23.01.2024 · IWW-Abrufnummer 239274
Finanzgericht Münster: Urteil vom 12.12.2023 – 6 K 2489/22 E
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Münster
Tenor:
Der Einkommensteuerbescheid 2019 vom 02.06.2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.10.2022 wird dahingehend geändert, dass keine Einkünfte der Klägerin aus privaten Veräußerungsgeschäften erfasst werden. Die Berechnung der Steuer wird dem Beklagten aufgegeben.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
1
T a t b e s t a n d
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Streitig ist die Frage, ob die entgeltliche Ablösung eines Nießbrauchrechts im Streitfall zu Einkünften i. S. von § 23 des Einkommensteuergesetzes (EStG) führt.
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Der Klägerin wurde im Jahr 2008 im Wege des Vermächtnisses ein Nießbrauchrecht an dem in E gelegenen Grundstück „Y 1“ von ihrem verstorbenen Ehemann A 2 unentgeltlich zugewandt. Das Nießbrauchrecht wurde am 00.00.2009 bestellt. Eigentümer des Grundstücks war eine Erbengemeinschaft, bestehend aus den gemeinsamen Kindern der Klägerin und des verstorbenen A 2, N und A 3.
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Das Grundstück war zunächst an einen fremden Dritten vermietet. Die Klägerin erzielte hieraus Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung i.S. des § 21 EStG. Ab dem Jahr 2012 vermietete die Klägerin das Grundstück an die Firma A & Co. KG, deren Komplementärin die Klägerin war. Das Nießbrauchrecht wurde im Jahr 2012 zu einem Einlagewert von 0,00 € in das Sonderbetriebsvermögen der Klägerin bei der Firma A & Co. KG eingelegt. Die Mieteinnahmen stellten von 2012 bis Februar 2018 Sonderbetriebseinnahmen der Klägerin gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 2. Halbsatz EStG dar.
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Im Veranlagungszeitraum 2018 schied die Klägerin als Komplementärin bei der Firma A & Co. KG aus (Eintragung im Handelsregister erfolgte am 00.00.2018). Das Nießbrauchrecht wurde mit Beendigung der Mitunternehmerstellung der Klägerin in Übereinstimmung mit der Rechtsauffassung der Finanzverwaltung zu einem Wert von 0,00 € in das Privatvermögen der Klägerin überführt. Die von der Klägerin nunmehr erzielten Mieteinnahmen waren erneut solche i.S. des § 21 EStG.
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Mit Vertrag vom 00.00.2017 veräußerte die Erbengemeinschaft das Grundstück „Y 1“ an die V GrundstücksverwaltungsGmbH & Co. KG mit der Bestimmung, dass erst bei Erlöschen des Nießbrauchrechtes der Kaufpreis fällig werden sollte. Mit „Vereinbarung über die Aufhebung eines Nießbrauchs“ vom 06.11.2019 zwischen der Klägerin und der O GmbH Co. KG verzichtete die Klägerin gegen eine Entschädigung in Höhe von X € auf ihr Nießbrauchrecht. An der O GmbH Co. KG waren N und A 3 im Streitjahr kapitalmäßig zu jeweils 50% als Kommanditisten beteiligt. Die Entschädigung wurde durch N und A 3 geleistet. Der Verkehrswert des Nießbrauchrechts wurde, was zwischen den Beteiligten unstreitig ist, mit X € beziffert, der darüber liegende Betrag wurde als Schenkung qualifiziert.
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Einkommensteuerrechtlich zog die Klägerin zunächst keine Folgen aus der Ablösung des Nießbrauchrechts.
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Das Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung L (GKBP) führte ab dem 11.06.2021 für den Zeitraum 2017-2019 eine Betriebsprüfung bei der Klägerin als Vorsitzende des Verwaltungsrats der A Unternehmen durch. Im Rahmen des Prüfungsberichts vom 16.05.2022 trafen die Prüfer unter anderem die Feststellung, dass die Ablösung des Nießbrauchs zu Einkünften i. S. von § 23 EStG führe.
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Das zugunsten der Klägerin eingetragene Nießbrauchrecht stelle einen vermögenswerten Vorteil dar. Der Nießbrauch vermittele dem Berechtigten das Recht, die Nutzungen aus dem Nießbrauchgegenstand zu ziehen. Nießbrauchrechte seien auch selbständig bewertbar. Die Bewertung habe nach den Vorschriften des Ersten Teils des Bewertungsgesetzes zu erfolgen.
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Da das Wirtschaftsgut „Nießbrauchrecht“ bis zum Verzicht als Einkunftsquelle genutzt worden sei, habe sich die Veräußerungsfrist auf zehn Jahre verlängert. Als Anschaffungszeitpunkt gelte der Zeitpunkt der Entnahme des Nießbrauchrechts aus dem Sonderbetriebsvermögen der Klägerin. Der entgeltliche Verzicht der Klägerin auf das Nießbrauchrecht im Jahr 2019 sei damit innerhalb der zehnjährigen Veräußerungsfrist erfolgt.
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Soweit im BMF-Schreiben vom 30.09.2013 ausgeführt werde, dass eine Ablösung eines Vermächtnisnießbrauchs gegen Einmalzahlung beim Nießbraucher eine nicht steuerbare Vermögensumschichtung darstelle, sei diese Regelung lediglich zu den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung ergangen und nicht auf § 23 EStG übertragbar.
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Aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 25.11.1992 ‒ X R 34/89, BFHE 170, 76, BStBl II 1996, 663 ergebe sich, dass der Verzicht auf ein Nießbrauchrecht gegen die Zahlung eines Einmalbetrages ein entgeltliches Veräußerungsgeschäft sei. Das Urteil sei entgegen der Ansicht der Klägerin auf den vorliegenden Fall anwendbar.
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Der Veräußerungspreis für das Nießbrauchrecht betrage X €. Zur Ermittlung des Veräußerungsgewinns seien vom Veräußerungspreis die Anschaffungskosten abzuziehen. Gemäß § 23 Abs. 3 Satz 3 EStG i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 2 EStG trete an die Stelle der Anschaffungskosten der bei der Entnahme angesetzte Wert.
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Der Beklagte folgte den Ausführungen der GKBP und erließ am 02.06.2022 einen nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) geänderten Einkommensteuerbescheid in dessen Rahmen er Einkommensteuer i.H.v. X € festsetzte. Dabei berücksichtigte der Beklagte Einkünfte aus einem privaten Veräußerungsgeschäft i.H.v. X. €. Der Vorbehalt der Nachprüfung wurde aufgehoben.
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Hiergegen wandte sich die Klägerin mit Einspruch vom 13.06.2022 und trug im Wesentlichen vor, dass weder ein Anschaffungsvorgang noch ein Veräußerungsvorgang i.S. des § 23 EStG vorliege. Es habe ein nicht steuerbarer Vermögensaustausch stattgefunden, sodass keine Einkünfte aus 23 EStG erzielt worden seien. Darüber hinaus sei die Vorschrift des § 23 Abs.1 Satz 2 EStG teleologisch zu reduzieren.
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Im Übrigen wird auf die Schreiben der Klägerin vom 08.06.2022 sowie vom 04.08.2022 Bezug genommen.
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Der Beklagte wies den Einspruch der Klägerin mit Einspruchsentscheidung vom 12.10.2022 als unbegründet zurück und führte aus, dass nach § 23 Abs.1 Satz 2 EStG als Anschaffung auch die Überführung eines Wirtschaftsguts in das Privatvermögen durch Entnahme gelte. Weitere Voraussetzungen nenne das Gesetz nicht. Vorliegend sei das Nießbrauchrecht durch Vermächtnis unentgeltlich erworben worden, sodass ein tatsächlicher Anschaffungsvorgang im Jahr 2008 nicht vorgelegen habe. Da die Entnahme am 13.08.2018 und die Veräußerung am 06.11.2019 innerhalb der zehnjährigen Spekulationsfrist erfolgt seien, sei in diesem Fall die Anschaffungsfiktion des § 23 Abs.1 Satz 2 EStG anzuwenden.
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Das Nießbrauchrecht sei auch veräußert worden, da ein Rechtsträgerwechsel und damit eine Veräußerung stattgefunden habe. Mit Begründung eines Nießbrauchrechts seien vom Eigentümer die Rechte zur Nutzung und Fruchtziehung auf den Nießbrauchberechtigten übergegangen. Die Rechte zur Nutzung und zur Fruchtziehung seien Wirtschaftsgüter i. S. des § 23 EStG. Diese Rechte seien mit Umsetzung der „Vereinbarung über die Aufhebung eines Nießbrauchrechts“ vom 06.11.2019 auf die Eigentümerin des Grundstücks übergegangen. Damit habe ein Rechtsträgerwechsel an diesen Rechten stattgefunden. Unabhängig davon würde das Verneinen eines Rechtsträgerwechsels aufgrund eines Erlöschens des Rechts zu keiner anderen Beurteilung führen. Der BFH habe in seiner Entscheidung vom 24.10.2017 - VIII R 13/15 den Untergang eines Wirtschaftsguts ohne einen Rechtsträgerwechsel einer Veräußerung gleichgestellt. Das zu § 20 EStG ergangene Urteil sei nach herrschender Meinung auf Fälle des § 23 EStG zu übertragen und anzuwenden.
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Die Finanzverwaltung sei nicht ermächtigt, teleologische Reduktionen ohne entsprechende Rechtsprechung oder Verwaltungsanweisungen vorzunehmen; diese wären im zu beurteilenden Fall nur im Klageverfahren zu erwirken.
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Im Übrigen wird auf die Einspruchsentscheidung vom 12.10.2022 Bezug genommen.
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Die Klägerin hat am 20.10.2022 Klage erhoben. Zur Begründung der Klage trägt sie vor, dass die hier maßgebliche Vorschrift des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 4 EStG gem.§ 52 Abs. 31 Satz 1 EStG erstmals auf Veräußerungsgeschäfte anzuwenden sei, bei denen die Wirtschaftsgüter nach dem 31.12.2008 aufgrund eines nach diesem Zeitpunkt rechtswirksam abgeschlossenen obligatorischen Vertrags oder gleichstehenden Rechtsakts angeschafft wurden. Unter Berücksichtigung des BFH-Urteils vom 29.02.2013 - IX R 32/12, BStBl II 2013, 482, Rn. 11 f. stelle die Entnahme aus dem Betriebsvermögen im Jahre 2018 keine Anschaffung i. S. des § 52 Abs. 31 EStG dar. Es sei vielmehr auf die Annahme des Vermächtnisses im Jahr 2008 abzustellen, sodass der zeitliche Anwendungsbereich des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 4 EStG nicht eröffnet sei. Anwendbar sei die alte Rechtslage, nach der die Spekulationsfrist lediglich fünf Jahre betragen habe.
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Die zehnjährige Spekulationsfrist des § 23 Abs. 1 Nr. 2 Satz 4 EStG finde nur Anwendung auf Wirtschaftsgüter, aus deren Nutzung als Einkunftsquelle zumindest in einem Kalenderjahr Einkünfte erzielt werden. Im vorliegenden Fall habe die Klägerin keine Einkünfte aus der Überlassung des Nießbrauchrechtes erzielt. Das Nießbrauchrecht habe es ihr lediglich ermöglicht, Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung bzw. aus Gewerbebetrieb aus dem bebauten Grundstück zu erzielen. Das Nießbrauchrecht habe zu keinem Zeitpunkt eine Einkunftsquelle dargestellt, sodass die zehnjährige Spekulationsfrist im Streitfall auch unabhängig von der Anwendungsregelung nicht zur Anwendung komme.
23
Das Nießbrauchrecht stelle kein Wirtschaftsgut dar. Ein Nießbrauch sei ein persönliches Recht, das weder übertragbar sei noch vererbt werden könne. Ein Nießbrauchrecht stelle schon deshalb kein Wirtschaftsgut dar, weil es weder einzeln noch zusammen mit einem Betrieb übertragen werden könne. Die Auffassung des Beklagten, dass mit der Ablösung des Nießbrauchrechtes ein Fruchtziehungs- und Nutzungsrecht von der Klägerin als Nießbrauchberechtigter auf die Eigentümer erfolgt sei, gehe fehl. Denn wenn man gedanklich das Fruchtziehungs- und Nutzungsrecht vom Nießbrauchrecht loslöse, werde Letzteres inhaltslos. Vielmehr stellten die Abfindungszahlungen für ein Nießbrauchrecht nachträgliche Anschaffungskosten des Eigentümers für das bebaute Grundstück dar.
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Das Nießbrauchrecht sei im Jahr 2018 durch Entnahme des Nießbrauchs aus dem Betriebsvermögen entgegen der Auffassung des Beklagten nicht angeschafft worden. Die gesetzliche Fiktion einer Anschaffung nach § 23 Abs. 1 Satz 2 EStG sei im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Die Einlage eines Wirtschaftsgutes vom Privatvermögen in ein Betriebsvermögen stelle für Zwecke des § 23 EStG nur dann eine fiktive Veräußerung dar, wenn eine tatsächliche Veräußerung aus dem Betriebsvermögen innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren seit Anschaffung des Wirtschaftsguts erfolge (§ 23 Abs. 1 Satz 5 EStG). Eine solche Veräußerung aus dem Betriebsvermögen habe im vorliegenden Fall nicht stattgefunden. Selbst eine stattgefundene Veräußerung wäre nicht unter § 23 Abs. 1 Satz 5 EStG zu subsumieren, da bei einem Vermächtnisnießbrauch die tatbestandlich erforderliche ‒ vorherige ‒ Anschaffung nicht gegeben sei.
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Das Nießbrauchrechts sei auch nicht veräußert worden, es sei lediglich abgelöst worden und damit erloschen. Ein nicht übertragbares Recht, wie das Nießbrauchrecht, könne nicht Gegenstand eines Veräußerungsvorganges sein. Eine gesetzliche Fiktion der Veräußerung für den Fall der Ablösung finde sich in § 23 EStG nicht. Der BFH habe in anderen Konstellationen lediglich entschieden, dass die Ablösung eines Nießbrauchs einen veräußerungsähnlichen Vorgang darstelle. Veräußerungsähnliche Vorgänge ohne Veräußerung im eigentlichen Sinne könnten aber nicht die Rechtsfolgen des § 23 EStG auslösen.
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Sofern in der Entnahme des Nießbrauchs ein Anschaffungsvorgang und in der entgeltlichen Ablösung ein Veräußerungsvorgang liegen sollte, sei die Vorschrift des § 23 Abs. 1 Satz 2 EStG teleologisch zu reduzieren. Die Vorschrift diene dazu zu verhindern, dass betrieblich veranlasste Wertsteigerungen aus der betrieblichen Sphäre in die nicht-steuerbare Privatsphäre verlagert werden. Ein solcher Missbrauch sei im vorliegenden Fall von der Natur des Nießbrauchs her bereits grundsätzlich ausgeschlossen. Das Nießbrauchrecht unterliege keiner Wertsteigerung, der Wert sinke mit zunehmendem Alter der Klägerin.
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Die Klägerin beantragt,
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den Einkommensteuerbescheid 2019 vom 02.06.2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.10.2022, dahingehend zu ändern, dass die Einkommen-steuer auf X € festgesetzt wird,
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hilfsweise die Revision zuzulassen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen,
32
hilfsweise die Revision zuzulassen.
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Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass innerhalb des nach § 23 Abs. 1 Nr. 2 Satz 4 EStG maßgeblichen Zeitraums von zehn Jahren das Wirtschaftsgut „Nießbrauchrecht“ durch die Entnahme aus dem Betriebsvermögen angeschafft und durch die Ablösung veräußert worden sei.
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Hierzu trägt der Beklagte ergänzend zu seinen Ausführungen in der Einspruchsentscheidung vor, dass ein Entnahmevorgang den Lauf einer neuen Veräußerungsfrist nach § 23 EStG in Gang setzte. Daraus ergebe sich, dass im Entnahmefall der Entnahmezeitpunkt an die Stelle des Anschaffungszeitpunktes trete. Demnach müsse der Entnahmevorgang ein gleichstehender Rechtsakt im Sinne des § 52 Abs. 31 EStG sein.
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Das Recht auf Nutzung sei von der Klägerin entgeltlich dem Mieter der Immobilie überlassen worden. Demnach sei das Nießbrauchrecht als Einkunftsquelle anzusehen, da die Klägerin über dieses Recht verfügt und dieses Recht dazu genutzt habe, um steuerbare Einkünfte (hier: Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung) zu erzielen. Aufgrund der fehlenden Eigentümerstellung der Klägerin, könne dieses für die Klägerin keine Einkunftsquelle darstellen, so dass nur die im Nießbrauchrecht innewohnenden Rechte auf Nutzung und Fruchtziehung als Einkunftsquelle für die erzielten Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung verblieben.
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Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat der Beklagte seinen Vortrag dahingehend ergänzt, dass im Sinne einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise nicht maßgeblich sei, dass das Nießbrauchrecht selbst nicht übertragbar sei. Denn jedenfalls das Recht auf Fruchtziehung sei durch die Klägerin gegen Entgelt übertragen worden. Insofern liege der für die Veräußerung erforderliche Rechtsträgerwechsel vor. Dies werde auch durch die Rechtsprechung des BFH in seinem Urteil vom 25.11.1992 ‒ X R 34/89, BFHE 170, 76, BStBl II 1996, 663 bestätigt. Hier habe der BFH entschieden, dass das Nießbrauchrecht Gegenstand einer Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen sein könne. Hierbei sei unerheblich, dass der Nießbrauch im Fall des Verzichts nicht Gegenstand einer bürgerlich-rechtlichen "Übertragung" ist, sondern mit dem Verzicht erlösche. Auf die zivilrechtliche Konstruktion des Vorgangs komme es nicht an; entscheidend sei vielmehr, dass der Grundstückseigentümer aufgrund des Verzichts die zuvor "abgespaltene" dingliche Nutzungsbefugnis erwerbe und sein Eigentum dadurch "zum Vollrecht erstarke".
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Der Senat hat am 12.12.2023 in der Sache mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird verwiesen. Im Übrigen wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakten Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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A. Die zulässige Klage ist begründet. Der Einkommensteuerbescheid 2019 vom 02.06.2021 und die Einspruchsentscheidung vom 12.10.2022 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten, soweit der Beklagte Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften im Zusammenhang mit der Ablösung des Nießbrauchrechts angenommen hat (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO).
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I. Private Veräußerungsgeschäfte (§ 22 Nummer 2 EStG) sind gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 EStG Veräußerungsgeschäfte bei anderen Wirtschaftsgütern, bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als ein Jahr beträgt. Bei Wirtschaftsgütern im Sinne von Satz 1, aus deren Nutzung als Einkunftsquelle zumindest in einem Kalenderjahr Einkünfte erzielt werden, erhöht sich der Zeitraum gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG auf zehn Jahre. Als Anschaffung gilt auch die Überführung eines Wirtschaftsguts in das Privatvermögen des Steuerpflichtigen durch Entnahme oder Betriebsaufgabe (§ 23 Abs. 1 Satz 2 EStG).
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Zweck des § 23 EStG ist es, innerhalb der Spekulationsfrist realisierte Werterhöhungen eines bestimmten Wirtschaftsguts im Privatvermögen des Steuerpflichtigen der Einkommensteuer zu unterwerfen (vgl. hierzu ausführlich: BFH-Urteil vom 30.11.1976 - VIII R 202/72, BFHE 120, 522, BStBl II 1977, 384; BFH-Urteil vom 25.08.1987 - IX R 65/86, BFHE 151, 132, BStBl II 1988, 248). § 23 EStG durchbricht die dem Dualismus der Einkunftsarten immanente Unbeachtlichkeit von Wertveränderungen des Privatvermögens.
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II. Das streitgegenständliche Nießbrauchrecht stellt entgegen der Auffassung der Klägerin ein Wirtschaftsgut i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG dar.
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1. Andere Wirtschaftsgüter i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG sind Wirtschaftsgüter jedweder Art im Privatvermögen, die nicht unter § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG fallen, d.h. nicht Grundstücke, grundstücksgleiche Rechte oder in die Veräußerungsgewinnbesteuerung einzubeziehende Gebäude und Außenanlagen sind (vgl. BFH-Urteil vom 29.10.2019 - IX R 10/18, BFHE 266, 560, BStBl II 2020, 258; BFH-Urteil vom 03.09.2019 - IX R 12/18, BFHE 266, 182, BStBl 2020, 94, Rz 14; BFH-Vorlagebeschluss vom 16.07.2002 - IX R 62/99, BFHE 199, 451, BStBl II 2003, 74).
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In der Rechtsprechung des BFH ist geklärt, dass der Begriff des Wirtschaftsguts weit zu fassen ist und auf der Grundlage einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise auszulegen ist (vgl. BFH-Urteil vom 12.06.2019 ‒ X R 20/17, BFHE 265, 200, BStBl II 2020, 3, m.w.N.). Wirtschaftsgüter sind mithin nicht nur Sachen und Rechte im zivilrechtlichen Sinne, sondern vielmehr auch tatsächliche Zustände und konkrete Möglichkeiten und damit sämtliche Vorteile für den Betrieb, deren Erlangung sich ein Kaufmann etwas kosten lässt, die einer besonderen Bewertung zugänglich sind, in der Regel einen Nutzen für mehrere Wirtschaftsjahre erbringen und jedenfalls mit dem Betrieb übertragen werden können; darunter fallen, wie die Regelungen der § 248 Abs. 2 des Handelsgesetzbuchs (HGB) und § 5 Abs. 2 EStG erkennen lassen, grundsätzlich auch ‒ nicht körperliche ‒ immaterielle Wirtschaftsgüter (vgl. BFH-Urteil vom 14.03.2006 ‒ I R 109/04, BFH/NV 2006, m.w.N.; vgl. für die Eignung von Nutzungsrechten als Wirtschaftsgüter auch die Nachweise im BFH-Beschluss vom 26.10.1987 ‒ GrS 2/86, BFHE 151, 523, BStBl II 1988, 348 und im BFH-Urteil vom 09.08.1989 ‒ X R 20/86, BFHE 158, 316, BStBl II 1990, 128).
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Unentgeltlich eingeräumte --schuldrechtliche und dingliche-- Nutzungsrechte an Grundstücken werden als einlagefähige Wirtschaftsgüter angesehen, falls der Inhaber des Nutzungsrechts eine rechtlich gesicherte Position erlangt hat, die ihm gegen seinen Willen nicht mehr entzogen werden kann (vgl. BFH-Urteil vom 16.12.1988 ‒ III R 113/85, BFHE 155, 380, BStBl II 1989, 763).
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2. Unter Beachtung dieser Grundsätze stellt auch das Nießbrauchrecht ein Wirtschaftsgut i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG dar.
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Nießbrauch ist die Belastung einer Sache (§ 1030 des Bürgerlichen Gesetzbuchs - BGB) bzw. eines Rechts (§ 1060 BGB) in der Weise, dass derjenige, zu dessen Gunsten die Belastung erfolgt, berechtigt ist, die Nutzungen der Sache zu ziehen (Legaldefinition in § 1030 Abs. 1 BGB). Es handelt sich um ein gegenüber dem Eigentum an der belasteten Sache verselbständigtes, dingliches Nutzungsrecht, welches dem Inhaber gegen seinen Willen nicht mehr entzogen werden kann.
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Entsprechend sind Nießbrauchrechte an Grundstücken nach der Rechtsprechung des BFH Wirtschaftsgüter (vgl. BFH-Urteil vom 28.02.1974 - IV R 60/69, BFHE 112, 257, BStBl II 1974, 481). Sie entstehen durch die Bestellung mit Beginn der Nießbrauchberechtigung im privaten Vermögensbereich (vgl. BFH-Urteil vom 02.08.1983 ‒ VIII R 57/80, BFHE 139, 73, BStBl II 1983, 739).
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III. Das streitgegenständliche Nießbrauchrecht wurde von der Klägerin im Jahr 2018 gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 EStG durch Entnahme ins Privatvermögen übernommen.
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1. Nießbrauchrechte sind einlagefähig und damit auch entnahmefähig.
51
Der BFH hat wiederholt entschieden, dass ein schuldrechtlich vereinbartes Nutzungs-recht zu aktivieren ist, wenn der Inhaber des Nutzungsrechts eine rechtlich gesicherte Position erlangt hat, die ihm gegen seinen Willen nicht mehr entzogen werden kann (vgl. BFH-Urteil vom 16.11.1977 - I R 83/75, BFHE 124, 501, BStBl II 1978, 386; BFH-Urteil vom 31.10.1978 - VIII R 196/77, BFHE 127, 168, BStBl II 1979, 401; BFH-Urteil vom 22.01.1980 - VIII R 74/77, BFHE 129, 485, BStBl II 1980, 244; BFH-Urteil vom 20.11.1980 - IV R 117/79, BFHE 131, 516, BStBl II 1981, 68, BFH-Urteil vom 26.05.1982 - I R 104/81, BFHE 136, 118, BStBl II 1982, 594). Die dinglich gesicherte Rechtsposition des Nießbrauchers erfüllt diese Voraussetzung. Der BFH hat daher keine Bedenken, Nießbrauchrechte an Grundstücken als einlagefähige Wirtschaftsgüter anzusehen.
52
Das unentgeltliche Nießbrauchrecht als immaterielles Nutzungsrecht, ist zwar einlagefähig, indessen nicht auch bewertungsfähig (Werndl in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 6 Rn. F 61). Aus diesem Grund erfolgt sowohl die Einlage als auch die Entnahme --was zwischen den Beteiligten zu Recht nicht streitig ist-- zu einem Wert von 0,00 €. Ein unentgeltlich erworbenes Nießbrauchrecht kann nicht mit dem Teilwert in das Betriebsvermögen eingelegt werden (vgl. BFH-Urteil vom 16.12.1988 ‒ III R 113/85, BFHE 155, 380, BStBl II 1989, 763).
53
Nach dem Beschluss des Großen Senats des BFH vom 26.10.1987 ‒ GrS 2/86, BFHE 151, 523, BStBl II 1988, 348 sind Nutzungsrechte zwar grundsätzlich für eine Einlage i.S. von § 4 Abs.1 Satz 1 EStG geeignet. Ihnen steht auch das Aktivierungsverbot des § 5 Abs. 2 EStG für nicht entgeltlich erworbene immaterielle Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens nicht entgegen (vgl. BFH-Urteil vom 22.01.1980 ‒ VIII R 74/77, BFHE 129, 485, BStBl II 1980, 244). Bei ihrer Bewertung ist jedoch dem Zweck der Einlagenregelung Rechnung zu tragen; dieser besteht nur darin, das vom Steuerpflichtigen steuerfrei gebildete oder bei ihm bereits besteuerte Vermögen nach der Einbringung in den Betrieb nicht durch eine Erhöhung der Gewinneinkünfte der (nochmaligen) Besteuerung zu unterwerfen, und nicht etwa auch noch darin, einen auf einer Nutzung beruhenden und im Betrieb erwirtschafteten (und deshalb steuerpflichtigen) Gewinn der Besteuerung zu entziehen. Die Einlage eines unentgeltlich eingeräumten Nutzungsrechts zum Teilwert (Nutzungswert) kommt danach nicht in Betracht, weil gerade hierdurch der auf der Nutzung beruhende und im Betrieb erwirtschaftete Gewinn der Besteuerung entzogen würde, obwohl selbst im Privatvermögen gezogene Nutzungen regelmäßig zu Einkünften aus Kapitalvermögen oder aus Vermietung und Verpachtung führen und der Besteuerung unterliegen (vgl. BFH-Urteil vom 16.12.1988 ‒ III R 113/85, BFHE 155, 380, BStBl II 1989, 763).
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2. Kann das immaterielle Anlagegut Gegenstand einer (offenen oder verdeckten) Einlage sein, so kann es grundsätzlich in gleicher Weise auch Gegenstand einer Entnahme sein (vgl. BFH-Urteil vom 23.03.1995 - IV R 94/93, BFHE 177, 408, BStBl II 1995, 637; FG Münster, Urteil vom15.06.2011 - 6 K 5167/06, EFG 2012, 331).
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IV. Das Nießbrauchrecht wurde durch den entgeltlichen Verzicht im Jahr 2019 entgegen der Auffassung des Beklagten allerdings nicht i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG veräußert.
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1. Mit den Bestimmungen in § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG erfasst das EStG --abweichend von dem sonst im Einkommensteuerrecht bestehenden Grundsatz, wonach Einkünfte aus der Veräußerung privater, nicht zu einem Betriebsvermögen gehörender Wirtschaftsgüter nicht steuerbar sind-- innerhalb der Veräußerungsfrist von einem Jahr realisierte Wertänderungen von beweglichen Wirtschaftsgütern jedweder Art im Privatvermögen (vgl. BFH-Vorlagebeschluss vom 16.07.2002 - IX R 62/99, BFHE 199, 451, BStBl II 2003, 74). Unter der Bedingung der Nutzung des Wirtschaftsgutes als Einkunftsquelle wird die Frist auf zehn Jahre erweitert.
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Die in § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG verwendeten Begriffe "Anschaffung" und "Veräußerung" erschließen sich aus den Regelungen des § 6 EStG, des § 255 Abs. 1 des Handelsgesetzbuchs (HGB) und der §§ 135, 136 BGB. Unter Anschaffung bzw. Veräußerung i.S. des § 23 EStG ist danach der entgeltliche Erwerb und die entgeltliche Übertragung eines Wirtschaftsguts auf einen Dritten --d.h. auf eine andere Person-- zu verstehen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteile vom 23.07.2019 - IX R 28/18, BFHE 265, 258, BStBl II 2019, 701; BFH-Urteil vom 06.02.2018 - IX R 33/17, BFHE 260, 485, BStBl II 2018, 525; BFH-Urteil vom 08.11.2017 - IX R 25/15, BFHE 260, 202, BStBl II 2018, 518; BFH-Urteil vom 08.04.2003 ‒ IX R 1/01, BFH/NV 2003, 1171). Eine "Veräußerung" i.S. der genannten Vorschrift setzt somit nicht nur die Entgeltlichkeit des Übertragungsvorgangs voraus, sondern auch, dass sich aufgrund der zugrundeliegenden schuldrechtlichen Vereinbarungen ein Rechtsträgerwechsel an dem veräußerten Wirtschaftsgut vollzieht (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 23.08.2011 ‒ IX R 66/10, BFHE 234, 335, BStBl II 2013, 1002).
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2. Abzugrenzen von der Veräußerung sind sog. veräußerungsähnliche Vorgänge. Veräußerungsähnliche Vorgänge im privaten Bereich liegen vor, sofern ein Entgelt dafür erbracht wird, dass ein Vermögenswert in seiner Substanz endgültig aufgegeben wird (vgl. BFH-Urteil vom 14.11.1978 ‒ VIII R 72/76, BFHE 127, 9, BStBl II 1979, 289).
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3. Der Verzicht auf das Wirtschaftsgut „Nießbrauchrecht“ stellt keine Veräußerung, sondern einen veräußerungsähnlichen Vorgang dar.
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Es fehlt an dem für die Veräußerung erforderlichen Rechtsträgerwechsel.
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Wie dargelegt, ist das Nießbrauchrecht als Wirtschaftsgut zu qualifizieren (s.o.). Dieses Wirtschaftsgut ist allerdings gem. § 1059 BGB kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung nicht übertragbar. Analog § 1059 Satz 1 BGB ist nach h.M. auch der schuldrechtliche Anspruch auf Bestellung eines Nießbrauchs nicht übertragbar, weil damit im Ergebnis dasselbe erreicht werden könnte wie mit der Übertragung des Nießbrauchs (Pohlmann, in Münchener Kommentar zum BGB, § 1059 Rn. 3). Der nicht übertragbare Nießbrauch erlischt vielmehr, wenn nichts anderes vereinbart ist, gemäß § 1061 S. 1 BGB mit dem Tod des Nießbrauchers. Der Nießbrauch an Grundstücken wird gemäß § 875 Abs. 1 BGB durch einseitige Aufgabeerklärung des Berechtigten und Löschung aufgehoben (Pohlmann, in Münchener Kommentar zum BGB, § 1030 Rn. 171).
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Ist, wie hier durch die Klägerin mit Erklärung vom 06.11.2019, auf den Nießbrauch verzichtet worden, wird damit nicht das Wirtschaftsgut Nießbrauch an den Eigentümer des Grundstücks (zurück) übertragen, ein Rechtsträgerwechsel findet nicht statt. Der Nießbrauch erlischt vielmehr. In Folge des Erlöschens fallen die dem Nießbraucher zustehenden Nutzungs- und Fruchtziehungsrechte dem Eigentümer des Grundstücks wieder zu. Insofern handelt es sich bei dem entgeltlichen Verzicht auf den Nießbrauch um einen Vorgang, bei dem ein Vermögenswert in seiner Substanz endgültig aufgegeben wird (vgl. BFH-Urteil vom 14.11.1978 ‒ VIII R 72/76, BFHE 127, 9, BStBl II 1979, 289) und damit um einen veräußerungsähnlichen Vorgang.
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4. Solche veräußerungsähnlichen Vorgänge werden von § 23 EStG nicht erfasst.
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a. Dies ergibt sich bereits aus dem eindeutigen Wortlaut des § 23 EStG, der eine Steuerpflicht für bestimmte „Veräußerungsgeschäfte“ (und nicht für veräußerungsähnliche Geschäfte) regelt. Auch der Charakter des § 23 EStG, der als Ausnahmevorschrift im Rahmen des Dualismus der Einkunftsarten nur ausgewählte Wertveränderungen des Privatvermögens der Besteuerung unterwirft, spricht dafür, dass eine über den Wortlaut hinausgehende Auslegung des § 23 EStG nicht möglich ist. Gleiches ergibt sich aus der Binnen-Systematik des § 23 EStG, der in § 23 Abs. 1 Satz 5 EStG den Fall der Einlage ausdrücklich der Veräußerung gleichstellt. Hieraus kann geschlossen werden, dass sofern der Gesetzgeber auch veräußerungsähnliche Vorgänge von § 23 EStG hätte erfasst wissen wollten, er eine entsprechende Erweiterung der Norm vorgenommen hätte.
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b. Diese enge wortlautorientierte Auslegung des § 23 EStG wird auch durch die Rechtsprechung des BFH zu § 22 EStG bestätigt. Hiernach werden sowohl Veräußerungsgeschäfte als auch veräußerungsähnliche Geschäfte nicht von § 22 Nr. 3 EStG erfasst (vgl. BFH-Urteil vom 20.10.1999 ‒ X R 132/95, BFHE 190, 178, BStBl II 2000, 82; BFH-Urteil vom 25.11.1992 ‒ X R 34/89 ‒, BFHE 170, 76, BStBl II 1996, 663).
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Im Rahmen seiner zu § 22 Nr. 3 EStG ergangenen Rechtsprechung differenziert der BFH dabei zwischen Veräußerungsvorgängen - Veräußerungen eines Wirtschaftsgutes i.S. von § 22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 EStG - und veräußerungsähnlichen Vorgänge im privaten Bereich (vgl. BFH-Urteil vom 20.10.1999 ‒ X R 132/95, BFHE 190, 178, BStBl II 2000, 82). Lediglich im Zusammenhang mit Veräußerungsvorgängen wird § 23 EStG genannt. In Bezug auf veräußerungsähnliche Vorgänge im privaten Bereich bleibt § 23 EStG explizit unerwähnt. Hierzu hat der BFH in seinem Urteil vom 10.11.2015 - IX R 3/15, BFHE 252, 341, BStBl II 2016, 351 zur Rechtslage 1999 ausgeführt:
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„§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG in der im Streitjahr (1999) geltenden Fassung sah die Einbeziehung veräußerungsähnlicher Vorgänge (Einlösung, Rückzahlung etc.) nicht vor (so aber z.B. § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG in der ab dem 01.01.2009 geltenden Fassung). Eine den Besteuerungstatbestand erweiternde Auslegung hat der BFH wiederholt abgelehnt (vgl. BFH-Urteile vom 25.08.1987 - IX R 65/86, BFHE 151, 132, BStBl II 1988, 248 zu Devisentermingeschäften; BFH-Urteil vom 03.08.2004 - X R 55/01, BFH/NV 2005, 517).“
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Nach Auffassung des erkennenden Senats ist eine über den Wortlaut hinausgehende erweiternde Auslegung des § 23 EStG aus den oben genannten Gründen auch in Bezug auf die Rechtslage des Streitjahres (2019) nicht geboten, sodass der veräußerungsähnliche Vorgang des Verzichts auf einen Nießbrauch § 23 ESG nicht unterfällt (so im Ergebnis auch Meyer/Ball in: Meyer/Ball, Übertragung von Immobilien im Steuerrecht, Rn. 221).
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c. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Urteil des BFH vom 24.10.2017 ‒ VIII R 13/15, BFHE 259, 535, BStBl II 2020, 831. Dem Urteil ist weder zu entnehmen, dass der Verzicht auf einen Nießbrauch eine Veräußerung i.S. des § 23 EStG darstellt, noch ergibt sich hieraus, dass § 23 EStG auch veräußerungsähnliche Vorgänge erfasst. In diesem zu § 20 EStG ergangenen Urteil hat der BFH explizit ausgeführt, dass nach Einführung der Abgeltungsteuer ein Paradigmenwechsel in Bezug auf Kapitalforderung eingetreten sei. Insoweit sei eine Rückzahlung der Kapitalforderung, die unter dem Nennwert des hingegebenen Darlehens bleibt, dem Verlust bei der Veräußerung der Forderung gleichzustellen, […]. Dies hat der BFH damit begründet, dass § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG dem engen Veräußerungsbegriff Rechnung trage, der der Veräußerung verschiedene Ersatztatbestände gleichstelle, um alle Wertveränderungen im Zusammenhang mit Kapitalanlagen zu erfassen (BTDrucks 16/4841, S. 56). Danach sei u.a. auch die Rückzahlung von privaten Darlehensforderungen nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 i.V.m. Satz 2 EStG steuerbar. Aus dieser Gleichstellung folge, dass die Fälle der Veräußerung und Rückzahlung im Rahmen der Gewinnermittlung gemäß § 20 Abs. 4 EStG den gleichen Grundsätzen unterlägen.
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Anders als § 20 EStG kennt § 23 EStG aber auch nach der umfassenden Änderung des Einkommensteuergesetzes im Rahmen des Unternehmenssteuerreformgesetzes 2008 keine § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG entsprechende Vorschrift. Auch eine Klarstellung, wie sie in § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG enthalten ist, wurde in § 23 EStG nicht aufgenommen. Ein Paradigmenwechsel im Bereich des § 23 EStG hat nicht stattgefunden. Entsprechend sind die im Urteil vom 24.10.2017 ‒ VIII R 13/15, BFHE 259, 535, BStBl II 2020, 831 aufgestellten Grundsätze nicht auf § 23 EStG übertragbar. Erfasst werden auch weiterhin nur Veräußerungsgeschäfte (a.A. wohl Wernsmann, in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 23 Rn. B 114).
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V. Abweichend von der Auffassung des Beklagten zieht der Senat aus dem Urteil des BFH vom 25.11.1992 ‒ X R 34/89, BFHE 170, 76, BStBl II 1996, 663 auch nicht den Schluss, dass es für die im Rahmen des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG maßgebliche Veräußerung nicht auf das Wirtschaftsgut „Nießbrauch“, sondern auf das mit dem Nießbrauch verbundene Fruchtziehungsrecht ankomme.
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1. Der Beklagte vertritt die Auffassung, die Klägerin habe jedenfalls das Wirtschaftsgut „Fruchtziehungsrecht“ entgeltlich auf einen anderen Rechtsträger übertragen und damit veräußert. Dem vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Die Klägerin hat ausweislich des vorliegenden Vertrags vom 06.11.2019 die Aufhebung des Nießbrauchs erklärt und auf den Nießbrauch verzichtet mit der Folge des Erlöschens des Nießbrauchrechts. Ein vom Nießbrauch losgelöstes Teilrecht „Fruchtziehung“ war --ungeachtet der Frage der zivilrechtlichen Möglichkeit und steuerrechtlichen Anerkennung eines solchen Rechtsgeschäfts-- schon gar nicht Gegenstand der Vereinbarung und wurde von der Klägerin auch nicht gegen Entgelt auf die Eigentümer des Grundstücks übertragen. Auch widerspricht diese rechtliche Würdigung des Beklagten seiner eigenen Bewertung des Veräußerungsgewinns. Denn im Rahmen der Ermittlung des Veräußerungsgewinns hat der Beklagte nicht nur das für das Fruchtziehungsrecht geleistete „Teilentgelt“ herangezogen, sondern das gesamte im Gegenzug für den Verzicht geleistete Entgelt.
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2. Soweit der BFH in seinem Urteil vom 25.11.1992 ‒ X R 34/89, BFHE 170, 76, BStBl II 1996, 663 ausgeführt hat, dass das Nießbrauchrecht als vermögenswerter Gegenstand des Rechtsverkehrs ebenso wie das belastete Grundstück selbst Gegenstand einer Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen sein könne, ergibt sich hieraus ebenfalls nicht, dass es für die Annahme eines Veräußerungsvorgangs i.S. des § 23 EStG ausreicht, dass der Eigentümer im Falle des Verzichts auf den Nießbrauch fortan nicht mehr von der Nutzung ausgeschlossen ist. Durch die Einräumung des Nießbrauchs wird ein übertragbarer Gegenstand dergestalt belastet, dass der Nießbraucher berechtigt ist, die Nutzungen hieraus zu ziehen (usus fructus). Das Nutzungsrecht (oder Fruchtziehungsrecht) wechselt aber nicht den Rechtsträger. Es wird lediglich von einer vom Eigentümer abweichenden Person ausgeübt, im Sinne eines verdinglichten Pachtvertrags (Servatius, BeckOGK, BGB § 1030 Rn. 2-3.1). In diesem Sinne setzt der BFH die Formulierungen "abgespaltene" dingliche Nutzungsbefugnis und "zum Vollrecht erstarkt" in Anführungszeichen.
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Letztlich weist der Senat darauf hin, dass die vom Beklagten herangezogenen Ausführungen des BFH nicht zum Begriff der Veräußerung, sondern zum Begriff der Vermögensübergabe ergangen sind. Unter Rz. 8 des benannten Urteils führt der BFH insoweit aus, dass der Verzicht auf ein testamentarisch vermachtes obligatorisches Wohnrecht ein veräußerungsähnlicher Vorgang sei. Die gleichen Rechtsgrundsätze würden für den entgeltlichen Verzicht auf einen dinglichen Vorbehaltsnießbrauch gelten.
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B. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
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C. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
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D. Die Revision wird zugelassen. Ob der entgeltliche Verzicht auf ein Nießbrauchrecht (auch nach Einführung der Abgeltungsteuer) ein Veräußerungsvorgang oder lediglich ein veräußerungsähnlicher Vorgang ist, ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Kontext des § 23 EStG bisher nicht entschieden worden (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).