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  • 10.03.2016 · IWW-Abrufnummer 146565

    Finanzgericht Düsseldorf: Urteil vom 20.08.2014 – 4 K 718/13 E

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Finanzgericht Düsseldorf

    4 K 718/13 E

    Tenor:

    Der Beklagte wird unter Aufhebung seiner ablehnenden Entscheidung vom 24. Juli 2012 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 6. Februar 2013 verpflichtet, den Antrag des Klägers auf abweichende Festsetzung der Einkommensteuer und des Solidaritätszuschlags für das Jahr 2011 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

    Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war notwendig.

    Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

    1

    T a t b e s t a n d:

    2

    Der Kläger erzielt Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Er wird vom beklagten Finanzamt zur Einkommensteuer veranlagt.

    3

    Der Kläger erlitt im Jahre 1985 einen schweren Verkehrsunfall und ist seitdem querschnittgelähmt. Das führte zum Ausweis eines Grads seiner Behinderung von 100 mit den Merkzeichen G (gehbehindert), aG (außergewöhnlich gehbehindert), H (hilflos) und RF (Rundfunkgebührenbefreiung).

    4

    Der Kläger ließ im Jahr 2009 seine Eigentumswohnung in A behindertengerecht erweitern und umbauen. Im Rahmen seiner Veranlagung zur Einkommensteuer für das Jahr 2009 machte der Kläger Aufwendungen für den behindertengerechten Umbau seiner Wohnung von 358.697,42 € abzüglich 80.000 € von der Unfallkasse Nordrhein-Westfalen erhaltener Wohnungshilfe als außergewöhnliche Belastungen geltend. Er beantragte, die verbleibenden Aufwendungen von 278.700 € auf fünf Jahre verteilt als außergewöhnliche Belastungen abzuziehen.

    5

    Das beklagte Finanzamt setzte die Einkommensteuer gegen den Kläger für das Jahr 2009 mit Bescheid vom 8. Juni 2012 auf 0 € fest, indem es von dem Gesamtbetrag seiner Einkünfte von 39.385 € im Hinblick auf die Kosten für den behindertengerechten Umbau seiner Wohnung Aufwendungen wegen außergewöhnlicher Belastungen von 55.740 € abzüglich einer zumutbaren Belastung von 2.363 € abzog. Mit Einspruchsentscheidung vom 14. August 2012 lehnte das beklagte Finanzamt eine Verteilung der Kosten für den behindertengerechten Umbau der Wohnung des Klägers auf fünf Jahre ab, weil es hierfür keine Rechtsgrundlage gebe und die Einkommensteuer für das Jahr 2009 bereits auf 0 € festgesetzt worden sei.

    6

    Das beklagte Finanzamt lehnte mit einem bestandskräftig gewordenen Einkommensteuerbescheid vom 30. September 2011 eine Verteilung der Kosten für den behindertengerechten Umbau der Wohnung des Klägers auf fünf Jahre für das Jahr 2010 ab.

    7

    Das beklagte Finanzamt setzte mit Bescheid vom 24. Juli 2012 für das Jahr 2011 gegen den Kläger 5.970 € Einkommensteuer und 328,35 € Solidaritätszuschlag fest. Dabei ging es von einem Gesamtbetrag seiner Einkünfte von 40.803 € aus. Einen teilweisen Abzug der Aufwendungen für den behindertengerechten Umbau der Wohnung des Klägers lehnte es ab.

    8

    Hiergegen legte der Kläger Einspruch ein und begehrte, die Aufwendungen für den behindertengerechten Umbau seiner Wohnung gemäß § 163 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) auf fünf Kalenderjahre gleichmäßig zu verteilen.

    9

    Das beklagte Finanzamt wies den Einspruch mit Entscheidung vom 6. Februar 2013 zurück und führte aus: Die Aufwendungen des Klägers für den behindertengerechten Umbau seiner Wohnung könnten als außergewöhnliche Belastungen nur im Jahr ihrer Entstehung, d.h. im Jahr 2009 berücksichtigt werden. Eine gleichmäßige Verteilung der Aufwendungen auf fünf Jahre nach § 163 Satz 1 AO sei nicht möglich. Der Gesetzgeber habe durch die Eröffnung des Abzugs der Aufwendungen wegen außergewöhnlicher Belastungen nur sicherstellen wollen, dass ein Steuerpflichtiger im Zeitpunkt der Zahlung nicht außergewöhnlich belastet werde. Der Gesetzgeber habe jedoch nicht zulassen wollen, dass ein Steuerpflichtiger Aufwendungen, die grundsätzlich in seinen Privatbereich gehörten, steuermindernd geltend machen könne.

    10

    Der Kläger trägt mit seiner Klage vor: Nach der Begründung der Einspruchsentscheidung sei es zweifelhaft, ob das beklagte Finanzamt überhaupt Ermessen ausgeübt habe. Da der Gesamtbetrag seiner Einkünfte zu gering gewesen sei, um einen vollständigen Abzug der Aufwendungen für den behindertengerechten Umbau seiner Wohnung zuzulassen, müssten diese Aufwendungen gleichmäßig auf fünf Jahre verteilt abgezogen werden.

    11

    Der Kläger beantragt,

    12

    das beklagte Finanzamt unter Aufhebung seiner ablehnenden Entscheidung vom 24. Juli 2012 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 6. Februar 2013 zu verpflichten, seinen Antrag auf abweichende Festsetzung der Einkommensteuer und des Solidaritätszuschlags gemäß § 163 Satz 1 AO für das Jahr 2011 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

    13

    Das beklagte Finanzamt beantragt,

    14

    die Klage abzuweisen.

    15

    Zur Begründung trägt es vor: Aus § 11 des Einkommensteuergesetzes (EStG) folge, dass ein Abzug der Aufwendungen nur im Jahr der Zahlung möglich sei. Im Übrigen könnten nur solche Kosten als außergewöhnliche Belastungen abgezogen werden, bei denen es sich um behinderungsbedingte Mehrkosten handele. Es sei anzunehmen, dass es sich bei den vom Kläger geltend gemachten Kosten von 278.700 € nicht in vollem Umfang um behinderungsbedingte Mehrkosten handele. Übliche Baukosten seien im Wege einer Schätzung auszusondern.

    16

    Der Senat hat neben den Akten des beklagten Finanzamts die Bauakte der Stadt A für das Vorhaben des Klägers beigezogen.

    17

    E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:

    18

    Die Klage ist begründet. Die ablehnende Entscheidung des beklagten Finanzamts vom 24. Juli 2012 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 6. Februar 2013 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 101 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Da die Sache nicht spruchreif ist, ist das beklagte Finanzamt zu verpflichten, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden (§ 101 Satz 2 FGO).

    19

    Anspruchsgrundlage für das Klagebegehren ist § 163 Satz 1 AO. Das beklagte Finanzamt hat mit seiner Entscheidung vom 24. Juli 2012, die mit der Steuerfestsetzung verbunden worden ist (§ 163 Satz 3 AO), in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 6. Februar 2013 zu Unrecht eine abweichende Festsetzung der Einkommensteuer und des Solidaritätszuschlags abgelehnt.

    20

    Nach § 163 Satz 1 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen, welche die Steuern erhöhen, bei der Festsetzung der Steuer unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Die Festsetzung einer Steuer ist aus sachlichen Gründen unbillig, wenn sie zwar dem Wortlaut des Gesetzes entspricht, aber den Wertungen des Gesetzes zuwiderläuft (vgl. Bundesfinanzhof - BFH -, Urteil vom 19. Juni 2013 XI R 41/10, BFHE 242, 258). Das setzt voraus, dass der Gesetzgeber die Grundlagen für die Steuerfestsetzung anders als tatsächlich geschehen geregelt hätte, wenn er die zu beurteilende Frage als regelungsbedürftig erkannt hätte (BFH-Urteil in BFHE 242, 258). Eine für den Steuerpflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeordnet oder in Kauf genommen hat, rechtfertigt dagegen keine Billigkeitsmaßnahme (BFH-Urteil in BFHE 242, 258).

    21

    Im Streitfall mag dem beklagten Finanzamt einzuräumen sein, dass § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG seinem Wortlaut nach an sich einer gleichmäßigen Verteilung der Aufwendungen des Klägers für den behindertengerechten Umbau seiner Wohnung entgegensteht. § 33 EStG enthält weder eine Verweisung auf die Vorschriften über die Absetzungen für Abnutzung noch eine Gesetzeslücke, die durch eine analoge Anwendung des § 7 EStG geschlossen werden könnte (vgl. BFH, Urteil vom 22. Oktober 2009 VI R 7/09, BFHE 226, 536, BStBl II 2010, 280). Gleichwohl ist es möglich, einem Steuerpflichtigen im Wege einer abweichenden Festsetzung der Steuer aus Billigkeitsgründen (§ 163 Satz 1 AO) ein Wahlrecht auf Verteilung der Aufwendungen einzuräumen, wenn ein zu geringer Gesamtbetrag der Einkünfte dem vollen Abzug der Aufwendungen entgegensteht (BFH-Urteil in BFHE 226, 536, BStBl II 2010, 280).

    22

    So liegt es hier. Ein Abzug der Aufwendungen des Klägers für den behindertengerechten Umbau seiner Wohnung nur im Jahr der Tätigung der Aufwendungen, d.h. im Jahr 2009 würde dem Zweck des § 33 EStG widersprechen. Denn hierdurch würde sich im Streitfall der weit überwiegende Teil der Aufwendungen des Klägers nicht steuermindernd auswirken können, weil der Gesamtbetrag seiner Einkünfte zu gering war. Dem kann nur durch die vom Kläger begehrte Billigkeitsmaßnahme nach § 163 Satz 1 AO entgegengewirkt werden. Die vom Kläger getätigten Aufwendungen für den behindertengerechten Umbau seiner Wohnung wirken sich zudem noch in den Folgejahren aus. Er hat nämlich in der mündlichen Verhandlung unwidersprochen vorgetragen, für die Entrichtung der Aufwendungen ein durch ein Grundpfandrecht abgesichertes Darlehen aufgenommen zu haben, so dass er fortlaufend Zins- und Tilgungsleistungen erbringen muss.

    23

    Hinsichtlich der Höhe der vom Kläger geltend gemachten Aufwendungen ist dem beklagten Finanzamt zwar dem Grunde nach einzuräumen, dass solche Aufwendungen auszusondern sind, die nicht durch die Behinderung des Klägers veranlasst worden sind (vgl. BFH-Urteil in BFHE 226, 536, BStBl II 2010, 280 sowie BFH-Urteil vom 24. Februar 2011 VI R 16/10, BFHE 232, 518, BStBl II 2011, 1012). Das beklagte Finanzamt hat die Höhe der vom Kläger geltend gemachten Aufwendungen jedoch nur unsubstantiiert bestritten. Es hat insoweit lediglich die unsubstantiierte Vermutung geäußert, dass es sich bei den vom Kläger geltend gemachten Kosten von 278.700 € nicht in vollem Umfang um behinderungsbedingte Mehrkosten handele.

    24

    Selbst wenn man trotz des unsubstantiierten Vortrags des beklagten Finanzamts davon ausgehen würde, dass 10 % der vom Kläger geltend gemachten Aufwendungen nicht durch seine Behinderung veranlasst worden sind - was sich aus den dem Senat vorliegenden Rechnungen nicht ergibt -, wären jedenfalls die Einkommensteuer und der Solidaritätszuschlag für das Streitjahr 2011 gemäß § 163 Satz 1 AO auf jeweils 0 € festzusetzen. Dies ergibt sich aus folgender Berechnung:

    25

    Gesamtbetrag der Aufwendungen: 358.697,42 €

    26

    ./. 10 35.869,74 €

    27

    322.827,68 €

    28

    ./. Leistung von der Unfallkasse Nordrhein-Westfalen 80.000,00 €

    29

    242.827,68 €

    30

    hiervon ein Fünftel: 48.565,54 €

    31

    Der Gesamtbetrag der Einkünfte des Klägers betrug im Jahr 2011 indes nur 40.803 €.

    32

    Vor diesem Hintergrund muss der Senat der unsubstantiiert gebliebenen Behauptung des Vertreters des beklagten Finanzamts in der mündlichen Verhandlung, die Umbaumaßnahme sei mit einer Wertsteigerung für den Kläger verbunden gewesen, nicht nachgehen. Der in diesem Zusammenhang in der mündlichen Verhandlung vom Vertreter des beklagten Finanzamts gestellte Beweisantrag ist nicht näher substantiiert worden. Unbeschadet dessen ist ein etwaiger Gegenwert, der allein auf der möglichen Nutzung der Umbauten durch nichtbehinderte Personen beruhen soll, kein realer Gegenwert und deshalb nicht geeignet, ein Abzugsverbot für zwangsläufig erwachsene Aufwendungen zu begründen, welche die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen mindern (BFH-Urteil in BFHE 226, 536, BStBl II 2010, 280).

    33

    Anders als der Vertreter des beklagten Finanzamts in der mündlichen Verhandlung gemeint hat, können die vom Kläger zu leistenden Zins- und Tilgungsleistungen nicht Grundlage für den von diesem begehrten Abzug nach § 33 EStG sein. Abzugsfähig sind hiernach vielmehr die Aufwendungen des Steuerpflichtigen für einen behindertengerechten Umbau (vgl. BFH-Urteil in BFHE 226, 536, BStBl II 2010, 280). Dies entspricht der Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 1 EStG. Auch hiernach bilden die Anschaffungs- oder Herstellungskosten und nicht die für diese zu erbringenden Zins- und Tilgungsleistungen die Bemessungsgrundlage für die Absetzungen für Abnutzung.

    34

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 151 Abs. 3, 155 Satz 1 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen.

    RechtsgebieteAO, EStGVorschriften§ 163 S. 1 AO; § 11 Abs. 2 S. 1 EStG; § 33 EStG