21.10.2015 · IWW-Abrufnummer 180255
Bundesfinanzhof: Urteil vom 15.04.2015 – VIII R 30/13
Tenor:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Finanzgerichts Hamburg vom 22. März 2013 6 K 69/11 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Gründe
1
I. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die dem Kläger und Revisionskläger (Kläger) im Streitjahr 2004 zugeflossenen Erstattungszinsen als Einnahmen aus Kapitalvermögen der Einkommensteuer unterliegen.
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Der Kläger war bis 31. Dezember 1999 mit einer Unterbeteiligung an einem Kommanditanteil an einer Firma beteiligt. Aufgrund einer Außenprüfung wurden ihm höhere Gewinne aus dieser Beteiligung zugerechnet, so dass mit Bescheiden vom 4. November 2004 seine Einkommensteuer für die Jahre 1996 und 1997 sowie Nachzahlungszinsen in Höhe von insgesamt 4.912 € (3.120 € für 1996 und 1.792 € für 1997) höher festgesetzt und zum 8. Dezember 2004 fällig gestellt wurden. Für die Jahre 1998 bis 2002 wurde die Einkommensteuer mit Bescheiden vom 4. und 8. November 2004 herabgesetzt; zugleich wurden Erstattungszinsen um insgesamt 11.649 € (825 € für 1998, 1.033 € für 1999, 4.573 € für 2000, 4.005 € für 2001 und 1.213 € für 2002) höher festgesetzt.
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Mit Einkommensteuerbescheid für 2004 vom 20. Juni 2006 erhöhte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) die erklärten Einnahmen des Klägers aus Kapitalvermögen um im Streitjahr vereinnahmte Erstattungszinsen von 11.319 € gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Die vom Kläger entrichteten und beim FA am 4. Januar 2005 eingegangenen Nachzahlungszinsen von 4.912 € blieben dabei unberücksichtigt. Auf dieser Grundlage ergab sich für das Streitjahr ein Gesamtbetrag der Einkünfte in Höhe von 20.485 € sowie nach Berücksichtigung eines entsprechenden Verlustvortrags eine Einkommensteuerfestsetzung von 0 €.
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Mit Bescheid vom selben Tag über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer zum 31. Dezember 2004 stellte das FA den verbleibenden Verlustvortrag —gemindert um den für 2004 in Abzug gebrachten Verlust von 20.485 €— auf 30.852 € fest.
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Gegen den Einkommensteuerbescheid für 2004 legte der Kläger Einspruch mit der Begründung ein, die für frühere Jahre in 2004 fällig gestellten und in 2005 gezahlten Nachzahlungszinsen seien nicht berücksichtigt worden. Er beantragte zunächst, die als Einkünfte aus Kapitalvermögen angesetzten Erstattungszinsen in 2004 um die in 2005 gezahlten Nachzahlungszinsen zu mindern.
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Das FA wertete den Rechtsbehelf als Einspruch gegen den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer zum 31. Dezember 2004 und wies ihn als unbegründet zurück.
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Mit seiner dagegen erhobenen Klage machte der Kläger geltend, die Erstattungszinsen unterlägen beim Empfänger nicht der Besteuerung soweit sie auf nach § 12 Nr. 3 EStG nicht abziehbare Steuern entfielen.
8
Nachdem das Finanzgericht (FG) das Klageverfahren wegen des Revisionsverfahrens VIII R 33/07 zum Ruhen gebracht und nach Ergehen des Urteils in jenem Verfahren am 15. Juni 2010 das Verfahren wieder aufgenommen hatte, trug der Kläger mit Blick auf die zwischenzeitlich durch das Jahressteuergesetz 2010 (JStG 2010) vom 8. Dezember 2010 (BGBl I 2010, 1768, BStBl I 2010, 1394) geregelte —und für alle noch nicht bestandskräftigen Veranlagungen geltende— Ergänzung des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG um die Regelung in Satz 3 zur Steuerbarkeit von Erstattungszinsen i.S. des § 233a der Abgabenordnung (AO) vor, die steuerliche Irrelevanz von Nachzahlungszinsen bei gleichzeitiger Steuerbarkeit von Erstattungszinsen führe zu einer Ungleichbehandlung verschiedener Arten der Vollverzinsung.
9
Nach § 233a AO bestehe eine Kongruenz zwischen den wechselseitigen Verpflichtungen von FA und Steuerpflichtigem, die von dem Gedanken getragen werde, dass gegenseitige Liquiditätsvorteile abgeschöpft werden sollten. § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG i.d.F. des JStG 2010 führe zu willkürlichen Ergebnissen.
10
Wäre das Verfahren unmittelbar nach Verkündung des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 15. Juni 2010 VIII R 33/07 (BFHE 230, 109, BStBl II 2011, 503) wiederaufgenommen worden, hätte es vermutlich vor Erlass des JStG 2010 im Sinne des Klägers rechtskräftig abgeschlossen werden können. Die Regelung des JStG 2010 hätte den Kläger dann nicht mehr getroffen.
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Mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2013, 1234 veröffentlichten Urteil vom 22. März 2013 6 K 69/11 wies das FG die Klage als unbegründet ab und ließ die Revision zu.
12
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.
13
Zu Unrecht habe der BFH in seinen Urteilen vom 12. November 2013 VIII R 36/10 (BFHE 243, 506, BStBl II 2014, 168) und vom 24. Juni 2014 VIII R 29/12 (BFHE 246, 306, BStBl II 2014, 998) die Verfassungsmäßigkeit der Änderung des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG durch das JStG 2010 und damit die Steuerbarkeit von Erstattungszinsen unter Hinweis auf die Gesetzgebungsmaterialien und den ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers bejaht.
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Schließlich sei das rückwirkende Inkrafttreten der Gesetzesänderung nach § 52a Abs. 8 Satz 2 EStG i.d.F. des JStG 2010 eindeutig verfassungswidrig. Entgegen der Ansicht des BFH müsse man nach Abschaffung des Sonderausgabenabzugs von Nachzahlungszinsen durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 —StEntlG 1999/2000/2002— vom 24. März 1999 (BGBl I 1999, 402) nicht von einer weiterhin eindeutigen Rechtslage dahingehend ausgehen, dass Erstattungszinsen steuerpflichtig seien.
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Deshalb greife auch die Argumentation des BFH zu kurz, ein schutzwürdiges Vertrauen in die Nichtsteuerbarkeit von Erstattungszinsen habe durch das Urteil in BFHE 230, 109, BStBl II 2011, 503 nicht entstehen können.
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Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil der Vorinstanz aufzuheben sowie den Bescheid vom 20. Juni 2006 über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31. Dezember 2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 9. Januar 2008 dahingehend zu ändern, dass aufgrund des Einkommens im Veranlagungsjahr 2004 von dem zum 31. Dezember 2003 bestehenden Verlustvortrag ein Betrag von 9.166 € (bisher: 20.485 €) abgezogen wird.
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Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
18
II. Die Revision ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen.
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Zu Recht hat das FG die Klage gegen die Erfassung der vom Kläger im Streitjahr 2004 vereinnahmten Erstattungszinsen als steuerbare Einnahmen i.S. des —nach Maßgabe des im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung geltenden und deshalb im Streitfall anzuwendenden — § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 52a Abs. 8 Satz 2 EStG i.d.F. des JStG 2010 abgewiesen. Dem Begehren auf Feststellung eines höheren verbleibenden Verlustvortrags auf den 31. Dezember 2004 kann nicht entsprochen werden.
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1. Nach der inzwischen ständigen BFH-Rechtsprechung sind Erstattungszinsen nach § 233a AO als steuerpflichtige Einnahmen im Rahmen der Einkünfte aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 52a Abs. 8 Satz 2 EStG i.d.F. des JStG 2010 auch in noch nicht bestandskräftig veranlagten Besteuerungszeiträumen vor 2010 zu erfassen, da die Vorschrift weder einschränkend auszulegen ist noch gegen das Grundgesetz verstößt (BFH-Urteile in BFHE 243, 506, BStBl II 2014, 168; vom 12. November 2013 VIII R 1/11, BFH/NV 2014, 830; vom 10. April 2014 III R 20/13, BFHE 244, 530; BFH-Beschluss vom 9. Oktober 2014 I R 34/13, BFH/NV 2015, 167).
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Diese vom Kläger für rechtsfehlerhaft gehaltene Rechtsprechung hat der BFH mit seiner Grundsatzentscheidung in BFHE 243, 506, BStBl II 2014, 168 wie folgt begründet:
22
"Mit der ausdrücklichen Normierung der Erstattungszinsen als Kapitaleinkünfte (§ 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG i.d.F. des JStG 2010) hat der Gesetzgeber seinen Willen, diese der Besteuerung zu unterwerfen, klar zum Ausdruck gebracht. Dazu bedurfte es keiner Änderung des § 12 EStG. Es ist dem Gesetzgeber überlassen, an welcher Stelle des Gesetzes er das von ihm nicht geteilte Rechtsverständnis der Rechtsprechung zur Nichtsteuerbarkeit der Erstattungszinsen korrigiert, ob —wie geschehen— durch eine (positive) Regelung auf der Einnahmenseite oder durch eine (negative) Regelung im Rahmen der Vorschrift über die Nichtabzugsfähigkeit von Ausgaben (§ 12 EStG). Die positive Regelung auf der Einnahmenseite ist systematisch näherliegend. Auch im Schrifttum wird überwiegend die Auffassung vertreten, dass der Gesetzgeber insoweit bei der Gesetzesänderung durch das JStG 2010 zu Recht auf der Einnahmenseite angesetzt hat (Balliet, Deutsche Steuer-Zeitung 2012, 436, unter II.1. und 2.; Thiemann, Finanz-Rundschau —FR— 2012, 673, 677; Wacker, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung —HFR— 2012, 636, unter 3.; Zimmermann, EFG 2011, 649, 651 f.). Der gegenteiligen Auffassung (Panzer/Gebert, Deutsches Steuerrecht —DStR— 2011, 741, 742; vgl. auch Beschluss des FG Münster vom 27. Oktober 2011 2 V 913/11 E, EFG 2012, 118), wonach der gesetzgeberische Wille angesichts eines ansonsten unveränderten Normengefüges keinen hinreichenden Ausdruck gefunden habe, ist nicht zu folgen. Da § 12 Nr. 3 EStG nach Wortlaut und systematischer Stellung den Abzug von Ausgaben regelt und die Erstattungszinsen nicht anspricht, war zur gesetzgeberischen Korrektur der Rechtsprechung keine Änderung auch dieser Norm geboten.
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a) Der aus dem klaren Wortlaut des § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG i.d.F. des JStG 2010 erkennbare Gesetzeszweck wird durch die Entstehungsgeschichte bestätigt. So heißt es im Bericht des Finanzausschusses zum Entwurf eines JStG 2010 (BTDrucks 17/3549, S. 17), dass Erstattungszinsen steuerbar sind und die gesetzliche Klarstellung notwendig sei, "da der Bundesfinanzhof (BFH) mit seinem Urteil vom 15. Juni 2010, Az. VIII R 33/07, seine Rechtsprechung zur Steuerpflicht von Erstattungszinsen teilweise geändert hat und nunmehr ausführt, dass gesetzliche Zinsen, die das Finanzamt auf Grund von Einkommensteuererstattungen an den Steuerpflichtigen zahlt (sog. Erstattungszinsen), nicht (mehr) der Einkommensteuer unterliegen".
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Damit bleibt für eine Behandlung der Erstattungszinsen nach § 233a AO als nicht steuerbar kein Raum mehr. Bei Auslegung des Gesetzes ist die gesetzgeberische Entscheidung zu respektieren und der im Gesetz angelegte "Wille des Gesetzgebers (...) möglichst zuverlässig zur Geltung zu bringen" (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts —BVerfG— vom 25. Januar 2011 1 BvR 918/10, BVerfGE 128, 193).
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2. Die verfassungsrechtlichen Einwendungen des Klägers greifen nicht durch.
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a) Die Anordnung der Besteuerung der Erstattungszinsen als Einnahmen aus Kapitalvermögen durch den Gesetzgeber verstößt im Vergleich zur Nichtabziehbarkeit der Nachzahlungszinsen weder gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 des Grundgesetzes (GG) noch das daraus folgende, an den Gesetzgeber gerichtete verfassungsrechtliche Gebot, einmal getroffene (steuerliche) Belastungsentscheidungen folgerichtig auszugestalten (Folgerichtigkeitsgebot).
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Es fehlt schon an einer sachwidrigen Ungleichbehandlung i.S. des Art. 3 GG. § 233a AO regelt die Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen. Dem Entstehen von Nachforderungsansprüchen einerseits und Erstattungsansprüchen andererseits liegen unterschiedliche Sachverhalte zugrunde, nämlich in einem Fall zu geringe Vorleistungen auf die entstandene Steuerschuld, im anderen Fall eine Überzahlung. Diese unterschiedlichen Sachverhalte sind allenfalls insoweit abstrakt vergleichbar, als sie beide Zahlungsansprüche im Steuerrechtsverhältnis begründen und sich —mit unterschiedlichen Vorzeichen— auf die Liquidität des Steuerpflichtigen auswirken. In ihrer wirtschaftlichen Auswirkung und ihrer steuerrechtlich maßgeblichen Veranlassung sind sie hingegen nicht vergleichbar (vgl. BFH-Beschluss vom 15. Februar 2012 I B 97/11, BFHE 236, 458, BStBl II 2012, 697; Thiemann, FR 2012, 673, 679). Nachzahlungszinsen sind durch § 12 Nr. 3 EStG der Sphäre der steuerrechtlich unbeachtlichen Einkünfteverwendung zugewiesen. Die Verwendung von Einkommen ist einkommensteuerrechtlich grundsätzlich irrelevant, soweit es sich nicht um Erwerbsaufwendungen (Betriebsausgaben, Werbungskosten) handelt oder die steuerliche Abzugsmöglichkeit (insbesondere als Sonderausgabe oder außergewöhnliche Belastung, §§ 10 ff., 33 f. EStG) ausdrücklich gesetzlich geregelt ist. Es besteht keine Korrespondenz zwischen der Behandlung des Abzugstatbestandes in § 12 Nr. 3 EStG (Abzugsverbot für Nachzahlungszinsen) und des Einnahmetatbestandes in § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG i.d.F. des JStG 2010 (vgl. Thiemann, FR 2012, 673, 679; Balliet, Deutsche Steuer-Zeitung —DStZ— 2012, 436, unter 4.).
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Zutreffend wird in diesem Zusammenhang hervorgehoben, dass die Zuweisung der Nachzahlungszinsen in den nichtsteuerbaren Bereich (auch) der Gleichbehandlung mit Steuerpflichtigen dient, die eine private Steuerschuld kreditfinanziert tilgen müssen und die dafür entstehenden Schuldzinsen unter keinem Gesichtspunkt steuerlich abziehen können (Bericht des Finanzausschusses, BTDrucks 17/3549, S. 18; Thiemann, FR 2012, 673, 680; Balliet, DStZ 2012, 436, unter 4.).
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Die gesetzliche Regelung des § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG i.d.F. des JStG 2010 führt mithin nicht zu einer gleichheitssatzwidrigen Ungleichbehandlung wesentlich gleichartiger Sachverhalte. Damit fehlt im Streitfall die Voraussetzung der Anwendung des Folgerichtigkeitsgebots.
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Zwar wird das Abzugsverbot in § 12 Nr. 3 EStG in Teilen des Schrifttums für verfassungswidrig gehalten (s. Seer/Klemke, Institut Finanzen und Steuern e.V., IFSt-Schrift Nr. 490, 2013, S. 88 ff., unter Hinweis auf Söffing, Betriebs-Berater 2002, 1456). Indes könnte die —vom Kläger unterstellte, vom Senat allerdings in seiner Entscheidung vom 2. September 2008 VIII R 2/07 (BFHE 223, 15, BStBl II 2010, 25) bereits verneinte— Verfassungswidrigkeit nicht zugleich die Verfassungswidrigkeit des Einnahmetatbestandes in § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG i.d.F. des JStG 2010 begründen.
31
b) Die Regelung des zeitlichen Anwendungsbereichs des § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG i.d.F. des JStG 2010 verstößt nicht gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot.
32
aa) § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG i.d.F. des JStG 2010 ist nach § 52a Abs. 8 Satz 2 EStG i.d.F. des JStG 2010 "in allen Fällen anzuwenden, in denen die Steuer noch nicht bestandskräftig festgesetzt ist". Damit ist das Gesetz rückwirkend auch auf den Streitfall anwendbar.
33
bb) Die Anwendungsbestimmung (§ 52a Abs. 8 Satz 2 EStG i.d.F. des JStG 2010) führt nach Auffassung einiger Finanzgerichte und Stimmen in der Literatur zu einer unzulässigen echten Rückwirkung. Zumindest werden Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Rückwirkung angemeldet (vgl. Beschlüsse des FG Düsseldorf vom 5. September 2011 1 V 2325/11 A(E), EFG 2012, 120, 122; des FG Münster in EFG 2012, 118, 119; des Schleswig-Holsteinischen FG vom 27. Januar 2012 1 V 226/11, EFG 2012, 619, 621; Panzer/Gebert, DStR 2011, 741, 743 f.; Rublack, FR 2011, 173, 175). Auch der Senat hat deswegen in einer Reihe von Fällen aufgrund summarischer Prüfung zunächst die Vollziehung von Steuerfestsetzungen ausgesetzt (Beschlüsse vom 22. Dezember 2011 VIII B 190/11, BFHE 236, 158, BStBl II 2012, 243; vom 22. Dezember 2011 VIII B 146/11, BFH/NV 2012, 575; vom 9. Januar 2012 VIII B 95/11, BFH/NV 2012, 575).
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cc) Indes erweist sich die in § 52a Abs. 8 Satz 2 EStG i.d.F. des JStG 2010 angeordnete Rückwirkung nach abschließender Prüfung im Revisionsverfahren nicht als verfassungsrechtlich unzulässig. Auch wenn man abweichend von den Gesetzesmaterialien in der Regelung in § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG i.d.F. des JStG 2010 keine "Klarstellung" sieht, sondern davon ausgeht, dass die Anwendungsvorschrift eine echte Rückwirkung für bereits abgeschlossene Erhebungszeiträume bedeutet, hält die Vorschrift verfassungsrechtlicher Nachprüfung stand. Zwar sind Gesetze mit echter Rückwirkung, die die Rechtsfolge eines der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens nachträglich belastend ändern, im Hinblick auf die Verlässlichkeit der Rechtsordnung als Grundbedingung freiheitlicher Verfassungen grundsätzlich unzulässig (vgl. BVerfG-Beschluss vom 3. Dezember 1997 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67, 78; BVerfG-Urteil vom 23. November 1999 1 BvF 1/94, BVerfGE 101, 239, 263; Nichtannahmebeschluss des BVerfG vom 15. Oktober 2008 1 BvR 1138/06, HFR 2009, 187). Jedoch sind in der Rechtsprechung des BVerfG Fallgruppen anerkannt, in denen das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot durchbrochen ist. So tritt das Rückwirkungsverbot, das seinen Grund im Vertrauensschutz hat, namentlich dann zurück, wenn sich kein schützenswertes Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts bilden konnte (vgl. BVerfG-Urteil in BVerfGE 101, 239, 263; Nichtannahmebeschluss des BVerfG in HFR 2009, 187).
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dd) So liegt der Streitfall. Mit der Regelung in § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG i.d.F. des JStG 2010, die Erstattungszinsen dem steuerbaren Bereich zuweist, hat der Gesetzgeber die Rechtslage auch mit Wirkung für die Vergangenheit so geregelt, wie sie bis zum Ergehen des BFH-Urteils in BFHE 230, 109, BStBl II 2011, 503 der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BFH-Urteile vom 18. Februar 1975 VIII R 104/70, BFHE 115, 216, BStBl II 1975, 568; vom 8. April 1986 VIII R 260/82, BFHE 146, 408, BStBl II 1986, 557; vom 25. Oktober 1994 VIII R 79/91, BFHE 175, 439, BStBl II 1995, 121; vom 8. November 2005 VIII R 105/03, BFH/NV 2006, 527, m.w.N.; BFH-Beschlüsse vom 14. April 1992 VIII B 114/91, BFH/NV 1993, 165; vom 30. Juni 2009 VIII B 8/09, BFH/NV 2009, 1977) und der Praxis der Finanzverwaltung (Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 5. Oktober 2000 IV C 1 –S 2252– 231/00, BStBl I 2000, 1508; weitere Nachweise im BFH-Urteil in BFH/NV 2006, 527) entsprach (vgl. Nichtannahmebeschluss des BVerfG in HFR 2009, 187). Die Behauptung des Klägers, der BFH habe seine langjährige Rechtsprechung seit Inkrafttreten des StEntlG 1999/2000/2002 (mit dem der Sonderausgabenabzug für Nachzahlungszinsen gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG gestrichen worden war) nicht mehr bestätigt, trifft nicht zu, wie sich den Entscheidungen des Senats in BFH/NV 2006, 527 und BFH/NV 2009, 1977 entnehmen lässt.
36
ee) Vor der Rechtsprechungsänderung durch das Senatsurteil in BFHE 230, 109, BStBl II 2011, 503 konnte deshalb kein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers auf die Nichtsteuerbarkeit der Erstattungszinsen entstehen, zumal der Zufluss der streitbefangenen Erstattungszinsen bei dem Kläger bereits mehrere Jahre zurücklag.
37
Ein Vertrauenstatbestand hätte sich deshalb allenfalls ab der Veröffentlichung des die Rechtsprechung ändernden Senatsurteils in BFHE 230, 109, BStBl II 2011, 503 entwickeln können. Jedenfalls fehlt es angesichts der Vorgeschichte sowie des relativ kurzen Zeitraums zwischen der Veröffentlichung dieses Urteils (am 8. September 2010) und dem Inkrafttreten des JStG 2010 (am 14. Dezember 2010) an der Schutzwürdigkeit eines Vertrauens in den Fortbestand der Rechtsprechungsänderung, zumal in diese Zwischenzeit keine schutzwürdigen Vermögensdispositionen des Klägers fielen."
38
In Ergänzung dieser Ausführungen hat der BFH mit Urteil in BFHE 246, 306, BStBl II 2014, 998 ausgeführt, dass diese Rechtsprechung auch im Einklang mit dem danach ergangenen BVerfG-Beschluss vom 17. Dezember 2013 1 BvL 5/08 (BGBl I 2014, 255, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2014, 359) steht. Nach dieser Entscheidung findet das Rückwirkungsverbot im Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht nur seinen Grund, sondern auch seine Grenze. Es gilt nicht, soweit sich kein Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts bilden konnte. Dementsprechend hat das BVerfG auf frühere Rechtsprechung verwiesen, mit der es das Vertrauen in ein geändertes Verständnis der alten Rechtslage, das durch eine Rechtsprechungsänderung in Abweichung von der bis dahin in Rechtspraxis und Rechtsprechung gefestigten Rechtsauffassung herbeigeführt worden war, als von vornherein nicht gerechtfertigt angesehen hat (BVerfG-Beschluss vom 21. Juli 2010 1 BvR 2530/05, BVerfGE 126, 369). Ferner hat das BVerfG zur Änderung einer gefestigten Rechtspraxis durch das Bundesverwaltungsgericht festgestellt, dass sich "ein hinreichend gefestigtes und damit schutzwürdiges Vertrauen" in ein Verständnis der Rechtslage im Sinne des Bundesverwaltungsgerichts "unter den gegebenen Umständen" nicht habe entwickeln können (BVerfG-Beschluss vom 2. Mai 2012 2 BvL 5/10, BVerfGE 131, 20).
39
Entgegen der Auffassung des Klägers und des von ihm in Bezug genommenen Schrifttums (vgl. Schönfeld/Bergmann, DStR 2015, 257) ist es von Verfassungs wegen auch aus der Sicht des BVerfG in seinem Beschluss in HFR 2014, 359 (insbesondere in Rz 80) nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber die Aufgabe einer früheren langjährigen Rechtsprechung durch ein Bundesgericht —wie im Streitfall durch die Entscheidung in BFHE 230, 109, BStBl II 2011, 503— zum Anlass nimmt, den Grundsätzen dieser früheren Rechtsprechung durch Änderung des Gesetzes fortgeltende Wirkung zu verschaffen (insoweit auch zustimmend Kirchhof, DStR 2015, 719).
40
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.