16.08.2018 · IWW-Abrufnummer 202959
Finanzgericht Berlin-Brandenburg: Beschluss vom 11.09.2017 – 7 V 7209/17
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Berlin-Brandenburg
Beschl. v. 11.09.2017
Az.: 7 V 7209/17
In dem Verfahren
der A... GmbH,Antragstellerin,
bevollmächtigt:
gegen
das Finanzamt,
Antragsgegner,
wegen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (§ 69 Abs. 3 FGO) - Umsatzsteuer 2013
hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg - 7. Senat - am 11. September 2017 durch
den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht ...,die Richterin am Finanzgericht ... und
den Richter am Finanzgericht ...
beschlossen:
Tenor:
Die Vollziehung des Umsatzsteuerbescheids 2013 vom 30.03.2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.06.2017 wird mit Wirkung vom Fälligkeitstag bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe einer abschließenden Entscheidung im Verfahren 7 K 7193/17 in Höhe von 63.627,26 € ausgesetzt.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Antragsgegner auferlegt.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten darum, ob der Antragsgegner befugt ist, die Vorsteuer im Streitjahr nach § 17 Umsatzsteuergesetz -UStG- zu korrigieren.Am 27.12.2007 erteilte die B... GmbH der Antragstellerin eine Rechnung über Vermittlungsleistungen in Höhe von 490.342,50 € netto zuzüglich 93.165,08 € Umsatzsteuer (= 583.507,58 € brutto), auf die die Antragstellerin am 18.04.2008 100.000,- € zahlte. (Bl. 21 Gerichtsakte -GA- 7 V 7109/09). Am 19.02.2009 vereinbarten die Antragstellerin und die B... GmbH die Restforderung in Höhe von 483.507,58 € im Hinblick auf erwartete Zahlungen aus einem Vermittlungsgeschäft mit der C...-Gruppe zunächst bis zum 30.04.2009 zu stunden. Weitere Zahlungen erfolgten am 28.07.2010 in Höhe von 25.000,- € und am 28.04.2011 in Höhe von 30.000,- € (Bl. 60 UA). Entsprechend passivierte die Antragstellerin in ihren Jahresabschlüssen zum 31.12.2008 und 31.12.2009 Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen gegenüber B... GmbH in Höhe von 483.507,58 € bzw. in Höhe von 458.507,58 € zum 31.12.2010, 398.507,58 € zum 31.12.2011 und 31.12.2012.
Am 22.12.2010 teilte die Antragstellerin B... GmbH mit, dass sie sich mit ihrer Gläubigerin auf eine Reduzierung ihrer Vergütung um 50 % habe einigen müssen, so dass sie mangels weiterer aktueller Einnahmen die Forderung der B... GmbH bis auf Abschläge nicht zeitgerecht habe bezahlen können und dies auch in nächster Zeit nicht schaffen werde. Sie werde daher zunächst nur Raten in Höhe von 30.000,- € jeweils zum Quartalsende zahlen (Bl. 62 f. UA).
Im Rahmen eines Anfang 2012 geführten Schriftwechsels drang B... GmbH auf baldige Zahlung, während die Antragstellerin auf ihre unbefriedigende Einnahmesituation verwies, jedoch eine grundsätzliche Bereitschaft zeigte, den Restbetrag bis Ende 2012 zu tilgen (Bl. 24 - 27 RbA).
Nach einem Gesprächsprotokoll vom 12.09.2012 schuldete die Antragstellerin der B... GmbH einen Betrag von 448.530,62 € incl. aufgelaufener Zinsen. Dieser Betrag sei in Höhe von 50.000,- € bis zum 30.06.2012 und im Übrigen zum 31.12.2012 fällig gewesen. Aufgrund unverändert bestehender wirtschaftlicher Probleme bei der Antragstellerin werde eine erweiterte Stundungsregelung getroffen. Die aufgelaufenen Zinsen würden mit Ausnahme gesetzlicher Verzugszinsen erlassen. Von der o.g. Schuldsumme sollten zunächst 106.754,- € in vierteljährlichen Raten ab dem 31.12.2012 zu je 20.000,- € getilgt werden, der Restbetrag von 291.753,- € solle aus Transaktionserlösen, die im Einzelfall 200.000,- € netto überstiegen, ab dem 01.07.2013, spätestens ab dem 01.10.2013 bezahlt werden (Bl. 14 f. GA). Zum 31.12.2013 passivierte die Antragstellerin in ihrem Jahresabschluss Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen gegenüber B... GmbH in Höhe von 410.885,43 €.
Unter dem 20.01.2014 schlossen die Antragstellerin und B... GmbH eine Vereinbarung, in der sie auf die Vereinbarung vom 12.09.2012 Bezug nahmen. Ferner stellten sie fest, dass die Antragstellerin in der Vergangenheit und zur Zeit nicht in der Lage (gewesen) sei, die in der o.g. Vereinbarung zugestandene Verpflichtung zu erfüllen, da die Auftragslage Zahlungen nicht zulasse. Rückwirkend zum 01.01.2011 werde der vereinbarte Zinssatz auf 1 %/a reduziert und eine Tilgung von Haupt- und Nebenleistungen im Wege von Ratenzahlungen bis spätestens zum 31.12.2018 vereinbart. Die Antragstellerin gewährte B... GmbH Einblick in ihre Bücher, trat sämtliche Ansprüche aus Transaktionsverträgen an B... GmbH ab und verzichtete auf die Einrede der Verjährung (Bl. 12 f. GA). Ferner trat der Geschäftsführer der Antragstellerin eine Kommanditbeteiligung sicherungshalber an B... GmbH ab (Bl. 9 RbA).
In ihren Umsatzsteuer-Voranmeldungen 2007 machte die Antragstellerin die Vorsteuer aus der Rechnung der B... GmbH geltend. Nach einer Umsatzsteuersonderprüfung versagte das seinerzeit zuständige Finanzamt D... diesen Vorsteuerabzug in Höhe von 77.798,69 €, da das zugrunde liegende Entgelt entsprechend einem nach dem 18.04.2008 noch offenen Teilbetrag von 406.308,89 € uneinbringlich sei, und erließ davon ausgehend einen Umsatzsteuerbescheid 2007, gegen den die Antragstellerin Einspruch einlegte und beim erkennenden Senat unter dem Az. 7 V 7109/09 einen Antrag nach § 69 Abs. 3 Finanzgerichtsordnung -FGO- stellte. Der erkennende Senat gab dem Antrag mit Beschluss vom 30.09.2009 7 V 7109/09 statt und ließ offen, ob eine Vorsteuerberichtigung im Folgejahr in Betracht kam. Im Dezember 2013 stimmte das Finanzamt D... der Umsatzsteuererklärung 2007 der Antragstellerin zu, wodurch sich der Einspruch der Antragstellerin erledigte (Bl. 74 UA).
Am 25.02.2011 erließ das Finanzamt D... einen Umsatzsteuerbescheid 2008, mit dem es die Umsatzsteuer unter Berücksichtigung einer Vorsteuerberichtigung in Höhe von 77.798,69 € minderte. Dem dagegen eingelegten Einspruch gab das Finanzamt D... statt (Bl. 17 ff. UA). In den Folgejahren bis 2012 griff das Finanzamt D... den Vorgang nicht erneut auf. In einem den Akten nicht zu entnehmenden Zeitraum fand eine Außenprüfung für die Veranlagungszeiträume 2007 bis 2009 statt (Akte Betriebsprüfungsberichte).
Am 22.09.2014 erließ das Finanzamt D... einen auf geschätzten Besteuerungsgrundlagen beruhenden Umsatzsteuerbescheid 2013, der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stand. Am 04.12.2015 reichte die Antragstellerin ihre Umsatzsteuererklärung 2013 ein, die als Festsetzung wirkte (erklärtes Vorauszahlungssoll in Höhe von 11.043,16 €). Nachdem das Finanzamt D... in einer Anlage zum Körperschaftsteuerbescheid 2013 nach dem Tilgungsstand der Verbindlichkeit gefragt und die Antragstellerin darauf nicht geantwortet hatte, erließ der Antragsgegner am 30.03.2016 einen geänderten Umsatzsteuerbescheid 2013, mit dem er unter Berücksichtigung von um (398.507,58 € : 1,19 = 334.880,31 € x 19 % =) 63.627,26 € geminderter Vorsteuer die Umsatzsteuer auf 75.233,31 € festsetzte (Bl. 7 ff. GA).
Gegen diesen Bescheid legte die Antragstellerin am 28.04.2016 Einspruch ein, den der Antragsgegner mit Einspruchsentscheidung vom 12.06.2017 als unbegründet zurückwies. Da die Antragstellerin bereits die im Dezember 2010 getroffene Ratenzahlungsvereinbarung nicht eingehalten habe, sei die der Rechnung vom 27.12.2007 zugrunde liegende Forderung uneinbringlich (Bl. 16 ff. GA).
Dagegen erhob die Antragstellerin am 13.07.2017 Klage, die unter dem Az. 7 K 7193/17 beim erkennenden Senat geführt wird. Am gleichen Tag beantragte sie beim Antragsgegner die Aussetzung der Vollziehung, die der Antragsgegner mit Verfügung vom 28.07.2017 ablehnte. Darauf hat die Antragstellerin am 31.07.2017 einen Antrag nach § 69 Abs. 3 FGO gestellt.
Sie macht geltend, die der streitigen Vorsteuer zugrunde liegende Forderung sei nicht uneinbringlich. Der Antragsgegner ignoriere die der B... GmbH gewährten Sicherheiten. Ihr Forderungsbestand von ca. 2,15 Mio. €, der allerdings streitbefangen sei, übersteige die Verbindlichkeiten in Höhe von ca. 1,4 Mio. € deutlich. Ferner habe sie in 2016 eine weitere Ratenzahlung an B... GmbH geleistet. Bei dieser sei keine Umsatzberichtigung vorgenommen worden. Eine Vollstreckung sei unbillig, weil dies der Antragstellerin die Möglichkeit nehmen würde, die streitbefangenen Forderungen durchzusetzen.
Die Antragstellerin beantragt,
die Vollziehung des Umsatzsteuerbescheids 2013 vom 30.03.2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.06.2017 in Höhe von 63.627,26 € auszusetzen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Er hält den Antrag für unbegründet und verweist auf die Gründe der Einspruchsentscheidung. Schon daraus, dass eine 6 Jahre vor dem 31.12.2013 begründete Verbindlichkeit nicht bedient worden sei, folge, dass die der streitigen Vorsteuer zugrunde liegende Verbindlichkeit uneinbringlich sei. Dem stehe der Abschluss von Stundungsvereinbarungen nicht entgegen, weil der Gläubiger gleichwohl mehr als 6 Jahre lang das Entgelt nicht habe vereinnahmen können. Im Zeitpunkt der späteren Ratenzahlung könne das Entgelt erneut nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG korrigiert werden.
Dem Gericht haben die Streitakten der Verfahren 7 K 7193/17 und 7 V 7109/09, ferner zwei Bände Bilanzakten sowie je ein Band Umsatzsteuer-, Körperschaftsteuer-, Betriebsprüfungsberichts- und Rechtsbehelfsakten, die der Antragsgegner für die Antragstellerin unter der Steuer-Nr. ... führt, vorgelegen.
II.
Das Gericht entscheidet vor Ablauf der der Antragstellerin eingeräumten Gegenäußerungsfrist, da angesichts der Tatsache, dass dem Antrag entsprochen wird, eine Gehörsverletzung ausgeschlossen werden kann.
Der Antrag ist begründet.
Es bestehen i.S. des § 69 Abs. 2 und 3 FGO ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides.
Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen. Die Aussetzung soll u.a. erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO). Ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO liegen bereits dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheides neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung seit dem Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10.02.1967 III B 9/66, Bundessteuerblatt -BStBl- III 1967, 182; Beschluss vom 21.07.2016 V B 37/16, BStBl II 2017, 28). Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im Verfahren nach § 69 Abs. 3 FGO gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt (BFH, Beschluss vom 24.05.2016 V B 123/15, BFH/NV 2016, 1253 m.w.N.). Zur Gewährung der Aussetzung der Vollziehung ist es nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe im Sinne einer Erfolgswahrscheinlichkeit überwiegen (BFH, Beschlüsse vom 07.09.2011 I B 157/10, BStBl II 2012, 590; vom 24.05.2016 V B 123/15, BFH/NV 2016, 1253). Wie im Hauptsacheverfahren gelten auch im Verfahren nach § 69 Abs. 3 FGO grundsätzlich die Regeln über die objektive Feststellungslast mit der Folge, dass die Beteiligten entscheidungserhebliche Einwendungen im Rahmen ihrer Mitwirkungspflichten darlegen und ggf. glaubhaft machen müssen (BFH, Beschlüsse vom 26.08.2004 V B 243/03, BFH/NV 2005, 255; vom 27.11.2009 II B 102/09, ).
Ausgehend von diesen Kriterien erscheint ernstlich zweifelhaft, dass Anlass bestand, die mit der Rechnung der B... GmbH vom 27.12.2007 in Rechnung gestellte Vorsteuer im Streitjahr nach § 17 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 Sätze 1 und 2 UStG zu berichtigen.
Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Entgelt i.S. des § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG uneinbringlich, wenn bei objektiver Betrachtung damit zu rechnen ist, dass der Leistende die Entgeltforderung (ganz oder teilweise) auf absehbare Zeit rechtlich oder tatsächlich nicht durchsetzen kann (BFH, Urteil vom 24.10.2013 V R 31/12, BStBl II 2015, 674). Das Finanzgericht Brandenburg (Urteil vom 09.08.2005 1 K 2448/02, ) hat insoweit ein Überschreiten des Zahlungsziels um das zwei- bis dreifache der Zahlungsfrist, mindestens um mehr als 6 Monate, als Indiz für eine Uneinbringlichkeit angesehen. Dem folgt der erkennende Senat (Senatsurteil vom 14.01.2015 7 K 7250/13, Entscheidungen der Finanzgerichte -EFG- 2015, 865).
Im Streitfall ist diese 6-Monats-Frist bei weitem überschritten, und es war bei objektiver Betrachtung jedenfalls in 2010 auf der Hand liegend, dass mit einer Tilgung innerhalb absehbarer Zeit nicht zu rechnen war. Denn die Antragstellerin hatte gegenüber B... GmbH eingeräumt, dass die von ihr in Aussicht genommene Liquiditätsquelle, die Zahlung der C...-Gruppe, so gering ausgefallen war, dass daraus eine nennenswerte Tilgung nicht zu erwarten war. Auf ihr Angebot, die Verbindlichkeit in vierteljährlichen Raten zu je 30.000,- € abzutragen, hatte die Antragstellerin lediglich eine Rate - noch dazu unvollständig und verspätet - gezahlt.
Selbst wenn man den Eintritt der Uneinbringlichkeit in 2010 verneinen würde, wäre er spätestens in 2012 zu verorten, als die Antragstellerin keine Rate zahlte und B... GmbH weitgehend auf Zinsansprüche verzichtete.
Dem entsprechend bestand kein Anlass, die Berichtigung nach § 17 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 Sätze 1 und 2 UStG im Streitzeitraum vorzunehmen, was zur Rechtswidrigkeit der angefochtenen Festsetzung führt. Anders als bei der ertragsteuerlichen Wertberichtigung von Forderungen, die nach den Grundsätzen des Bilanzzusammenhangs in der ersten offenen Veranlagung nachgeholt werden kann, können versäumte Berichtigungen nach § 17 UStG nicht nachgeholt werden (Herbert in Hartmann/Metzenmacher, UStG, Stand: Lfg. 5/17 - Juli 2017, E § 13 Tz 141; Prätzler, Der Betrieb 2014, 505 [508]).
Das Gericht hat keinen Anlass gesehen, eine Sicherheitsleistung (§ 69 Abs. 2 Satz 3 FGO) anzuordnen. Zwar kommt in Betracht, dass die streitige Vorsteuer in einem Vorjahr nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 i. V. mit Abs. 1 Satz 2 UStG zu berichtigen ist, was Anlass zur Anordnung einer Sicherheitsleistung geben könnte (vgl. BFH, Urteil vom 10.11.1994 IV R 44/94 BStBl. II 1995, 814 a. E.). Andererseits ist offen, ob die entsprechende Vorjahresveranlagung zu Lasten der Antragstellerin geändert werden kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.