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  • 03.02.2005 · IWW-Abrufnummer 050314

    Bundesfinanzhof: Urteil vom 11.11.2004 – V R 30/04

    1. Bei der Überlassung von Grundstücksteilen zur Errichtung von Strommasten für eine Überlandleitung, der Einräumung des Rechts zur Überspannung der Grundstücke und der Bewilligung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit zur dinglichen Sicherung dieser Rechte handelt es sich um eine einheitliche sonstige Leistung, die nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG zwar steuerbar, aber gemäß § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG umsatzsteuerfrei ist.



    2. Die Ausgleichszahlung für beim Bau einer Überlandleitung entstehende Flurschäden durch deren Betreiber an den Grundstückseigentümer ist kein Schadensersatz, sondern Entgelt für die Duldung der Flurschäden durch den Eigentümer.



    3. Die Duldung der Verursachung baubedingter Flurschäden ist eine bloße Nebenleistung zu der einheitlichen Leistung "Duldung der Errichtung und des Betriebs einer Überlandleitung", die ebenso wie jene nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG von der Umsatzsteuer befreit ist.


    Gründe:

    I.

    Die B-AG beauftragte die Planungsgesellschaft HB-mbH mit der Planung und dem Bau einer Bahnstromfernleitung. Die Arbeiten wurden dabei von der S-AG ausgeführt.

    Mit einem zwischen dem Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) und der S-AG geschlossenen Vertrag vom 14. September 1995 gestattete der Kläger der S-AG, auf seinen Grundstücken eine Bahnstromfernleitung zu errichten und hierfür Strommasten aufzustellen. Ferner verpflichtete er sich, zugunsten der B-AG die Eintragung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit zu beantragen und zu bewilligen. Als Entgelt waren einmalige Beträge in Höhe von 2 491 DM für die von den Strommasten in Anspruch genommene Fläche und in Höhe von 987 DM für die Überspannung einschließlich der Bewilligung der Dienstbarkeit vereinbart. Außerdem verpflichtete sich die S-AG "dem Nutzungsberechtigten", die beim Bau der Leitung entstehenden Flur- und Aufwuchsschäden zu ersetzen. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) erhielt der Kläger auf der Grundlage dieses Vertrages einen Betrag in Höhe von insgesamt 4 443 DM. Davon entfielen 965 DM auf den Ausgleich für Flur- und Aufwuchsschäden.

    Im Anschluss an eine steuerliche Außenprüfung behandelte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) die Zahlung in Höhe von 4 443 DM als Entgelt für dem Regelsteuersatz unterliegende steuerpflichtige Leistungen und änderte den Umsatzsteuerbescheid für das Streitjahr 1997 entsprechend.

    Die hiergegen gerichtete Klage hatte Erfolg. Zur Begründung führte das FG aus, bei der Ausgleichszahlung in Höhe von 965 DM für die beim Bau der Leitung entstandenen Flur- und Aufwuchsschäden handle es sich um echten, nicht steuerbaren Schadensersatz. Soweit das Vertragsverhältnis eine Überlassung von Grundstücksflächen zur dauerhaften Errichtung von Strommasten und eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit beinhaltet habe, sei diese Leistung zwar steuerbar, aber gemäß § 4 Nr. 12 Buchst. a und c des Umsatzsteuergesetzes (UStG) von der Umsatzsteuer befreit. Das FG hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

    Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts.

    Es macht im Wesentlichen geltend, bei dem Ausgleich für Flurschäden habe es sich nicht um Schadensersatz, sondern um Entgelt im Rahmen eines Leistungsaustauschs gehandelt. Für die Annahme eines Schadensersatzanspruchs sei kein Raum, weil weder eine unerlaubte Handlung noch die Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht vorliege. Die notwendigerweise zum Schaden führende Handlung, nämlich der Bau der Stromleitung, sei nicht rechtswidrig, sondern vertraglich gestattet gewesen. Die vertragliche Gestattung der Schädigung aber führe zur Annahme eines Leistungsaustausches.

    Das FA beantragt,

    "unter Aufhebung des angefochtenen Urteils, die Anfechtungsklage insoweit als unbegründet abzuweisen, wie die Nichtsteuerbarkeit des, zum Ausgleich für Flur- und Aufwuchsschäden erhaltenen Betrages i.H.v. 965,00 DM begehrt wird".

    Der Kläger ist der Revision entgegengetreten.

    II.

    Die Revision ist unbegründet.

    Die Entscheidung des FG erweist sich im Ergebnis als zutreffend (§ 126 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zwar die sog. Ausgleichszahlung zu Unrecht als Schadensersatz statt als Entgelt beurteilt. Da es sich aber um Entgelt für eine steuerfreie Leistung handelt, bleibt es bei der Steuerfestsetzung durch das FG.

    1. Das FA hat zwar die Revisionsbegründung und seinen Antrag auf die umsatzsteuerliche Beurteilung der Ausgleichszahlung für die beim Bau der Bahnfernstromleitung entstandenen Flurschäden beschränkt. Wird aber die Revision auf die Verletzung materiellen Rechts gestützt, ist nach dem Grundsatz der Vollrevision die angefochtene Entscheidung im Rahmen des Antrags in vollem Umfang und ohne Bindung an die Revisionsrügen zu überprüfen (vgl. § 118 Abs. 3 Satz 2, § 121 Satz 1 i.V.m. § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO).

    2. Der Kläger hat mit der Grundstücksüberlassung zur Errichtung von Strommasten, der Einräumung des Rechts zur Überspannung seiner Grundstücke und der Bewilligung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit eine einheitliche sonstige Leistung gegen Entgelt erbracht, die zwar nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG steuerbar, aber gemäß § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG von der Umsatzsteuer befreit ist. Die Ausgleichszahlungen, die Gegenstand der Revision sind, gehören zur Gegenleistung für diese einheitliche Leistung.

    a) Aus Art. 2 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) folgt zwar, dass in der Regel jede Dienstleistung als selbständige Leistung zu betrachten ist. Im Interesse eines funktionierenden Mehrwertsteuersystems dürfen aber wirtschaftlich einheitliche Dienstleistungen nicht künstlich aufgespalten werden. Bei einem aus einem Leistungsbündel bestehenden Umsatz ist für die Frage, ob der Unternehmer mehrere selbständige Hauptleistungen oder eine einheitliche Leistung erbringt, im Rahmen einer Gesamtbetrachtung auf das Wesen des Umsatzes abzustellen (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 31. Mai 2001 V R 97/98, BFHE 194, 555, BStBl II 2001, 658). Danach ist im Streitfall eine einheitliche Leistung anzunehmen. Der S-AG ist es darauf angekommen, für sich und ihren Auftraggeber, die B-AG, alle Rechte zu erwerben, die für die Errichtung und den dauerhaften Betrieb der Bahnfernstromleitung notwendig sind. Dazu gehört neben dem Recht, die Grundstücksteile, auf denen die Masten errichtet werden, nutzen zu dürfen, auch die Berechtigung zur Überspannung der betroffenen Grundstücke und die langfristige Absicherung durch eine dingliche Sicherung. Diese Rechte bestehen nicht unabhängig voneinander, sondern sind Bestandteile des einheitlichen wirtschaftlichen Ziels "Duldung der Errichtung und des Betriebs einer Überlandleitung".

    b) Die vom Kläger ausgeführte einheitliche Leistung ist von der Umsatzsteuer befreit, weil sie von der Überlassung von Grundstücksteilen für die Aufstellung der Strommasten und von der Einräumung des Rechts zur Überspannung der Grundstücke geprägt wird. Beides fällt unter die Befreiung der Vermietung und Verpachtung von Grundstücken nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG. Daneben kommt auch noch eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 12 Buchst. c UStG in Betracht. Nach dieser Vorschrift ist die Bestellung, die Übertragung und die Überlassung der Ausübung von dinglichen Nutzungsrechten an Grundstücken steuerfrei. Der Bewilligung der Grunddienstbarkeit kommt aber neben der Vermietung und Verpachtung der Grundstücke kein eigenständiger umsatzsteuerlicher Gehalt zu, da sie nur der Absicherung der Rechte aus dem Miet- bzw. Pachtvertrag dient (vgl. BFH-Urteil vom 11. Mai 1995 V R 4/92, BFHE 177, 559, BStBl II 1995, 610).

    Sowohl bei der Überlassung von Grundstücksteilen für die Aufstellung der Strommasten als auch bei der Einräumung des Rechts zur Überspannung von Grundstücken handelt es sich um eine Vermietung von Grundstücken i.S. des § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG. Das Wesen der Vermietung besteht darin, dass der Vermieter eines Grundstücks dem Mieter gegen Zahlung des Mietzinses für eine vereinbarte Dauer das Recht überträgt, seine Sache zu gebrauchen und andere davon auszuschließen (Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften --EuGH-- vom 9. Oktober 2001 Rs. C-409/98, Mirror Group, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 2001, 490 Rz. 31; vom 9. Oktober 2001 Rs. C-108/99, Cantor Fitzgerald International, UR 2001, 494 Rz. 21; vom 4. Oktober 2001 Rs. C-326/99, Stichting Goed Wonen, UR 2001, 484 Rz. 54). Der Begriff der Grundstücksvermietung verweist nicht auf die Zivilrechtsordnungen der Mitgliedstaaten, sondern ist gemeinschaftsrechtskonform auszulegen (EuGH-Urteil vom 16. Januar 2003 Rs. C-315/00, Rudolf Maierhofer, UR 2003, 86). Die Einräumung der Berechtigung zur Überspannung eines Grundstücks ist jedenfalls dann eine als Vermietung und Verpachtung zu beurteilende Nutzungsüberlassung auf Zeit, wenn damit nicht der endgültige und vollständige Verlust der wirtschaftlichen Herrschaftsmacht verbunden ist (BFH-Urteil vom 19. April 1994 IX R 19/90, BFHE 174, 342, BStBl II 1994, 640). Bei Grundstücken führt aber weder die Überlassung einer verhältnismäßig geringfügigen Grundfläche für die Aufstellung von Strommasten noch die Überspannung zu einem endgültigen und vollständigen Verlust der Herrschaftsmacht an den Grundstücken.

    c) Auch bei der Ausgleichszahlung für die beim Bau der Bahnstromfernleitung verursachten Schäden handelt es sich um ein Entgelt für eine steuerbare, aber nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG von der Umsatzsteuer befreite Leistung des Klägers. Die Leistung des Klägers hat in der Duldung der Flur- und Aufwuchsschäden bestanden. Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger und die S-AG den Ausgleich hierfür im Vertrag vom 14. September 1995 nicht konkret festgelegt, sondern erst in einer späteren Entschädigungsberechnung beziffert haben. Gleichwohl handelt es sich nicht um die vertragliche Verständigung über die Höhe eines Schadensersatzes, sondern um eine Vereinbarung über ein Entgelt. Führt ein wirtschaftliches Vorhaben, zu dessen Verwirklichung vertragliche Vereinbarungen geschlossen werden, zwangsläufig zu Schäden bei einem Vertragspartner und wird hierfür ein am Umfang der Schäden orientierter Ausgleich vereinbart, so ist der wirtschaftliche Gehalt der Vereinbarung darauf gerichtet, dass der "Ersatz" in die Gegenleistung einfließt.

    Die Duldung der Flur- und Aufwuchsschäden ist aber eine bloße Nebenleistung zu der einheitlichen Leistung "Duldung der Errichtung und des Betriebs einer Überlandleitung". Diese Nebenleistung ist umsatzsteuerlich so zu beurteilen wie die Hauptleistung, d.h. sie ist ebenfalls von der Umsatzsteuer befreit. Eine Nebenleistung liegt vor, wenn sie für die Kundschaft keinen eigenen Zweck darstellt, sondern das Mittel, um die Hauptleistung des Leistungserbringers unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen (EuGH-Urteil vom 25. Februar 1999 Rs. C-349/96, CPP, Slg. 1999, I-973, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht 1999, 161 Rz. 30, m.w.N.). Der S-AG ist es nicht auf die Befugnis angekommen, Flurschäden verursachen zu können. Hierbei handelt es sich um eine mit dem Bau der Bahnstromfernleitung zwangsläufig verbundene Nebenfolge. Die S-AG kann die Hauptleistung des Klägers nur nutzen, wenn sie die Bahnstromfernleitung bauen und die damit zwangsläufig verbundenen Flurschäden verursachen darf. Soweit der Bundesminister der Finanzen im Schreiben vom 4. Mai 1987 IV A 2 -S 7100- 45/87 (BStBl I 1987, 397) eine andere Auffassung vertritt, folgt der Senat dieser nicht.

    RechtsgebietUStG 1993VorschriftenUStG 1993 § 4 Nr. 12 Buchst. a