28.01.2016 · IWW-Abrufnummer 183315
Bundesfinanzhof: Urteil vom 03.09.2015 – VI R 18/14
Für ein mit der Betreuungspauschale abgegoltenes Notrufsystem, das innerhalb einer Wohnung im Rahmen des "Betreuten Wohnens" Hilfeleistung rund um die Uhr sicherstellt, kann die Steuerermäßigung nach § 35a Abs. 2 Satz 1 EStG in Anspruch genommen werden.
Tenor:
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts Nürnberg vom 13. Februar 2014 6 K 1026/13 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Gründe
I.
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Streitig ist, ob für ein mit einer Betreuungspauschale abgegoltenes Notrufsystem, durch das im Rahmen des "Betreuten Wohnens" in einer Seniorenresidenz Hilfeleistung rund um die Uhr sichergestellt wird, die Steuerermäßigung nach § 35a des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Anspruch genommen werden kann.
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Der im Jahre 1920 geborene Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) bewohnt seit 1999 eine Drei-Zimmer-Wohnung in einer Seniorenresidenz im Rahmen des "Betreuten Wohnens". Die Residenz ist in zwei Betriebe aufgeteilt, nämlich in das "Betreute Wohnen" (Sozialstation) einerseits, und die Pflegestation andererseits. Die Residenz ist auf zwei Gebäude verteilt, die durch eine Straße getrennt in unmittelbarer Nachbarschaft liegen. In Haus A ist im Erdgeschoss die Verwaltung der Residenz untergebracht, getrennt in die Verwaltung für das Betreute Wohnen und für die Pflegestation. Im ersten Stock befinden sich betreute Wohnungen und im zweiten Stock die Pflegestation. In Haus B befinden sich ausschließlich betreute Wohnungen, u.a. auch diejenige des Klägers. Beide Betriebe haben eigenes Personal und eine eigene Notrufzentrale, die jeweils im Haus untergebracht ist. Die Pfleger, die in den Häusern ihre Arbeit verrichten, haben jeweils einen Piepser bei sich, der den Notruf sofort an sie weiterleitet.
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Der Kläger schloss mit dem Eigentümer der Wohnung einen Mietvertrag ab. Zudem schloss er mit dem Betreiber der Residenz einen Seniorenbetreuungsvertrag. Darin verpflichtete sich der Betreiber zu nachfolgenden Leistungen, für die der Kläger eine monatliche Betreuungspauschale zu entrichten hatte:
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24 Stunden pro Tag zur Verfügung stehendes Notrufsystem
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Beratungsangebot (Hilfe bei Behördenangelegenheiten und Schriftverkehr, Kopierdienst, Beratung in gesundheitlichen, hauswirtschaftlichen und persönlichen Angelegenheiten, handwerkliche Hilfen und Kleinreparaturen in der Wohnung, soweit sie vom Hausmeister erledigt werden können, Beratung und Unterstützung beim Nachrüsten der Wohnung im Sinne der Behindertensicherheit)
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Organisation von kulturellen Veranstaltungen
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Einräumung eines absoluten Vorrangs bei der Belegung der Pflegeabteilung.
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Darüber hinaus waren nach einer von der Residenz herausgegebenen Aufgliederung der Betreuungspauschale aus dem Jahr 2004 folgende Leistungen enthalten:
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Bereitstellung des Mindestpersonals einschließlich Nachtwache
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Soforthilfe im Notfall durch staatlich examiniertes Pflegepersonal
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hauswirtschaftliche Versorgung im Krankheitsfall bis zu einer Woche (d.h. Mittagessen und ggf. andere Mahlzeiten in der Wohnung)
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Grund- und Behandlungspflege bei kurzzeitiger Erkrankung bis zu einer Woche.
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Die Betreuungspauschale war auch dann zu entrichten, wenn keine konkreten Leistungen in Anspruch genommen wurden. Die Pauschale diente vor allem dazu, das entsprechende Fachpersonal rund um die Uhr für Notfälle bereitzuhalten und die Organisation zu tragen. Der Betreuungsvertrag konnte nur in Verbindung mit der Wohnung gekündigt werden. Weitere Dienstleistungen, wie z.B. die Verpflegung im Seniorenrestaurant, konnten gegen zusätzliches Entgelt in Anspruch genommen werden.
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Im Streitjahr 2011 bezahlte der Kläger eine Betreuungspauschale in Höhe von insgesamt 1.785 € (monatlich 148,75 €). Die Pauschale diente zu 80 % der Besetzung des Notrufsystems über 24 Stunden täglich und zu 20 % beratenden und kulturellen Leistungen. In seiner Steuererklärung für das Streitjahr machte der Kläger 1.357 € (76 %) als Aufwendungen für haushaltsnahe Dienstleistungen nach § 35a EStG geltend. Zusätzlich begehrte er die Steuerermäßigung nach § 35a EStG für anteilige Kosten für Hausmeister und Hausreinigung in Höhe von 474 €.
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Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) berücksichtigte die Aufwendungen für Hausmeister und Reinigung im Steuerbescheid für das Streitjahr antragsgemäß. Für die anteilige Betreuungspauschale gewährte das FA die Steuerermäßigung hingegen nicht.
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Den hiergegen erhobenen Einspruch wies es als unbegründet zurück. Die Klage hatte aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2014, 1312 veröffentlichten Gründen Erfolg.
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Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.
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Das FA beantragt,
das Urteil des Finanzgerichts (FG) Nürnberg vom 13. Februar 2014 6 K 1026/13 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger hat keinen Antrag gestellt.
II.
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Die Revision des FA ist unbegründet; sie ist daher zurückzuweisen ( § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Das FG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass für die geltend gemachten Aufwendungen die Steuerermäßigung nach § 35a Abs. 2 EStG zu gewähren ist. Es handelt sich bei den streitigen Aufwendungen um solche für eine haushaltsnahe Dienstleistung i.S. des § 35a Abs. 2 Satz 1 EStG , die in einem inländischen Haushalt erbracht wird.
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1. Nach § 35a Abs. 2 Satz 1 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung ermäßigt sich die tarifliche Einkommensteuer für haushaltsnahe Beschäftigungsverhältnisse oder für die Inanspruchnahme von haushaltsnahen Dienstleistungen auf Antrag um 20 %, höchstens 4.000 €, der Aufwendungen des Steuerpflichtigen. Dies gilt auch für die Inanspruchnahme von Pflege- und Betreuungsleistungen sowie für Aufwendungen, die einem Steuerpflichtigen wegen der Unterbringung in einem Heim oder zur dauernden Pflege erwachsen, soweit darin Kosten für Dienstleistungen enthalten sind, die mit denen einer Hilfe im Haushalt vergleichbar sind ( § 35a Abs. 2 Satz 2 EStG ). Die Steuerermäßigung kann nur in Anspruch genommen werden, wenn die Dienstleistung in einem in der Europäischen Union oder dem Europäischen Wirtschaftsraum liegenden Haushalt des Steuerpflichtigen oder —bei Pflege- und Betreuungsleistungen— der gepflegten oder betreuten Person ausgeübt oder erbracht wird ( § 35a Abs. 4 Satz 1 EStG ).
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a) Nach der Senatsrechtsprechung ( Urteile vom 1. Februar 2007 VI R 77/05 , BFHE 216, 526, BStBl II 2007, 760 [BFH 01.02.2007 - VI R 77/05] ; VI R 74/05, BFH/NV 2007, 900 [BFH 01.02.2007 - VI R 74/05] ; vom 29. Januar 2009 VI R 28/08 , BFHE 224, 255, BStBl II 2010, 166 [BFH 29.01.2009 - VI R 28/08] ) ist unter dem Begriff des Haushalts die Wirtschaftsführung mehrerer (in einer Familie) zusammenlebender Personen oder einer einzelnen Person zu verstehen. Das Wirtschaften im Haushalt umfasst Tätigkeiten, die für die Haushaltung oder die Haushaltsmitglieder erbracht werden. Dazu gehören Einkaufen von Verbrauchsgütern, Zubereitung von Mahlzeiten, Wäschepflege, Reinigung und Pflege der Räume, des Gartens und auch Pflege, Versorgung und Betreuung von Kindern, alten und kranken Haushaltsangehörigen (vgl. auch BTDrucks 15/91, 19; Schmidt/Krüger, EStG, 34. Aufl., § 35a Rz 7). Ein solcher Haushalt kann grundsätzlich auch von dem Bewohner eines Wohnstifts geführt werden (Senatsurteil in BFHE 224, 255, [BFH 29.01.2009 - VI R 28/08] BStBl II 2010, 166 [BFH 29.01.2009 - VI R 28/08] ).
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b) "Haushaltsnahe" Leistungen sind solche, die eine hinreichende Nähe zur Haushaltsführung haben bzw. damit im Zusammenhang stehen. Dazu gehören Tätigkeiten, die gewöhnlich durch Mitglieder des privaten Haushalts oder entsprechend Beschäftigte erledigt werden und in regelmäßigen Abständen anfallen (Senatsurteile in BFHE 216, 526, [BFH 01.02.2007 - VI R 77/05] BStBl II 2007, 760 [BFH 01.02.2007 - VI R 77/05] ; in BFH/NV 2007, 900 [BFH 01.02.2007 - VI R 74/05] ; in BFHE 224, 255, BStBl II 2010, 166).
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2. Nach diesen Grundsätzen handelt es sich bei dem mit der Betreuungspauschale abgegoltenen Notrufsystem um eine haushaltsnahe Dienstleistung. Denn durch die Rufbereitschaft wird sichergestellt, dass ein Bewohner, der sich im räumlichen Bereich seines im Rahmen des "Betreuten Wohnens" geführten Haushalts aufhält, im Bedarfsfall Hilfe rufen kann. Eine solche Rufbereitschaft leisten typischerweise in einer Haushaltsgemeinschaft zusammenlebende Familien- oder sonstige Haushaltsangehörige und stellen damit im räumlichen Bereich des Haushalts sicher, dass kranke und alte Haushaltsangehörige im Bedarfsfall Hilfe erhalten.
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3. Die Leistung wird auch "in einem ... Haushalt des Steuerpflichtigen ... erbracht".
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"In" einem Haushalt wird die haushaltsnahe Dienstleistung erbracht, wenn sie im räumlichen Bereich des vorhandenen Haushalts geleistet wird. Der Begriff des Haushalts ist insoweit räumlich-funktional auszulegen ( Senatsurteile vom 20. März 2014 VI R 55/12 , BFHE 245, 45, BStBl II 2014, 880 [BFH 20.03.2014 - VI R 55/12] ; VI R 56/12, BFHE 245, 49, BStBl II 2014, 882 [BFH 20.03.2014 - VI R 56/12] ).
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Im Streitfall stellt das Notrufsystem die Rufbereitschaft für den Fall sicher, dass der Bewohner sich in seiner Wohnung aufhält, um dort im Not- und sonstigen Bedarfsfall eine Hilfeleistung zu gewährleisten. Der Leistungserfolg tritt damit in der Wohnung des Steuerpflichtigen ein. Die Leistung wird mithin im räumlichen Bereich des Haushalts erbracht.
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4. Nach diesen Grundsätzen hat das FG die Steuerermäßigung zu Recht in der vom Kläger begehrten Höhe gewährt.
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Der Kläger führte in seiner Drei-Zimmer-Wohnung einen Haushalt im Sinne dieser Vorschrift. Diejenigen Entgeltsanteile, die auf das Notrufsystem und das Bereithalten von Personal für den Einsatz im Bedarfsfall anfallen, sind nach den angeführten Grundsätzen haushaltsnahe Dienstleistungen i.S. des § 35a Abs. 2 Satz 1 EStG .
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Ob es sich bei allen Leistungen, zu denen sich das Wohnstift im Betreuungsvertrag verpflichtet hat, um solche i.S. des § 35a EStG handelt, kann vorliegend offenbleiben. Denn der Kläger hat nur für 76 % der angefallenen Aufwendungen die Steuerermäßigung begehrt. Auf die Steuerermäßigung für diesen Anteil der Aufwendungen hat er bereits deshalb Anspruch, weil 80 % der Aufwendungen auf das Notrufsystem entfallen.
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO .