11.02.2016 · IWW-Abrufnummer 183680
Bundesfinanzhof: Urteil vom 05.11.2015 – III R 17/14
Tenor:
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 5. Mai 2014 6 K 2901/13 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Gründe
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I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist die Mutter einer im Juni 2001 geborenen Tochter, von deren Vater sie zuletzt getrennt war. Von Januar bis Ende Oktober 2012 lebte sie zusammen mit der Tochter in einer Wohnung. Am 29. Oktober 2012 heiratete sie. Ihr Ehemann war erst wenige Tage zuvor in die Wohnung der Klägerin eingezogen.
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Die Klägerin beantragte für das Jahr der Eheschließung die besondere Veranlagung nach § 26c des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr 2012 geltenden Fassung (EStG). Außerdem begehrte sie den Abzug des anteiligen Entlastungsbetrags für Alleinerziehende nach § 24b EStG für den Zeitraum bis zur Eheschließung.
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Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) veranlagte die Klägerin nach § 26c EStG , lehnte aber eine Berücksichtigung des Entlastungsbetrags ab, weil die Klägerin die Voraussetzungen für das Splitting-Verfahren erfülle.
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Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage statt ( Urteil vom 5. Mai 2014 6 K 2901/13 , Entscheidungen der Finanzgerichte 2014, 1395).
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Zur Begründung der dagegen gerichteten Revision trägt das FA vor, § 24b EStG verweise auf die Voraussetzungen für die Anwendung des Splitting-Verfahrens, welche hier vorlägen. Die Vorgängerregelung —der Haushaltsfreibetrag nach § 32 Abs. 7 EStG a.F.— habe noch ausdrücklich darauf abgestellt, ob das Splitting-Verfahren anzuwenden sei bzw. ob die getrennte Veranlagung durchgef ührt werde. Nach § 24b Abs. 2 EStG genüge es, wenn die Voraussetzungen für eine Zusammenveranlagung zu einem beliebigen Zeitpunkt des Veranlagungszeitraums vorgelegen hätten, unabhängig von der Veranlagungsart, für welche sich die Steuerpflichtigen tatsächlich entschieden hätten.
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Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
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Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden ( § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO— i.V.m. § 121 FGO ).
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II. Die Revision ist unbegründet und wird daher zurückgewiesen ( § 126 Abs. 2 FGO ). Das FG hat der Klägerin zu Recht zeitanteilig den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende gewährt.
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1. Nach § 24b Abs. 1 EStG können bei Vorliegen weiterer, hier nicht streitiger Voraussetzungen alleinstehende Steuerpflichtige einen Entlastungsbetrag in Höhe von 1.308 € im Kalenderjahr von der Summe der Einkünfte abziehen, wenn zu ihrem Haushalt mindestens ein Kind gehört, für das ihnen ein Freibetrag nach § 32 Abs. 6 EStG oder Kindergeld zusteht. Wer die Voraussetzungen des Splitting-Verfahrens ( § 26 Abs. 1 EStG ) erfüllt, ist nach § 24b Abs. 2 Satz 1 EStG nicht alleinstehend, sofern er nicht als Verwitweter den Splittingtarif in Anspruch nehmen kann.
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2. Die Klägerin erfüllte im Streitjahr nicht die Voraussetzungen des Splitting-Verfahrens, da sie und ihr Ehegatte sich für die besondere Veranlagung nach § 26c EStG entschieden haben.
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a) Unbeschränkt einkommensteuerpflichtige und nicht dauernd getrennt lebende Ehegatten, bei denen diese Voraussetzungen zu Beginn des Veranlagungszeitraums vorgelegen haben oder im Laufe des Veranlagungszeitraums eingetreten sind, haben nach § 26 Abs. 1 EStG das Recht zur Wahl der Zusammenveranlagung ( § 26b EStG ), der getrennten Veranlagung ( § 26a EStG ) oder der besonderen Veranlagung für den Veranlagungszeitraum der Eheschließung ( § 26c EStG ).
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b) Dieses Wahlrecht haben die Klägerin und ihr Ehemann zugunsten der besonderen Veranlagung ausgeübt. Aufgrund der Wahl dieser —im Streitjahr 2012 noch eröffneten— Veranlagungsart werden die Klägerin und ihr Ehemann so behandelt, als ob sie die Ehe nicht geschlossen hätten ( § 26c Abs. 1 Satz 1 EStG ).
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c) Diese Fiktion schließt grundsätzlich die Anwendung aller einkommensteuerrechtlichen Vorschriften aus, die an das Tatbestandsmerkmal "Ehe" anknüpfen ( Urteil des Bundesfinanzhofs vom 22. September 1993 X R 60/91 , BFHE 172, 359, BStBl II 1994, 26 [BFH 22.09.1993 - X R 60/91] ). Die Klägerin und ihr Ehemann sind daher auch bei der Anwendung des § 24b EStG so zu behandeln, als hätten sie die Ehe nicht geschlossen. Sie erfüllen damit nicht die Voraussetzungen für die Anwendung des Splitting-Verfahrens i.S. von § 24b Abs. 2 EStG (Schmidt/Loschelder, EStG, 34. Aufl., § 24b Rz 18; Seiler in Kirchhof, EStG, 12. Aufl., § 26c Rz 5; Schneider in Kirchhof/Söhn/Mellinghof, EStG, § 26c Rz A 21; a.A. Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 29. Oktober 2004, BStBl I 2004, 1042, Abschn. II.2.). Der Umstand, dass die Möglichkeit bestanden hätte, sich dafür zu entscheiden, genügt nicht.
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d) Diese Auslegung entspricht den Intentionen des Gesetzgebers, die er mit der Einführung der besonderen Veranlagung nach § 26c EStG ab dem Veranlagungszeitraum 1986 durch das Steuersenkungsgesetz 1986/1988 vom 26. Juni 1985 (BGBl I 1985, 1153) verfolgt hat; darauf hat das FG zu Recht hingewiesen.
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aa) Die Wahl der besonderen Veranlagung ermöglichte im Jahr der Eheschließung die Beibehaltung des Haushaltsfreibetrags nach § 32 Abs. 7 EStG a.F., der Vorgängerregelung zu dem ab Veranlagungszeitraum 2004 eingeführten Entlastungsbetrag für Alleinerziehende gemäß § 24b EStG . Nach der Gesetzesbegründung (BTDrucks 10/2884, S. 100 f.) sollte vermieden werden, dass Steuerpflichtige, für die der Lohnsteuerabzug nach der Lohnsteuerklasse II durchgeführt wurde, in Ausnahmefällen aufgrund der Eheschließung eine Nachzahlung zu leisten hatten; in die Lohnsteuerklasse II war der Haushaltsfreibetrag eingearbeitet ( § 38b Satz 2 Nr. 2 EStG a.F.). Diese Nachteile konnten durch Wahl der besonderen Veranlagung vermieden werden. Das Gleiche galt für Steuerpflichtige, die das sog. "Witwensplitting" nach § 32a Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 EStG in Anspruch nehmen konnten, wenn dieses vorteilhafter war als eine Zusammenveranlagung mit dem neuen Ehegatten oder eine getrennte Veranlagung.
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bb) Wollte man die in § 24b Abs. 2 EStG enthaltene Tatbestandsvoraussetzung, wonach die Voraussetzungen des Splitting-Verfahrens nicht erfüllt sein dürfen, dahin auslegen, dass der Steuerabzug in den Fällen der besonderen Veranlagung ausscheidet, so liefe dies dem Gesetzeszweck, wie er ursprünglich bei der Einführung dieser Veranlagungsart verfolgt worden war, zuwider. Auch wenn der Wortlaut des § 24b Abs. 2 EStG im Vergleich zu § 32 Abs. 7 Satz 1 EStG a.F., der den Abzug des Haushaltsfreibetrags (u.a.) von der Anwendung des Splitting-Verfahrens abhängig machte, weniger eindeutig ist, lässt er dennoch eine Auslegung zu, die den Abzug des Entlastungsbetrags für Alleinerziehende in den Fällen der besonderen Veranlagung ermöglicht. Der Senat teilt deshalb nicht die in der Begründung zum Gesetzesentwurf des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 vertretene Ansicht, dass der Hauptanwendungsbereich des § 26c EStG nach dem Wegfall des Haushaltsfreibetrags entfallen sei (vgl. BTDrucks 17/5125, S. 40).
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e) Aufgrund der Fiktion des Unverheiratetseins erfüllte die Klägerin nicht die Voraussetzungen des Splitting-Verfahrens. Das FG hat demnach zu Recht gemäß § 24b Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 EStG den anteiligen Entlastungsbetrag für die (vollen) Monate, in denen die Klägerin noch nicht mit ihrem späteren Ehemann zusammenlebte, gewährt.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 1 , § 135 Abs. 2 FGO .