10.04.2019 · IWW-Abrufnummer 208238
Bundesfinanzhof: Beschluss vom 26.02.2019 – X R 25/18
NV: Wurde die Frist zur Revisionsbegründung maßgeblich durch eigenes Verschulden des zuständigen Sachgebietsleiters versäumt, kommt es auf ein mögliches (zusätzliches) Büroversehen des Sachbearbeiters der Rechtsbehelfsstelle bzw. des Mitarbeiters der Poststelle nicht mehr an.
Tenor:
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 10. Juli 2018 10 K 1964/17 E wird als unzulässig verworfen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Gründe
I.
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Dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt —FA—) war für seine gegen das Urteil des Finanzgerichts eingelegte Revision antragsgemäß eine verlängerte Begründungsfrist bis zum 19. November 2018 gewährt worden. Die Revisionsbegründung ging am 20. November 2018 beim Bundesfinanzhof (BFH) ein.
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Zur Begründung seines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beruft sich das FA auf ein entschuldbares Büroversehen. Die für die Rechtsbehelfsstelle zuständige Sachgebietsleiterin (X) habe persönlich den Revisionsbegründungsschriftsatz am 16. November 2018 (Freitag) noch vor 16:00 Uhr versandfertig in eine rote Umlaufmappe in der Geschäftsstelle gelegt. Eine Dienstanweisung regele, dass die in dieser Mappe gesammelten Schreiben taggleich bei Dienstschluss von Mitarbeitern des Büroservices in einen Briefkasten zu werfen seien. Tatsächlich sei der Schriftsatz aber —ohne dass sich die Gründe hierfür hätten aufklären lassen— erst am 19. November 2018 zur Post aufgegeben worden.
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Ebenfalls in den Nachmittagsstunden des 16. November 2018 habe X den Schriftsatz vorab per Telefax versandt (versenden wollen), hierbei allerdings eine unzutreffende Nummer gewählt. Den Sendebericht, der den Vermerk "Keine Verbindung" enthält, habe X erst gegen 18:30 Uhr —kurz vor Verlassen des Dienst-gebäudes— in Empfang nehmen können und zur Akte in ihr Büro gelegt. In der Eile habe sie es versäumt, den Bericht zu lesen, sei aber davon ausgegangen, das Telefax erfolgreich versandt zu haben. X, die ab dem 19. November 2018 für eine Woche auf dienstlicher Fortbildung war, habe darauf vertraut, dass am Tag des Fristablaufs durch ihre Vertretung eine Überprüfung des fristwahrenden Schriftsatzeingangs erfolge. In der Rechtsbehelfsstelle werde für Verfahren vor dem BFH eine Übersicht geführt, für die die dienstliche Anordnung bestehe, dass der zuständige Sachbearbeiter am Tag des Fristablaufs einen Sendungs- bzw. Schriftsatzeingang überprüfe, sodann einen Erledigungsvermerk verfasse und schließlich die Frist austrage. X selbst habe am 16. November 2018 weder die Erledigung vermerkt noch die Frist aus der Übersicht ausgetragen. Auch der zuständige Sachbearbeiter der Rechtsbehelfsstelle (Z) habe die erforderliche Überprüfung nicht vorgenommen. Aufgrund einer von X noch am 16. November 2018 in der Mittagszeit verfassten E-Mail, die Revisionsbegründung werde "heute noch rausgehen", sei Z von einem taggleichen Post- und Faxversand ausgegangen. Zudem habe er keine Kenntnis vom missglückten Telefaxversand gehabt.
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Sowohl Z als auch die Sachbearbeiter der Poststelle des FA seien zuverlässig und erfüllten die ihnen zugewiesenen Aufgaben stets gewissenhaft und gründlich. Sie seien sorgfältig ausgewählt und bereits seit Jahren in den jeweiligen Stellen eingesetzt. Die Postausgangskontrolle für an den BFH gerichtete Schreiben sei in der Vergangenheit nach Maßgabe der Dienstanordnung ohne Beanstandung geblieben.
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Der Kläger und Revisionsbeklagte tritt dem Wiedereinsetzungsantrag entgegen.
II.
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Die Revision ist unzulässig und gemäß § 126 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) durch Beschluss zu verwerfen.
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1. Das FA hat die Frist zur Begründung der Revision versäumt. Die Revision ist grundsätzlich innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen ( § 120 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 FGO ). Die Frist kann —wie vorliegend geschehen— auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag verlängert werden ( § 120 Abs. 2 Satz 3 FGO ).
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Die Revisionsbegründung ging erst am 20. November 2018 —mithin nach Fristablauf am 19. November 2018— beim BFH ein.
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2. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist ausgeschlossen.
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a) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann gemäß § 56 Abs. 1 FGO auf Antrag gewährt werden, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Hiernach schließt jedes Verschulden —also auch einfache Fahrlässigkeit— die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus.
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Bei der Beurteilung, ob eine Behörde sich die Versäumung einer gesetzlichen Frist als schuldhaft anrechnen lassen muss, gelten die gleichen Maßstäbe, wie sie die Rechtsprechung für das Verschulden von Angehörigen der rechts- und steuerberatenden Berufe entwickelt hat (vgl. BFH-Urteil vom 22. Mai 2018 XI R 22/17 , BFH/NV 2018, 961, Rz 15, m.w.N.). Dementsprechend ist das Verschulden eines gesetzlichen Vertreters bzw. Bevollmächtigten der Behörde nach § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 51 Abs. 2 bzw. § 85 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) zuzurechnen (vgl. BFH-Beschluss vom 6. November 2012 VIII R 40/10 , BFH/NV 2013, 397, Rz 7). Eine solche Zurechnung findet dagegen nicht statt, wenn die Frist durch das Verschulden eines Mitarbeiters ohne Entscheidungsbefugnis versäumt wurde und die Behörde sich insoweit weder mangelnde Organisationsprozesse noch ein Auswahl-, Anweisungs- oder Überwachungsverschulden jenes Mitarbeiters vorwerfen lassen muss (vgl. hierzu BFH-Beschluss vom 12. September 2005 VII R 10/05 , BFHE 210, 227, BStBl II 2005, 880).
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Die Tatsachen zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags müssen innerhalb der in § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO bestimmten Frist vollständig, substantiiert und in sich schlüssig dargelegt werden. Sie müssen ferner bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag gemäß § 56 Abs. 2 Satz 2 FGO glaubhaft gemacht werden ( BFH-Beschluss vom 28. Juli 2015 II B 150/14 , BFH/NV 2015, 1434, Rz 9, m.w.N.), und zwar durch präsente Beweismittel i.S. von § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 294 Abs. 2 ZPO ( BFH-Beschluss vom 11. September 2014 VI R 68/13 , BFH/NV 2015, 47, Rz 15).
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b) Nach diesen Grundsätzen hat das FA die Revisionsbegründungsfrist —eine gesetzliche Frist6— schuldhaft versäumt.
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aa) Die Fristversäumnis wurde maßgeblich durch die zuständige Sachgebietsleiterin X —einer Bevollmächtigten des FA— selbst verursacht. Deren Verschulden hat sich das FA zurechnen zu lassen (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 210, 227, BStBl II 2005, 880 [BFH 12.09.2005 - VII R 10/05] ).
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(1) Kausal für den nicht fristgerechten Eingang der Revisions-begründung beim BFH war zum einen der Eingabefehler der X am Telefaxgerät. Sowohl in Anbetracht der Bedeutung der Revisionsbegründungsfrist als auch des bereits nahenden Fristendes war insoweit besondere Sorgfalt zu beachten. Der Eingabefehler war zudem bereits deshalb vermeidbar, da die zutreffende Telefaxnummer auf der ersten Seite des Schriftsatzes vom 16. November 2018 aufgebracht war.
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(2) Zum anderen hat X ihre Sorgfaltspflichten insoweit nicht beachtet, als sie es unterließ, den Inhalt des Telefax-Sendeberichts zu überprüfen. Ohne nennenswerten Aufwand, nämlich nur durch einen flüchtigen Blick, wäre es X möglich gewesen, dem lediglich wenige Druckzeilen umfassenden Bericht zu entnehmen, dass der beabsichtigte Telefaxversand missglückt war ("Keine Verbindung"). Eine solche Überprüfung war X —selbst unter Berücksichtigung der vom FA angeführten fortgeschrittenen Dienstzeit und Eile— auch deshalb zuzumuten, da der vom Telefaxgerät des Absenders ausgedruckte Sendebericht bei entsprechender Statusmeldung die ordnungsgemäße Übermittlung des Schriftstücks belegt ( BFH-Beschluss vom 20. Mai 2015 XI R 48/13 , BFH/NV 2015, 1263, Rz 22, m.w.N.). Im Falle ordnungsgemäßer Erfüllung ihrer Sorgfaltspflichten wäre die Revisionsbegründungsfrist aller Voraussicht nach nicht versäumt worden. Denn X wäre hierdurch veranlasst worden, den Schriftsatz erneut abzusenden bzw. ihre Stellvertretung und/oder den Rechtsbehelfsstellen-Sachbearbeiter Z über den gescheiterten Versand des Telefaxes unverzüglich in Kenntnis zu setzen. Die fortbildungsbedingte Abwesenheit ab 19. November 2018 konnte diese Informationspflicht sowohl mit Blick auf die Bedeutung der Frist nach § 120 Abs. 2 FGO als auch insbesondere wegen der Bevollmächtigtenstellung von X nicht suspendieren.
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(3) Wenn das FA weiter anführt, der Sachbearbeiter Z habe sich auch infolge der Unkenntnis über den misslungenen Versand am 19. November 2018 nicht zu einer erneuten Telefaxübermittlung veranlasst gesehen, legt dieses Vorbringen zumindest nahe, dass ihm die für den Rechtsstreit geführte Akte am Tag des Fristablaufs nicht zur Verfügung stand. Zu eben jener Akte will X den von ihr ungeprüften Sendebericht gelegt haben. Gerade weil X in der Fristenübersicht der Rechtsbehelfsstelle weder einen Erledigungsvermerk angebracht noch die Revisionsbegründungsfrist ausgetragen, sondern dies ihrer Stellvertretung bzw. —der Dienstordnung entsprechend— Z überlassen hat, wäre es dringend geboten gewesen, dem hierfür Verantwortlichen die Akte zur Verfügung zu stellen. Dass X dies veranlasst hat, kann dem Wiedereinsetzungsantrag nicht entnommen werden.
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bb) Unerheblich ist die Behauptung des FA, der Sachbearbeiter der Rechtsbehelfsstelle Z habe am 19. November 2018 die Fristwahrung der Revisionsbegründung nicht mehr überprüft. Zwar ist das Verschulden eines Sachbearbeiters der Finanzbehörde grundsätzlich nicht zuzurechnen, da dieser weder gesetzlicher Vertreter noch Bevollmächtigter ist ( BFH-Beschluss vom 12. Mai 1992 VII R 38/91 , BFH/NV 1993, 6, unter II.1.; vgl. auch Bruns in Gosch, FGO § 56 Rz 16). Allerdings kann sich die Behörde hierauf nicht berufen, wenn —wie im Streitfall— die Fristversäumung maßgeblich auf ein Verschulden des zuständigen Sachgebietsleiters zurückzuführen ist. Darüber hinaus hat das FA sein —knappes— Vorbringen hierzu nicht ansatzweise glaubhaft gemacht. Weder hat es die zur Postausgangskontrolle für Verfahren vor dem BFH geltende Dienstanordnung vorgelegt, noch wurde die behauptete Säumnis des Z durch eidesstattliche Versicherungen von X und insbesondere Z belegt.
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cc) Aus denselben Erwägungen kann auch das weitere Vorbringen, die Mitarbeiter der Poststelle ("Büroservice") hätten versäumt, das von X vorbereitete und kuvertierte Schreiben an den BFH noch am 16. November 2018 zur Post aufzugeben, das FA nicht entlasten. Unabhängig hiervon fehlt es insoweit auch an einem vollständigen, substantiierten und in sich schlüssigen Vortrag zu den näheren Organisationsabläufen. Ebenso hat das FA keine Gründe dargetan, die für eine nicht taggleiche Postaufgabe der Revisionsbegründung verantwortlich waren bzw. zumindest hätten sein können. Schließlich hat das FA auch insoweit sein Vorbringen nicht durch präsente Beweismittel glaubhaft gemacht.
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c) Das FA hat schließlich nicht dargelegt, welche organisatorischen Maßnahmen die für X geschäftsplanmäßig zuständige Stellvertretung in der Leitung des Sachgebiets am 19. November 2018 ergriffen haben will, um den fristgerechten Eingang der Revisionsbegründung beim BFH zu überprüfen. Sollte es sich hierbei —wie der E-Mail der X vom 16. November 2018 zu entnehmen sein könnte— um Y (SG 6) gehandelt haben, war diese ausweislich des Inhalts jener E-Mail zumindest über das grundsätzliche Fristwahrungserfordernis in Kenntnis gesetzt.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO .