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  • 30.01.2024 · IWW-Abrufnummer 239366

    Finanzgericht Rheinland-Pfalz: Beschluss vom 05.12.2023 – 1 V 1674/23

    Die in § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG i.d.F. des JStG 2020 geregelte betragsmäßige Verrechnungsbeschränkung für Termingeschäftsverluste führt zur Ungleichbehandlung, für die nach vorläufiger Prüfung ein sachlich rechtfertigender Grund nicht gegeben ist.


    Finanzgericht Rheinland-Pfalz 

    Beschluss vom 05.12.2023


    In dem Finanzrechtsstreit

    1. des Herrn
    2. der Frau
    - Antragsteller -
    prozessbevollmächtigt: zu 1-2:
    gegen
    das Finanzamt
    - Antragsgegner -

    wegen Einkommensteuer 2021; Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz nach § 69 Abs.3 FGO

    hat das Finanzgericht Rheinland-Pfalz - 1. Senat - am 5. Dezember 2023 durch
    xxx
    beschlossen:

    Tenor:

    1. Die Vollziehung des Einkommensteuerbescheides 2021 vom 17.04.2023 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 31.08.2023 wird bis zur rechtskräftigen Entscheidung in dem beim Finanzgericht Rheinland-Pfalz anhängigen Klageverfahren der Antragsteller ... ohne Sicherheitsleistung ausgesetzt.
    2. Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsgegner zu tragen.
    3. Die Entscheidung ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Antragsgegner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden, wenn nicht die Antragsteller vor der Vollstreckung Sicherheit leisten.
    4. Die Beschwerde wird zugelassen.

    Gründe

    I.

    Die zusammen zur Einkommensteuer veranlagten Antragsteller wenden sich gegen die Verlustverrechnungsbeschränkung bei Termingeschäften gemäß § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG i.d.F. des JStG 2020).

    Der Antragsteller erzielte im Streitjahr 2021 neben Einkünften aus Kapitalvermögen auch steuerfreie, dem Progressionsvorbehalt unterliegende Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Luxemburg.

    In ihrer Einkommensteuererklärung für 2021 erklärten die Antragsteller u.a. ausländische Kapitalerträge aus Termingeschäften des Antragstellers i.H.v. 250.631 EUR und Verluste aus Termingeschäften ohne Steuerabzug i.H.v. 227.289 EUR. Aus den Abrechnungen von X Ltd. ergaben sich für das Streitjahr 2021 folgende Beträge aus den CFD-Investitionen: Profit i.H.v. 253.166,90 EUR und Loss i.H.v. 226.728,54 EUR. Daneben erzielte der Antragsteller Verluste aus Swaps i.H.v. 3.095,46 EUR.

    Im Einkommensteuerbescheid für 2021 vom 17.04.2023 wies der Antragsgegner darauf hin, dass die laufenden Verluste aus Termingeschäften des Antragstellers in Höhe des gesetzlichen Höchstbetrags von 20.000 EUR mit Gewinnen aus Termingeschäften verrechnet und die noch nicht verrechneten laufenden Verluste i.H.v. 207.289 EUR in der Verlustfeststellung berücksichtigt worden seien. Die Einkünfte aus Kapitalvermögen des Antragstellers ermittelte er wie folgt (in EUR):

    Gewinne aus Termingeschäften    250.631
    Verrechnung laufender Verluste aus Termingeschäften i.S.d. § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG    20.000
    Verrechnung von Verlustvorträgen aus Kapitalvermögen ohne Verluste aus der Veräußerung von Aktien    15.203
    abzgl. Sparer-Pauschbetrag    1.602
    Einkünfte aus Kapitalvermögen    213.826

    Gegen den Bescheid legten die Antragsteller Einspruch ein und beantragten die Aussetzung der Vollziehung (AdV). Unter Berufung auf das beim BVerfG anhängige Verfahren 2 BvL 3/21 machten sie Einwände gegen die Beschränkung der Verrechnung von Gewinnen und Verlusten aus Termingeschäften geltend.

    Die zunächst in Aussicht gestellte AdV gegen Erbringung einer Sicherheitsleistung lehnte der Antragsgegner nach Änderung seiner Rechtsauffassung mit Bescheid vom 11.07.2023 ab. Zur Begründung verwies er auf das anhängige Verfahren 2 BvL 3/21 und das BMF-Schreiben vom 31.01.2022, wonach der Einkommensteuerbescheid nachträglich vorläufig zu stellen sei, so dass eine AdV nicht in Betracht komme.

    Zur Begründung ihrer gegen die Ablehnung der AdV sowie gegen den Einkommensteuerbescheid gerichteten Einsprüche trugen die Antragsteller vor, dass ein nachträgliches Setzen eines Vorläufigkeitsvermerks nicht erfolgen könne, da das Verfahren vor dem BverfG nur Aktienveräußerungsverluste und nicht Termingeschäfte betreffe.

    Der Antragsgegner wies den Einspruch gegen die Ablehnung der AdV mit Einspruchsentscheidung vom 31.08.2023 als unbegründet ab.

    Ebenso wies der Antragsgegner den Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid mit Einspruchsentscheidung vom 31.08.2023 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus, aufgrund der geltenden Gesetzeslage sei die Verlustverrechnungsbeschränkung bzgl. der Termingeschäfte rechtmäßig gewesen. Bei einem Termingeschäft werde ein Vertrag abgeschlossen, der den Kauf einer bestimmten Ware zu einem bestimmten Preis und einem fest definierten Liefertermin in der Zukunft regele. Möglich sei diese Art des Handelns mit Wertpapieren, Zinsen, Währungen oder Waren. Das wesentliche Kennzeichen der Termingeschäfte sei, dass weder Verkäufer noch Käufer vor dem in dem Vertrag geregelten Termin ihre Leistungen erbringen müssten. Die daraus resultierenden Gewinne und Verluste gehörten gemäß § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 EStG zu den Einkünften aus Kapitalvermögen. Gemäß § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG dürften Verluste aus Kapitalvermögen nicht mit Einkünften aus anderen Einkunftsarten ausgeglichen werden. Sie minderten jedoch die Einkünfte, die der Steuerpflichtige in den folgenden Veranlagungszeiträumen aus Kapitalvermögen erziele, vgl. § 20 Abs. 6 Satz 2 EStG. Bei Einkünften aus Termingeschäften gelte eine besondere Verlustverrechnungsbeschränkung. Gemäß § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG dürften Verluste aus Termingeschäften nur mit Gewinnen aus Termingeschäften und mit Einkünften aus Stillhalterprämien nach § 20 Abs. 1 Nr. 11 EStG verrechnet werden. Die Verrechnung der Verluste sei beschränkt auf einen Höchstbetrag von 20.000 EUR pro Veranlagungszeitraum. Nicht verrechnete Verluste würden gemäß § 20 Abs. 6 Satz 2 EStG i.V.m. § 10d Abs. 4 EStG am Schluss eines Veranlagungszeitraums gesondert festgestellt.

    Die Frage, ob Bescheide in den Fällen mit Gewinnen und Verlusten aus Termingeschäften analog des BMF-Schreibens vom 31.01.2022 (nachträglich) vorläufig zu setzen seien, sei zu verneinen, da das Verfahren beim BVerfG (2 BvL 3/21) keine Termingeschäfte thematisiere. Das Finanzamt stimme dem Antragsteller diesbezüglich zu. Da das beim BVerfG anhängige Verfahren nicht analog auf Fälle der Verlustverrechnung bei Termingeschäften anzuwenden sei, komme ebenfalls ein Ruhen des Verfahrens nicht in Betracht. Gegen die analoge Anwendung des BMF-Schreibens spreche weiterhin, dass die Verlustverrechnungsbeschränkung für Termingeschäfte in § 20 Abs. 6 Satz 5 ESG und damit in einer anderen Vorschrift als die Verlustverrechnungsbeschränkung für Aktienveräußerungen geregelt sei. Ein tragender Unterschied liege insofern vor, dass es für die Verrechnung der Verluste aus Termingeschäften einen jahresbezogenen Höchstbetrag von 20.000 EUR gebe. Bei den Aktienveräußerungen sei die Verrechnung der Verluste mit den Gewinnen der Höhe nach unbeschränkt möglich. Durch die in verschiedenen Sätzen des § 20 Abs. 6 EStG angeführte Verlustverrechnung für Aktienverkäufe (S. 4) und Termingeschäfte (S. 5) regele der Gesetzgeber ganz genau, dass diese beiden Steuertatbestände dem Grunde nach unterschiedlich seien. Demnach seien sie steuerrechtlich auch unterschiedlich zu behandeln, was durch die Festlegung eines Höchstbetrages für den Ausgleich der Verluste aus Termingeschäften im Gegensatz zu den Aktienverkäufen untermauert werde. Da das beim BVerfG anhängige Verfahren hinsichtlich Aktiengeschäften keine Entscheidung für Termingeschäfte werde liefern können, sei dieses nicht abzuwarten. Es liege kein Zweckmäßigkeitsgrund nach § 363 Abs. 1 Satz 1 AO vor. Auch nach Rücksprache mit der vorgesetzten Dienstbehörde komme ein Ruhen des Verfahrens nicht in Betracht.

    Zur Begründung ihrer Klage und des zugleich gestellten Antrags auf Aussetzung der Vollziehung tragen die Antragsteller vor, der Einkommensteuerbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung sei rechtswidrig, soweit er die Verluste aus Termingeschäften nicht vollständig mit Gewinnen aus Termingeschäften verrechne, sondern die Verlustverrechnung auf 20.000 EUR beschränke. Bei einem eigentlichen Netto-Gewinn aus Termingeschäften i.H.v. 23.342 EUR müssten aufgrund der Gesetzeslage nun 59.860,60 EUR Steuern bezahlt werden. Dies könne nicht richtig sein. Das objektive Nettoprinzip sei ein tragendes Strukturelement des Einkommensteuerrechts und besage zum einen, dass steuerlich nicht das Roheinkommen, d.h. nicht die Einnahmen, sondern lediglich das Reineinkommen als Saldo aus positiven und negativen Faktoren zu erfassen sei, denn nur dieser Nettobetrag stehe zur privaten Lebensführung und damit auch zum Zweck der Steuerzahlung zur Verfügung. Nur eine Gesamtbetrachtung aller aus demselben Vorgang herrührenden Vor- und Nachteile erkläre, ob tatsächlich die Leistungsfähigkeit gesteigert sei.

    Der Gesetzgeber habe die steuerliche Nutzung von Verlusten, die aus Termingeschäften stammten, erheblich eingeschränkt. Unter verfassungsrechtlichen Aspekten sei fragwürdig, ob und inwieweit die neuen Einschränkungen mit dem das deutsche Steuerrecht prägenden sog. Nettoprinzip in Einklang zu bringen seien. Das Nettoprinzip leite sich aus dem Leistungsfähigkeitsprinzip ab, welches seinerseits Ausdruck des in Art. 3 GG verankerten Gleichbehandlungsgrundsatzes sei. Weiter basierten die verfassungsrechtlichen Bedenken auf der fehlenden sachlichen Rechtfertigung für eine Begrenzung der Verlustberücksichtigung. Durch den Paradigmenwechsel mit der Einführung des Abgeltungssteuersystems sei die quellentheoretische Trennung von Vermögens- und Ertragsebene für das private Kapitalvermögen aufgegeben worden und es habe eine symmetrische Besteuerung von (Substanz-)Gewinnen und (Substanz-)Verlusten erreicht werden sollen. Wenn Einnahmen und Ausgaben nicht mehr in gleicher Weise steuerlich berücksichtigt würden, könne die Begrenzung des Verlustabzuges als Verstoß gegen den im GG verankerten allgemeinen Gleichheitssatz, konkretisiert durch das Gebot der Folgerichtigkeit und das Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit, gewertet werden.

    Für den Antragsteller, aber auch für alle anderen Steuerpflichtigen, die Gewinne und Verluste aus Termingeschäften erzielten, entstehe ein großer Nachteil und Liquidationsengpass aufgrund der Verrechnungsbegrenzung, da in Summe tatsächlich kein wirtschaftlicher Gewinn erzielt worden sei, ein solcher Gewinn jedoch versteuert werde. Noch gravierender sei dies, wenn in der Zukunft keine ausreichenden Gewinne aus Termingeschäften mehr realisiert würden. Dann sei der festgestellte Verlust i.H.v. 207.289 EUR verloren und finde keine Berücksichtigung mehr. Ziel des Gesetzgebers sei es gewesen, die wegen ihrer begrenzten Laufzeit und dem Hebeleffekt als spekulativ geltenden Termingeschäfte zu beschränken. Aufgrund des erhöhten Risikos sollten Termingeschäfte in einem besonderen Verlustverrechnungskreis erfasst werden, um die Wertpapiere für Anleger unattraktiver zu machen und somit das Investitionsvolumen sowie mögliche Verlustrisiken zu verringern. Durch die 20.000 EUR-Grenze würden jedoch explizit private Kleinanleger nicht geschützt und für die Anlegergruppe blieben Termingeschäfte weiterhin attraktiv. Dies sei jedoch widersprüchlich. Schlussendlich müsse es jedoch jedem Privatanleger selbst überlassen sein, wieviel Risiko er eingehe. Diese Entscheidung einem Privatanleger wegzunehmen, indem eine Verlustverrechnung beschränkt werde und dies dazu führen könne, dass aufgrund der daraus resultierenden Steuerlast nicht das Risiko eines Verlustes abzuwägen sei, sondern das Risiko einer zu zahlenden Steuer auf einen wirtschaftlich nicht vorliegenden Gewinn, sei falsch. Der Anleger werde doppelt bestraft - mit dem Verlust (der nicht einmal vollständig verrechnet werden könne) und mit der zu zahlenden Steuer auf einen wirtschaftlich nicht vorliegenden Gewinn aus Termingeschäften. Hier greife der Staat in einen privaten Bereich des Lebens ein. Dieser vermeintliche "Schutz des Anlegers" sei nicht erkennbar, zumal andere Derivate (Optionsscheine, Knock-out-Zertifikate) anders behandelt würden.

    Die Antragsteller hätten nach der jetzigen Rechtslage schon jetzt für die kommenden zehn Jahre (!) die Möglichkeiten ausgeschöpft, Verluste zu verrechnen. Kämen weitere hinzu, werde die Zeit immer länger, und die Aussicht, die Verluste jemals voll anrechnen zu können, sei gering. Zumal man diese ja nur auf Gewinne aus Termingeschäften anrechnen könne. Der BFH habe dem BVerfG mit Beschluss vom 17.11.2020 VIII R 11/18 die Frage vorgelegt, ob es mit dem Grundgesetz vereinbar sei, dass Verluste aus der Veräußerung von Aktien nach der Änderung durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 vom 14.08.2007 (BGBl 2007, 1912) nur noch mit Gewinnen aus der Veräußerung von Aktien und nicht mit sonstigen positiven Einkünften aus Kapitalvermögen verrechnet werden dürften. Eine positive Entscheidung des BVerfG hinsichtlich Aktienveräußerungsverlusten könnte sich auch auf die weiteren Beschränkungen des § 20 Abs. 6 Satz 5 und 6 EStG auswirken. Da diese Regelungen des § 20 Abs. 6 Satz 5 und 6 EStG mit denen der Verlustverrechnung aus Aktienveräußerungen vergleichbar seien bzw. im Hinblick auf die Begrenzung der Höhe nach sogar darüber hinausgingen, werde dies im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz ebenfalls als verfassungswidrig anzusehen sein. Die Entscheidung des BFH im anhängigen Revisionsverfahren werde präjudizierende Wirkung für die Beurteilung der Neuregelung haben. Es sei überhaupt nicht erklärlich, warum manche Verluste voll verrechnungsfähig, Aktienverluste nur mit entsprechenden Gewinnen, Verluste aus wertmäßig verfallenen Wertpapieren nur betragsmäßig begrenzt und zuletzt sogar Verluste aus Termingeschäften betragsmäßig und sachlich begrenzt seien.

    Die Antragsteller beantragen sinngemäß,

    die Vollziehung des Einkommensteuerbescheides 2021 vom 17.04.2023 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 31.08.2023 bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die bei dem Finanzgericht Rheinland-Pfalz erhobene Klage ... ohne Sicherheitsleistung auszusetzen,

    hilfsweise, die Beschwerde zuzulassen.

    Der Antragsgegner beantragt,

    den Antrag abzulehnen.

    Er trägt vor, er habe das geltende Gesetz korrekt angewendet. Aufgrund der eindeutigen Gesetzeslage komme eine AdV nicht in Betracht.

    Wegen der Einzelheiten des Sachvortrags der Beteiligten wird auf die eingereichten Schriftsätze und Unterlagen verwiesen (§ 105 Abs. 3 Finanzgerichtsordnung - FGO - entsprechend).

    II.

    1. Der Antrag ist - auch im Hinblick auf ein besonderes Aussetzungsinteresse der Antragsteller - zulässig.

    Nach § 69 Abs. 3 Sätze 1 und 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO soll das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts auf Antrag aussetzen bzw. aufheben, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

    a) Ernstliche Zweifel sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes neben den für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen bewirken (ständige Rechtsprechung, z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 05.07.2018 II B 122/17, BFHE 262, 163, BStBl II 2018, 660, Rz 10, m.w.N.). Dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe überwiegen, wird dabei nicht vorausgesetzt (vgl. BFH-Beschluss vom 15.04.2020 IV B 9/20 (AdV), m.w.N.). Ernstliche Zweifel können auch verfassungsrechtliche Zweifel an der Gültigkeit einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Norm sein (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschluss vom 25.04.2018 IX B 21/18, BFHE 260, 431, BStBl II 2018, 415, Rz 13, m.w.N.).

    Bei verfassungsrechtlichen Zweifeln an der Gültigkeit einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Norm setzt die Aussetzung der Vollziehung wegen des Geltungsanspruchs jedes formell ordnungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes grundsätzlich voraus, dass ein besonderes Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes besteht, dem der Vorrang gegenüber dem öffentlichen Interesse am Vollzug des Gesetzes zukommt (vgl. BFH-Beschlüsse vom 10.02.1984 III B 40/83, BFHE 140, 396, BStBl II 1984, 454; vom 01.04.2010 II B 168/09, BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558; vom 09.03.2012 VII B 171/11, BFHE 236, 206, BStBl II 2012, 418, sowie vom 15.04.2014 II B 71/13, BFH/NV 2015, 7). Ausnahmsweise hat der BFH auch bei Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit in verschiedenen Fallgruppen dem Aussetzungsinteresse des Steuerpflichtigen den Vorrang vor den öffentlichen Interessen eingeräumt, und zwar wenn dem Steuerpflichtigen durch den sofortigen Vollzug irreparable Nachteile drohen, wenn das zu versteuernde Einkommen abzüglich der darauf zu entrichtenden Einkommensteuer unter dem sozialhilferechtlich garantierten Existenzminimum liegt, wenn das BVerfG eine ähnliche Vorschrift für nichtig erklärt hatte, wenn der BFH (nicht aber ein Finanzgericht) die vom Steuerpflichtigen als verfassungswidrig angesehene Vorschrift bereits dem BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 GG im Rahmen einer konkreten Normenkontrolle zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit vorgelegt hat oder wenn es um das aus verfassungsrechtlichen Gründen schutzwürdige Vertrauen auf die Beibehaltung der bisherigen Rechtslage oder um ausgelaufenes Recht geht (BFH-Beschluss vom 18.06.2012 II B 17/12, BFH/NV 2012, 1652; BFH-Beschluss vom 15.04.2014 II B 71/13, BFH/NV 2015, 7; BFH, Beschluss vom 15.06.2016 II B 91/15, BFHE 253, 319, BStBl II 2016, 846; BFH-Beschluss vom 21.07.2016 V B 37/16, BFHE 254, 491, BStBl II 2017, 28; BFH-Beschluss vom 28.10.2022 VI B 15/22 (AdV), BFHE 278, 27, BStBl II 2023, 12).

    Ob an dieser Rechtsprechung weiter festzuhalten ist, wird jedoch von mehreren Senaten des BFH offen gelassen (vgl. zum Streitstand BFH-Beschluss vom 23.05.2022 V B 4/22 (AdV), Rz 22 f. mit Verweis auf: BFH-Beschlüsse vom 02.08.2007 IX B 92/07, BFH/NV 2007, 2270; vom 25.08.2009 VI B 69/09, BFHE 226, 85, BStBl II 2009, 826; vom 09.05.2012 I B 18/12, BFH/NV 2012, 1489 [BFH 28.03.2012 - II R 42/11]; auch BFH-Beschluss vom 22.09.2023 VIII B 64/22 (AdV), juris). Ebenso hat das BVerfG es zuletzt offengelassen, ob das Erfordernis eines besonderen Aussetzungsinteresses mit dem Grundsatz der Gewährung effektiven Rechtsschutzes vereinbar ist (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 24.10.2011 1 BvR 1848/11, 1 BvR 2162/11, NJW 2012, 372, Rz 4, und vom 06.05.2013 1 BvR 821/13, HFR 2013, 639, Rz 7). In der Literatur wird - zu Recht - vertreten, dass nicht nur ernstliche Zweifel an der (einfachen) Rechtmäßigkeit, sondern erst recht ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Bescheids zu dessen AdV zwingen (Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, 178. Lfg. 11/2023, § 69 Rz. 96, 97).

    b) Der Senat hält es für bedenklich, bei der Anwendung der §§ 69 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 3 FGO ein besonderes Aussetzungsinteresse zu fordern. Dies kann aber offenbleiben. Denn jedenfalls fällt nach Ansicht des Senats die Interessenabwägung zugunsten der Antragsteller aus. Bei dieser Abwägung hat sich der Senat davon leiten lassen, dass die Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit der Verlustverrechnungsbeschränkung für Termingeschäfte von erheblichen Gewicht sind. Die in dem Vorlagebeschluss des VIII. Senats des BFH vom 17.11.2020 (VIII R 11/18, BFHE 271, 399, BStBl II 2021, 562) an das BVerfG genannten Gründe lassen bei der gebotenen summarischen Prüfung auch eine rechtliche Überprüfung der Verlustverrechnungsbeschränkung für Termingeschäfte als erforderlich erscheinen. Der Senat verkennt dabei nicht, dass es sich bei den Verlustverrechnungsbeschränkungen für Verluste aus Aktienveräußerungen bzw. für Termingeschäfte um jeweils eigenständige Vorschriften handelt. Gleichwohl können aus der in dem Vorlagebeschluss genannten Begründung Rückschlüsse auf die Frage der Verfassungsgemäßheit der hier streitigen Vorschrift des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG i.d.F. vom 21.12.2020 gezogen werden (vgl. hierzu unter 2.b)gg) des Beschlusses).

    Der durch die Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheids eintretende Eingriff beim Antragsteller wiegt schwer, da dieser auf einen tatsächlichen Gewinn aus Termingeschäften in Höhe von 23.342 EUR Einkommensteuer i.H.v. 59.860,60 EUR zahlen müsste. Die Auswirkungen der Verlustverrechnungsregelung sind wegen der doppelten Begrenzung (sachlich und betragsmäßig) erheblich (vgl. auch Drüen, FR 2020, 663, 664).

    Außerdem hat der Antragsgegner weder dargelegt noch ist sonst ersichtlich, dass die Gewährung der AdV im Streitfall das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung berühren könnte. Angesichts dessen ist dem Interesse der Antragsteller an einer AdV des angefochtenen Einkommensteuerbescheids Vorrang zu geben.

    2. Der Antrag auf AdV ist auch begründet. Der Senat hat nach vorläufiger Prüfung ernstliche Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der betragsmäßig beschränkten Verlustverrechnung gemäß § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG i.d.F. des JStG 2020.

    a) Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen nach der ständigen Rechtsprechung des BFH, wenn nach summarischer Prüfung neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfrage oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken. Dabei brauchen die für die Unrechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes sprechenden Bedenken nicht zu überwiegen, d.h. ein Erfolg des Steuerpflichtigen braucht nicht wahrscheinlicher zu sein als ein Misserfolg (BFH Beschlüsse vom 30.06.1967 III B 21/66, BStBl III 1967, 533 und vom 28.11.1974 V B 52/73, BStBl II 1975, 239). Ob eine solche Situation vorliegt, ist anhand einer summarischen Prüfung zu beurteilen, bei der nur die aus den Akten erkennbaren Umstände und die dem Gericht zur Verfügung stehenden ("präsenten") Beweismittel berücksichtigt werden können (BFH-Beschluss vom 03.11.2000 I S 3/00, BFH/NV 2001, 612). Das Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung ist ein selbständiges Verfahren neben dem Hauptsacheverfahren; es ist ein abgekürztes, vereinfachtes, kurzes und bündiges Verfahren mit dem Ziel einer vorläufigen Entscheidung. An die Zweifel hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sind, wenn die Verfassungswidrigkeit von Normen geltend gemacht wird, keine strengeren Anforderungen zu stellen, als im Falle der Geltendmachung fehlerhafter Rechtsanwendung. Es genügen auch insoweit gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts sprechende Gründe (Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, 178. Lfg. 11/2023, § 69 Rz. 96, 97 m.w.N.).

    b) Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Einkommensteuerbescheides ernstlich zweifelhaft.

    aa) Gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a EStG gehört zu den Einkünften aus Kapitalvermögen auch der Gewinn bei Termingeschäften, durch die der Steuerpflichtige einen Differenzausgleich oder einen durch den Wert einer veränderlichen Bezugsgröße bestimmten Geldbetrag oder Vorteil erlangt.

    Das Termingeschäft ist in § 20 Abs. 2 EStG nicht definiert. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) folgt der Begriff des Termingeschäftes den Regelungen des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG); Termingeschäfte in diesem Sinne sind nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 WpHG u.a. Festgeschäfte oder Optionsgeschäfte, die zeitlich verzögert zu erfüllen sind und deren Wert sich unmittelbar oder mittelbar vom Preis oder Maß eines bestimmten Basiswertes ableitet (BFH-Urteil vom 24.10.2017 VIII R 35/15, BFHE 259, 540, BStBl II 2018, 189 mit Verweis auf BFH-Urteil vom 12.05.2015 VIII R 4/15, BFHE 250, 75, BStBl II 2015, 835, unter Verweis auf BFH-Urteil vom 13.01.2015 IX R 13/14, BFHE 248, 340, BStBl II 2015, 827).

    Entsprechend seinem Wortlaut erfasst § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a EStG Termingeschäfte, durch die der Steuerpflichtige einen Differenzausgleich erlangt. Maßgeblich ist insoweit die Zweckbestimmung des Termingeschäftes, die von dem anhand objektiver Umstände nachvollziehbaren Willen der Vertragsbeteiligten abhängt. Erfasst sind demnach Termingeschäfte, die auf die Erzielung eines Differenzausgleiches gerichtet sind, nicht aber Termingeschäfte, die auf die tatsächliche ("physische") Lieferung des Basiswertes am Ende der Laufzeit gerichtet sind (vgl. BFH-Urteil vom 06.07.2016 I R 25/14, BFHE 254, 326, zu § 15 Abs. 4 Satz 3 EStG 1999 m.w.N.; von Beckerath in Kirchhof, EStG, 16. Aufl., § 20 Rz 130; Jochum, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 20 Rz D 3 3; Jachmann/Lindenberg in Lademann, EStG, § 20 EStG Rz 648; Hamacher/Dahm in Korn, § 20 EStG Rz 577; Moritz/Strohm in Frotscher, EStG, Freiburg 2011, § 20 n.F. Rz 239). Ein auf Differenzausgleich gerichtetes Termingeschäft liegt vor, wenn die Vertragsbeteiligten ausdrücklich oder stillschweigend vereinbaren, dass keine effektive Lieferung, sondern ein Differenzausgleich erfolgen soll.

    Der Antragsteller hat über einen CFD-Broker Differenzkontrakte ("Contracts for Difference"; nachfolgend: CFD) gehandelt. CFD sind strukturierte, derivative Finanzprodukte, mit denen Anleger die Möglichkeit haben, in Kursentwicklungen von Basiswerten (underlying) zu investieren, ohne dabei das notwendige Kapital für einen solchen Basiswert aufwenden zu müssen. Die Anleger müssen lediglich eine Sicherheitsleistung (security margin) hinterlegen, um Risiken aus solchen Finanzprodukten zu decken. Häufige Basiswerte für CFD sind dabei insbesondere Aktien, ETF, Indizes, Rohstoffe und (Krypto-)Währungen. CFD dienen dabei sowohl im Privat- als auch im Betriebsvermögen in besonderem Maße zur Absicherung etwaiger Wertpapierkurs-, Wechselkurs- und Zinsrisiken (vgl. Stiegler, NWB 2022, 391).

    Zwischen den Beteiligten ist - zu Recht - unstreitig, dass es sich bei den CFDs um Termingeschäfte i.S.d. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a EStG handelt. Der Antragsteller hat zum Nachweis der Höhe der Gewinne und Verluste eine jährliche Tätigkeits- bzw. Umsatzübersicht über die Entwicklung des CFD-Vertrags vorgelegt. Steuerliche Jahresbescheinigungen oder Ergänzungsaufstellungen nach deutschem Steuerrecht etc. werden nicht erstellt, da die Broker in aller Regel - wie auch im Streitfall - im Ausland ansässig sind (vgl. Stiegler, NWB 2022, 391, 392).

    Die Erfassung von CFDs an der Quelle (Kapitalertragsteuer) scheidet regelmäßig aus, da die CFD-Accounts (wie auch im Streitfall) nicht in Deutschland, sondern in einem anderen EU-Land geführt werden (vgl. Stiegler, NWB 2022, 391, 395). Bei mehrjährig laufenden CFD sind damit einmal jährlich (zum 31.12. eines jeden Jahres) die realisierten Leistungen als Kapitalerträge zu versteuern (vgl. Stiegler, NWB 2022, 391, 396).

    bb) Nach § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG dürfen Verluste aus Kapitalvermögen nicht mit Einkünften aus anderen Einkunftsarten ausgeglichen werden; sie dürfen nicht nach § 10d abgezogen werden. Die Verluste mindern jedoch die Einkünfte, die der Steuerpflichtige in den folgenden Veranlagungszeiträumen aus Kapitalvermögen erzielt (§ 20 Abs. 6 Satz 2 EStG). § 10d Absatz 4 ist sinngemäß anzuwenden (§ 20 Abs. 6 Satz 3 EStG). Durch Art. 5 Nr. 1 des Gesetzes zur Einführung einer Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen vom 21.12.2019 wurde durch Abs. 6 Satz 5 ein besonderer Verlustverrechnungskreis für Verluste aus Termingeschäften i.S.d. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 EStG geschaffen und durch Art. 1 Nr. 9 lit. b des JStG 2020 modifiziert (Verdopplung der Verlustverrechnungsmöglichkeit von 10.000 EUR auf 20.000 EUR). Danach dürfen Verluste aus Termingeschäften nur in Höhe von 20.000 EUR mit Gewinnen aus Termingeschäften und mit Einkünften aus Stillhalterprämien nach § 20 Abs. 1 Nr. 11 EStG verrechnet werden; die Sätze 2 und 3 gelten sinngemäß mit der Maßgabe, dass nicht verrechnete Verluste je Folgejahr nur bis zur Höhe von 20.000 EUR mit Gewinnen im Sinne des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 3 und mit Einkünften im Sinne des § 20 Abs. 1 Nummer 11 verrechnet werden dürfen. Diese Einschränkungen des Verlustabzugs, die neben Abs. 6 Satz 4 und Abs. 6 Satz 6 eine weitere Schedule innerhalb der Schedule der Kapitaleinkünfte begründen, gelten für nach dem 31.12.2020 entstehende Verluste (§ 52 Abs. 28 S. 25).

    § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG bewirkt also, dass Verluste aus Termingeschäften zwar nicht generell versagt, jedoch nur bei (späteren) Gewinnen aus Termingeschäften bzw. Stillhalterprämien und dann nur zeitlich gestreckt abgezogen werden dürfen (vgl. Bleschick in Kirchhof/Seer, EStG, 22. Aufl. 2023, V. Besonderer Verlustverrechnungskreis für Termingeschäfte (Abs. 6 S. 5) Rn. 177a).

    cc) Die Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 19/15876, 61) begründen die Ungleichbehandlung von Gewinnen aus Termingeschäften (Sofortbesteuerung) und entsprechenden Verlusten (besonderer Verlustverrechnungskreis nach Abs. 6 Satz 5 mit bestenfalls zeitlich gestreckter Verlustberücksichtigung bei späteren Gewinnen), also asymmetrische Besteuerung von Gewinnen und Verlusten, mit dem spekulativen Charakter der Termingeschäfte (begrenzte Laufzeit und Hebeleffekte) samt der bei anderen Kapitalanlagen nicht in vergleichbarem Ausmaß bestehenden Möglichkeit hoher Gewinne einerseits und von Totalverlusten andererseits. Der Gesetzgeber beabsichtigt, das Investitionsvolumen und die daraus für Anleger resultierenden Verlustrisiken zu begrenzen.

    dd) Ratschow in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, 168. EL 08.2023, § 20 Rn. 469a vertritt, dass keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Regelung bestünden. Es müsse dem Gesetzgeber freistehen, spekulative Finanzgeschäfte eindämmen zu wollen. Die Begrenzung des Verlustausgleichs auf 20.000 EUR bewirke innerhalb des Verrechnungskreises eine Mindestbesteuerung, deren Effekte im Rahmen zulässiger Typisierung vernachlässigt werden könnten. Die Betragsgrenze, ab der die Mindestbesteuerung einsetze, sei einer sachlichen Rechtfertigung nicht zugänglich. Die Vorschrift sei das Ergebnis eines politischen Kompromisses.

    ee) Dies überzeugt - auch unter Berücksichtigung der Erhöhung der Verlustverrechnungsmöglichkeit auf 20.000 EUR durch das JStG 2020, mit der zwar die Zahl streitiger Fälle reduziert, die verfassungsrechtliche Problematik dem Grunde nach jedoch nicht beseitigt wird - nicht. Der Senat teilt die von der überwiegenden Literatur gegen die Regelung der betragsmäßig beschränkten Verlustverrechnung bei Termingeschäften erhobenen (erheblichen) verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. zum Meinungsstand Bleschick in Kirchhof/Seer, EStG, 22. Aufl. 2023, V. Besonderer Verlustverrechnungskreis für Termingeschäfte (Abs. 6 S. 5) Rn. 177b m.w.N.: so u.a. Buge in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, Lfg. 298 6.2020, § 20 Anm. J 20 - 4; Jachmann-Michel, jM 2020, 120, 122; Jachmann-Michel, BB 2020, 727, 728; Drüen, FR 2020, 663, 668). Einen sachlich rechtfertigenden Grund für die mit der Einschränkung der Verlustverrechnung verbundene verfassungswidrige Durchbrechung des Leistungsfähigkeitsprinzips vermag der Senat nicht zu erkennen.

    Da die Abgeltungsteuer ein in sich geschlossenes Sondersystem der Besteuerung privater Kapitaleinkünfte darstellt, ist es zwar folgerichtig, auch die Verlustverrechnung auf dieses Binnensystem zu beschränken. Das allgemeine Verlustverrechnungsverbot gemäß § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG ist insoweit folgerichtig, als der Sondertarif für Gewinne wie Verluste in gleicher Weise gelten muss (Jachmann-Michel, BB 2020, 727, 728). Die Schedulenbesteuerung als solche wird auch überwiegend als verfassungsmäßig angesehen (Drüen, FR 2020, 663, 666 mit Verweis auf Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht, 23. Aufl. 2018, § 8 Rz. 493 f., 500 m.w.N.). Jedoch gilt dies nicht für eine - neben der sachlichen auch - betragsmäßige Begrenzung der Verlustverrechnung. Denn die Folge ist eine asymmetrische Besteuerung von Gewinnen und Verlusten, für die es keine sachlichen Gründe gibt.

    Zentraler verfassungsrechtlicher Beurteilungsmaßstab der Verlustverrechnungsbeschränkungen in § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG ist der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Dieser gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Er gilt für ungleiche Belastungen ebenso wie für ungleiche Begünstigungen. Dabei ist es grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte auszuwählen, die er mit gleichen Rechtsfolgen belegt und damit als "wesentlich gleich" qualifiziert. Diese Auswahl muss jedoch sachgerecht in Bezug auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche erfolgen (vgl. z.B. BVerfG-Beschlüsse vom 12.02.2003 2 BvL 3/00, BVerfGE 107, 218, und vom 23.05.2006 1 BvR 1484/99, BVerfGE 115, 381). Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Differenzierungen bedürfen stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BVerfG-Beschlüsse vom 29.03.2017 2 BvL 6/11, BVerfGE 145, 106, und vom 19.11.2019 2 BvL 22/14, 2 BvL 23/14, 2 BvL 24/14, 2 BvL 25/14, 2 BvL 26/14, 2 BvL 27/14, BVerfGE 152, 274, m.w.N.).

    Art. 3 Abs. 1 GG bindet den Steuergesetzgeber an den Grundsatz der Steuergerechtigkeit, der es erfordert, die Besteuerung an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auszurichten. Das gilt insbesondere im Einkommensteuerrecht, das auf die Leistungsfähigkeit des jeweiligen Steuerpflichtigen hin angelegt ist. Im Interesse verfassungsrechtlich gebotener steuerlicher Lastengleichheit muss darauf abgezielt werden, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch zu besteuern (horizontale Steuergerechtigkeit), während (in vertikaler Richtung) die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich mit der Steuerbelastung niedriger Einkommen dem Gerechtigkeitsgebot genügen muss (vgl. z.B. BVerfG-Urteil vom 09.12.2008 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210; BVerfG-Beschluss vom 15.12.2015 2 BvL 1/12, BVerfGE 141, 1). Abweichungen vom Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit im Einkommensteuerrecht bedürfen nach Art. 3 Abs. 1 GG der Rechtfertigung (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 145, 106 [BVerfG 29.03.2017 - 2 BvL 6/11], Rz 100).

    Art. 3 Abs. 1 GG ist jedenfalls dann verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie sachlich einleuchtender Grund für eine gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt (vgl. z.B. BVerfG-Beschlüsse vom 05.10.1993 1 BvL 34/81, BVerfGE 89, 132, und vom 18.07.2005 2 BvF 2/01, BVerfGE 113, 167, Rz 126). Willkür des Gesetzgebers liegt zwar nicht schon dann vor, wenn er unter mehreren Lösungen nicht die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste gewählt hat. Es genügt aber Willkür im objektiven Sinn, das heißt die tatsächliche und eindeutige Unangemessenheit der Regelung in Bezug auf den zu ordnenden Gesetzgebungsgegenstand. Der Spielraum des Gesetzgebers endet dort, wo die ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist, wo also ein einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung fehlt (vgl. z.B. BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 89, 132, Rz 39; in BVerfGE 145, 106 [BVerfG 29.03.2017 - 2 BvL 6/11], Rz 101, m.w.N.).

    Bei der Auswahl des Steuergegenstandes belässt der Gleichheitssatz dem Gesetzgeber ebenso wie bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weitreichenden Entscheidungsspielraum. Unter dem Gebot möglichst gleichmäßiger Belastung der betroffenen Steuerpflichtigen muss die Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestandes folgerichtig im Sinne von belastungsgleich erfolgen (BVerfG-Beschlüsse vom 11.11.1998 2 BvL 10/95, BVerfGE 99, 280; in BVerfGE 152, 274 [BVerfG 19.11.2019 - 2 BvL 22/14], Rz 100). Ausnahmen von einer belastungsgleichen Ausgestaltung der mit der Wahl des Steuergegenstandes getroffenen gesetzgeberischen Entscheidung (folgerichtigen Umsetzung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestandes) bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes, der die Ungleichbehandlung nach Art und Ausmaß zu rechtfertigen vermag. Als besondere sachliche Gründe kommen neben außerfiskalischen Förderungs- und Lenkungszwecken auch die Bekämpfung missbräuchlicher Gestaltungen sowie Typisierungs- und Vereinfachungserfordernisse in Betracht (BVerfG-Beschlüsse vom 06.07.2010 2 BvL 13/09, BVerfGE 126, 268, und vom 22.07.1970 - 1 BvR 285/66, 1 BvR 445/67, 1 BvR 192/69, BVerfGE 29, 104). Der rein fiskalische Zweck staatlicher Einnahmenerhöhung ist nicht als besonderer sachlicher Grund in diesem Sinne anzuerkennen (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 145, 106 [BVerfG 29.03.2017 - 2 BvL 6/11], Rz 150, m.w.N.).

    Der Gesetzgeber darf allerdings bei der Ausgestaltung der mit der Wahl des Steuergegenstandes getroffenen Belastungsentscheidung generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen treffen, ohne allein schon wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen (BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 126, 268 [BVerfG 06.07.2010 - 2 BvL 13/09], und vom 07.05.2013 2 BvR 909/06, 2 BvR 1981/06, 2 BvR 288/07, BVerfGE 133, 377). Er darf sich grundsätzlich am Regelfall orientieren und ist nicht gehalten, allen Besonderheiten jeweils durch Sonderregelungen Rechnung zu tragen. Die gesetzlichen Verallgemeinerungen müssen allerdings von einer möglichst breiten, alle betroffenen Gruppen und Regelungsgegenstände einschließenden Beobachtung ausgehen. Insbesondere darf der Gesetzgeber keinen atypischen Fall als Leitbild wählen, sondern muss realitätsgerecht den typischen Fall als Maßstab zugrunde legen. Die Vorteile der Typisierung müssen im rechten Verhältnis zu der mit ihr notwendig verbundenen Ungleichheit der steuerlichen Belastung stehen (BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 145, 106 [BVerfG 29.03.2017 - 2 BvL 6/11], Rz 108; in BVerfGE 152, 274 [BVerfG 19.11.2019 - 2 BvL 22/14], Rz 102, jeweils m.w.N.).

    Die Anforderungen an Rechtfertigungsgründe für gesetzliche Differenzierungen steigen bis hin zu einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung, insbesondere wenn und soweit sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten auswirken kann. Zudem verschärfen sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen, je weniger die Merkmale, an die die gesetzliche Differenzierung anknüpft, für den Einzelnen verfügbar sind oder je mehr sie sich denen des Art. 3 Abs. 3 GG annähern (vgl. zum Ganzen Vorlagebeschluss des BFH VIII R 11/18, BFHE 271, 399, BStBl II 2021, 562 [BFH 17.11.2020 - VIII R 11/18] mit Verweis auf BVerfG-Urteile vom 08.04.1997 1 BvR 48/94, BVerfGE 95, 267, und vom 10.04.2018 1 BvL 11/14, 1 BvL 12/14, 1 BvL 1/15, 1 BvR 639/11, 1 BvR 889/12, BVerfGE 148, 147, Rz 95, m.w.N.).

    ff) Nach diesen Maßstäben hat der Senat erhebliche Bedenken, dass § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG i.d.F. des JStG 2020 mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist. Die Vorschrift behandelt Steuerpflichtige bei der Bestimmung ihrer steuerpflichtigen Einkünfte unterschiedlich, je nachdem, ob sie Verluste aus Termingeschäften oder anderen Kapitalanlagen haben. Für diese Ungleichbehandlung fehlt es an einem sachlichen Rechtfertigungsgrund.

    Nicht schlüssig ist, weshalb die Sofortversteuerung einzig für die (ggf. hohen) Gewinne greifen solle (Drüen, FR 2020, 663, 673; Jachmann-Michel, jM 2020, 120, 122). Es überzeugt auch nicht, dass der Eintritt von Verlusten bei Termingeschäften deutlich wahrscheinlicher sei als bei sonstigen betrieblichen Tätigkeiten (Buge in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, Lfg. 298 6.2020, § 20 Anm. J 20 - 4). Zwar deutet auch der Verweis auf den spekulativen Charakter von Termingeschäften in der amtlichen Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 19/15876, 61) in diese Richtung. Doch ist es den Einkünften aus Kapitalvermögen gerade wesensimmanent, dass sie häufig aus spekulativen Geschäften erzielt werden. Dass es mehr oder weniger risikoreiche Kapitalanlagen gibt, ist zwar zutreffend, rechtfertigt aber noch nicht eine Verlustverrechnungsbeschränkung. Dies gilt umso mehr, als bei Termingeschäften auch überproportionale Gewinne denkbar sind, gegen deren sofortige Besteuerung der Gesetzgeber offenbar keine Bedenken hat. Es ist nun aber gerade Ausfluss des objektiven Nettoprinzips, dass Gewinne und Verluste steuerlich gleichbehandelt werden müssen. Auch der im Regierungsentwurf WElektroMobFördG ("JStG 2019") noch herangezogene Gedanke der drohenden Steuerausfälle (vgl. BTDrucks. 19/13436, 112) vermag die Beschränkung der Verlustverrechnung nicht zu rechtfertigen (Buge in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, Lfg. 298 6.2020, § 20 Anm. J 20 - 4). Es ist nicht folgerichtig, dass der Steuerpflichtige den Gewinn aus Kapitalanlagen vollumfänglich im Zeitpunkt des Zuflusses versteuern soll, die Anerkennung seiner Verluste aber betragsmäßig begrenzt wird. Dies ist keine staatliche Partizipation am Ergebnis des Wirtschaftens durch den Steuerpflichtigen mehr, sondern gerade ein zu den wirtschaftlichen Begebenheiten des Marktes und des Anlegerverhaltens asymmetrische Besteuerung einzelner (geglückter) Geschäfte (Drüen, FR 2020, 663, 666).

    Ausgehend vom Sicherungscharakter der Termingeschäfte wird zudem geltend gemacht, dass ein Wertungswiderspruch der Behandlung privater Termingeschäfte (Verlustverrechnung) zur Behandlung von Sicherungsgeschäften bei bilanzierenden Steuerpflichtigen vorliege (vgl. Drüen, FR 2020, 663, 667 f.; zum Sicherungscharakter und Steuerbelastungsvergleich im Privat- und Betriebsvermögen vgl. Stiegler, NWB 2022, 391, 392, 397 ff.).

    Drüen führt in FR 2020, 663, 669, 671 zutreffend aus, dass bei Festlegung der Verrechnungsgrenze eine verfassungsrechtlich tragfähige Begründung nicht ersichtlich sei, weshalb "Kleinanlegern" im Gegensatz zu "größeren" Anlegern eine vollständige Verlustverrechnung möglich sein solle. In der Wiederherstellung der Verlustverrechnungsmöglichkeit - dem gesetzlichen Normalfall also - nur für Kleinanleger liege eine Vermischung von Fiskalzweck und Lenkungsnorm. Entgegen der Rechtsprechung des BVerfG zur realitätsgerechten Typisierung (BVerfGE 151, 101 [BVerfG 26.03.2019 - 1 BvR 673/17] Rn. 116) würden große Teile der Normadressaten ausgeblendet.

    Jochum in Kirchhof/Seer/Mellinghoff, § 20 Rn. H 68c vertritt, dass der vom Finanzausschuss zur Begründung genannte Befund, Termingeschäfte seien aufgrund ihrer begrenzten Laufzeit und durch Hebeleffekte in wesentlichem Umfang spekulativ, nicht die Bildung eines eigenen Verlustverrechnungskreises und die zeitliche Streckung der Verlustverrechnung rechtfertigen könne. Es erschließe sich nicht, auf welche Weise diese Maßnahme dazu beitragen könne, "das Investitionsvolumen und die darauf für Anleger entstehenden Verlustrisiken aus diesen spekulativen Anlagen zu begrenzen", wie der Ausschuss weiter ausführe. Zutreffend wird weiter ausgeführt, dass einzig und allein die steuermindernde Nutzung erlittener Verluste begrenzt wird, während es bei der Sofortversteuerung der (ggf. hohen) Gewinne bleibt. Dabei birgt erst diese weitere kleinteilige Schedularisierung das Risiko, keine entsprechenden Gewinne generieren zu können, sodass letztlich fiskalische Motivation gegeben ist. Weiter führt Jochum in Kirchhof/Seer/Mellinghoff, § 20 Rn. H 68d aus, dass die betragsmäßige Grenze inakzeptabel sei, da Verluste korrespondierend zu Gewinnen zu berücksichtigen seien. Wenn der Gesetzgeber schon eine Art Mindestbesteuerung für geboten erachten sollte, wäre er aus Gründen der Folgerichtigkeit zunächst auf den in § 10d Abs. 2 EStG enthaltenen Sockelbetrag von 1 Mio. EUR verwiesen.

    Die Verlustverrechnungsbeschränkung geht mit der Gefahr einher, dass eine Verlustberücksichtigung faktisch ganz ausgeschlossen sein kann. Kann doch ein Totalverlust der Vermögenssubstanz nur durch positive Kapitalerträge aus anderen Einzelanlagen ausgeglichen werden. Hierfür gilt aber zum einen die betragsmäßige Begrenzung und zum anderen sind die Grenzen des jeweiligen Verlustverrechnungskreises zu wahren. Eine Rechtfertigung hierfür ist nicht ersichtlich, insbesondere nicht aus der Gesetzesbegründung. Damit soll wohl weniger der Anleger davor geschützt werden, zu hohe Verlustrisiken einzugehen, als der Fiskus vor den Folgen für das Steueraufkommen, die aber wiederum nicht beziffert werden. Dabei erscheint es jedenfalls nicht folgerichtig, dass spekulationsbedingte hohe Gewinne bei Zufluss voll zu versteuern sind, Verluste jährlich aber nur begrenzt und unter Umständen - je nach Lebenserwartung des Steuerpflichtigen - gar nicht anerkannt werden (Jachmann-Michel, jM 2020, 120, 122; Jachmann-Michel, BB 2020, 727, 729; Drüen, FR 2020, 663, 672; vgl. auch Bron, BB 2020, 535, 536: bei einem Verlust von z.B. 1 Mio. EUR müsste der Steuerpflichtige - bei der ursprünglichen Grenze von 10.000 EUR - 100 Jahre leben und in jedem dieser 100 Jahre hinreichende Gewinne aus Termingeschäften und Stillhalterprämien erzielen). Dass ein Definitiveffekt eintritt, liegt bei einer Begrenzung der Verlustverrechnung auf 20.000 EUR p.a. auf der Hand (Buge in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, Lfg. 298 6.2020, § 20 Anm. J 20 - 4). Die alleinige Abziehbarkeit in den folgenden Veranlagungszeiträumen kann nur zur Folge haben, dass die Verlustverrechnung endgültig scheitert. Dies ist z.B. der Fall, wenn der Steuerpflichtige seinen Wohnsitz ins Ausland verlegt, verstirbt oder keine privaten Kapitaleinkünfte mehr erzielt. Daraus ergibt sich in diesen Fällen ein mit dem objektiven Nettoprinzip nicht zu vereinbarender Belastungsüberhang in der Totalperiode (Jochum in Kirchhof/Seer/Mellinghoff, § 20 Rn. H 68d).

    Im Streitfall bräuchte der Antragsteller für die Verrechnung des gesondert festgestellten Verlustes i.H.v. 207.289 EUR bereits jetzt schon über zehn Jahre, um die Verluste auszugleichen - vorausgesetzt, es stehen namentlich im Rahmen der Termingeschäftsschedule (§ 20 Abs. 6 Satz 5 EStG) jedes Jahr positive Einkünfte aus Termingeschäften und Stillhalterprämien von mindestens 20.000 EUR zur Verfügung und es kommen keine weiteren Verluste hinzu. Dies erscheint unrealistisch (vgl. hierzu auch Buge in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, Lfg. 298 6.2020, § 20 Anm. J 20 - 4). Die Verrechnungsgrenze führt im Streitfall zu einem unverhältnismäßigen und widersinnigen Ergebnis, da der Antragsteller bei einem Reingewinn in Höhe von "nur" 23.342 EUR Einkommensteuer i.H.v. 59.860,60 EUR zahlen muss, d.h. er muss zum Teil aus nicht aus Termingeschäften erwirtschafteten Einnahmen Einkommensteuer zahlen (vgl. hierzu auch Drüen, FR 2020, 663, 672; Dorn/Horstkötter, DB 2021, 134, 137 mit einem Beispiel zur Besteuerung von erzielten Gewinnen in Abhängigkeit von der Höhe der Verluste).

    gg) Entgegen der Ansicht des Antragsgegners ist der Senat der Auffassung, dass eine Entscheidung des BVerfG über den Vorlagebeschluss des BFH vom 17.11.2020 VIII R 11/18, BFHE 271, 399, BStBl II 2021, 562 auch Auswirkungen auf die in § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG i.d.F. des JStG 2020 geregelte zeitlich gestreckte Verlustnutzung haben wird. Die Regelungen in § 20 Abs. 6 Sätze 4 - 6 EStG werden als noch weit fragwürdiger als die Verrechnungsbeschränkungen für Verluste aus Aktienveräußerungen angesehen (vgl. Jachmann-Michel, BB 2020, 727, 728). Im Hinblick auf die Begrenzung der Höhe (20.000 EUR) gehen diese über die Verlustverrechnungsbeschränkungen für Aktienveräußerungen hinaus. Dabei wird in der Literatur - zu Recht - die Auffassung vertreten, dass im Falle einer Verfassungswidrigkeit von § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG über die Berücksichtigung von Aktienverlusten auch diese Regelung verfassungswidrig sei (Dorn, DB 2021, 1366).

    Die in dem Vorlagebeschluss genannten Gründe sind nach Auffassung des Senats auf die Verlustverrechnungsbeschränkung gemäß § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG i.d.F. des JStG 2020 übertragbar. So führt der BFH in seinem Vorlagebeschluss vom 17.11.2020 VIII R 11/18, BFHE 271, 399, BStBl II 2021, 562 unter Rz. 47 f. aus, dass anders als bei einer einkünfteübergreifenden Verlustverrechnung (vgl. BVerfG-Beschluss vom 22.07.1991 1 BvR 313/88, HFR 1992, 423, Rz 7) nicht im Wege typisierender Betrachtung davon ausgegangen werden könne, dass Aktienveräußerungsverluste in der Totalperiode vollständig ausgeglichen werden können, sodass dem Steuerpflichtigen über einen Liquiditäts- und Zinsnachteil hinaus die ganze oder teilweise Nichtberücksichtigung des Verlusts und damit seiner Anschaffungskosten drohe. Zudem bestehe die Gefahr eines endgültigen Verlustuntergangs bei Versterben des Steuerpflichtigen. Diese Gefahr besteht - wie bereits ausgeführt - auch bei der Verlustverrechnungsbeschränkung des § 20 Abs. 6 Satz 5 i.d.F. des JStG 2020. Auch die Ausführungen des BFH in seinem Vorlagebeschluss vom 17.11.2020 VIII R 11/18, BFHE 271, 399, BStBl II 2021, 562 unter Rz. 52 sind auf den Streitfall übertragbar. Danach werde die vom Grundrecht der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Entscheidung, zwischen verschiedenen Kapitalanlageobjekten und -formen auszuwählen, dadurch beeinträchtigt, dass der Steuerpflichtige, wenn er aufgrund erzielter Verluste nicht mehr in Aktien investieren könne oder wolle, die endgültige Nichtberücksichtigung der erlittenen Verluste hinnehmen müsse. Er werde von der durch § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG (a.F.) bewirkten Verluststreckung deshalb dazu angehalten, seine Investition in die Verlustaktien auch dann nicht zu beenden, wenn die eingetretene Verlustsituation ihn ansonsten zum Ausstieg aus diesem Anlagesegment motivieren würde. Aufgrund der betragsmäßigen Begrenzung der Verlustverrechnung aus Termingeschäften befindet sich der Steuerpflichtige, der Termingeschäfte tätigt, in derselben Situation. Anstatt "Kleinanleger" vor "spekulativen Geschäften" zu schützen (so die Gesetzesbegründung), bewirkt der Gesetzgeber aber das Gegenteil: Der Steuerpflichtige muss, um seine Verluste in den Folgejahren berücksichtigen zu können, weiterhin Termingeschäfte tätigen, um entsprechende Gewinne zu generieren (Drüen, FR 2020, 663, 670: die Grenze führt tendenziell dazu, dass Termingeschäfte ausgerechnet für Kleinanleger attraktiv bleiben). Somit drängt sich der Eindruck auf, dass es dem Gesetzgeber eher um den Schutz des Steueraufkommens vor den Auswirkungen spekulativer Finanzinstrumente geht. Dieses fiskalische Ziel vermag den Ausschluss einer Verlustberücksichtigung aber letztlich nicht zu rechtfertigen. Denn die angeführten Haushaltsrisiken sind direkte Folge der Besteuerung von Termingeschäften, so dass dem Gesetzgeber ein bewusstes Eingehen dieser Risiken durch die Besteuerung von Termingeschäften vorzuhalten ist (Drüen, FR 2020, 663, 669).

    Mithin war die Vollziehung des Einkommensteuerbescheides für 2021 vom 17.04.2023 ohne Sicherheitsleistung auszusetzen (vgl. hierzu BFH-Beschluss vom 03.02.2005 I B 208/04, BStBl II 2005, 351).

    3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

    Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit und die Abwendungsbefugnis beruht auf § 151 Abs. 1 Satz 1 FGO, § 151 Abs. 3 FGO entsprechend, § 155 FGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

    Die Beschwerde wird gemäß § 128 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

    RechtsgebieteEStG, FGOVorschriftenEstG § 20 Abs. 6 Satz 2; EstG § 20 Abs. 6 Satz 5; EstG i.d.F. des JStG 2020 § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a; FGO § 69 Abs. 2 Satz 2; FGO § 69 Abs. 3 Sätze 1 und 3