28.10.2015 · IWW-Abrufnummer 180413
Bundesfinanzhof: Urteil vom 23.06.2015 – III R 38/14
1. Während eines mehrjährigen Auslandsaufenthalts zum Zwecke einer Berufsausbildung behält ein Kind seinen Wohnsitz in der Wohnung der Eltern im Inland im Regelfall nur dann bei, wenn es diese Wohnung zumindest überwiegend in den ausbildungsfreien Zeiten nutzt (Bestätigung des Senatsurteils vom 25. September 2014 III R 10/14 , BFHE 247, 239). Nicht erforderlich ist hingegen, dass das Kind den weit überwiegenden Teil der ausbildungsfreien Zeit im Inland verbringt.
2. Bei mehrjährigen Auslandsaufenthalten zum Zwecke einer Berufsausbildung unterscheiden sich die Anforderungen an das Innehaben der inländischen Wohnung nicht danach, ob es sich um die Anfangsphase der Berufsausbildung oder eine spätere Phase handelt.
3. Für die Frage, ob das Kind während des Auslandsaufenthalts einen inländischen Wohnsitz beibehalten oder begründet hat, können auch außerhalb des jeweiligen kindergeldrechtlichen Streitzeitraums liegende tatsächliche Umstände berücksichtigt werden.
Tenor:
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts Nürnberg vom 23. Oktober 2014 6 K 441/14 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.
Gründe
I.
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Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist deutscher Staatsangehöriger mit chinesischer Herkunft. Er ist der Vater seines im Februar 1994 geborenen Sohnes (S). S beendete seine schulische Ausbildung im Juli 2012. In der Zeit vom 10. September 2012 bis 15. Juli 2013 absolvierte er einen einjährigen Sprachkurs in China. Nach dessen Ende entschied sich S für ein im September 2013 beginnendes und voraussichtlich bis Juli 2017 andauerndes Bachelorstudium in China.
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Während des Bachelorstudiums wohnte S in einem Studentenwohnheim. Dort stand ihm nur ein Platz zur Unterbringung der notwendigsten Kleidungsstücke und Unterrichtsmaterialien zur Verfügung. Verwandtschaftliche Beziehungen bestanden am Studienort nicht. Aus vom Kläger vorgelegten Flugtickets und -buchungen ergaben sich Inlandsaufenthalte des S vom 15. Juli 2013 bis 30. August 2013 und vom 10. Juli 2014 bis 28. August 2014. Ein weiterer Flug nach Deutschland war für den 11. Januar 2015 geplant. Während der Inlandsaufenthalte war S in der elterlichen Wohnung in seinem Kinderzimmer untergebracht. In der Wohnung lebt auch der Bruder des S.
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Die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) hob die Kindergeldfestsetzung mit Bescheid vom 22. Januar 2014 ab September 2013 auf und forderte das bereits ausbezahlte Kindergeld vom Kläger zurück. Der dagegen gerichtete Einspruch blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 7. März 2014).
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Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2015, 233 veröffentlichten Gründen statt und hob den Aufhebungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung auf.
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Mit der hiergegen gerichteten Revision rügt die Familienkasse die Verletzung materiellen Rechts.
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Die Familienkasse beantragt, das angegriffene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger hat sich hierzu nicht geäußert und keinen Antrag gestellt.
II.
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Die Revision ist unbegründet. Das FG ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass der Sohn des Klägers im Streitzeitraum September 2013 bis März 2014 seinen inländischen Wohnsitz beibehalten hat.
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1. Für Kinder, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat haben, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, und die auch nicht im Haushalt eines Berechtigten i.S. des § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes (EStG) leben, wird nach § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG (in der im Streitzeitraum geltenden Fassung) kein Kindergeld gewährt. Die Grundsätze, nach denen sich beurteilt, ob ein Kind, das sich zum Zwecke einer Berufsausbildung mehrere Jahre im Ausland aufhält, seinen Inlandswohnsitz ( § 8 der Abgabenordnung —AO—) beibehält, hat der Senat in dem zum Zeitpunkt des Ergehens der angegriffenen Entscheidung noch nicht veröffentlichten Urteil vom 25. September 2014 III R 10/14 (BFHE 247, 239) im Einzelnen dargelegt. Hierauf wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.
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2. Die angegriffene Entscheidung entspricht diesen Grundsätzen zwar nur zum Teil. Die vom FG festgestellten tatsächlichen Umstände reichen dennoch aus, um in ihrer Zusammenschau die Beibehaltung eines inländischen Wohnsitzes zu begründen.
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a) Im Einklang mit der vorgenannten Senatsentscheidung (in BFHE 247, 239, Rz 32, m.w.N.) ist das FG davon ausgegangen, dass der nur vorübergehende, weniger als einjährige Aufenthalt in China zum Zwecke des Besuchs eines Sprachkurses noch nicht zu einer Aufgabe des Wohnsitzes durch S geführt hat.
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b) Im Ergebnis zu Recht hat das FG weiter angenommen, dass der inländische Wohnsitz des S während des Streitzeitraums auch durch das auf mehrere Jahre angelegte Bachelorstudium in China nicht aufgegeben worden ist.
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aa) Dabei hat das FG in seine Gesamtwürdigung zu Recht der Dauer der ausbildungsfreien Zeiten und der Dauer und Häufigkeit der Inlandsaufenthalte maßgebliche Bedeutung beigemessen. Hinsichtlich der Dauer der Inlandsaufenthalte ist der Senat im Leitsatz 1 und unter den Rz 21 und 22 der vorgenannten Entscheidung (in BFHE 247, 239) davon ausgegangen, dass das zu berücksichtigende Kind die ausbildungsfreien Zeiten im Regelfall zumindest überwiegend im Inland verbringen muss.
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Soweit die Familienkasse mit ihrer Forderung nach einer "weit überwiegend" im Inland verbrachten ausbildungsfreien Zeit auf die Formulierung unter Rz 30 der vorgenannten Entscheidung anknüpfen sollte, übersieht sie, dass es sich insoweit nur um fallbezogene Ausführungen des Senats handelte, aus denen keine Verschärfung der allgemein aufgestellten Anforderungen abgeleitet werden kann.
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Dass S die ausbildungsfreien Zeiten "überwiegend" in Deutschland verbracht hat, ergibt sich aus der unter I.2.b der Entscheidungsgründe getroffenen Feststellung des FG, wonach S "die länger dauernden Sommerferien bei seinen Eltern verbracht" hat. S war daher mehr als 50 % und damit den überwiegenden Teil der ausbildungsfreien Zeit im Inland. Von einem überwiegenden Aufenthalt des S im Inland während der ausbildungsfreien Zeit geht im Übrigen auch die Familienkasse auf S. 6 f. ihrer Revisionsbegründung aus.
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Unschädlich ist insoweit, dass der Inlandsaufenthalt während der Sommerferien 2014 erst außerhalb des Streitzeitraums stattgefunden hat. Für die Frage, ob der Wohnsitz beibehalten wird, können auch außerhalb des kindergeldrechtlichen Streitzeitraums liegende tatsächliche Umstände berücksichtigt werden, da es sonst —trotz vergleichbarer Sachverhaltskonstellationen— von den verfahrensmäßigen Zufälligkeiten abhinge, ob die Beibehaltung eines Wohnsitzes zu bejahen oder zu verneinen wäre.
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Zu keiner anderen Beurteilung führt der Hinweis der Familienkasse, wonach der erkennende Senat im Urteil vom 28. April 2010 III R 52/09 (BFHE 229, 270, BStBl II 2010, 1013 [BFH 28.04.2010 - III R 52/09] ) eine Aufenthaltsdauer von jährlich fünf Monaten in der Wohnung der Eltern habe genügen lassen, um einen inländischen Wohnsitz beizubehalten. Dem ist zwar beizupflichten. Soweit die Familienkasse daraus jedoch den Umkehrschluss ziehen wollte, dass in jedem Fall ein Aufenthalt von mindestens fünf Monaten zu fordern sei, hat dies der Senat im Urteil in BFHE 229, 270, [BFH 28.04.2010 - III R 52/09] BStBl II 2010, 1013 [BFH 28.04.2010 - III R 52/09] ausdrücklich abgelehnt (s.a. Senatsbeschluss vom 12. Februar 2009 III B 100/08 , nicht veröffentlicht).
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bb) Zu Unrecht hat das FG in seine Abwägung zwar den Umstand einbezogen, dass für den unterbliebenen Inlandsaufenthalt während der Wintersemesterferien 2014 finanzielle Gründe maßgeblich waren. Insofern hat der Senat unter Rz 26 der vorgenannten Entscheidung (in BFHE 247, 239) ausgeführt, dass für das Innehaben einer Wohnung allein auf die tatsächlichen Verhältnisse und nicht auf die persönlichen oder finanziellen Beweggründe für die fehlenden Inlandsaufenthalte abzustellen ist. Entsprechend kommt es für die Frage der Wohnsitzbeibehaltung auch nicht auf die vom FG angeführten Beweggründe der großen Entfernung und der damit verbundenen langen Reisedauer an. Die insoweit zu Unrecht angestellten Erwägungen des FG sind in der Gesamtwürdigung aber unschädlich, weil sich bereits aus den unter II.2.b aa erörterten Gründen ergibt, dass S die ausbildungsfreie Zeit überwiegend im Inland verbracht hat.
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cc) Letzteres gilt auch, soweit das FG davon ausgeht, dass für die Anfangsphase eines Studiums andere Anforderungen an die Dauer und Häufigkeit der Inlandsaufenthalte gelten könnten als für spätere Phasen. Da die Wohnsitzdefinition des § 8 AO auch bei einem auf einen mehrjährigen Zeitraum ausgerichteten Auslandsaufenthalt erfordert, dass das Kind die Wohnung tatsächlich innehat, kann auch ein fehlendes Innehaben in der Anfangsphase eines Auslandsstudiums zum Verlust des Wohnsitzes führen. Hierauf kommt es jedoch im Streitfall nicht entscheidend an, da der vom FG festgestellte Inlandsaufenthalt während der Sommerferien ausreicht, um dem Kriterium der Dauer und Häufigkeit der Inlandsaufenthalte während der ausbildungsfeien Zeiten im Sinne einer Wohnsitzbeibehaltung zu genügen.
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dd) Zu Recht hat das FG auch die Art der Unterbringung am Ausbildungsort und in der elterlichen Wohnung in seine Gesamtwürdigung miteinbezogen (s. hierzu Senatsurteil in BFHE 247, 239, Rz 20, m.w.N.).
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ee) Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist ferner, dass das FG den persönlichen Beziehungen des Kindes am Wohnort der Eltern einerseits und am Ausbildungsort andererseits Bedeutung beigemessen hat (s. hierzu Senatsurteil in BFHE 247, 239, Rz 20, m.w.N.). Es konnte daher als für die Wohnsitzbeibehaltung sprechendes Indiz berücksichtigen, dass im Elternhaus weiterhin persönliche Beziehungen nicht nur zu den Eltern, sondern auch zum Bruder des S bestanden, während am Ausbildungsort keine verwandtschaftlichen Beziehungen vorhanden waren.
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ff) Rechtsfehlerfrei hat das FG schließlich die Herkunft des Klägers und damit indirekt die Herkunft des S nicht in seine Gesamtwürdigung einbezogen. Dies entspricht der Einordnung des Merkmals der Staatsangehörigkeit durch die höchstrichterliche Rechtsprechung (Senatsurteil in BFHE 247, 239, Rz 25, m.w.N.; ablehnend gegenüber einem Abstellen auf die Herkunft der Eltern und das Heimatland des Kindes auch Reuß, EFG 2015, 235 f.). Anders als die —gegebenenfalls durch die Herkunft begründeten— persönlichen Beziehungen am Ausbildungsort, vermag die Herkunft regelmäßig nichts darüber auszusagen, ob das Kind seinen bisherigen Inlandswohnsitz aufgegeben und anstelle dessen einen neuen Wohnsitz am Ausbildungsort begründet hat.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 143 Abs. 1 , § 135 Abs. 2 FGO .