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  • 22.05.2024 · IWW-Abrufnummer 241620

    Finanzgericht Münster: Gerichtsbescheid vom 01.03.2024 – 11 K 820/19 E

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Finanzgericht Münster


    Tenor:

    Der Bescheid über die Festsetzung der Einkommensteuer für 2017 vom 27.07.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28.02.2019 wird dahingehend geändert, dass weitere Sonderausgaben i.H.v. 4.567 € berücksichtigt werden und die Einkommensteuer entsprechend niedriger festgesetzt wird.

    Im Übrigen wird die Klage wird abgewiesen.

    Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens zu 16%, der Beklagte zu 84%.

    Der Gerichtsbescheid ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, soweit nicht die Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

    Die Revision wird zugelassen.

    1
    Tatbestand

    2
    Zwischen den Beteiligten ist im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung für 2017 (Streitjahr) die Berücksichtigung von Beiträgen an einen Solidarverein als Sonderausgaben streitig.

    3
    Die Kläger sind Eheleute, die im Streitjahr zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Sie zahlten für ihre Absicherung im Krankheits- und Pflegefall an den Verein „... e.V.“ (im Folgenden: S) Beiträge in folgender Höhe:

    4
    Kläger  Klägerin
    Krankenabsicherung (Basisabsicherung)  3.757 €  823 €
    Krankenabsicherung (Mehrleistungen)  355 €  87 €
    Pflegeabsicherung  236 €   218 €

    5
    Die im Streitjahr gültige Satzung der S, hinsichtlich deren Einzelheiten auf die Gerichtsakte Bezug genommen wird, enthält - u.a. - die folgenden Regelungen:

    6
    „§ 2 Zweck des Vereins

    7
    (1)

    8
    Die S ist eine aufsichtsfreie Personenvereinigung gemäß § 1 Abs. 3 Ziff. 1 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) und keine Krankenkasse oder Krankenversicherung.

    9
    (2)

    10
    Zwecke des Vereins sind:

    11
    a.

    12
    Die Mitglieder sichern sich gegenseitig rechtlich verbindlich eine umfassende flexible Krankenversorgung zu, die in Quantität und Qualität mindestens dem Niveau der gesetzlichen Krankenversicherung entspricht; […].

    13
    (3)

    14
    Die Satzungszwecke werden insbesondere dadurch verwirklicht,

    15
    a.

    16
    dass im Krankheitsfall jedes Mitglied eine umfassende und flexible Krankenversorgung erhält; […].

    17
    (4)

    18
    Mit der Umsetzung der Satzungszwecke werden die Voraussetzungen einer anderweitigen Absicherung im Krankheitsfall gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V bzw. vergleichbare Ansprüche gemäß § 193 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 VVG erfüllt.

    19
    (…)

    20
    § 5 Beiträge, Individualkonto und Solidarfonds

    21
    (1)

    22
    Beiträge werden in der Beitragsordnung geregelt, und der Umfang der Zuwendungen ergibt sich aus der Zuwendungsordnung. Erlass und Änderungen der Beitrags- und Zuwendungsordnung regelt § 8 Abs. 6 der Satzung. Die Beitragsordnung und die Zuwendungsordnung werden durch den Vorstand so gestaltet, dass die vorgesehenen Zuwendungen aus den Beiträgen auch bei Schwankungen des Leistungsverlaufs erbracht werden können und darüber hinaus eine ausreichende Reserve für größere Zuwendungsfälle aufgebaut und erhalten werden kann. Um die Leistungsfähigkeit weiter zu sichern, werden, soweit erforderlich, auch Anpassungen der Beiträge, angemessene Nachschüsse oder angemessene Sonderzahlung vorgesehen sowie Möglichkeiten zu angemessener Anpassung der vorgesehenen Zuwendungen durch den Vorstand vorbehalten. Dabei wird darauf geachtet, dass Art und Umfang der medizinischen Versorgung entsprechend den in § 2 Abs. 2 Buchstabe a) der Satzung festgelegten Kriterien beibehalten wird, und das finanzielle Belastungen, die für ein Mitglied im Einzelfall untragbar sind, vermieden werden.

    23
    (2)

    24
    Jedes Mitglied kann verlangen, dass das Guthaben auf seinem Individualkonto im Rahmen der Zuwendungsordnung zur Deckung seiner Krankheitskosten im ambulanten und stationären Bereich ausgezahlt wird.

    25
    (3)

    26
    Aus dem Solidarfonds können weitere Unterstützungen an die Mitglieder erbracht werden, die auch die Hilfe im Pflegefall abdecken. Über einen Antrag auf Unterstützung der Kosten für eine medizinisch notwendige Heilbehandlung oder eine andere gebotene Form der Therapie entscheidet der Vorstand nach Maßgabe der Zuwendungsordnung. Ein Anspruch auf Leistungen besteht nur in Fällen der medizinischen Notwendigkeit. Diese soll dem individuellen Bedarf entsprechen, wobei mindestens das Leistungsniveau der gesetzlichen Pflege-oder Krankenversicherung erreicht werden soll. In anderen Fällen entscheidet der Vorstand nach pflichtgemäßem Ermessen.

    27
    (…)

    28
    § 11 Streitfälle

    29
    (1)

    30
    Im Streitfall unter den Vereinsmitgliedern oder zwischen einem Mitglied und dem Verein ist das Schlichtungsverfahren einzuleiten. Die streitenden Parteien benennen aus den Mitgliedern des Vereins oder deren Regionalgruppen je einen Vertreter als Schlichter. Die Schlichter benennen gemeinsam ein weiteres Vereinsmitglied als weiteren Schlichter, der den Vorsitz des Schlichtungsverfahrens übernimmt. Nach Erörterung mit den streitenden Parteien und ihren Schlichter gibt der weitere Schlichter eine Empfehlung zur Streitbeilegung an die streitenden Parteien (Schlichtungsverfahren). Der Vorstand kann eine Schlichtungsordnung nach § 8 Abs. 6 erlassen.

    31
    (2)

    32
    kommt es im Rahmen des Schlichtungsverfahrens nicht zu einer Einigung bzw. wird die Empfehlung im Schlichtungsverfahren nicht akzeptiert, ist auf Antrag einer Partei ein Schiedsverfahren im Sinne der §§ 1025 ff. ZPO unter Ausschluss des ordentlichen Rechtsweges unter Benennung eines Schiedsrichters einzuleiten. Hierauf hat die andere Partei ebenfalls einen Schiedsrichter zu benennen. Beide Schiedsrichter benennen einen weiteren Schiedsrichter als Obmann. Das Schiedsgericht ist unabhängig und unparteilich. Der Spruch des Schiedsgerichts ist bindend. Der Vorstand kann eine Schiedsordnung nach § 8 Abs. 6 erlassen.

    33
    Die in § 2 Abs. 1 der Satzung in Bezug genommene Norm des § 1 Abs. 3 Nr. 1 des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) in der beim Inkrafttreten der Satzung gültigen Fassung (a.F.; heute § 3 Abs. 1 Nr. 1 VAG in der seit 2016 geltenden Fassung) lautete:

    34
    „Der Aufsicht nach diesem Gesetz unterliegen nicht: Personenvereinigungen, die ihren Mitgliedern, ohne dass diese einen Rechtsanspruch haben, Unterstützungen gewähren, insbesondere die Unterstützungseinrichtungen und Unterstützungsvereine der Berufsverbände“.

    35
    Die Mitglieder der S leisten einkommensabhängige Beiträge nach Maßgabe einer Beitragsordnung (im Folgenden: BO). Diese sieht vor, dass die Hälfte der Beiträge einem Individualkonto des Mitglieds gutgeschrieben werden (§ 4 Abs. 5 Satz 1 BO). Die andere Hälfte der Beiträge wird einem sog. Solidarfonds gutgeschrieben (§ 4 Abs. 4 BO). Nicht verbrauchte Bestände auf den Individualkonten gehen mit Ablauf eines Kalenderjahres in den Solidarfonds über (§ 4 Abs. 5 Satz 2 BO). Nach § 4 Abs. 6 Satz 1 BO sind, sofern Zuwendungen aus dem Solidarfonds beantragt werden, vorher Zahlungen in Höhe des halben Richtbeitrags vom Mitglied zu tragen ‒ entweder vom Individualkonto oder als sog. Selbstbehalt (die Eigenbeteiligungen gemäß der Zuwendungsordnung sind zusätzlich zu tragen). Für den Härtefall sieht § 4 Abs. 6 Satz 2 BO die Möglichkeit einer Abweichung von dieser Regelung vor.

    36
    Nach der Zuwendungsordnung der S (im Folgenden: ZO) besteht freie Therapiewahl, sodass den Mitgliedern der S die Wahl unter approbierten Ärzten, Zahnärzten und Therapeuten sowie Heilpraktikern frei zusteht (§ 1 Abs. 1 ZO). Bei medizinisch notwendiger stationärer Heilbehandlung hat jedes Mitglied eine freie Wahl unter den öffentlichen und privaten Krankenhäusern (§ 1 Abs. 2 ZO). Die Mitglieder sind zunächst Selbstzahler und erhalten in der Regel eine Rechnung nach einer geltenden Gebührenordnung, die sie zur Abrechnung an die Geschäftsstelle der S einreichen können (§ 2 ZO). Zur Verwirklichung der Ziele der S dient gemäß § 3 Abs. 2 Satz 4 ZO ein in § 7 ZO geregelter Zuwendungsrahmen, der Obergrenzen für einzelne Behandlungsleistungen festlegt. Im Einzelfall können Zuwendungen über den Zuwendungsrahmen hinaus durch den Vorstand gewährt werden (§ 7 ZO).

    37
    In einem „Argumentarium“ der S vom 07.06.2017 (Bl. 155ff. d.GA), hinsichtlich dessen Einzelheiten auf das zur Gerichtsakte gereichte Exemplar Bezug genommen wird, werden die maßgeblichen Prinzipien der S genannt. Auf Seite 3 des Argumentariums heißt es hierzu:

    38
    „5. Zuwendung statt Anspruch: Die S hat eine klare Beitrags- und Zuwendungsordnung. Es geht um das Geben von Zuwendungen statt um das Erheben von Ansprüchen.“

    39
    In dem Aufnahmebogen der S aus dem Streitjahr, hinsichtlich dessen Einzelheiten auf Bl. 202 d.GA Bezug genommen wird, heißt es auszugsweise:

    40
    „(…) Mir ist bekannt, dass kein Rechtsanspruch auf bestimmte Leistungen besteht, und dass dieser auch nicht durch wiederholte oder regelmäßige Zahlungen in anderen Fällen entsteht. (...) Dieser Aufnahmeantrag gilt gleichzeitig als Einwilligung nach § 4a Abs. 1 BDSG in die Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten gemäß § 3 BDSG, insbesondere zur Mitgliederverwaltung und -abrechnung (Übermittlung z.B. an Rechenzentren, zentrale Stellen (z. B. Deutsche Rentenversicherung Bund), Geschäftsbesorger [...] und Rückdeckungsversicherer [...].“

    41
    Die Kläger machten im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr die an die S gezahlten Beiträge als Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a) und b) des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (EStG) geltend. Durch Bescheid vom 27.07.2018 setzte der Beklagte die Einkommensteuer für das Streitjahr auf ... €, evangelische Kirchensteuer gegen die Klägerin i.H.v. ... € und einen Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer i.H.v. ... € fest. Dabei berücksichtigte er lediglich die durch die Kläger zur Pflegeabsicherung geleisteten Beiträge i.H.v. 455 € im Rahmen des Sonderausgabenabzuges, nicht jedoch die zur Krankenabsicherung an die S geleisteten Beiträge. Hiergegen legten die Kläger Einspruch ein, mit welchem Sie die Berücksichtigung sämtlicher Beiträge als Sonderausgaben begehrten.

    42
    Durch Einspruchsentscheidung vom 28.02.2019 wies der Beklagte den Einspruch der Kläger als unbegründet zurück. Einer Berücksichtigung der streitbefangenen Beiträge im Rahmen des Sonderausgabenabzuges stehe entgegen, dass für die Kläger im Krankheitsfall kein einklagbarer Rechtsanspruch gegenüber der S existiere. Nach § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 EStG sei jedoch Voraussetzung für den Abzug der Beiträge im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchstabe a) EStG, dass diese an ein Versicherungsunternehmen oder an eine Einrichtung gezahlt würden, die eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 13 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) oder eine Beihilfe oder freien Heilfürsorge vergleichbare Absicherung im Sinne des § 193 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) gewähre. Beide letztgenannten Vorschriften stellten jedoch auf das Bestehen eines Leistungsanspruches ab. Unter Zugrundelegung der Regelungen der Satzung der S lasse sich ein einklagbarer Rechtsanspruch der Kläger gegenüber der S jedoch nicht begründen. Vielmehr handele es sich bei den Ausführungen in der Satzung der S lediglich um Absichtserklärungen.

    43
    Die gegen die Nichtberücksichtigung der o.g. Aufwendungen gerichtete Klage hat das Finanzgericht Münster im ersten Rechtsgang nach zwischenzeitlichem Ruhen des Verfahrens durch Urteil vom 09.02.2022, 11 K 820/19 E, auf welches vollumfänglich Bezug genommen wird, abgewiesen, ohne die Revision zuzulassen. Nachdem der BFH auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger hin durch Beschluss vom 18.10.2022 die Revision zugelassen hatte, hat er durch Gerichtsbescheid vom 23.08.2023 X R 21/22, auf den ebenfalls vollinhaltlich Bezug genommen wird, das vorgenannte finanzgerichtliche Urteil aufgehoben und die Sache an das Finanzgericht zurückverwiesen. Im zweiten Rechtszug haben die Kläger durch Schriftsatz vom 06.02.2024 Protokolle der Mitgliederversammlungen der S aus den Jahren 2015 bis 2023 vorgelegt, hinsichtlich deren Inhalt auf die Gerichtsakte Bezug genommen wird.

    44
    Mit der vorliegenden Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren fort. Zur Begründung führen sie im Wesentlichen aus, die S sichere ihren Mitgliedern rechtlich verbindlich eine umfassende flexible Krankenversorgung zu. So sei zur Verwirklichung des Satzungszweckes nach § 2 Abs. 3 Buchst. a) der Satzung verbindlich geregelt, dass im Krankheitsfall jedes Mitglied eine umfassende und flexible Krankenversorgung erhalte. Im Falle der S bestehe daher ein Rechtsanspruch der Mitglieder auf Leistungen. Dies führe zur Anerkennung als anderweitige Absicherung nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a) EStG i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 13 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V). Die in § 2 Abs. 1 der Satzung der S vorgenommene rechtliche Einordnung habe ausschließlich dem Zweck gedient, nicht unter die Regelungen des VAG zufallen, wonach für den Geschäftsbetrieb der S eine versicherungsaufsichtsrechtliche Genehmigung und damit der Nachweis der Erfüllung der hierfür im VAG vorgesehenen Voraussetzungen erforderlich sei. Die S habe jedoch von Beginn an gerade kein Versicherungsunternehmen sein wollen. Dies zeige auch die mit der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) geführte Auseinandersetzung im Hinblick auf die Frage, ob die S ein erlaubnispflichtiges Versicherungsgeschäft betrieben habe.

    45
    § 2 Abs. 2 Buchst. a) der Satzung enthalte die verbindliche Zusage, dass alle Mitglieder der S eine Krankenversorgung erhielten, die in Quantität und Qualität mindestens dem Niveau der gesetzlichen Krankenversicherung entspreche. Auch in ihren Veröffentlichungen habe die S immer wieder auf den bestehenden Leistungsanspruch ihrer Mitglieder hingewiesen. So verweise das zur Gerichtsakte überreichte Argumentarium vom 07.06.2017 darauf, dass das Leistungsniveau der S mindestens dem der gesetzlichen Krankenversicherung entspreche. Die S erbringe umfangreiche und dauerhaft gesicherte Leistungsansprüche gegenüber den Mitgliedern. Soweit in der Satzung Einschränkungen enthalten seien, seien diese ausschließlich rechtlichen Anforderungen Dritter und dem Bestreben der S geschuldet, nicht als Versicherungsunternehmen qualifiziert zu werden. Entsprechende Einschränkungen hätten deshalb auf das Leistungsversprechen der S keinen Einfluss. Inzwischen habe auch der Gesetzgeber reagiert und in § 176 SGB V in der Fassung des Art. 1 Nr. 17 des Gesetzes zur digitalen Modernisierung von Versorgung und Pflege (Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungs-Gesetz ‒ DVPMG) vom 03.06.2021 (BGBl I 2021 S. 1309) vorgesehen, dass die Mitgliedschaft in einer Solidargemeinschaft als anderweitige Absicherung im Krankheitsfall im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V und als ein mit dem Anspruch auf freie Heilfürsorge oder einer Beihilfeberechtigung vergleichbarer Anspruch im Sinne des § 193 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) gelte, wenn die Solidargemeinschaft ‒ wie die S ‒ am 20.01.2021 bereits bestanden habe und seit ihrer Gründung ununterbrochen fortgeführt worden sei, sie beides dem Bundesministerium für Gesundheit nachweise und auf ihren alle fünf Jahre zu stellenden Antrag hin das Bundesministerium für Gesundheit jeweils das Vorliegen eines testierten Gutachtens über die dauerhafte Leistungsfähigkeit gemäß Absatz 3 bestätige. Der Gesetzgeber gehe also nunmehr davon aus, dass für Solidargemeinschaften wie die S die in § 10 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a) und b) EStG in Bezug genommenen Voraussetzungen vorlägen bzw. nach Antragstellung fingiert werden könnten. Die Leistungsansprüche der Mitglieder seien auch nicht entziehbar. Vielmehr bestehe das Recht zur außerordentlichen Kündigung nur im Falle der arglistigen Falschangabe und des schädigenden Verhaltens. Insoweit entsprächen die Regelungen in der Satzung der S zur Entziehbarkeit der Leistungsansprüche dem Leitbild der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung. Schließlich sei darauf hinzuweisen, dass auch für sie, die Kläger, konkret ein Rechtsanspruch während des vorliegend streitbefangenen Zeitraumes gegenüber der S bestanden habe. Auf die insoweit zur Gerichtsakte überreichten Bestätigungen der S (Bl. 167 ff. d.GA.) werde insoweit Bezug genommen. Auch das durch die Satzung vorgesehene Schlichtungs- und Schiedsverfahren sei ein durch die Zivilprozessordnung vorgesehenes Verfahren. Der ordentliche Rechtsweg sei insoweit nicht ausgeschlossen.

    46
    Die für die Versicherungsaufsicht zuständige BaFin habe gegen die S nach Ablauf des Streitjahres ein auf die Einstellung und Abwicklung des Geschäftsbetriebs gerichtetes Verfahren eingeleitet, in welchem sie die Auffassung vertreten habe, die S gewähre ihren Mitgliedern einen Rechtsanspruch auf Leistungen aus dem Solidarfonds und betreibe daher erlaubnispflichtige Versicherungsgeschäfte, ohne dass ihr die erforderliche Erlaubnis erteilt worden sei. Zwar liege ein Versicherungsgeschäft nicht vor, wenn der Anspruch der Mitglieder gegen die S auf die verfügbaren Mittel beschränkt sei (Anspruch auf Leistung nach Kassenlage; Verweis auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.03.1956 ‒ I C 147.54). Eine solche Regelung enthielten die Satzung und ZO der S jedoch nicht. S habe daraufhin die Satzung dahingehend geändert, dass Ansprüche auf Leistungen aus dem Solidarfonds auf die zur Verfügung stehenden Mittel beschränkt seien. Die BaFin habe diese Änderung akzeptiert und das Verfahren beendet.

    47
    Die Kläger beantragen,

    48
    den Einkommensteuerbescheid für 2017 vom 27.07.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28.02.2019 dahingehend zu ändern, dass die durch die Kläger im Streitjahr an die S geleisteten Beiträge als Vorsorgeaufwendungen bei den Sonderausgaben der Kläger berücksichtigt werden und die Einkommensteuer 2017 entsprechend niedriger festgesetzt wird;

    49
    hilfsweise, die Revision zuzulassen.

    50
    Der Beklagte beantragt,

    51
    die Klage abzuweisen.

    52
    Zur Begründung führt er aus, die S gewähre ihren Mitgliedern weder ein nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) vergleichbares Versorgungsniveau im Krankheitsfall, noch hätten ihre Mitglieder einen gerichtlich durchsetzbaren Rechtsanspruch auf Versorgung im Krankheitsfall. An einem gerichtlich durchsetzbaren Rechtsanspruch auf Leistungen im Krankheitsfall fehle es bereits deshalb, weil nach der Satzung der ordentliche Rechtsweg zu den Zivil-, aber auch den Sozialgerichten ausgeschlossen sei. Das vorgesehene Schlichtungs- und Schiedsverfahren werde von den Mitgliedern der S durchgeführt. Es fehle dadurch an einer objektiven Unabhängigkeit. Bereits durch den in § 2 Abs. 1 enthaltenen Verweis in ihrer Satzung auf § 1 Abs. 3 Nr. 1 VAG a.F. stelle die S gegenüber ihren Mitgliedern klar, dass diese mit ihren Mitgliedsbeiträgen keinen Rechtsanspruch auf Versorgung im Krankheitsfall erwerben. Den Aussagen zum Zweck der S in § 2 Abs. 2 und Abs. 4 der Satzung fehle es an Rechtsverbindlichkeit. Es handele sich insoweit lediglich um Absichtserklärungen. Die S leiste nicht nach einem festgelegten Leistungskatalog, anhand dessen die dem sozialhilfegleichen Versorgungsniveau nach dem SGB XII entsprechenden Leistungen erkennbar und für das einzelne Mitglied Planungssicherheit hinsichtlich seiner zukünftigen Inanspruchnahme von Leistungen hergestellt würden. Stattdessen leiste die S nach individuellen Maßstäben bezogen auf die einzelne Person. Diese Vorgehensweise gewähre den Mitgliedern nur die Möglichkeit einer Leistungserstattung, welche dem Grunde und der Höhe nach dem Leistungsniveau der gesetzlichen Krankenversicherung entsprechen könne, aber nicht zwangsläufig müsse. Indem die Satzung der S vorsehe, dass seitens des Vorstandes für jedes Mitglied individuell beurteilt werde, welche medizinisch notwendige Heilbehandlung/Therapie erstattet werde, widerspreche die Satzung ihrem Anspruch, ein in Quantität und Qualität mindestens dem sozialhilfegleichen Versorgungsniveau des SGB XII entsprechende Krankenversorgung herzustellen.

    53
    Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Beteiligten sowie den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten und der Gerichtsakte Bezug genommen.

    54
    Entscheidungsgründe

    55
    I. Die Klage, über die der Senat ‒ wie den Beteiligten zuvor angekündigt - im Wege des Gerichtsbescheides entscheidet, da dies sachgerecht erscheint (§ 90a Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung ‒FGO-), ist teilweise begründet.

    56
    Der Einkommensteuerbescheid 2017 vom 27.07.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28.02.2019 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO), soweit der Beklagte im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr weitere (Vorsorge-)Aufwendungen der Kläger i.H.v. 4.567 € nicht im Rahmen des Sonderausgabenabzuges nach § 10 EStG berücksichtigt hat. Denn die durch die Kläger zur Krankheitsvorsorge aufgewendeten Beitragszahlungen an die S i.H.v. 5.022 € sind im Streitfall als Sonderausgaben abzugsfähig (hierzu 1.), während im Hinblick auf die durch die Kläger an die S zur Pflegeabsicherung geleisteten Beiträge i.H.v. 455 €, die der Beklagte als Sonderausgaben bei der Einkommensteuerfestsetzung berücksichtigt hat, die Voraussetzungen für den Sonderausgabenabzug nicht vorliegen (hierzu 2.).

    57
    1. Für die im Streitjahr durch die Kläger an die S zur Krankenabsicherung geleisteten Beträge liegen die Voraussetzungen für den Sonderausgabenabzug vor.

    58
    Beiträge zu Krankenversicherungen der Basisversorgung können als Sonderausgaben abgezogen werden,

    59
    - soweit die Beiträge zur Erlangung eines durch das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) bestimmten sozialhilfegleichen Versorgungsniveaus erforderlich sind (§ 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a Satz 1 Halbsatz 1 EStG) ‒ hierzu a) - ,

    60
    - sofern auf die Leistungen ein Anspruch besteht (§ 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a Satz 1 Halbsatz 2 EStG) ‒ hierzu b) - ,

    61
    - wenn sie an einen der in § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG genannten Empfänger geleistet werden, zu denen unter anderem Einrichtungen gehören, die eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V gewähren ‒ hierzu c) -, und

    62
    - der Steuerpflichtige gegenüber dem Beitragsempfänger in die Datenübermittlung eingewilligt hat (§ 10 Abs. 2 Satz 3 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung)- hierzu d) -.

    63
    Diese Voraussetzungen liegen vorliegend im Hinblick auf die streitbefangenen Beiträge der Kläger zur Absicherung im Krankheitsfall vor.

    64
    a) Die durch die Kläger an die S zur Vorsorge für den Krankheitsfall geleisteten Beiträge sind zur Erlangung eines durch das SGB XII bestimmten sozialhilfegleichen Versorgungsniveaus erforderlich (§ 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a Satz 1 Halbsatz 1 EStG).

    65
    Die S gewährt ihren Mitgliedern bereits nach ihrer Satzung einen Anspruch auf Ersatz derjenigen Krankheitskosten, der jedenfalls das Niveau der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung erreicht bzw. erreichen soll und damit sowohl die Voraussetzungen gemäß § 5 Abs. 1 13 SGB V und auch gemäß § 193 III 1 VVG erfüllt. Denn in § 2 Abs. 4 der Satzung der S wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Voraussetzungen der anderweitigen Absicherung im Krankheitsfall nach den vorstehenden Vorschriften erfüllt sind. Insoweit ergibt sich aus Sicht des Senats ein Leistungsumfang auf einem Niveau, das den Anforderungen an die anderweitige Absicherung und die vergleichbaren Ansprüche nach den einschlägigen Vorschriften erfüllt. Das verdeutlicht aus Sicht des Senats auch die Regelung aus § 5 Abs. 3 der Satzung der S, die das Leistungsniveau der gesetzlichen Pflege- und Krankenversicherung als eigenes Mindest-Leistungsniveau definiert.

    66
    b) Die Mitglieder der S haben gegen diese auch einen rechtlich verbindlichen Anspruch auf Leistungen im Krankheitsfall.

    67
    Nach der in § 194 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) enthaltenen Legaldefinition ist ein Anspruch das Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen. Ein solches Recht der Kläger und anderer Mitglieder gegenüber der S lässt sich im vorliegenden Fall aus den nach der Rechtsprechung des BFH maßgeblichen Quellen - zuvörderst der Satzung der S unter Berücksichtigung der Beitrags- und Zuwendungsordnung, aber auch deren Internetauftritt, Werbematerial und Protokolle von Mitgliederversammlungen (BFH-Urteil vom 12.08.2020 X R 12/19, BFHE 270, S. 409, BFH/NV 2021, S. 483) - herleiten.

    68
    Zwar sieht die Satzung der S keinen ausdrücklichen Leistungsanspruch ihrer Mitglieder im Krankheitsfall vor. Allerdings gelangt der Senat bei der Auslegung der Satzung der S unter Heranziehung der weiteren durch die Klägerseite im Einspruchs- und Klageverfahren eingereichten Unterlagen, insbesondere des Argumentariums vom 07.06.2017 und des Aufnahmebogens, unter Berücksichtigung der Ausführungen des BFH in seiner Entscheidung vom 23.08.2023 (X R 15/22, BFH/NV 2023, 1397) nunmehr zu dem Ergebnis, dass ein Leistungsanspruch der Kläger gegenüber der S im Streitjahr bestanden hat.

    69
    Zwar deutet § 2 Abs. 1 der Satzung darauf hin, dass ein Anspruch auf Leistungen ausdrücklich ausgeschlossen sein könnte. Denn hiernach ist die S eine aufsichtsfreie Personenvereinigung gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 VAG (a.F.) gewesen. Nach dieser Vorschrift haben der Aufsicht lediglich solche Personenvereinigungen nicht unterlegen, die ihren Mitgliedern Unterstützungen gewährt haben, ohne dass diese Mitglieder einen Rechtsanspruch darauf haben. In § 2 Abs. 1 der Satzung wird damit ‒ isoliert betrachtet ‒ zwar einen Anspruch auf Leistungen verneint. Dies steht auch im Einklang mit dem Vorbringen der Kläger im Klageverfahren. So hat der Prozessbevollmächtigte der Kläger mit Schriftsatz vom 06.10.2021 (Bl. 185ff. d.GA.) und erneut im Rahmen der mündlichen Verhandlung im ersten Rechtsgang erklärt, dass dieser Passus der Satzung dazu gedient habe, sich von der Rechtsform der Krankenversicherung und den damit durch die Aufsicht verbundenen Regelungen zu befreien. Nach Ansicht des Senats ist die vorbenannte Satzungsregelung jedoch nicht isoliert, sondern (auch) unter Einbeziehung der Regelung des § 2 Abs. 4 der Satzung zu würdigen. Dort heißt es, mit der Umsetzung der Satzungszwecke würden die Voraussetzungen einer anderweitigen Absicherung im Krankheitsfall gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V erfüllt. Dies ist nach der sozialgerichtlichen Rechtsprechung der Fall, wenn ein Rechtsanspruch auf Leistungen besteht, der gerichtlich durchsetzbar sein muss (vgl. das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 09.06.2015 - L 4 KR 27/13, Rz 25). Dabei muss die anderweitige Absicherung im Wesentlichen den Mindestanforderungen an eine Absicherung in der deutschen privaten Krankenversicherung entsprechen; eine Absicherung auf dem Niveau des Basistarifs der privaten Krankenversicherung ist nicht erforderlich; auch muss nicht das Sicherungsniveau der gesetzlichen Krankenversicherung erreicht werden (vgl. hierzu Urteil des Bundessozialgerichts ‒ BSG - vom 20.03.2013 - B 12 KR 14/11 R, BSGE 113, 160, Rz 15 ff.). Zwar stellt § 2 Abs. 4 der Satzung keine unmittelbare Anspruchsnorm dar, sondern beinhaltet zunächst nur eine rechtliche Selbsteinschätzung der S, die objektiv richtig oder objektiv falsch sein kann und über deren Richtigkeit verbindlich nur von anderer Stelle entschieden werden kann. Gleiches gilt aber auch für die in Bezug genommene rechtliche Selbsteinschätzung der S in § 2 Abs. 1 ihrer Satzung, weshalb der Senat das Vorliegen eines Rechtsanspruches der Mitglieder der S nicht allein aufgrund der Regelung aus § 2 Abs. 1 deren Satzung für ausgeschlossen erachtet.

    70
    Entsprechend ist aus Sicht des Senats auch die im Aufnahmebogen der S enthaltene Passage zu interpretieren, in der die Antragsteller durch ihre Unterschrift bestätigen, dass ihnen bekannt sei, dass kein Rechtsanspruch auf bestimmte Leistungen bestehe und dass ein solcher auch nicht durch wiederholte oder regelmäßige Zahlungen in anderen Fällen begründet werde. Einerseits kann diese Regelung schon ‒ mit dem Vortrag der Klägerseite ‒ so verstanden werden, dass lediglich auf bestimmte, überobligatorische Leistungen der S kein Rechtsanspruch besteht. Ferner ist auch diese Passage als ‒ nicht bindende ‒ Selbsteinschätzung zu interpretieren, die nicht auslegungsbestimmend ist.

    71
    Aus Sicht des Senats ergibt sich das Bestehen eines Rechtsanspruches der Mitglieder der S ‒ und damit auch der Kläger - auf Leistungen im Krankheitsfall aus der ‒ auch durch den BFH als entscheidend angesehenen - Regelung in § 5 Abs. 3 der Satzung. Nach dem klaren Wortlaut dieser Regelung besteht in Fällen medizinischer Notwendigkeit ein Anspruch auf Leistung. Damit steht zunächst fest, dass bei medizinischer Notwendigkeit jedenfalls dem Grunde nach ein Leistungsanspruch gegeben ist. Allein der Umstand, dass hier eine Einschränkung auf medizinisch notwendige Leistungen vorgenommen wird, steht der Annahme eines Rechtsanspruchs nicht entgegen, weil insbesondere für das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung dieselbe einschränkende Formulierung geradezu konstituierend ist (vgl. z.B. § 2 Abs. 4, § 12 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 13 Abs. 3 Satz 1, § 23 Abs. 1, § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V).

    72
    Der Höhe nach bestimmt § 5 Abs. 3 Satz 4 der Satzung, dass die Leistung dem individuellen Bedarf entsprechen "soll", wobei mindestens das Leistungsniveau der gesetzlichen Pflege- oder Krankenversicherung erreicht werden "soll". Dabei geht der Senat in Übereinstimmung mit den durch höchstrichterliche Rechtsprechung entwickelten Auslegungsgrundsätzen (vgl. BFH-Urteil vom 23.08.2023 X R 15/22, BFH/NV 2023, 1397 unter Verweis auf BVerwG-Beschluss vom 03.12.2009 - 9 B 79/09, juris; BVerwG-Urteil vom 16.12.2010 - 4 C 8/10, BVerwGE 138, 301,; BSG-Urteil vom 03.12.1997 - 6 RKa 64/96, BSGE 81, 207) davon aus, dass der Begriff "soll" in Rechtstexten im Sinne von "muss" zu verstehen ist, es sei denn, es liegt ein atypischer Ausnahmefall vor. Unter Berücksichtigung dieses Auslegungsgrundsatzes gewährt § 5 Abs. 3 Satz 3 und 4 der Satzung daher - jedenfalls nach seinem Wortlaut - den Mitgliedern der S bei medizinischer Notwendigkeit einen Rechtsanspruch auf Leistungen mindestens in Höhe des Niveaus der gesetzlichen Krankenversicherung. Ein Ermessen des Vereinsvorstands ist nach dem Wortlaut des § 5 Abs. 3 Satz 5 der Satzung nur "in anderen Fällen" eröffnet, also gerade nicht in den Fällen medizinischer Notwendigkeit.

    73
    Diese Auslegung wird auch durch die klägerseits übersandten Protokolle der Mitgliederversammlungen gestützt, aus denen ‒ obgleich sie einen Zeitraum von acht Jahren abdecken ‒ keinerlei Streitigkeiten über berechtigte Leistungsansprüche hervorgehen. Auch atypische Ausnahmefälle, in denen trotz medizinischer Notwendigkeit nur eine Leistung unterhalb des individuellen Bedarfs und unterhalb des Leistungsniveaus der gesetzlichen Krankenversicherung gewährt wird, sind aus diesen Protokollen ‒ wie auch aus den anderen dem Senat im Zeitpunkt der hiesigen Entscheidung vorliegenden Unterlagen und sonstigen Gesichtspunkten - nicht ersichtlich.

    74
    Für das Bestehen eines Leistungsanspruches der Mitglieder gegenüber der S spricht aus Sicht des Senats auch, dass in § 2 Abs. 2 Buchst. a der Satzung in Bezug auf eine mindestens dem Niveau der gesetzlichen Krankenversicherung entsprechende Krankenversorgung ausdrücklich die Formulierung "rechtlich verbindlich" verwendet wird. Zwar bezieht sich diese dem Wortlaut nach nicht unmittelbar auf Ansprüche der Mitglieder gegen die S, sondern auf eine Zusicherung der Mitglieder untereinander. Aus Sicht des Senats liegt es angesichts des Gesamtzusammenhanges der Satzung jedoch nahe, dass damit letztlich doch ein rechtlich verbindlicher Anspruch gegen S - der von allen seinen Mitgliedern getragen wird - gemeint ist. Dabei verkennt der Senat nicht, dass diese Satzungsregelung nach ihrem Wortlaut nur den Vereinszweck umschreibt. Aus Sicht des Senats sind die konkretisierenden Satzungsbestimmungen jedoch im Lichte dieses Vereinszwecks auszulegen. Da es in diesem Zusammenhang heißt, dass die rechtlich verbindliche Krankenversorgung in Qualität und Quantität "mindestens" dem Niveau der gesetzlichen Krankenversicherung entspricht, führt dies aus Sicht des Senats zu dem Schluss, dass jedenfalls das Leistungsniveau der gesetzlichen Krankenversicherung gewährleistet wird, aber auch höhere Leistungen möglich sind.

    75
    Auch die im Indikativ formulierte Regelung aus § 2 Abs. 3 Buchst. a der Satzung, wonach jedes Mitglied im Krankheitsfall eine umfassende und flexible Krankenversorgung "erhält", deutet schließlich aus Sicht des Senats darauf hin, dass die Mitglieder der S einen rechtlich verbindlichen ‒ uneingeschränkten - Anspruch auf deren Eintreten im Krankheitsfall haben.

    76
    Diesem aus den Regelungen der Satzung der S gefundenen Auslegungsergebnis widerspricht aus Sicht des Senats auch nicht der Gehalt der Regelung in § 4 Abs. 6 BO, wonach, sofern Zuwendungen aus dem Solidarfonds beantragt werden, vorher Zahlungen in Höhe des halben Richtbeitrags vom Mitglied zu tragen sind ‒ entweder vom Individualkonto oder als sog. Selbstbehalt. Denn dem Individualkonto wird in jedem Monat ein fester Betrag zugeführt. Damit steht in jedem Monat erneut ein halber Richtbeitrag zur Verfügung, ohne dass das jeweilige Mitglied einen weiteren Selbstbehalt zu tragen hätte. Selbst wenn das Mitglied mehrmals pro Monat Zuwendungen aus dem Solidarfonds begehren sollte und das in den Vormonaten eingezahlte Guthaben auf dem Individualkonto bereits vollständig aufgebraucht sein sollte, wäre nur ein Selbstbehalt in Höhe eines halben Richtbeitrags zu tragen. Dies liegt ‒ worauf der BFH in seiner Entscheidung vom 23.08.2023 (X R 15/22, BFH/NV 2023, 1397) hinweist - deutlich unterhalb der für private Krankenversicherungen geltenden Höchstgrenze kalenderjährlicher Selbstbehalte, die der Gesetzgeber bei 5.000 € gezogen hat (§ 193 Abs. 3 Satz 1 VVG).

    77
    Das „Argumentarium“ der S lässt den Senat ebenfalls zu keiner abweichenden Einschätzung kommen. Dabei weist der Senat darauf hin, dass nach der Rechtsprechung des BFH, von der abzuweichen der Senat keinen Anlass sieht, neben der Satzung weitere Quellen nur ergänzend heranzuziehen sind (BFH-Urteil vom 12.08.2020 X R 12/19, BFHE 270, 409, BFH/NV 2021, S. 483, Rn. 34). Zwar benennt das erst im Streitjahr veröffentlichte Argumentarium als das fünfte Prinzip der Solidargemeinschaft das Prinzip „Zuwendung statt Anspruch“ und führt aus, dass es „um das Geben von Zuwendungen statt um das Erheben von Ansprüchen“ gehe. Dies mag ‒ bei isolierter Betrachtung ‒ zu der Annahme führen, dass ein individueller Anspruch gegenüber der Gemeinschaft danach den Werten der S widerspricht, die unter Solidarität stattdessen die gemeinschaftliche Zuwendung an den Einzelnen versteht. Im Rahmen der ergänzenden Auslegung der Satzung ist unter Berücksichtigung der Aussagen des BFH in seiner Entscheidung vom 23.08.2023 (X R 15/22, BFH/NV 2023, 1397) allerdings von Bedeutung, dass die beiden vorgenannten Aussagen durch den weiteren Satz "Die S hat eine klare Beitrags- und Zuwendungsordnung" miteinander verbunden sind. Mit dem Hinweis auf die "klaren" - in diesem Zusammenhang also verbindlichen - Regelungen der Beitrags- und Zuwendungsordnung wird die Hervorhebung des Begriffs "Zuwendung" im Vergleich zum - isoliert betrachtet verbindlicheren - Begriff "Anspruch" noch im selben Sinnzusammenhang relativiert und das Mitglied beziehungsweise ein Mitgliedschaftsinteressent darauf hingewiesen, dass neben dem (vom Solidaritätsprinzip geprägten) Zuwendungsgedanken auch klare und rechtlich verbindliche Regelungen für die Beziehung zwischen der S und ihren Mitgliedern existieren. Überdies stellt das Argumentarium an anderer Stelle dar, dass die Grundlage der Kostenübernahme ein rechtlich verbindlicher Anspruch sei, der mindestens dem Niveau der gesetzlichen Krankenkasse entspreche (Seite 2 des Argumentariums, vorletzter Absatz). Auch in anderen Passagen des Argumentariums finden sich mehrfach Formulierungen, die aus Sicht des Senats für das Bestehen eines Rechtsanspruchs sprechen. So heißt es auf Seite 10 des Argumentariums: "Die Mitglieder sind verlässlich und vollumfänglich im Krankheitsfall abgesichert. Für jedes Mitglied besteht ein externer Versicherungsschutz für hohe Krankheitskosten. Das Leistungsniveau entspricht mindestens dem der GKV. Damit sind auch sehr hohe Krankheitskosten dauerhaft abgesichert." Und weiter auf Seite 11: "Die S ist eine anderweitige Absicherung, wie sie in § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V vorgesehen ist, und sie begründet vergleichbare Ansprüche nach dem VVG § 193 Abs. 3 Satz 2."

    78
    In dem nach den vorstehenden Ausführungen gefundenen Auslegungsergebnis ‒ dem Bestehen eines rechtlich bindenden Leistungsanspruchs - sieht sich der Senat auch deshalb bestätigt, weil die BaFin in ihrem ausführlichen Schreiben vom 16.10.2018 zum selben Ergebnis gelangt ist. Als zuständige Aufsichtsbehörde verfügt die BaFin ‒ worauf der BFH in seiner Entscheidung vom 23.08.2023 (X R 15/22, BFH/NV 2023, 1397) hinweist - über eine erhebliche Erfahrung im hier maßgebenden Wirtschafts- und Verkehrskreis.

    79
    Der Senat gelangt damit im Rahmen der Auslegung zu dem Ergebnis, dass die S ihren Mitgliedern ‒ und damit auch den Klägern - einen (echten) Leistungsanspruch gewährt. Dieser kann auch nicht ohne Einverständnis der Mitglieder mit Wirkung für die Zukunft beseitigt werden, ist zukunftsfest und unentziehbar. Bei dieser Einordnung zieht der Senat als Vergleichsmaßstab die typischen Regelungen der gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen heran.

    80
    Sowohl das System der privaten Krankenversicherung als auch das der freiwilligen gesetzlichen Krankenversicherung enthalten Regelungen darüber, dass beispielsweise in Fällen von Beitragsrückständen Ansprüche auf Versicherungsleistungen ‒ abgesehen von Leistungen im Zusammenhang mit akuten Erkrankungen bzw. in Fällen von Schwangerschaften - ruhen (vgl. § 16 Abs. 3a Satz 2 SGB V und § 193 Abs. 6 VVG). Einen vergleichbaren Mechanismus sieht § 8 ZO der S für Fälle des Beitragsrückstandes vor, der im Übrigen sogar ausdrücklich auf die unentziehbaren Pflichtleistungen nach dem SGB V Bezug nimmt.

    81
    Es ist nach Auffassung des erkennenden Senats auch unschädlich, dass nach § 4 Abs. 2 Satz 2 der Satzung die S im Falle der arglistigen Täuschung durch ein Mitglied bzw. des schädigenden Verhaltens eines Mitgliedes zur (außerordentlichen) Kündigung der Mitgliedschaft berechtigt ist, die Mitgliedschaft somit insoweit entziehbar ist, da auch nach § 22 VVG das Recht des Versicherers, sich in Fällen arglistiger Täuschung im Wege der Anfechtung vom Vertrag zu lösen, unberührt bleibt.

    82
    Schließlich ist der Senat angesichts des insoweit unwidersprochen gebliebenen Vortrags der Kläger auch davon überzeugt, dass ein Leistungsanspruch der Mitglieder der S auch tatsächlich - insbesondere vor dem Hintergrund des Vorhandenseins ausreichender finanzieller Mittel - bestanden hat. Denn nach Auskunft des Klägervertreters hat die S in dem dem Streitjahr vorangegangenen Jahr 2016 Beiträge zu dem Individualfonds der Mitglieder in Höhe von 000.000,00 € und zum Solidarfonds in Höhe von 000.000,00 € vereinnahmt, wohingegen (nur) Zuwendungen in Höhe von 000.000,00 € aus dem Individualfonds und in Höhe von 000.000,00 € aus dem Solidarfonds gewährt worden ist, wobei eine Rückdeckungsversicherung für Schäden ab einem Betrag von 5.000,00 € bestand, für die Prämien in Höhe von 00.000,00 € aufgewendet und Versicherungsleistungen in Höhe von 00.000,00 € vereinnahmt worden sind.

    83
    c) Die Kläger haben im Streitjahr die streitbefangenen Beiträge zur Vorsorge für den Krankheitsfall auch an einen der in § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG genannten Empfänger geleistet, da im Streitfall die Voraussetzungen aus § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a) Satz 2 EStG vorliegen.

    84
    Danach werden Krankenversicherungsbeiträge über § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a) Satz 1 EStG, der nur Beiträge an Versicherungsunternehmen bzw. solche Rechtsträger erfasst, denen die Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb im Inland erteilt ist, hinaus nur berücksichtigt, wenn es sich um Beiträge an eine Einrichtung handelt, die eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall i.S. des § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V oder eine der Beihilfe oder freien Heilfürsorge vergleichbare Absicherung i.S. des § 193 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) gewährt. Das ist vorliegend im Hinblick auf die S, die im Streitjahr kein Versicherungsunternehmen war und auch keine Genehmigung zum Geschäftsbetrieb im Inland aufwies, der Fall. Dabei ist es unschädlich, dass die S ihren Sitz im Inland hatte, da § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a) Satz 2 EStG nach der Rechtsprechung des BFH keinen Ausschluss solcher Einrichtungen, die ihren Sitz ‒ wie die S - im EU-/EWR-Raum haben, bewirken soll, sondern den Anwendungsbereich von § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a) Satz 1 EStG sachlich ‒ und nicht lediglich räumlich ‒ erweitern soll (BFH-Urteil vom 12.08.2020 X R 12/19, BFHE 270, 409; Nöcker, jurisPR-SteuerR 40/2021, Anm. 2). Dass die S im Streitfall eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall gewährt, ergibt sich aus Sicht des Senats insbesondere aus dem vorstehend bejahten Bestehen eines Rechtsanspruchs auf Eintritt der S im Krankheitsfall.

    85
    d) Schließlich haben die Kläger gegenüber der S als Beitragsempfängerin auch in die Datenübermittlung eingewilligt (§ 10 Abs. 2 Satz 3 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung). Innerhalb des von der S verwendeten Aufnahmebogens haben die Mitglieder der S der Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten und deren Übermittlung auch und insbesondere an zentrale Stellen wie die Deutsche Rentenversicherung Bund, gegenüber der die S die Zulassung zur Datenübermittlung vorübergehend zu erstreiten hatte (vgl. BFH-Urteil vom 12.08.2020 X R 22/18), zugestimmt.

    86
    2. Die Voraussetzungen für eine Berücksichtigung der durch die Kläger gegenüber der S für die Pflegevorsorge aufgewendeten Beträge als Sonderausgaben liegen nicht vor. Denn nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. b EStG sind (nur) "Beiträge zu den gesetzlichen Pflegeversicherungen (soziale Pflegeversicherung und private Pflicht-Pflegeversicherung)" abziehbar. Die S gehört jedoch weder zu den Trägern der sozialen Pflegeversicherung (vgl. hierzu § 1 Abs. 1 und 3 des Sozialgesetzbuches Elftes Buch - SGB XI -) noch bietet sie eine private Pflicht-Pflegeversicherung (§ 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XI) an.

    87
    Da die insoweit durch den Beklagten unzutreffend als Sonderausgaben berücksichtigten Aufwendungen aus der steuerlichen Bemessungsgrundlage auszuscheiden sind, erhöhen sich die im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung des Streitjahres zu berücksichtigenden Sonderausgaben lediglich um 4.567 €.

    88
    Gemäß § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO darf das Gericht über das Klagebegehren nicht hinausgehen und der Rechtsschutzfunktion des Klagebegehrens entsprechend keine "Verböserung" vornehmen. Es darf also keine höhere Steuer festsetzen. Umgekehrt darf das FG die Steuer nicht niedriger festsetzen als vom Kläger beantragt. Innerhalb dieses Rahmens darf das Gericht aber die gesamte Steuerfestsetzung überprüfen (vgl. zur sog. Saldierungsbefugnis etwa BFH-Beschluss vom 17.07.1967 GrS 1/66, BStBl II 1968, 344), ist also insoweit nicht an einer Saldierung gehindert, weshalb die Klage insoweit keinen Erfolg hat.

    89
    II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

    90
    III. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 FGO) zugelassen.