08.05.2024 · IWW-Abrufnummer 241370
Finanzgericht Köln: Urteil vom 19.03.2024 – 8 K 530/22
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Köln
Tenor:
Der Bescheid über Einkommensteuer 2017 vom 07.05.2020 wird unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 15.02.2022 dahingehend geändert, dass hinsichtlich der Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit i.H.v. ... € eine Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 1 EStG (Fünftelregelung) berücksichtigt wird. Die Berechnung der festzusetzenden Einkommensteuer für das Jahr 2017 wird gem. § 100 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung dem Beklagten übertragen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand
2
Zwischen den Beteiligten ist die ertragsteuerliche Behandlung der Übertragung von Ansprüchen aus einer Rückdeckungsversicherung für den Verzicht auf die Absicherung der Berufsunfähigkeit im Jahr 2017 streitig.
3
Die Kläger sind Eheleute und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
4
Der Kläger (geboren am 00.00.1966) ist von Beruf ... und war bis zu seinem Ausscheiden zum 00.00.2017 (vgl. Notarvertrag vom 00.00.2017, Nr. ... der Urkundenrolle für 2017) Geschäftsführer der O-GmbH (GmbH) mit Sitz in P und an dieser zu 25 % beteiligt. Auf den Geschäftsführervertrag vom 00.00.1997 (vgl. Bl. 48 ff. der Gerichtsakte) wird Bezug genommen.
5
In einer Pensionszusage der GmbH für den Kläger vom 00.00.1999 ‒ auf die verwiesen wird (vgl. Bl. 41 ff. der Gerichtsakte) ‒ heißt es, dass in Ergänzung zum Anstellungsvertrag eine Pensionszusage erteilt wird, welche die Leistungen der Altersrente, der Berufsunfähigkeitsrente sowie der Witwenrente umfasst. Bei Eintritt einer Berufsunfähigkeit von mindestens 50 % erhalte der Kläger während der Dauer der Berufsunfähigkeit, längstens bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres eine Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von ... DM jährlich. Zur Wertsicherung der Rentenanwartschaften wird ausgeführt, dass sich alle anwartschaftlichen Renten vor Vollendung des 60. Lebensjahres um 2,0 % erhöhen werden. Die Erhöhung der Rentenanwartschaften könne jederzeit ohne Angaben von Gründen für die Zukunft widerrufen werden. Bei einem Ausscheiden aus dem Unternehmen vor Fälligkeit einer der zugesagten Versorgungsleistungen blieben die Ansprüche aus der Pensionszusage erhalten, sofern die Voraussetzungen nach Maßgabe des § 1 des Betriebsrentengesetzes (BetrAVG) erfüllt werden. Die Höhe des Anspruchs regele sich nach Maßgabe des § 2 BetrAVG.
6
Die Erhöhung/ Steigerung der Rentenanwartschaften wurde im Jahr 2015 widerrufen. Die Alters- und Witwenrente wurde aufgrund einer Zusageänderung vom 00.00.2016 zum 00.00.2016 aus der ursprünglichen Pensionszusage ausgelagert.
7
Im Zusammenhang mit der Pensionszusage bei der R wurde für den Kläger eine selbstständige Berufsunfähigkeitsversicherung ‒ Rückdeckungsversicherung bei der S AG abgeschlossen und an den Kläger mit Vereinbarung vom 00.00.1999 verpfändet (vgl. Bl. 46 f. der Gerichtsakte). Mit Vertrag vom 00.00.2017 übernahm der Kläger diese Versicherung privat und verzichtete gegenüber der GmbH mit sofortiger Wirkung auf jegliche Leistungen aus der ihm zugesagten Absicherung seiner Berufsunfähigkeit.
8
Nachdem die Kläger zunächst erklärungsgemäß mit Bescheid vom 31.01.2019 zur Einkommensteuer für das Jahr 2017 veranlagt wurden, erfuhr der Beklagte durch ein Schreiben des steuerlichen Beraters der GmbH vom 28.05.2019 ‒ auf das Bezug genommen wird (vgl. Bl. 4 f. der Einkommensteuerakte) ‒, dass der Kläger auf die im Rahmen einer ursprünglichen Pensionszusage zugesagten Absicherung der Berufsunfähigkeit verzichtet hatte. Diesem Schreiben beigefügt war das versicherungsmathematische Gutachten der T Gesellschaft für betriebliche Altersvorsorge mbH (TbAV) vom 00.00.2018 (vgl. Bl. 54 ff. der Gerichtsakte). Dieses wies ‒ noch ohne Berücksichtigung des Verzichts des Klägers ‒ für die Zusage des Berufsunfähigkeitsschutzes für den Kläger im Streitjahr einen Teilwert in Höhe von ... € und eine Anwartschaft des Klägers für den Fall einer Berufsunfähigkeit i.H.v. ... € monatlich aus. Neben dem Gutachten wurden folgende Unterlagen ‒ auf die verwiesen wird (vgl. Einkommensteuerakte) ‒ eingereicht:
9
- Verzichtserklärung vom 00.00.2017,
- Gutachten der TbAV vom 00.00.2018 nach Berücksichtigung desVerzichts,
- Gehaltsabrechnungen Dezember 2017 und April 2018,
- elektronische Lohnsteuerbescheinigung für das Jahr 2018.
10
Daraufhin teilte der Beklagte den Klägern mit Schreiben vom 17.11.2019 mit, dass er beabsichtige die Einkommensteuerveranlagung 2017 zu ändern und den Bruttoarbeitslohn des Klägers um ... € zu erhöhen.
11
Die Kläger trugen vor, dass kein Ansatz von Arbeitslohn i.H.v. ... € erfolgen dürfe. Es handele sich um eine isolierte Zusage für den Fall der Berufsunfähigkeit, also keine Pensionszusage und auch keine an eine Pensionszusage gekoppelte Zusage für den Fall der Berufsunfähigkeit. Eine Berufsunfähigkeitsversicherung beinhalte, anders als eine Pensionszusage, keinen sogenannten Past-Service, da mit dem Verzicht keinerlei Ansprüche mehr für die Vergangenheit oder Zukunft bestünden.
12
Der Beklagte führte mit Schreiben vom 17.11.2019 aus, dass der Rechtsauffassung der Kläger nicht gefolgt werden könne. Der Vorgang der Übertragung sämtlicher Zahlungsansprüche aus der Rückdeckungsversicherung und dem Verzicht auf die vollständigen Ansprüche aus der Berufsunfähigkeitsversicherung sei ertragsteuerlich entsprechend eines Verzichts auf eine Pensionszusage zu behandeln. Für die abschließende Prüfung forderte er bei den Klägern folgende Unterlagen an:
13
- ursprünglicher Vertrag über die Rückdeckungsversicherung,
- ursprüngliche Zusage für die Invaliditätsversorgung,
- Nachweis über das Deckungskapital zzgl. Überschussbeteiligungen zum Zeitpunkt der Übertragung der Ansprüche aus der Rückdeckungsversicherung,
- Berechnung des werthaltigen Teils der Zusage (m/n- tel Anwartschaftsbarwert),
- Berechnung des Teilwerts gemäß § 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG) für den werthaltigen Teil der Invalidenrente.
14
Die Kläger äußerten sich auch auf Erinnerung des Beklagten hin nicht. Daraufhin erließ der Beklagte am 07.05.2020 den geänderten Bescheid zur Einkommensteuer 2017 der mit Erläuterungen betreffend folgender Änderungen erging:
15
- Erhöhung der Einnahmen aus nichtselbstständiger Arbeit um ... €,
- Erhöhung des Verlustes nach § 17 EStG im Teileinkünfteverfahren um ...€ (60 % von ... €),
- Ansatz der verdeckten Gewinnausschüttung gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG mit einem mangels Vorlage von Unterlagen zur Höhe der Rückdeckungsversicherung geschätzten Wert in Höhe von ... €.
16
Dagegen legten die Kläger form- und fristgerecht Einspruch ein. Zur Begründung trugen sie zusammengefasst vor, dass ein Verzicht auf eine Berufsunfähigkeitsversicherung anders als bei einer Pensionszusage nicht zu einem Lohnzufluss führe. Für das Vorliegen von Arbeitslohn müsse ein Zufluss beim Arbeitnehmer vorliegen. Dieser Zufluss liege bei einer Pensionszusage darin, dass auf etwas verzichtet werde, was schon erdient worden sei. Genau dies sei bei einer Berufsunfähigkeitszusage nicht gegeben, da keine Ansprüche aus der Vergangenheit bestünden. Dies sei mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung vergleichbar, bei der nach erfolgter Kündigung keine Ansprüche mehr existierten. Folglich könne auch kein Anspruch auf ihn ‒ den Kläger ‒ übergegangen sein, der zu Einnahmen aus nichtselbstständiger Arbeit führe.
17
Erneut forderte der Beklagte die Kläger zur Vorlage der im Schreiben vom 17.11.2019 angeforderten Unterlagen auf. Dem kamen die Kläger trotz mehrfacher Erinnerung nicht nach.
18
Der Beklagte wies den Einspruch durch Einspruchsentscheidung vom 15.02.2022 zurück. Zur Begründung führte er aus, bei einer Berufsunfähigkeitsversicherung handele es sich um eine Form der betrieblichen Altersversorgung, in Gestalt der Invaliditätsversorgung i.S.d. Betriebsrentengesetzes. Sie werde, wie auch eine Pensionszusage, durch ein biometrisches Ereignis (im konkreten Fall: Invalidität) ausgelöst. Dementsprechend unterliege die Zusage der Ansatz- und Bewertungsvorschrift des § 6a EStG. Bei der Übertragung der Rückdeckungsversicherung und dem Verzicht auf Ansprüche aus der Berufsunfähigkeitsversicherung handele es sich um zwei Rechtsgeschäfte, die isoliert voneinander zu beurteilen seien (sog. geschäftsvorfalIbezogene Betrachtungsweise, vgl. hierzu Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 14.03.2006 ‒ l R 38/05; BFH-Urteil vom 11.09.2013 ‒ R 28/13; BFH-Urteil vom 23.10.2013 ‒ I R 89/12). Der Past-Service ergebe sich im vorliegenden Fall aus § 2 i.V.m. § 1b BetrAVG (Höhe der unverfallbaren Anwartschaft). Auf diesen Anspruch, der in dem Gutachten der TbAV vom 00.00.2018 mit ... € ausgewiesen werde, habe der Kläger gegenüber der GmbH verzichtet (vgl. hierzu insbesondere § 2 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG).
19
Abfindung
20
Dem Kläger sei der vollständige Anspruch aus der Berufsunfähigkeitsversicherung mit Abschluss des Vertrages vom 00.00.2017 übertragen worden. Werde der Anspruch auf Leistungen aus einer Rückdeckungsversicherung auf den Arbeitnehmer übertragen, wandele sich die Rückdeckungsversicherung zu diesem Zeitpunkt in eine Direktversicherung um (vgl. Steuerrecht der betrieblichen Altersversorgung, Ahrend/Förster/Rößler, 2. Teil, Rz. 1421). Die Höhe des geldwerten Vorteils bemesse sich nach dem geschäftsplanmäßigen Deckungskapital zuzüglich einer bis zu diesem Zeitpunkt zugeteilten Überschussbeteiligung i.S.d. § 153 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG).
21
Da der Kläger als Minderheits-Gesellschafter-Geschäftsführer dem Regelungsinhalt des BetrAVG unterliege, finde auch das Abfindungsverbot gemäß § 3 BetrAVG Anwendung. Daher liege eine gesellschaftsrechtliche Veranlassung i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 2 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) vor. Somit handele es sich zudem um beim Kläger zu erfassende Einkünfte aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG. Die verdeckte Gewinnausschüttung sei in Höhe der verhinderten Vermögensmehrung (hier: Deckungskapital zzgl. Überschussbeteiligung) zu realisieren. Die Einkünfte unterlägen dem gesonderten Steuertarif gemäß § 32d Abs. 1 EStG. Die Anwendung des Teileinkünfteverfahrens scheide aus, da bei Abgabe der Einkommensteuererklärung 2017 kein entsprechender Antrag nach § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 EStG gestellt worden sei (vgl. BFH, Urteil v. 14.05.2019 ‒ VII R 20/16).
22
Verzicht
23
Der Kläger habe auf seine vollständigen Ansprüche aus der geschlossenen Vereinbarung verzichtet. Der Verzicht auf die Ansprüche erfolge aus gesellschafsrechtlichen Gründen, da der Gesellschafter zeitgleich aus der Gesellschaft ausgeschieden sei. Somit handele es sich bei dem Verzicht der Ansprüche aus der Zusage gegenüber der GmbH auf Ebene der Gesellschaft um eine verdeckte Einlage in Höhe des werthaltigen Teils (Past-Service) und auf Ebene des Gesellschafters um Einkünfte im Sinne des § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG.
24
Die Einlage sei gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 EStG und nicht nach § 6a EStG zu bewerten. Für die Teilwertbestimmung nach § 6 EStG seien die Wiederbeschaffungskosten maßgebend. Ein werthaltiger Verzicht könne dabei nur in Höhe der bereits erdienten Anwartschaften (sog. Past-Service) angenommen werden. Für den nicht beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer sei dies der Anteil, der seit Eintritt in die Firma bis zum Verzichtszeitpunkt von ihm erdient worden sei (sog. „m/n- tel Anwartschaft“). Der Verzicht auf den Future-Service (noch zu erdienender Anteil bis zum Rentenbezugsalter) sei unschädlich und führe zu keinen gesellschaftsrechtlichen Konsequenzen (vgl. BMF v. 14.08.2012 ‒ IV C 2, Rz. 1). Die verdeckte Einlage führe zusätzlich zu nachträglichen Anschaffungskosten des GmbH-Anteils des Gesellschafters.
25
Dagegen wenden sich die Kläger mit ihrer Klage. Zu deren Begründung tragen sie vor, dass der Beklagte den Verzicht auf die Absicherung der Berufsunfähigkeit fehlerhaft analog zu den Vorschriften einer Pensionszusage behandelt habe. Maßgebend für die steuerlichen Folgen eines Verzichts auf eine Zusage sei, ob der Gesellschafter schon einen bestehenden Anspruch gegen die Gesellschaft habe, auf den er dann verzichte oder ob er nur auf eventuelle zukünftige Ansprüche verzichte, die noch gar nicht entstanden seien.
26
Bei dem Verzicht auf eine Pensionszusage werde zwischen dem Verzicht auf den sogenannten Past-Service und dem Future-Service unterschieden. Letzterer sei steuerlich irrelevant. Beim Verzicht auf den Past-Service träten hingegen steuerliche Folgen, wie ein fingierter Lohnzufluss und eine verdeckte Einlage ein. Diese steuerlichen Folgen basierten auf der Tatsache, dass der Gesellschafter einen Teil der Pensionsanwartschaft schon erdient habe, also ein konkreter Anspruch schon bestehe, auf den er dann verzichte. Genau hier liege der Unterschied zum Verzicht auf einen Future-Service, da bei diesem noch kein erdienter Anspruch bestehe.
27
In den Fällen, in denen als Abfindung für den Past-Service die Rückdeckungsversicherung an den Gesellschafter übertragen werde, liege auch die Übertragung eines tatsächlichen Wertes an den Gesellschafter vor, da die Versicherung zur Zahlung einer späteren Rente verpflichtet sei.
28
Eine Zusage zur Absicherung der Berufsunfähigkeit unterscheide sich jedoch maßgeblich von einer Pensionszusage. Hier werde nicht wie bei einer Pensionszusage sukzessiv für eine zukünftige Rente angespart, die dann unverfallbar werde, sondern nur ein eventuelles zukünftiges Ereignis versichert. Wenn bis zum Tag des Verzichtes kein versichertes Ereignis eintrete, bestünde auch kein Anspruch, der einem Past-Service vergleichbar sei. Ab der Kündigung bestünden ‒ wie auch bei einer Berufsunfähigkeitsversicherung ‒ keine Ansprüche mehr.
29
Er ‒ der Kläger ‒ habe daher mit seinem Verzicht auf die Absicherung der Berufsunfähigkeit auf keinen schon entstandenen und unverfallbaren Anspruch gegenüber der GmbH, sondern lediglich auf einen weiteren Schutz gegen eine zukünftige Berufsunfähigkeit verzichtet. Ein bestehender Anspruch aus dieser Zusage auf Absicherung der Berufsunfähigkeit habe nicht bestanden. Ebenso verhalte es sich mit der Weiterführung der separaten Berufsunfähigkeitsversicherung (Rückdeckung), die auch nicht mit der Rückdeckungsversicherung der Pensionszusage verknüpft sei. Auch hier habe er keine Ansprüche aufgrund in der Vergangenheit gezahlter Beiträge. Er habe ab der privaten Weiterführung der Versicherung nur einen Versicherungsschutz für die ab diesem Zeitpunkt eventuell eintretenden versicherten Ereignisse. Für die Vergangenheit bestünden keine Ansprüche.
30
Die Tatsache, dass der Arbeitgeber eine Rückstellung gebildet habe, spiele keine Rolle, da diese nur für einen eventuellen Aufwand des Arbeitgebers gebildet werde. Die Bildung von Rückstellungen, egal ob zutreffend oder unzutreffend, betreffe ohnehin nur die steuerlichen Verhältnisse der GmbH und nicht die Frage, ob und inwieweit sich steuerliche Konsequenzen beim Gesellschafter ergäben.
31
Der Beklagte übertrage die Grundsätze zur Pensionszusage auf den Verzicht bei einer Absicherung der Berufsunfähigkeit, ohne die grundlegenden Unterschiede der beiden Versorgungen zu berücksichtigen. Aus einer in der Vergangenheit erdienten Pension ergebe sich ein konkreter Geldanspruch, auf den verzichtet werde. Bei einer Absicherung ohne das Vorliegen einer Berufsunfähigkeit gebe es hingegen keinerlei „erdienten" Anspruch auf den verzichtet werden könne. Es könne daher kein Zufluss von Lohn oder eine verdeckte Gewinnausschüttung vorliegen oder fingiert werden.
32
Mit Verfügung vom 02.10.2023 ‒ auf die verwiesen wird (vgl. Bl. 34 f. der Gerichtsakte) ‒ forderte das Gericht die Kläger gemäß § 79b Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Vorlage folgender Unterlagen auf:
33
- ursprünglicher Vertrag über die Rückdeckungsversicherung inkl. etwaiger Vertragsänderungen,
- ursprüngliche Zusage für die Invaliditätsversorgung inkl. etwaiger Vertragsänderungen,
- ursprünglicher Anstellungsvertrag als GmbH-Geschäftsführer,
- Nachweis über das Deckungskapital zzgl. Überschussbeteiligungen zum Zeitpunkt der Übertragung der Ansprüche aus der Rückdeckungsversicherung,
- Berechnung des werthaltigen Teils der Zusage (m/n- tel Anwartschaftsbarwert),
- Berechnung des Teilwerts gemäß § 6 EStG für den werthaltigen Teil der Invalidenrente.
34
Daraufhin haben die Kläger ihre bisherigen Ausführungen wiederholt und die Vereinbarung über die Pensionszusage vom 00.00.1999 (vgl. Bl. 41 ff. der Gerichtsakte), die Verpfändungsvereinbarung vom 00.00.1999 nebst Anzeige der Verpfändung (vgl. Bl. 46 f. der Gerichtsakte), den Geschäftsführervertrag vom 00.00.1997 (vgl. Bl. 48 ff. der Gerichtsakte) sowie die versicherungsmathematischen Gutachten der TbAV vom 00.00.2018 und 00.00.2018 (vgl. Bl. 53 ff. der Gerichtsakte) übersandt. Weitere Unterlagen haben die Kläger nicht eingereicht. Der Kläger hat ausgeführt, dass ihm der ursprüngliche Vertrag der Rückdeckungsversicherung nicht vorliege.
35
Die Kläger beantragen,
36
den Bescheid über Einkommensteuer 2017 vom 07.05.2020 sowie die Einspruchsentscheidung vom 15.02.2022 aufzuheben.
37
Der Beklagte beantragt,
38
die Klage mit der Maßgabe abzuweisen, dass hinsichtlich der Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit i.H.v. ... € eine Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 1 EStG (Fünftelregelung) berücksichtigt wird.
39
Zur Begründung nimmt er vollinhaltlich Bezug auf seine Ausführungen im außergerichtlichen Verfahren. Ergänzend trägt er vor, der Auffassung der Klägerseite, der Verzicht auf die Absicherung der Berufsunfähigkeit führe zu einem vollständigen Wegfall der Ansprüche, könne nicht gefolgt werden. Es gebe einen zu bewertenden und damit auch der Besteuerung zu unterwerfenden Teilwert, wie aus dem Gutachten vom 00.00.2018 hervorgehe. Auf Seite 1 des Gutachtens werde dazu unter der Versorgungszusage Z1 (...) ausgeführt, dass sich alle Rentenanwartschaften vor Vollendung des 60. Lebensjahres jedes Jahr um 2 % erhöhen würden. Der Teilwert bestehe aus dem durch die jährliche Dynamisierung während der bisherigen Laufzeit erworbenen Wertzuwachs. Sollte während der privaten Weiterführung der Versicherung der Versorgungsfall eintreten, manifestiere sich dieser, in der Vergangenheit erworbene, Wertzuwachs in einem erhöhten Rentenanspruch im Verhältnis zu einem zum Zeitpunkt des Ausscheidens neu abgeschlossenen Vertrag.
40
Entscheidungsgründe
41
I. Die Klage ist überwiegend unbegründet.
42
1. Soweit der Beklagte einen Verzicht des Klägers auf die Ansprüche im Falle einer Berufsunfähigkeit als Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit berücksichtigt, ist der Bescheid dem Grunde und bezüglich der Höhe des angesetzten Arbeitslohns rechtmäßig (siehe unter I. 3.). Der Arbeitslohn unterliegt bei einer ‒ im Streitfall gegebenen ‒ mehrjährig erwirtschafteten Anwartschaft jedoch der Tarifbegünstigung nach § 34 Abs. 2 Nr. 4, Abs. 1 EStG (vgl. BFH-Urteil vom 23.08.2017 ‒ VI R 4/16, BFHE 259, 304, BStBl. II 2018, 208). Insoweit ist der Bescheid rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten. Da der Beklagte ‒ wie am eingeschränkten Abweisungsantrag erkennbar ‒ dies nicht bestreitet, sieht das Gericht insoweit von weiteren Ausführungen ab.
43
2. Im Streitjahr folgt aus der Übertragung der Rückdeckungsversicherung auf den Kläger eine verdeckte Gewinnausschüttung, die beim Kläger zu Einkünften aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG i.H.v. ... € führt.
44
a) Zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehören u.a. Gewinnanteile (Dividenden), Ausbeuten und sonstige Bezüge aus Aktien, Genussrechten, mit denen das Recht am Gewinn und Liquidationserlös einer Kapitalgesellschaft verbunden ist, aus Anteilen an Gesellschaften mit beschränkter Haftung, an Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften sowie an bergbautreibenden Vereinigungen, die die Rechte einer juristischen Person haben. Zu den sonstigen Bezügen gehören auch verdeckte Gewinnausschüttungen (vGA).
45
Eine vGA liegt nach einkommensteuerlicher Betrachtung vor, wenn ein Vermögensvorteil (mit der Qualität einer Einnahme i.S.d. § 8 Abs. 1 Satz 1 EStG, d.h. in Geld oder Geldeswert) dem Gesellschafter oder einer nahestehenden Person gewährt wird und dies durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist. Eine solche Veranlassung wird angenommen, wenn ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter unter sonst gleichen Umständen einem Nichtgesellschafter den Vorteil nicht zugewendet hätte. Einkommensteuerlich verlangt eine vGA zudem einen Zufluss (i.S.d. § 11 Abs. 1 EStG) beim Gesellschafter (vgl. zur vGA im Ganzen Levedag in: Schmidt, EStG, § 20 Rn. 37 ff. m.w.N.). Die Kapitalabfindung kann auch dann die Voraussetzungen einer vGA erfüllen, wenn zeitgleich die für die Pensionszusage gebildete Pensionsrückstellung aufgelöst wird. Es gilt insofern eine geschäftsvorfallbezogene, nicht aber eine handelsbilanzielle Betrachtungsweise (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 14.03.2006 ‒ I R 38/05, BFH/NV 2006, 1515, und vom 23.10.2013 ‒ I R 89/12, BFHE 244, 262, BStBl. II 2014, 729, m.w.N.).
46
Die Abfindung einer unverfallbaren Zusage in der Anwartschaftsphase durch die Kapitalgesellschaft im Zusammenhang mit der Veräußerung der Geschäftsanteile und der Beendigung des Dienstverhältnisses ist bei einem nicht beherrschenden Gesellschafter dann nicht gesellschaftlich veranlasst (und damit keine vGA), wenn sie auf Verlangen des Erwerbers erfolgt und kein Abfindungsverbot nach § 3 BetrAVG in der für das Streitjahr gültigen Fassung bestand (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2006, 1515).
47
b) Nach diesen Maßstäben liegt im Streitfall ein Vermögensvorteil beim Kläger als Gesellschafter (und Vermögensnachteil bei der Gesellschaft) in Form des vollständig übertragenen Anspruchs aus der Berufsunfähigkeitsversicherung vor. Im Streitfall ist eine gesellschaftsrechtliche Veranlassung gegeben, weil die Vorteilsgewährung einem Drittvergleich nicht standhält. Ein ordentlicher und gewissenhafter Fremdgeschäftsführer hätte der vorliegend erfolgten Übertragung des Anspruchs aus der Berufsunfähigkeitsversicherung nicht zugestimmt. Denn insoweit wurde gegen das in § 3 BetrAVG normierte Abfindungsverbot verstoßen.
48
aa) Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG gelten die Vorschriften dieses Gesetzes sofern einem Arbeitnehmer Leistungen der Alters-, Invaliditäts- oder Hinterbliebenenversorgung aus Anlass seines Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber zugesagt werden (betriebliche Altersversorgung).
49
Nach § 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG gelten die §§ 1 bis 16 BetrAVG entsprechend für Personen, die nicht Arbeitnehmer sind, wenn ihnen Versorgungsleistungen aus Anlass ihrer Tätigkeit für ein Unternehmen zugesagt worden sind. Diese ihrem Wortlaut nach auch für Gesellschafter-Geschäftsführer geltende Bestimmung ist jedoch nach dem Grundcharakter des Betriebsrentengesetzes als eines hauptsächlich dem Schutz von Arbeitnehmern dienenden Gesetzes einschränkend auszulegen. So gehören nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs weder der Alleingesellschafter noch der Mehrheitsgesellschafter zu dem gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG geschützten Personenkreis (BGH-Urteil vom 28.04.1980 ‒ II ZR 254/78, BGHZ 77, 94). Denn aufgrund ihrer Leitungsmacht sind sie als Unternehmer und nicht als Arbeitnehmer zu behandeln. Minderheitsgesellschafter, also Gesellschafter, die weniger als 50 v.H. der Anteile der Gesellschaft halten, fallen zwar grundsätzlich in den Regelungsbereich dieses Gesetzes (BGH-Urteil in BGHZ 77, 94; BFH-Urteil vom 28.04.2010 ‒ I R 78/08, BFHE 229, 234, BStBl. II 2013, 41, m.w.N.). Dies gilt jedoch dann nicht, wenn sie zur Führung der Geschäfte der Gesellschaft berufen sind, zusammen mit weiteren zur Geschäftsführung berufenen Gesellschaftern die Mehrheit am Unternehmen besitzen, ihre Kapitalbeteiligung nicht ganz unbedeutend ist und sie einem Einigungszwang unterliegen. Diese Ausnahme greift jedoch wiederum dann nicht ein, sofern ein Minderheitsgesellschafter zusammen mit einem Mehrheitsgesellschafter die Geschäfte einer GmbH führt. Dann genießt der Minderheitsgesellschafter hinsichtlich seiner Versorgung den Schutz des BetrAVG (vgl. BGH-Urteil vom 25.09.1989 ‒ II ZR 259/88, BGHZ 108, 330).
50
Einem Arbeitnehmer, dem Leistungen aus der betrieblichen Altersversorgung ‒ wie der Invaliditätsversorgung ‒ zugesagt worden sind, bleibt die Anwartschaft gemäß § 1b Abs. 1 Satz 1 BetrAVG erhalten, wenn das Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Versorgungsfalls, jedoch nach Vollendung des 25. Lebensjahres endet und die Versorgungszusage zu diesem Zeitpunkt mindestens fünf Jahre bestanden hat (unverfallbare Anwartschaft).
51
Gemäß § 3 Abs. 1 BetrAVG dürfen unverfallbare Anwartschaften im Falle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und laufende Leistungen im Regelfall nicht abgefunden werden. Die Vorschrift betrifft die einmalige Abfindung für eine gesetzlich unverfallbare Anwartschaft. Hierunter fällt nicht nur die vollständige Abfindung aller Versorgungsrechte, sondern auch eine Teilabfindung (BAG-Urteil vom 17.10.2000 ‒ 3 AZR 7/00, BAGE 96, 54), insbesondere die Abtretung der Ansprüche einer vom Arbeitgeber zur Finanzierung einer von ihm zugesagten unmittelbaren Versorgung abgeschlossenen Rückdeckungsversicherung (Diller/Risse, DB 2016, 890 (891 f.); Blomeyer/Rolfs/Otto, Betriebsrentengesetz, 8. Auflage 2022, § 3 BetrAVG, Rn. 7).
52
bb) Nach diesen Maßstäben sind die Vorschriften des BetrAVG, mithin auch die Vorschrift über das Abfindungsverbot i.S.d. § 3 BetrAVG, auf den Kläger anwendbar. Die gesellschaftliche Veranlassung der Vorteilsgewährung rührt aus der Verletzung des gesetzlichen Abfindungsverbots.
53
Bei der streitgegenständlichen Berufsunfähigkeitsversicherung handelt es sich um eine Invaliditätsversorgung aus Anlass eines Arbeitsverhältnisses gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG.
54
Auf den Kläger ist die Vorschrift des § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG als ehemaligen Gesellschafter-Geschäftsführer der GmbH entsprechend anzuwenden. Eine Ausnahme von dem Schutz des § 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG für den Kläger greift vorliegend nicht, da er die Geschäfte der GmbH als Minderheitsgesellschafter zusammen mit Herrn U als Mehrheitsgesellschafter führte (vgl. BGH-Urteil in BGHZ 108, 330).
55
Im Streitfall handelt sich um eine Anwartschaft für eine Berufsunfähigkeit, die gemäß § 1b Abs. 1 Satz 1 BetrAVG unverfallbar ist und daher dem Abfindungsverbot gemäß § 3 Abs. 1 BetrAVG unterfällt. Dennoch erhielt der Kläger die Ansprüche aufgrund einer von der GmbH zugesagten unmittelbaren Versorgung abgeschlossenen Rückdeckungsversicherung mittels Abtretung. Ausnahmen vom Abtretungsverbot nach § 3 Abs. 2 BetrAVG bestanden nicht.
56
In der Nichteinhaltung der gesetzlichen Bestimmungen des § 3 BetrAVG liegt ein Anhaltspunkt, der ‒ wie auch im vorliegenden Fall ‒ die regelmäßige Vermutung einer gesellschaftlichen Veranlassung rechtfertigt. Diese Vermutung wurde im Streitfall nicht widerlegt. Insbesondere kommt es nicht darauf an, ob sich auf das Abfindungsverbot berufen wurde. Wenn sich nicht auf das Abfindungsverbot berufen wurde, indiziert dies vielmehr, dass das Verhalten der Beteiligten nicht fremdüblich, sondern gesellschaftlich motiviert war. Erst Recht bei Annahme einer noch verfallbaren Anwartschaft wäre indes eine gesellschaftliche Veranlassung gegeben, denn auf die Abfindung einer verfallbaren Anwartschaft würde sich ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter nicht einlassen (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2006, 1515).
57
cc) Es mangelt schließlich nicht an dem für das Vorliegen einer vGA notwendigen Zufluss beim Gesellschafter. Dieser liegt in der Übertragung von Ansprüchen aus der Rückdeckungsversicherung und einem damit einhergehenden Vermögenszugang beim Kläger.
58
Ein vermögensrelevanter Vorteil besteht in Gestalt der durch die in den Beitragsjahren geleisteten Beiträge erhaltenen Anwartschaft, deren Fortführung dem Kläger nunmehr durch Übertragung der Rückdeckungsversicherung eingeräumt wurde. Sollte während der privaten Weiterführung der Versicherung der Versorgungsfall eintreten, manifestiert sich der in der Vergangenheit erworbene Wertzuwachs in einem erhöhten Rentenanspruch im Verhältnis zu einem zum Zeitpunkt des Ausscheidens neu abgeschlossenen Vertrag. Der Umstand, dass der Kläger tatsächlich nicht berufsunfähig geworden ist, ändert nichts an dem Umstand, dass die Absicherung gleichwohl für ihn von wirtschaftlichem Wert ist.
59
Im Übrigen haben die Kläger trotz gerichtlicher Aufforderung keine Unterlagen betreffend die Rückdeckungsversicherung vorgelegt. Hierzu wären sie im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht verpflichtet gewesen. Dem steht nicht entgegen, dass der Beklagte die Feststellungslast für die Tatsachen trägt, die auf einen vermögensrelevanten Vorteil schließen lassen können. Denn eine Entscheidung nach den Regeln der Feststellungslast stellt nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung lediglich eine „ultima ratio“ dar, wenn alle gebotenen Bemühungen, den Sachverhalt zu ermitteln und festzustellen, erfolglos geblieben sind (vgl. BFH-Urteile vom 16.11.2022 ‒ X R 17/20, BFHE 279, 44, BStBl. II 2023, 484, vom 02.07.2019 ‒ IX R 13/18, BFHE 265, 333, BStBl. II 2020, 89). Sollte der Sachverhalt nicht aufklärbar sein, weil ein Beteiligter seine Mitwirkungspflichten verletzt, insbesondere trotz ‒ wie vorliegend erfolgter ‒ Aufforderung durch das Finanzgericht keine vollständige Auskunft zu entscheidungserheblichen Tatsachen aus seiner Sphäre erteilt, ist vor einer Entscheidung nach den Regeln der Feststellungslast eine Reduzierung des Beweismaßes zu Lasten des nicht mitwirkenden Beteiligten vorzunehmen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 279, 44, BStBl. II 2023, 484, m.w.N.).
60
Durch die Nichtvorlage der Unterlagen über die Rückdeckungsversicherung haben die Kläger ihre Mitwirkungspflicht gemäß § 79 Abs. 1 Satz 3 FGO verletzt. Dem klägerischen Vortrag, dass die Unterlagen nicht eingereicht werden könnten, da es sich um einen Vertrag zwischen der GmbH und der Versicherung handele, folgt das Gericht nicht. Mit Übertragung der Rückdeckungsversicherung auf den Kläger ist er vertraglich in das Versicherungsverhältnis eingetreten und damit als Vertragspartei in jedem Fall zur Vorlage bzw. Beschaffung der Unterlagen in der Lage und aufgrund der Beweisnähe verpflichtet. Vor Vertragsübernahme folgt diese Möglichkeit und Obliegenheit zur Vorlage der Unterlagen aus seiner Stellung als Gesellschafter-Geschäftsführer der GmbH. Aufgrund der Mitwirkungspflichtverletzung der Kläger ist nicht geklärt, ob eine Kongruenz zwischen der Zusage zur Absicherung der Berufsunfähigkeit sowie der damit nicht verknüpften Rückdeckungsversicherung bestand oder sogar überobligatorisch beispielsweise eine unzweifelhaft werthaltige Versicherung mit Beitragsrückgewähr vereinbart worden ist, wobei Letzteres durchaus denkbar ist.
61
c) Die Bewertung des zugeflossenen Vermögensvorteils mit ... € ist rechtsfehlerfrei. Der Beklagte war gemäß § 162 der Abgabenordnung (AO) zur Schätzung befugt.
62
Nach § 162 Abs. 1 Satz 1 AO sind die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, soweit sie nicht ermittelt oder berechnet werden können. Nach § 162 Abs. 2 Satz 1 AO ist insbesondere dann zu schätzen, wenn Steuerpflichtige über ihre Angaben keine ausreichenden Aufklärungen zu geben vermögen oder weitere Auskunft oder eine Versicherung an Eides statt verweigern oder ihre Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 AO verletzen.
63
Unterlagen, die eine konkrete Bestimmung des Vermögensvorteils ermöglicht hätten, reichten die Kläger trotz Aufforderungen des Beklagten und des Gerichts nicht ein. Die Bemessung des zugeflossenen Vermögensvorteils in Höhe von ... € ist in Orientierung an dem Teilwert der von der GmbH zugesagten Absicherung zur Berufsunfähigkeit und vor dem Hintergrund fehlender weiterer Erkenntnisse nicht zu beanstanden.
64
d) Die Einkünfte unterliegen dem gesonderten Steuertarif gemäß § 32d Abs. 1 EStG. Die Anwendung des Teileinkünfteverfahrens scheidet aus, da bei der Abgabe der Einkommensteuererklärung 2017 kein entsprechender Antrag nach § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 EStG gestellt wurde (vgl. BFH-Urteil vom 14.05.2019 ‒ VIII R20/16, BFHE 264, 459, BStBl. II 2019, 586).
65
3. Der Beklagte hat dem Grunde und der Höhe nach zu Recht einen durch eine verdeckte Einlage zugeflossenen Arbeitslohn als Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit (§ 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) besteuert.
66
a) Arbeitslohn sind nach § 2 Abs. 1 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung (LStDV) alle Einnahmen, die dem Arbeitnehmer aus dem Dienstverhältnis zufließen. Es ist unerheblich, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form die Einnahmen gewährt werden. Zu einem Arbeitslohn und einem nach § 11 Abs. 1 EStG angenommenen Zufluss kann es auch bei einem Forderungsverzicht durch einen Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft kommen, soweit mit ihm eine verdeckte Einlage erbracht wird (vgl. z.B. BFH, Urteil in BFHE 259, 304, BStBl. II 2018, 208). Eine solche verdeckte Einlage wird bejaht, wenn ein Gesellschafter-Geschäftsführer gegenüber seiner Kapitalgesellschaft auf eine bereits erdiente und werthaltige Anwartschaft verzichtet und ein fremder Geschäftsführer unter sonst gleichen Umständen die Zusage nicht aufgegeben hätte. Der Verzicht auf die Anwartschaft führt zu einem Lohnzufluss in Höhe des Teilwerts (BFH in BFHE 259, 304, BStBl. II 2018, 208; BFH, Urteil v. 15.10.1997 ‒ I R 23/93, BFH/NV 1998, 826; s.a. BMF-Schreiben v. 14.08.2012 ‒ IV C 2 ‒ S 2743/10/10001 :001, BStBl. I 2012, 874).
67
b) Der Kläger hat im Jahr 2017 auf Ansprüche aus der zugesagten Absicherung der Berufsunfähigkeit verzichtet. Insoweit handelt es sich um den Verzicht einer erdienten und werthaltigen Anwartschaft aus gesellschaftsrechtlicher Veranlassung.
68
aa) Ein Anwartschaftsrecht auf eine Altersversorgung ist der vertraglich vereinbarte, aufschiebend bedingte Anspruch auf Zahlung einmaliger oder laufender Leistungen zur Altersversorgung. Ein solches Anwartschaftsrecht liegt auch dann vor, wenn der Arbeitgeber eine nicht nach seinem freien Belieben entziehbare Pensionszusage für den Fall der Berufsunfähigkeit vor Erreichen einer bestimmten Altersgrenze erteilt. In einem solchen Fall ist das Vollrecht unbeschadet einer späteren Vertragsauflösung erreichbar; es ist wirtschaftlich nicht wertlos.
69
bb) Die dem Kläger zugesagte Absicherung für den Fall der Berufsunfähigkeit hat bis zum 00.00.2017 uneingeschränkt bestanden. Diesen Anspruch hat der Kläger in Gestalt einer Anwartschaft „erworben“. Die GmbH hatte nach der Pensionszusage vom 00.00.1999 keine Möglichkeit, diesen Pensionsanspruch nach freiem Belieben zu entziehen. Das Anwartschaftsrecht wäre im Fall der Berufsunfähigkeit uneingeschränkt zum Vollrecht erstarkt. Der Umstand, dass der Kläger in dieser Zeit tatsächlich nicht berufsunfähig geworden ist, ändert nichts an dem Umstand, dass die Absicherung gleichwohl für ihn von wirtschaftlichem Wert war. Denn der Kläger hatte gemäß der Pensionsvereinbarung für den Fall der Berufsunfähigkeit vor Erreichen des 65. Lebensjahres einen Pensionsanspruch von jährlich ... DM. Dieser Anspruch erhöhte sich bis zum Jahr 2015 jedes Jahr um 2 %. Laut Gutachten der TbAV vom 00.00.2018 belief sich die Anwartschaft für die Absicherung der Berufsunfähigkeit des Klägers im Jahr 2017 auf monatlich ... €. Darüber hinaus folgt eine Werthaltigkeit jedenfalls aus dem Wert der an den Kläger verpfändeten Rückdeckungsversicherung.
70
cc) Der vom Kläger erklärte Verzicht war gesellschaftsrechtlich veranlasst. Anhaltspunkte dafür, dass auch ein Fremd-Geschäftsführer ausnahmsweise in dieser Situation auf die Zusage verzichtet und das Sicherungsmittel freigegeben hätte, sind weder dargetan noch sonst ersichtlich. Im Gegenteil ist die gesellschaftsrechtliche Motivation dadurch evident, dass der Kläger als Gesellschafter die GmbH vor seinem Ausscheiden zum 00.00.2017 entschulden wollte.
71
dd) Der Verzicht bewirkt dadurch einen Lohnzufluss in Höhe des Teilwerts der Zusage im Verzichtszeitpunkt. Bei der Berechnung dieses Teilwerts sind die anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik anzuwenden. Die Richttafeln von Heubeck, die in der Praxis üblicherweise als Rechnungsgrundlage der Teilwertermittlung zugrunde gelegt werden, entsprechen diesen anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik (vgl. FG München-Urteil vom 13.03.2017 ‒ 7 K 1620/14, EFG 2017, 899). Fehlerfrei hat der Beklagte den Teilwert der der Versorgungsanwartschaft entsprechend des versicherungsmathematischen Gutachtens vom 00.00.2018 in Höhe von ... € bewertet.
72
4. Zutreffend ist der Beklagte davon ausgegangen, dass in Höhe der zuvor feststellten verdeckten Einlage in Höhe von ... € nachträgliche Anschaffungskosten auf den GmbH-Anteil des Klägers vorliegen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 28.04.2004 ‒ I R 20/03, BFH/NV 2005/19, m.w.N.; nun ausdrücklich gesetzlich niedergelegt in § 17 Abs. 2a Satz 3 Nr. 1 EStG, vgl. BT-Drs. 19/13436, 111). Dementsprechend hat der Beklagte zutreffend den Verlust nach § 17 Abs. 2 EStG unter Anwendung des Teileinkünfteverfahrens gemäß § 3 Nr. 40 lit. c) i.V.m. § 3c Abs. 2 EStG um ... € (60% von ... €) erhöht.
73
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO. Den Klägern sind die Kosten ganz aufzuerlegen, da sich die Tarifermäßigung nur geringfügig prozentual und im absoluten Steuerbetrag zugunsten der Kläger auswirkt und der Beklagte daher nur zu einem geringen Teil (< 5 %) unterlegen ist.
74
III. Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.