitalertragsteuer wurde nicht einbehalten.
In der gemeinsamen Einkommensteuererklärung der Kläger für das Streitjahr 2010 erklärte der Kläger die vorgenannten Zinsen als solche, die nicht dem inländischen (Kapitalertrag-)Steuerabzug unterlägen hätten und die nach § 32d Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 32d Abs. 1 Satz 1 EStG mit dem Steuersatz von 25% zu besteuern wären.
Nachdem der Beklagte der Erklärung zunächst mit Einkommensteuerbescheid vom 18.10.2011 gefolgt war, änderte er mit weiterem Bescheid vom 15.12.2011 die Festsetzung nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) dahingehend, dass er die Zinserträge nunmehr als Einkünfte erfasste, die dem progressiven Einkommensteuersatzunterlägen. Zur Begründung führte er an, dass der Abgeltungsteuersatz deshalb keine Anwendung fände, da der Kläger und Herr T. einander nahe stehende Personen i.S. von § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG seien. Der Vorbehalt der Nachprüfung blieb auch im Änderungsbescheid bestehen.
Die Kläger beantragten sodann die Abänderung des Einkommensteuerbescheides vom 15.12.2011 und machten geltend, dass die Kapitalerträge der Abgeltungsteuer unterlägen.
Der Beklagte lehnte den Änderungsantrag mit Bescheid vom 19.01.2012 ab.
Während des Einspruchsverfahrens gegen den Ablehnungsbescheid erging aus vorliegend nicht streitigen Gründen am 03.12.2012 ein erneut geänderter Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 2010.
Der Einspruch gegen den Ablehnungsbescheid blieb erfolglos. In der Einspruchsentscheidung vom 28.02.2013 hielt der Beklagte an seiner Auffassung fest, dass der Kläger und Herr T. einander nahe stehende Personen i.S. von § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG seien. Die Ausnahme von der grundsätzlichen Geltung der Abgeltungsteuer für Kapitalerträge solle dem Anreiz entgegenwirken, betriebliche Gewinne in Form von Darlehenszinsen abzusaugen, um so in den Genuss einer Steuersatzspreizung zu kommen. Im Streitfall sei es nicht erheblich, dass der Kläger und Herr T. keine Angehörigen i.S. von § 15 AO seien und der Darlehensvertrag auch den Erfordernissen des Fremdvergleichs standhalte. Vielmehr müsse berücksichtigt werden, dass der Kläger 95% der Anteile an der I. + Partner Steuerberatungsgesellschaft halte und Herr T. als Darlehensnehmer nur 5%. Insoweit sei es dem Kläger möglich, über die Beteiligungsposition einen beherrschenden Einfluss auf Herrn T. auszuüben. Hinsichtlich der Vereinbarung der Bedingungen des Darlehensvertrages sei es dem Kläger zudem möglich gewesen, einen außerhalb dieser Geschäftsbeziehung begründeten Einfluss auf Herrn T. auszuüben. Dies genüge, um von einem Näheverhältnis i.S. von § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG auszugehen (Hinweis auf die BMF-Schreiben vom 22.12.2009, 23.12.2010 und 09.10.2012, BStBl I 2010, 94, BStBl I 2011, 37 und BStBl I 2012, 953 – jeweils Rdnr. 136).
Mit ihrer Klage verfolgen die Kläger ihr außergerichtliches Vorbringen weiter. Sie vertreten die Auffassung, dass allein die zwischen dem Kläger und Herrn T. bestehenden Wirtschaftsbeziehungen kein Näheverhältnis i.S. von § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG begründeten. Eine persönliche Beziehung fehle. Zudem sei der Darlehensvertrag fremdüblich abgefasst. Eine missbräuchliche Gestaltung liege nicht vor.
Die Kläger beantragen,
den Beklagten unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 19.01.2012 und der daraufhin ergangenen Einspruchsentscheidung vom 28.02.2013 zu verpflichten, die Einkommensteuerfestsetzung für das Jahr 2010 dahingehend zu ändern, dass die vom Kläger im Jahr 2010 vereinnahmten Zinsen in Höhe von EUR 3.537 – unter Berücksichtigung der auf die Zinsen entfallenden Kirchensteuer – dem Abgeltungsteuersatz von 25% unterworfen werden;
hilfsweise – für den Unterliegensfall – die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen;
hilfsweise – für den Unterliegensfall – die Revision zuzulassen.
Der Beklagte verweist zur Begründung auf seine Ausführungen im außergerichtlichen Verfahren.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die den Streitfall betreffenden Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Der Senat hat in dieser Sache am 20.09.2013 mündlich verhandelt.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist begründet.
Der Ablehnungsbescheid vom 19.01.2012 und die daraufhin ergangene Einspruchsentscheidung vom 28.02.2013 sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten (§ 101 der Finanzgerichtsordnung – FGO –). Der Beklagte ist verpflichtet, die Einkommensteuerfestsetzung für 2010 nach § 164 Abs. 2 AO zu ändern und hierbei die vom Kläger im Streitjahr 2010 vereinnahmten Zinsen in Höhe von EUR 3.537 dem Abgeltungsteuersatz von 25% und nicht dem progressiven Einkommensteuersatz i.S. von § 32a EStG zu unterwerfen. Die Ausnahme zum Abgeltungsteuertarif gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG findet vorliegend keine Anwendung.
1. Der Kläger erzielte im Streitjahr durch die Vereinnahmung der Zinsen aus dem mit Herrn T. geschlossenen Darlehensvertrag vom 31.12.2008 Einkünfte aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Maßgeblich für den Zeitpunkt der steuerlichen Erfassung der Zinsen ist der des Zuflusses im Jahr 2010 (§ 11 Abs. 1 Satz 1 EStG); die wirtschaftliche Zuordnung eines Großteils der Zinsen zum Kalenderjahr 2009 (Zinszeitraum vom 01.01.2009 bis 23.03.2010) ist insofern unerheblich.
Bei den Zinsen handelt es sich nicht um – die Abgeltungsteuer ausschließende –Sondervergütungen i.S. von § 18 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 4 Satz 2 EStG i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 Halbs. 2 EStG, da der Kläger das Darlehen nicht der I. + Partner Steuerberatungsgesellschaft, sondern seinem Sozius, Herrn T., zur Verfügung stellte. Dass die Rückzahlungsverpflichtung zum passiven Sonderbetriebsvermögen II des Gesellschafters T. bei der I. + Partner Steuerberatungsgesellschaft zählt und der Zinsaufwand zu Sonderbetriebsausgaben führt, ändert insoweit nichts.
2. Die Zinsen sind nicht gemäß § 32a Abs. 1 und Abs. 5 EStG mit dem tariflichen, progressiven Steuersatz zu versteuern. Vielmehr findet die seit dem Jahr 2009 geltende Abgeltungsteuer Anwendung.
a. Nach § 32d Abs. 1 Satz 1 EStG beträgt die Einkommensteuer 25% für Einkünfte aus Kapitalvermögen, die – wie vorliegend mangels betrieblichen Bezugs – nicht unter § 20 Abs. 8 EStG fallen. Im Fall der Kirchensteuerpflicht ermäßigt sich die Steuer um 25% der auf die Kapitalerträge entfallenden Kirchensteuer (§ 32d Abs. 1 Satz 3 EStG).
Wurde – wie im Streitfall – keine Kapitalertragsteuer einbehalten, tritt zwar keine Ab-geltungswirkung durch den Steuerabzug gemäß § 43 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 1 EStG ein.Allerdings sind die Kapitalerträge im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung – isoliert von den übrigen Einkünften – mit dem Abgeltungsteuersatz zu berücksichtigen (§ 32d Abs. 3 EStG).
b. Eine Ausnahme von der Anwendung des Abgeltungsteuersatzes gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung kommt vorliegend nicht in Betracht.
aa. Hiernach findet die Abgeltungsteuer u.a. für Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S. von § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG keine Anwendung, wenn Gläubiger und Schuldner der Kapitalerträge „einander nahe stehende“ Personen sind. Zwar ist diese Begrifflichkeit in der Vorschrift selbst nicht definiert. Allerdings wollte der Gesetzgeber hiermit – ebenso wie mit den anderen Abgeltungsteuer-Ausnahmetatbeständen nach § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b und c EStG – missbräuchliche Gestaltungen vermeiden, betriebliche Gewinne in Form von Darlehenszinsen abzusaugen, um so eine ungerechtfertigte Steuersatzspreizung zwischen dem – typischerweise höheren – progressiven Steuersatz und dem Abgeltungsteuersatz von 25% zu erreichen (in diesem Sinne BT-Drs. 16/4841, Seite 60). Denn Ziel der Einführung eines abgeltenden Steuersatzes für Kapitalerträge war nur, die Attraktivität und die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Finanzplatzes zu verbessern, nicht jedoch, das Eigenkapital in die privilegiert besteuerte private Anlageebene zu verlagern und durch Fremdkapital zu ersetzen (vgl. Weber-Grellet in Schmidt, EStG, 32. Aufl., § 32d Rdnr. 6).
bb. Derzeit ist von der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt, welche konkreten Anforderungen an das „Näheverhältnis“ i.S. von § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG zu stellen sind.
(1.) Der Gesetzgeber orientierte sich in seiner Begründung zum Unternehmen-steuerreformgesetz 2008 für die Konkretisierung des Begriffs der „nahe stehenden Personen“ im Wesentlichen an der gesetzlichen Definition der „nahe stehenden Person“ in § 1 Abs. 2 des Außensteuergesetzes (AStG), allerdings ohne hierauf explizit Bezug zu nehmen (vgl. BT-Drs. 16/4841, Seite 61). Hiernach soll ein Näheverhältnis i.S. von § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG gegeben sein, wenn
- die Person (Darlehensnehmer) auf den Steuerpflichtigen (Darlehensgeber) einen beherrschenden Einfluss ausüben kann
oder umgekehrt
- der Steuerpflichtige (Darlehensgeber) auf diese Personen (Darlehensnehmer) einen beherrschenden Einfluss ausüben kann,
- oder eine dritte Person auf beide (Darlehensnehmer und Darlehensgeber) einen beherrschenden Einfluss ausüben kann,
- oder die Person (Darlehensnehmer) oder der Steuerpflichtige (Darlehensgeber) im Stande ist, bei der Vereinbarung der Bedingungen einer Geschäftsbeziehung auf den Steuerpflichtigen (Darlehensgeber) oder die nahe stehende Person (Darlehensnehmer) einen au ßerhalb dieser Geschäftsbeziehung begründeten Einfluss auszuüben,
- oder wenn einer von ihnen ein eigenes wirtschaftliches Interesse an der Erzielung der Einkünfte des anderen hat.
(2.) Die Finanzverwaltung hat die vorgenannten Definitionsmerkmale in den BMF-Schreiben vom 22.12.2009 und 09.10.2012 („Einzelfragen zur Abgeltungsteuer“, BStBl I 2010, 94 sowie BStBl I 2012, 953, jeweils Rdnr. 136) übernommen. Ergänzend hierzu führt die Verwaltung an, dass ein Näheverhältnis vorliege, wenn Gläubiger und Schuldner der Kapitalerträge Angehörige i.S. von § 15 AO seien oder zumindest einer der beiden an einem Personenunternehmen beteiligt sei. Liege dagegen kein Angehörigenverhältnis vor, sei von einem nahe stehenden Verhältnis auszugehen, wenn die Vertragsbeziehungen einem Fremdvergleich entsprechend der Grundsätze im BMF-Schreiben vom 23.12.2010 (BStBl I 2011, 37 Rdnr. 4 bis 6) nicht entsprächen. Ferner sollte § 32 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG (in der im Streitjahr geltenden Fassung) u.a. nur dann Anwendung finden, wenn der Darlehensnehmer die Zinsen als Betriebsausgaben oder Werbungskosten geltend machen kann (BMF-Schreiben vom 22.12.2009, BStBl I 2010, Seite 94, Rdnr. 134). Diese – im Hinblick auf die missbräuchliche Ausnutzung einer Steuersatzspreizung erforderliche – Präzisierung führte der Gesetzgeber durch das Jahressteuergesetz 2010 mit Wirkung zum Veranlagungszeitraum 2011 in § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG ein.
(3.) In den bislang zur Streitfrage ergangenen finanzgerichtlichen Entscheidungen,denen ausschließlich Vertragsverhältnisse zwischen Angehörigen i.S. von § 15 AO zu Grunde lagen, wurde jeweils nicht beanstandet, dass jedenfalls private Angehörigendarlehen dem Anwendungsbereich des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG unterfielen, da es in diesen Fällen typischerweise an einem bei Fremden bestehenden Interessengegensatz fehle und daher eher die abstrakte Gefahr einer missbräuchlichen Gestaltung im Sinne einer Steuersatzspreizung bestehe (vgl. Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 18.06.2012 15 K 417/10, EFG 2012, 2009 [Rev. VIII R 9/13];Finanzgericht München, Urteil vom 26.02.2013 11 K 2365/10, juris [Rev. VIII R 44/13]; Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 16.04.2013 8 K 3100/11, juris [Rev. VIII R 35/13]).
(4.) Das steuerliche Schrifttum folgt zum Teil der Ansicht des BMF, dass Angehörige „einander nahe stehende“ Personen seien (vgl. Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 32. Aufl., § 32d Rdnr. 8; kritisch dagegen Worgulla, ErbStB 2010, 151, 154; Baumgärtel/Lange in Hermann/Heuer/Raupach, § 32d EStG Rdnr. 20). Zum Teil wird – wie von der Gesetzesbegründung – ein Näheverhältnis i.S. von § 1 Abs. 2 AStG gefordert (vgl. Schulz/Vogt, DStR 2008, 2189, 2192 ff.). Nach wiederum anderer Auffassung soll sich die Definition des „Näheverhältnisses“ an den zu den verdeckten Gewinnausschüttungen entwickelten Kriterien bestimmen (Blümich/Treiber, EStG, § 32d Rdnr. 69; Kirchhof/Lambrecht, EStG, 9. Aufl., § 32d Rdnr. 11). Hiernach sei bei „Näheverhältnis-Konstellationen“ eine Beziehung zwischen dem Gesellschafter der Kapitalgesellschaft und dem Dritten erforderlich, die den Schluss zulasse, sie habe die Vorteilszuwendung der Gesellschaft an den Dritten beeinflusst, wobei die Beziehung familienrechtlicher, gesellschaftsrechtlicher, schuldrechtlicher oder auch rein tatsächlicher Art sein kann (vgl. BFH-Urteil vom 18.12.1996 I R 139/94, BStBl II 1997, 301).
cc. Ein Angehörigenverhältnis i.S. von § 15 AO liegt im Streitfall nicht vor. Ebenso hält der Darlehensvertrag vom 31.12.2008 – sofern man sich für die vorliegend streitrelevante Frage an der rechtlichen Auffassung der Finanzverwaltung orientieren würde (BStBl I 2012, 953 Rdnr. 136) – einem „Fremdvergleich“ stand. Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Vereinbarungen bestehen bereits aufgrund natürlicher Interessengegensätze, durch die der Darlehensvertrag vom 31.12.2008 geprägt ist, nicht. Der Vertrag enthält fremdübliche Bedingungen, der Rückzahlungsanspruch des Klägers ist besichert. Dass die zum 31.12.2009 fällig gewordenen Zinsen für das Jahr 2009 tatsächlich erst im März 2010 durch Herrn T. gezahlt wurden und auch den Zeitraum vom 01.01. bis 23.03.2010 mit beinhalteten, entspricht zwar nicht dem vertraglich Vereinbarten (§ 2 des Darlehensvertrages), fällt aber bei einer Gesamtbetrachtung der Umstände nicht entscheidend ins Gewicht. Hierdurch rechtfertigt sich insbesondere nicht die Annahme eines „Näheverhältnisses“ i.S. von § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG. Ebenso wenig indiziert die kurzfristig spätere Zinszahlung im Streitjahr die vom Gesetzgeber nicht gewollte Gestaltung, eigentlich progressiv zu besteuernde Erträge in den abgeltungsteuerbehafteten Bereich zu transferieren.
dd. Der Senat braucht auch nicht darüber zu befinden, ob die in der Begründung des Entwurfs des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 angeführten Definitionsmerkmale eines Näheverhältnisses i.S. von § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG geeignet sind, der Gefahr einer missbräuchlichen Inanspruchnahme des Abgeltungsteuersatzes zu begegnen. Sofern – was nahe liegt – vom Gesetzgeber hiermit gewollt war, an die Begriffsdefinition des Außensteuerrechts in § 1 Abs. 2 AStG anzuknüpfen, muss berücksichtigt werden, dass § 1 Abs. 2 AStG eine andere Zwecksetzung als § 32d Abs. 2 EStG verfolgt. Während hier dem Anreiz der Verlagerung von Einkünften in den (günstigeren) Abgeltungsteuertarif entgegengewirkt werden soll, handelt es sich bei § 1 Abs. 2 AStG um eine steuerliche Berichtigungsvorschrift für Fälle unangemessener Preisbestimmungen bei internationalen Geschäftsbeziehungen (Verrechnungspreise).
Jedenfalls liegen im Streitfall weder ein Beherrschungsverhältnis noch eine Einflussnahmemöglichkeit außerhalb der Geschäftsbeziehung und auch keine Interessenidentität zwischen dem Kläger als Darlehensgeber und Herrn T. als Darlehensnehmer vor.
(1.) An einem Beherrschungsverhältnis zwischen dem Kläger und Herrn T. fehlt es bereits deshalb, da der Kläger aufgrund seiner Mehrheitsbeteiligung von 95% zwar die I. + Partner Steuerberatungsgesellschaft beherrscht, rechtlich aber nicht seinen Mitgesellschafter und Darlehensvertragspartner, Herrn T. Ein wie auch immer gearteter Einfluss auf übergeordnete Unternehmensentscheidungen genügt für die Annahme eines Beherrschungsverhältnisses nicht. Voraussetzung hierfür wäre vielmehr, dass der beherrschten Person kein wesentlicher Entscheidungsspielraum bei der Vereinbarung der konkreten Geschäftsbeziehung verbleibt (vgl. Kraft, AStG, 1. Aufl., § 1 Rdnr. 176). Dies war vorliegend nicht der Fall; für Herrn T. bestand die Möglichkeit, das Darlehen zur Finanzierung des Kaufpreises für den Gesellschaftsanteil am allgemeinen Kapitalmarkt in Anspruch zu nehmen. Dass er dies tatsächlich nicht tat, beruhte – wie er als Prozessbevollmächtigter der Kläger in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar erläuterte – allein auf unternehmerischen Erwägungen. Herr T. wollte sich für mögliche spätere Anteilserwerbe noch genügend Liquiditäts- und Dispositionsspielraum für Finanzierungen über den allgemeinen Kapitalmarkt erhalten.
(2.) Ein „Näheverhältnis“ wird im Streitfall auch nicht über eine dritte Person, hier die I. + Partner Steuerberatungsgesellschaft, begründet. Weder der Kläger noch Herr T. stehen zu der Gesellschaft in einem Abhängigkeitsverhältnis. Ihr partnerschaftlicher Zusammenschluss begründet vielmehr erst die Existenz jener Gesellschaft.
(3.) Für den Senat sind auch keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass der Kläger aufgrund seiner Mehrheitsbeteiligung an der I. + Partner Steuerberatungsgesellschaft im Stande war, bei der Vereinbarung der Bedingungen des Darlehensvertrages vom 31.12.2008 maßgeblichen Einfluss auf Herrn T. auszuüben. Letzterer war zur Überzeugung des Senats frei in seiner Entscheidung, den Kaufpreis für die Gesellschaftsbeteiligung entweder ohne Fremdfinanzierung aufzubringen oder das hierfür benötigte Kapital bei einem Kreditinstitut aufzunehmen oder aber durch ein privat gewährtes Darlehen des Verkäufers, des Klägers, zu erhalten. Insbesondere ist nichts dafür ersichtlich, dass der Kläger den Erwerb der Gesellschaftsbeteiligung von 5% davon abhängig machte, dass die Finanzierung des Kaufpreises hierfür durch ihn selbst als Darlehensgeber zu erfolgen hätte. Die Darlehensvereinbarungen vom 31.12.2008 erfolgten – wie dargelegt – zu fremdüblichen Bedingungen; die Darlehenshöhe, der Zinssatz (5% p.a.), der Zinszahlungszeitpunkt (jeweils Jahresende) sowie die Darlehenslaufzeit (späteste Endfälligkeit am 31.12.2013) sind fremdüblich geregelt. Ferner wurde der Rückzahlungsanspruch durch die Verpfändung des übertragenen Gesellschaftsanteils an den Kläger besichert.
(4.) Schließlich ist auch keine Interessenidentität zwischen dem Kl äger und Herrn T. im hier erforderlichen Sinne erkennbar. Zwar wirken beide als Gesellschafter der I. + Partner Steuerberatungsgesellschaft gemeinsam und mit gleicher Zielsetzung, nämlich einer maximalen Umsatz- und Gewinnerzielung, zusammen. Hinsichtlich des Darlehensvertrages vom 31.12.2008 besteht zwischen dem Kläger und Herrn T. allerdings ein natürlicher Interessengegensatz. Weder kann angenommen werden, dass für Herrn T. ein wie auch immer geartetes Interesse daran besteht, dass der Kläger durch die Gewährung des Darlehens Einkünfte aus Kapitalvermögen erzielt noch kann ein Interesse des Klägers angenommen werden, dass Herr T. den Zinsaufwand als Sonderbetriebsausgaben erfassen kann; denn hiervon profitiert steuerlich nur Herr T. selbst.
Nach Auffassung des Senats ist für die vorliegend streitige Frage deutlich zwischen der gemeinsamen – auf Interessenkonformität beruhenden – Berufsausübung des Klägers und Herrn T. auf der einen Seite und der Darlehensgewährung vom 31.12.2008 auf der anderen Seite zu differenzieren. Die Darlehenshingabe gerade durch den Kläger war keine notwendige Bedingung für die Gesellschafterbeteiligung von Herrn T. und die hiermit einhergehende gemeinsame Berufsausübung. Es sind keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass die beherrschende Stellung, die der Kläger innerhalb der I. + Partner Steuerberatungsgesellschaft inne hatte, auf das „Ob“ und „Wie“ des Darlehensvertrags durchschlug. Auf dieser Ebene standen sich der Kläger und Herr T. wirtschaftlich gleichberechtigt gegenüber.
ee. Ein Näheverhältnis i.S. von § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG kann im Streitfall auch nicht über die Begriffsdefinition einer „nahe stehenden“ Person im Recht der verdeckten Gewinnausschüttungen begründet werden. Im Hinblick auf das vorliegend zu beurteilende Darlehensverhältnis fehlt es zwischen dem Kläger und Herrn T. aneinem Zuwendungsverhältnis, das auf familienrechtlicher oder gesellschaftsrechtlicher Grundlage beruht. Die Bedingungen des Darlehensvertrags sind fremdbestimmt und üblich. Zudem ist die Bestimmung des Begriff der „nahe stehenden“ Person i.S. von § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG anhand derjenigen einer verdeckten Gewinnausschüttung nicht zielführend. Die Vorschrift des § 32d Abs. 2 Nr. 1 EStG will missbräuchliche Gestaltungen zur Verlagerung von Einkünften in den Bereich der Abgeltungsteuer verhindern. „Nahe stehende“ Personen im Recht der verdeckten Gewinnausschüttung sind dagegen solche, denen ein Vorteil im persönlichen Interesse des Gesellschafters gewährt wird (vgl. Worgulla, ErbStB 2010, 151, 154).
ff. Neben dem Umstand, dass im Streitfall keine äußerlich erkennbaren Beherrschungs- und Einflussnahmemöglichkeiten des Klägers auf Herrn T. hinsichtlich der Darlehensgewährung vorlagen, ist nach Auffassung des Senats der Begriff des „Nahestehens“ eng am Gesetzeszweck des § 32d Abs. 2 Nr. 1 EStG auszurichten. Sofern die an dem Darlehensverhältnis beteiligten Personen und die näheren Umstände des Vertragsverhältnisses nicht den sicheren Schluss zulassen, dass Motiv der Darlehensgewährung vordergründlich die ertragsorientierte Ausnutzung des Gefälles zwischen dem progressiven Einkommensteuertarif und dem Abgeltungsteuersatz von 25% ist, können Gläubiger und Schuldner keine „nahe stehenden“ Personen i.S. von § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG sein. Im Streitfall liegen solche Anhaltspunkte nicht vor, insbesondere ist kein Gesamtbelastungsvorteil zu verzeichnen. Hätte Herr T. den Kaufpreis für die Gesellschaftsbeteiligung über ein Kreditinstitut finanziert, wären auch diese Zinsen als Sonderbetriebsausgaben zu verbuchen gewesen, die zu seinem individuellen progressiven Steuersatz seine Einkommensteuerlast gemindert hätten. Die Zinsen, die der Kläger auf die Anlage des Kaufpreises von EUR 57.500, der zu seinem privaten Vermögen gezählt hätte, erzielt hätte, hätten ebenfalls der Abgeltungsteuer unterlegen. Gleiches gilt (erst Recht), wenn das Darlehen im Wege des abgekürzten Zahlungsweges gar nicht vom Kläger an Herrn T. ausgezahlt worden wäre, sondern technisch eher als zeitweise Stundung des Kaufpreises für die Gesellschaftsbeteiligung zu verstehen war.
c. Die nach § 32d Abs. 3 i.V.m. § 32d Abs. 1 Sätze 1 und 3 EStG zu berücksichtigende Abgeltungsteuer für die im Jahr 2010 vereinnahmten Zinsen in Höhe von EUR 3.537 beträgt unter Berücksichtigung der evangelischen Kirchensteuerpflicht des Klägers EUR 272.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, die über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
4. Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) sowie zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) zuzulassen. Der Begriff des„Nahestehens“ i.S. von § 32d Abs. 2 Nr. 1 EStG ist gesetzlich nicht definiert. Höchstrichterliche Rechtsprechungsgrundsätze hierzu sind bislang noch nicht ergangen. Zudem sind insoweit bereits Revisionsverfahren anhängig (VIII R 31/11 – Großmutter/Mutter von GmbH-Gesellschaftern als nahe stehende Person i.S. von § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b Satz 2 EStG; VIII R 9/13 – Großeltern/Eltern als nahe stehende Personen i.S. von § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG; VIII R 44/13 – Ehemann/Vater als nahe stehende Person i.S. von § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG; VIII R 35/13 – Geschwister als nahe stehende Personen i.S. von § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG).