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  • 02.05.2007

    Bundesfinanzhof: Urteil vom 10.01.2007 – I R 53/05

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Gründe:

    I. Streitig ist der Ansatz einer Rückstellung für Aufwendungen im Zusammenhang mit einer Rücknahme von Altbatterien.

    Unternehmensgegenstand der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) war im Streitjahr 1993 der inländische Vertrieb von Autobatterien. Der Vertrieb erfolgte im Wesentlichen über Großhändler, Discounter, Werkstätten und an gewerbliche Endverbraucher durch die eigenen Verkaufsniederlassungen.

    Im Zusammenhang mit ihrer Vertriebstätigkeit nahm die Klägerin Altbatterien (kostenlos) zurück. Die Zahl der zurückgenommenen Altbatterien entsprach weitgehend der Menge der von der Klägerin vertriebenen Neubatterien. Die Altbatterien wurden im Rahmen der Belieferung von Kunden oder nach Aufforderung durch Kunden von der Klägerin eingesammelt, in den Verkaufsniederlassungen zwischengelagert und schließlich durch eine Spedition zu einem Recyclingbetrieb transportiert. Der Rücknahme lag eine "Vereinbarung über die Entsorgung von Altbatterien" der im einschlägigen Fachverband vertretenen Hersteller bzw. Importeure und der Einzelhandelsverbände (vom 9. September 1988) zugrunde. Danach verpflichtete sich "der Einzelhandel ..., ab dem 2. Quartal 1989 gebrauchte Batterien, ... in allen Einzelhandelsgeschäften, in denen Neubatterien verkauft werden, zurückzunehmen. Die Hersteller nehmen die gesammelten ... Altbatterien vom Einzelhandel zurück." (Auszug aus Nrn. 3.1, 3.2 der Vereinbarung). Die Preislisten der Klägerin enthielten seit August 1993 folgende Textpassage: "... entsorgt Sie von Altbatterien - egal welcher Marke - und führt alle lückenlos einem umweltschonenden Recycling zu."

    Die Klägerin, die ein vom Kalenderjahr abweichendes Wirtschaftsjahr hat, bildete in ihrem Jahresabschluss zum 31. März 1993 (und damit für das Streitjahr) eine Rückstellung "Altbatterien Rücknahme" in Höhe von ... DM. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) erkannte die Rückstellung nur mit einem Betrag an, der den voraussichtlichen Transportkosten zum Recyclingbetrieb für den am Bilanzstichtag vorhandenen Altbatterie-Lagerbestand entsprach (... DM).

    Das Finanzgericht (FG) München gab der Klage gegen den hiernach ergangenen Körperschaftsteuerbescheid statt. Das Urteil vom 9. November 2004 7 K 244/01 ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2005, 1338 abgedruckt.

    Das FA rügt die Verletzung materiellen Rechts.

    Es beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

    Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

    II. Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat die von der Klägerin gebildeten Rückstellungen zu Recht anerkannt.

    1. Gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 des Handelsgesetzbuchs (HGB) sind in der Handelsbilanz u.a. Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden. Dieses Gebot stellt einen nach § 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes, § 5 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auch steuerrechtlich zu beachtenden Grundsatz ordnungsmäßiger Buchführung dar.

    Voraussetzung für die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) entweder das Bestehen einer dem Betrage nach ungewissen Verbindlichkeit oder die hinreichende Wahrscheinlichkeit des künftigen Entstehens einer Verbindlichkeit dem Grunde nach (deren Höhe zudem ungewiss sein kann) und ihre wirtschaftliche Verursachung in der Zeit vor dem Bilanzstichtag. Als weitere Voraussetzung beider Tatbestände muss der Schuldner ernsthaft mit seiner Inanspruchnahme rechnen (vgl. etwa BFH-Urteile vom 19. Oktober 1993 VIII R 14/92, BFHE 172, 456, BStBl II 1993, 891; vom 27. Juni 2001 I R 45/97, BFHE 196, 216, BStBl II 2003, 121; vom 25. März 2004 IV R 35/02, BFHE 206, 25, BStBl II 2006, 644; vom 21. September 2005 X R 29/03, BFHE 212, 439, BStBl II 2006, 647). Die Verbindlichkeit kann dabei ihren Rechtsgrund im öffentlichen oder im privaten Recht haben. Darüber hinaus kommt es auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) in Betracht, die Grundsätze zur Rückstellungsbildung auch auf faktische ungewisse Verbindlichkeiten gegenüber Dritten anzuwenden, denen sich ein Kaufmann aus sittlichen, tatsächlichen oder wirtschaftlichen Gründen nicht entziehen kann, obwohl keine Rechtspflicht zur Leistung besteht (BGH-Urteil vom 28. Januar 1991 II ZR 20/90, Neue Juristische Wochenschrift 1991, 1890; s. auch Senatsbeschluss vom 15. März 1999 I B 95/98, BFH/NV 1999, 1205; Senatsurteil vom 29. November 2000 I R 87/99, BFHE 194, 57, BStBl II 2002, 655; zustimmend: Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl., § 249 HGB Rz 52; Crezelius in Kirchhof, EStG, 6. Aufl., § 5 Rz 122; Fatouros, Der Betrieb --DB-- 2005, 117, 118 f.; Hoffmann in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, §§ 4, 5 EStG Rz 870; Hoyos/M. Ring in Beck'scher Bilanz-Kommentar, 6. Aufl., § 249 HGB Rz 31 und Rz 100 "Produktverantwortung"; Blümich/Schreiber, EStG/KStG/ GewStG, § 5 EStG Rz 794; Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 25. Aufl., § 5 Rz 362).

    2. a) Im Streitfall fehlt es zwar an einer gesetzlich oder privatrechtlich begründeten Verpflichtung der Klägerin. Soweit das FG der Angabe in der Preisliste August 1993 eine rechtliche Relevanz beigemessen und sie als Grundlage einer vertragsbezogenen Rücknahmepflicht angesehen hat, ist dieses Rücknahmeversprechen jedenfalls in dem dem Streitjahr zugrunde liegenden Wirtschaftsjahr, das am 31. März 1993 endet, noch nicht wirksam. Im Streitjahr war auch die Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften über gefährliche Stoffe enthaltende Batterien und Akkumulatoren vom 18. März 1991 (Richtlinie 91/157/EWG, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 1991 Nr. L 78/38) noch nicht in nationales Recht umgesetzt worden. Darüber hinaus ließ sich aus dem im Streitjahr geltenden Gesetz über die Vermeidung und Entsorgung von Abfällen vom 27. August 1986 (BGBl I 1986, 1410) keine konkrete Handlungspflicht für die Klägerin ableiten (s. allgemein Senatsurteil vom 8. November 2000 I R 6/96, BFHE 193, 399, BStBl II 2001, 570; kritisch Fatouros, DB 2005, 117, 118).

    b) Jedoch ist aus der Selbstverpflichtungserklärung des brancheneigenen Zentralverbandes, deren Existenz und Inhalt das FG ebenfalls festgestellt hat (§ 118 Abs. 2 FGO), auf eine faktische Pflicht der Klägerin zur Rücknahme von Altbatterien zu schließen (s. insoweit allgemein auch Tiedchen in Herrmann/ Heuer/Raupach, § 5 EStG Rz 514 "Rücknahmeverpflichtungen"; Blümich/Schreiber, a.a.O., § 5 EStG Rz 794; Frenz, Deutsche Steuer-Zeitung 1997, 37, 41 f.). Denn die Klägerin hatte als Importeurin der Batterien eine in dieser Verpflichtungserklärung angesprochene Geschäftstätigkeit (Import bzw. Vertrieb von Batterien) entfaltet. Darüber hinaus hatte die Klägerin eine entsprechende Leistungsabsicht. Sie hat sich in ihrer Geschäftspraxis dieser Vorgabe angeschlossen, indem sie gebrauchte Batterien tatsächlich zurückgenommen hat.

    c) Gegenstand dieser brancheneigenen Selbstverpflichtung war es, in den Verkehr gebrachte Batterien wieder zurückzunehmen, um den umweltbelastenden Auswirkungen einer nicht sachgerechten Entsorgung von Altbatterien zu begegnen. Diese Verpflichtung traf nach dem Wortlaut der Erklärung den jeweiligen Händler bzw. Importeur und bezog sich auf die jeweils tatsächlich in den Verkehr gebrachte Ware. Diese Pflicht knüpft in der die Geschäftstätigkeit der Klägerin bestimmenden Großhandelssituation an die Größenordnung der zuvor an die Kunden ausgelieferten Batterien an und ist nicht vom Kauf neuer Batterien im Rücknahmezeitpunkt abhängig. Auch wenn die Kostenfrage nicht ausdrücklich angesprochen war, konnte den umweltpolitischen Zielsetzungen entsprechend Gegenstand der brancheneigenen Selbstverpflichtung nur die unentgeltliche Rücknahme der Altbatterien sein, jedenfalls soweit es sich um die tatsächlich selbst in den Verkehr gebrachte Ware handelte.

    d) Der Wertung der Selbstverpflichtungserklärung als faktischer Rücknahmeverpflichtung stehen entgegen der Revision die Regelungen in § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. d Satz 2 EStG bzw. Art. 53 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zum Handelsgesetzbuch (jeweils in der Fassung des Gesetzes über die Entsorgung von Altfahrzeugen vom 21. Juni 2002, BGBl I 2002, 2199, BStBl I 2002, 854) nicht entgegen. Auch wenn diesen Regelungen die Auffassung zugrunde liegt, dass die Existenz einer erst noch in innerstaatliches Recht umzusetzenden EU-Richtlinie noch keine ausreichende Konkretisierung einer den einzelnen Steuerpflichtigen treffenden faktischen Verpflichtung darstellt (zustimmend z.B. Blümich/Schreiber, a.a.O., § 5 EStG Rz 920 "Rücknahmeverpflichtungen"), wird dies im Streitfall durch die ausdrückliche Erklärung des brancheneigenen Zentralverbandes überlagert (s. insoweit auch Blümich/Ehmcke, a.a.O., § 6 EStG Rz 978).

    3. Die Verpflichtung der Klägerin ist auch in der Zeit vor dem Bilanzstichtag wirtschaftlich verursacht worden.

    a) Die unbedingte faktische Leistungsverpflichtung ist auf den Verkauf von Batterien nach dem Wirksamwerden der brancheneigenen Selbstverpflichtung als wesentliche wirtschaftliche Ursache zurückzuführen (so wohl auch Schmidt/Weber-Grellet, a.a.O., § 5 Rz 387 und 388; Weber-Grellet, Finanz-Rundschau 1999, 806; Blümich/Schreiber, a.a.O., § 5 EStG Rz 799 a.E.). Die Notwendigkeit einer Rücknahme zur Sicherstellung einer fachgerechten Entsorgung ist die zwangsläufige Folge des Inverkehrbringens der früheren Neubatterien, wenn die potentiell bereits durch die Lieferung der Neubatterien entstandenen Gefahren für die Umwelt vermieden werden sollen. Bereits bei Lieferung der Batterien steht fest, dass diese unabhängig von ihrer tatsächlichen Gebrauchszeit zum Zwecke einer sachgerechten Entsorgung zurückzugeben sind (s. insoweit Senatsbeschluss in BFH/NV 1999, 1205). Der wirtschaftliche Zusammenhang zwischen der Lieferung und der nachfolgenden Rücknahme zur Entsorgung der Batterien ist noch stärker als zwischen der Lieferung von sonstigen Waren und eventuellen späteren Beratungs- und Betreuungsleistungen, für die die BFH-Rechtsprechung ebenfalls den Ausweis einer Rückstellung zulässt (s. insoweit BFH-Urteile vom 5. Juni 2002 I R 96/00, BFHE 199, 309, BStBl II 2005, 736; vom 5. Juni 2002 I R 23/01, BFH/NV 2002, 1434; vom 28. Juli 2004 XI R 63/03, BFHE 207, 205, BStBl II 2006, 866; s. auch Heger, Steuerberater-Jahrbuch 2005/2006, 233, 235 f.).

    b) Für den Streitfall ist die Vorinstanz ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass spätestens nach Ablauf der Garantiezeit, die vom FG mit drei bis vier Jahren festgestellt wurde, die jederzeitige Rückgabe der ausgelieferten Batterien zu erwarten war. Da die Klägerin mit dem Wirksamwerden der brancheneigenen Selbstverpflichtung zur Rücknahme (ab dem 2. Quartal 1989) damit rechnen musste, dass ihre Kunden die ausgelieferten Batterien zurückgeben würden, war unter Berücksichtigung einer Garantiezeit von bis zu vier Jahren spätestens in dem dem Streitjahr zugrunde liegenden Wirtschaftsjahr mit einer Rückstellungsbildung zu beginnen.

    RechtsgebieteHGB, KStG, EStG