08.11.2024 · IWW-Abrufnummer 244644
Finanzgericht Nürnberg: Urteil vom 19.09.2024 – 4 K 1440/23
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Nürnberg
Urteil vom 19.09.2024
In dem Rechtsstreit
- Kläger -
gegen
- Beklagter -
wegen Einkommensteuer 2022
hat der 4. Senat des Finanzgerichts Nürnbergohne mündliche Verhandlung am 19.09.2024 für Recht erkannt:
Tenor:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger betreibt auf einer Scheune eine PV-Anlage mit einer installierten Leistung lt. Marktstammdatenregister i. H. v. 11,7 kWp. Weitere PV-Anlagen betreibt er nicht.
Die Umsatzsteuerjahreserklärung 2021 wurde am 30.03.2022 beim Finanzamt elektronisch eingereicht. Ein Umsatzsteuerjahresbescheid wurde nicht erteilt. Der Kläger hat den Nachzahlungsbetrag i. H. v. 863,93 € am 02.05.2022 an das Finanzamt überwiesen.
Für das Jahr 2022 reichte er eine Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG ein, in der als einziger Posten die Umsatzsteuer für 2021 in Höhe von rd. 864 € als Betriebsausgabe erschien. Entsprechend machte er in seiner Einkommensteuererklärung 2022 einen Verlust aus Gewerbebetrieb in Höhe von 864 € geltend.
Im Einkommensteuerbescheid 2022 vom 12.07.2023 ließ das Finanzamt diesen Verlust außer Ansatz. Es verwies darauf, dass Betriebsausgaben, die im Zusammenhang mit steuerfreien Betriebseinnahmen stünden, nicht als Ausgaben berücksichtigt werden könnten. Die Einkommensteuer 2022 wurde auf 18.567 € festgesetzt.
Hiergegen legte der Kläger am 16.07.2023 Einspruch ein. Er war der Ansicht, dass die im Jahr 2022 gezahlte Umsatzsteuer im Zusammenhang mit den im Jahr 2021 noch steuerpflichtigen Einnahmen stehe, so dass das Abzugsverbot nach § 3c EStG nicht greife. Erst Ausgaben, die mit den ab 01.01.2022 steuerfreien Einnahmen im Zusammenhang stünden, fielen unter das Abzugsverbot.
Mit Einspruchsentscheidung vom 21.11.2021 wies das Finanzamt den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Gesetzgeber habe mit Wirkung ab dem 01.01.2022 durch § 3 Nr. 72 EStG die Einnahmen aus kleineren Photovoltaikanlagen steuerfrei gestellt. Die Photovoltaikanlage des Klägers erfülle die entsprechenden Abgrenzungskriterien und falle daher grundsätzlich unter die Steuerbefreiung des § 3 Nr. 72 EStG. Da die Umsatzsteuerzahllast 2021 noch in Zusammenhang mit früheren steuerpflichtigen Einnahmen stehe, werde ein Abzug nicht durch § 3c EStG verwehrt. Unabhängig davon habe jedoch der Gesetzgeber in § 3 Nr. 72 Satz 2 EStG die Regelung getroffen, dass kein Gewinn zu ermitteln sei, wenn Einkünfte aus Gewerbebetrieb nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG erzielt würden und die aus dieser Tätigkeit erzielten Einnahmen insgesamt steuerfrei nach § 3 Nr. 72 Satz 1 EStG seien. Die Einkommensteuer sei eine Jahressteuer. Die Grundlagen für ihre Festsetzung seien jeweils für ein Kalenderjahr zu ermitteln (§ 2 Abs. 7 Sätze 1 und 2 EStG). Daher könne § 3 Nr. 72 Satz 2 EStG nur so verstanden werden, dass die dort geregelte Rechtsfolge eintrete, wenn in dem konkret zu betrachtenden Veranlagungszeitraum die Tatbestandsmerkmale erfüllt seien. Die im Jahr 2022 aus der Photovoltaikanlage erzielten Einnahmen seien steuerfrei. Folglich trete die von § 3 Nr. 72 Satz 2 EStG bestimmte Rechtsfolge ein, dass kein Gewinn zu ermitteln sei, was auch einen negativen Gewinn einschließe.
Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben. Er trägt vor, nach § 3c Abs. 1 EStG dürften Ausgaben, soweit sie mit steuerfreien Einnahmen in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang stünden, nicht als Betriebsausgaben abgezogen werden. § 3c EStG beziehe sich auf alle Aufwendungen, die bei der Ermittlung der Einkünfte abziehbar wären. Nach diesen Grundsätzen sei die gezahlte Umsatzsteuer 2021 mit 864,02 € nach dem Abflussprinzip des § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG im VZ 2022 grundsätzlich als Betriebsausgabe abziehbar. Maßgebend für das Betriebsausgabenabzugsverbot des § 3c Abs. 1 EStG sei der wirtschaftliche Zusammenhang zu den Einnahmen, nicht der Abflusszeitpunkt (Levedag in Schmidt, EStG, § 3c, Rn. 6). Die Betriebsausgabe im Jahr 2022 stehe aufgrund des Bezugs zum Jahr 2021 noch in wirtschaftlichem Zusammenhang mit steuerpflichtigen Einnahmen.
Nach der Gesetzesbegründung zum Jahressteuergesetz 2022 vom 16.12.2022 (BGBl I 2022, 2294; Drs. 457/22, Seite 99), mit dem § 3 Nr. 72 EStG eingeführt worden sei, diene die klarstellende Regelung des § 3 Nr. 72 Satz 2 EStG ausschließlich dem Zweck, dass keine zwingende Gewinnermittlung mehr erforderlich sei. Die Gesetzesbegründung führe dazu aus:
"Werden in einem Betrieb nur steuerfreie Einnahmen aus dem Betrieb von begünstigten Photovoltaikanlagen erzielt, braucht hierfür kein Gewinn mehr ermittelt und damit z. B. auch keine Anlage EÜR abgegeben zu werden."
Aus § 3 Nr. 72 Satz 2 EStG könne somit keinesfalls geschlossen werden, dass aus dem Betrieb der PV-Anlage ab dem Veranlagungszeitraum 2022 selbst dann kein Gewinn mehr ermittelt werden dürfe, wenn der Steuerpflichtige Aufwendungen getragen habe, die dem Grunde nach als Betriebsausgaben abziehbar seien.
Zudem könne die gesetzliche Neuregelung in § 3 Nr. 72 Satz 2 EStG allenfalls bewirken, dass die Verpflichtung nach § 60 Abs. 4 EStDV zur Einreichung einer Einnahmenüberschussrechnung suspendiert werde. § 3 Nr. 72 Satz 2 EStG könne aber keinesfalls das Grundprinzip des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG außer Kraft setzen, wonach Einkünfte aus Gewerbebetrieb der Einkommensteuer unterlägen.
Die verfassungskonforme Gesetzesauslegung gebiete es, bei mehreren Möglichkeiten der Normauslegung diejenige maßgeblich sein zu lassen, bei der die Regelung mit der Verfassung konformgehe. Der Grundsatz verbinde somit die Normtextauslegung mit einer Normenkontrolle und finde als Auslegungskriterium seine Grenze dort, wo er mit dem Wortlaut der Norm und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzes in Widerspruch treten würde (BVerfG-Beschlüsse vom 27.03.2012 2 BvR 2258/09, BVerfGE 130, 372, unter B.II.1.c aa; in DStR 2013, 1228 [BVerfG 07.05.2013 - 2 BvR 909/06], unter D.I.). Im Wege der verfassungskonformen Auslegung dürfe einem nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Gesetz nicht ein entgegengesetzter Sinn verliehen, der normative Gehalt der auszulegenden Vorschrift nicht grundlegend neu bestimmt und das gesetzgeberische Ziel nicht in einem wesentlichen Punkt verfehlt werden (BVerfG-Beschluss vom 26.04.1994 1 BvR 1299/89, 1 BvL 6/90, BVerfGE 90, 263, unter C.II.); vgl. auch BFH-Beschluss vom 10.04.2013 I R 80/12, BStBl II 2013, 1004, Rn 51). Der Anwendungsbereich des § 3 Nr. 72 Satz 2 EStG sei daher auf die Suspendierung des § 60 Abs. 4 EStDV beschränkt.
Im Rahmen des objektiven Nettoprinzips müssten Betriebsausgaben, die durch die Einnahmeerzielung veranlasst seien, grundsätzlich abziehbar sein und Ausnahmen hiervon bedürften eines besonderen sachlichen Grundes (BFH-Urteil vom 24.05.2023 XI R 37/20, BFHE 280, 508, Rn. 26 mit Verweis auf verschiedene Rechtsprechung des BVerfG). Ein solch sachlicher Grund sei im Bereich des § 3 Nr. 72 EStG nicht ersichtlich. Insbesondere könne hier nicht angeführt werden, dass die Einnahmen aus dem Betrieb der PV-Anlage ab dem VZ 2022 steuerfrei seien. Für das objektive Nettoprinzip müsse es auf die wirtschaftliche Zugehörigkeit ankommen. Alle Ausgaben, die in wirtschaftlichem Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen stünden, seien ohnehin nach § 3c Abs. 1 EStG nicht abzugsfähig.
Zudem verstoße die Sachbehandlung des Beklagten auch gegen den Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Nach diesem Grundsatz müsse der Gesetzgeber darauf achten, dass Steuerpflichtige mit gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch besteuert würden. Der Gesetzgeber würde diesen Grundsatz verletzen, wenn er einerseits einem Betreiber einer Photovoltaikanlage, der seinen Gewinn gem. § 4 Abs. 1 EStG durch Betriebsvermögensvergleich ermittele, die Möglichkeit einräume, die im Jahr 2021 entstandene Umsatzsteuer in seiner Bilanz zum 31.12.2021 als Verbindlichkeit auszuweisen, was zu einer entsprechenden Gewinnminderung in 2021 führe, während jenem Betreiber einer Photovoltaikanlage (mit ansonsten gleicher Leistungsfähigkeit), der seinen Gewinn durch Einnahmenüberschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG ermittele, ein gewinnmindernder Abzug der im darauffolgenden Jahr 2022 an das Finanzamt gezahlten Umsatzsteuer versagt bleibe.
Der Kläger beantragt,
den Einkommensteuerbescheid 2022 vom 12.07.2023 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21.11.2023 dahingehend abzuändern, dass die Einkommensteuer 2022 unter Berücksichtigung eines Verlustes bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb i. H. v. 864 € herabgesetzt wird,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
Das Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der zeitliche Anwendungsbereich der Steuerbefreiung § 3 Nr. 72 EStG sei für diese Einnahmen gem. § 52 Abs. 4 Satz 27 EStG eröffnet, da die Einnahmen aus der Photovoltaikanlage des Klägers nach dem 31.12.2021 erzielt worden seien. Ein Abzug der Umsatzsteuernachzahlung 2021 in Höhe von 864 € sei im Veranlagungszeitraum 2022 bei der Einkommensteuer nach § 3c Abs. 1 EStG ausgeschlossen. Danach dürften Ausgaben, soweit sie mit steuerfreien Einnahmen in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang stünden, nicht als Betriebsausgaben oder Werbungskosten abgezogen werden. Dem Kläger sei zuzustimmen, dass ein wirtschaftlicher Zusammenhang der Umsatzsteuernachzahlung für 2021 mit Einnahmen aus der Photovoltaikanlage bestehe. Ein wirtschaftlicher Zusammenhang bestehe, wenn die Ausgaben nach ihrer Entstehung oder Zweckbestimmung mit steuerfreien Einnahmen in einem unlösbaren Zusammenhang stünden, also ohne diese nicht angefallen wären. Der Zusammenhang könne auch veranlagungszeitraumübergreifend sein (Levedag in Schmidt, EStG Kommentar, § 3c Rn. 6).
Der Kläger verkenne jedoch, dass vorliegend nicht der materiell-rechtliche Aspekt des Bestehens eines Zusammenhangs für das Abzugsverbot nach § 3c Abs. 1 EStG entscheidungserheblich sei, sondern die zeitliche Anwendbarkeit der Steuerbefreiung gem. § 3 Nr. 72 EStG. Der unmittelbare wirtschaftliche Zusammenhang bestimme nur die Reichweite des Abzugsverbots, indem dem Grunde nach festgelegt werde, welche Ausgaben den steuerfreien Einnahmen zugeordnet und damit nicht abgezogen werden könnten. Nach dem Prinzip der Abschnittsbesteuerung sei für den Umfang des Entstehens von Ansprüchen aus dem Steuerverhältnis die Rechtslage zum Zeitpunkt der Verwirklichung des Tatbestands maßgeblich, an den das Gesetz die Leistungspflicht anknüpfe (§ 38 AO). Im Zeitpunkt des Abflusses der Betriebsausgabe und somit im Zeitpunkt des Entstehens der Einkommensteuer 2022 (§ 11 Abs. 2 EStG) seien Einnahmen aus der gegenständlichen Photovoltaikanlage des Steuerpflichtigen jedoch steuerfrei nach § 3 Nr. 72 EStG gewesen. Diese Auffassung des beklagten Finanzamtes entspreche der in dem BMF- Schreiben vom 17.07.2023 (IV C 6 - S 2121/23/10001) unter II Nr. 6 vertretenen Rechtsauffassung. Sie entspreche auch der Rechtsprechung des BFH, wonach für die Frage der Steuerfreiheit von mit Ausgaben korrespondierenden Einnahmen im Sinne des § 3c EStG auf den konkreten Veranlagungszeitraum der Entstehung der Steuer abzustellen sei und nicht auf den Veranlagungszeitraum, in welchem die in wirtschaftlichem Zusammenhang stehenden Einnahmen entstanden seien. Der BFH habe in seiner Entscheidung vom 13.12.2012 (IV R 51/09, GmbHR 2013, 216) erkannt, dass der Abzug von Ausgaben nach § 3c EStG in einem Veranlagungszeitraum nicht versagt werden könne, wenn die mit den Ausgaben in wirtschaftlichem Zusammenhang stehenden Einnahmen erst im darauffolgenden Veranlagungszeitraum steuerfrei gestellt werden. Dementsprechend müsse auch umgekehrt der Abzug von Ausgaben nach § 3c Abs. 1 EStG versagt werden, wenn die korrespondierenden Einnahmen im Veranlagungszeitraum der Entstehung der Steuer steuerfrei seien, selbst wenn sie im davorliegenden Veranlagungszeitraum steuerpflichtig gewesen seien.
Nach Auffassung des Finanzamts kann der Gesetzesbegründung in der BT-Drucksache 457/22 nicht entnommen werden, dass § 3 Nr. 72 Satz 2 EStG ausschließlich klarstellenden Charakter habe und lediglich verdeutlichen solle, dass der Steuerpflichtige nicht mehr (unbedingt) zur Ermittlung eines Gewinns verpflichtet sei. Zwar könne die Formulierung der BT-Drucksache diesen Eindruck erwecken, wenn man diese allein zu Rate ziehe. Jedoch stehe dieser Auslegung der Gesetzeswortlaut entgegen ("ist kein Gewinn zu ermitteln"). Diese Formulierung stehe für eine bindende gesetzliche Vorgabe.
Für die Auffassung des Klägers, der Gesetzgeber habe mit dieser Wendung lediglich die Suspendierung des § 60 Abs. 4 EStDV - also die Aufhebung der Pflicht zur Einreichung einer Gewinnermittlung - ansprechen wollen, gebe es keine schlüssigen Anhaltspunkte. Bei einer solchen Intention hätte sich die Verwendung der Formulierung "muss kein Gewinn ermittelt werden" oder ähnlich aufgedrängt. Zudem sei die in § 60 Abs. 4 EStDV angesprochene Übermittlung an das Finanzamt ein rein technischer Akt, der auf die rechtliche Ermittlung des Gewinns folge. Indem § 3 Nr. 72 Satz 2 EStG bereits bei der Gewinnermittlung ansetze, sei darin ein "Gewinnermittlungsverbot" zu sehen, was nur so verstanden werden könne, dass auch kein Gewinn im Rahmen der Veranlagung angesetzt werden dürfe. Zwar sei eine vergleichbare gesetzliche Formulierung bisher nicht gebräuchlich gewesen, dies rechtfertige jedoch nicht, diese ausdrücklich in das Gesetz aufgenommene Anweisung zu ignorieren.
Doch selbst wenn man für § 3 Nr. 72 Satz 2 EStG einen Auslegungsbedarf bejahen würde, käme man zu keinem anderen Ergebnis. Aus der Gesetzesbegründung (BR-Drucksache 457/22 vom 16.09.2022) gehe eindeutig hervor, dass der Gesetzgeber die Beschleunigung der Energiewende und den Ausbau der erneuerbaren Energien zum Ziel gehabt habe. Als Erschwernis seien jedoch bürokratische Hürden, insbesondere die steuerlichen Pflichten, identifiziert worden. Es sei erklärtes Ziel des Gesetzgebers gewesen, durch den Abbau dieser Verpflichtungen ein schnelleres Wachstum der regenerativen Energiegewinnung herbeizuführen. Es entspreche geradezu dem erklärten gesetzgeberischen Ziel des Abbaus bürokratischer Pflichten, wenn nicht nur die bloße Weiterleitung der Gewinnermittlung an das Finanzamt überflüssig gemacht werde, sondern vor allem die wesentlich aufwändigere Erstellung dieser Gewinnermittlung an sich.
Der Gesetzgeber habe sich bewusst dafür entschieden, nicht alle Einkünfte, die aus Photovoltaikanlagen erzielt würden, steuerfrei zu stellen. Es würden nur bestimmte Einnahmen in den in § 3 Nr. 72 EStG genannten Fällen steuerfrei gestellt, in dem Bewusstsein, dass die damit in wirtschaftlichem Zusammenhang stehenden Ausgaben nach § 3c EStG nicht abzugsfähig seien. Betreibe der Steuerpflichtige mehrere Photovoltaikanlagen, bei denen einzelne als Freiflächenanlagen oder als Anlagen, welche die Leistungsgrenzen des § 3 Nr. 72 EStG überschritten, nicht steuerfrei gestellt seien, könne insoweit nach § 3 Nr. 72 Satz 2 EStG nicht auf eine Gewinnermittlung verzichtet werden. Vorliegend seien die Einnahmen aus der Photovoltaikanlage des Klägers insgesamt steuerfrei, sodass nach dem Wortlaut des § 3 Nr. 72 Satz 2 EStG eine Gewinnermittlung unterbleibe. Dies entspreche gerade dem Normzweck des § 3 Nr. 72 EStG, der zu einer Vereinfachung im Rahmen der Veranlagung für die Steuerpflichtigen und die Verwaltung führen solle. Der bewusste Verzicht des Gesetzgebers auf eine Gewinnermittlung aus § 3 Nr. 72 EStG bei ausschließlich steuerfreien Einnahmen unterstreiche, dass auch nach dem Willen des Gesetzgebers ab dem Veranlagungszeitraum 2022 kein Abzug von Betriebsausgaben mehr erfolgen solle, selbst wenn sie in vorhergehenden Veranlagungszeiträumen begründet gewesen seien.
Im Übrigen habe der Kläger auch streng genommen keine vollständige Einnahmenüberschussrechnung an das Finanzamt übermittelt, sondern darin lediglich einen einzelnen Geschäftsvorfall - nämlich die Zahlung der Umsatzsteuer - erfasst. Eine korrekte Gewinnermittlung müsse jedoch sämtliche Geschäftsvorfälle enthalten. Erst in einem weiteren Schritt wäre der ermittelte Gewinn in einen steuerpflichtigen und einen steuerfreien Teil aufzuteilen.
Der Kläger sei nicht durch einen Verstoß gegen das objektive Nettoprinzip in seinen Rechten verletzt. Nach dem objektiven Nettoprinzip seien prinzipiell alle Aufwendungen, die durch die Einnahmeerzielung veranlasst seien, als Betriebsausgaben oder Werbungskosten abziehbar. Die Einkommensteuer besteuere das Nettoeinkommen (Weber-Grellet in Schmidt, EStG § 2 Rn. 1). Das objektive Nettoprinzip gewähre keinen individualrechtlichen Anspruch auf Abzug sämtlicher Betriebsausgaben, die durch eine Einnahmeerzielung veranlasst seien. Weiterhin sei allgemein unbestritten, dass in den Fällen, in denen Einkünfte nach dem Zu- und Abflussprinzip ermittelt würden, steuerliche Auswirkungen durch jahresübergreifende Ansätze entstehen könnten und hinzunehmen seien. Diese könnten durch eine veränderte Rechtslage wie z. B. die Einführung oder Abschaffung einer Steuerbefreiung oder durch stark abweichende Steuersätze in den betroffenen Jahren verursacht werden. Die in § 3 Nr. 72 EStG getroffenen Regelungen - einschließlich des "Gewinnermittlungsverbots" in Satz 2 - reihten sich in diese Ausnahmen ein. Ein sachlicher Grund (Beschleunigung der Energiewende mittels Abbau bürokratischer Pflichten) sei gegeben.
Letztlich stelle auch die Einführung des § 3 Nr. 72 EStG und speziell die darin enthaltene Regelung des Satzes 2 eine solche Rechtsänderung dar, die hinzunehmen sei. Grundsätzlich könne sich der Wegfall einer Gewinnermittlung sowohl zu Gunsten als auch zu Ungunsten des Steuerpflichtigen auswirken. Dies hänge vom Zeitpunkt der Zahlungsflüsse ab und sei insoweit ein Stück weit dem Zufall überlassen. Ebenso wenig wie die Anwendung einer in einem anderen Jahr gültigen Rechtslage oder die Berechnung nach dem Steuersatz eines anderen Jahres beansprucht werden könne, könne auf die Anwendung des Satzes 2 verzichtet werden, weil die geltend gemachte Betriebsausgabe wirtschaftlich zu einem früheren Jahr gehöre.
Schließlich liege der Einführung des § 3 Nr. 72 EStG und auch des Satzes 2 ein sachlicher Grund zugrunde. Erkennbares Ziel des Gesetzgebers sei, wie auch aus der angesprochenen BT-Drucksache hervorgehe, die Förderung der erneuerbaren Energien. Zu diesem Zweck sollten bürokratische Hürden abgebaut werden. Insbesondere stünden die für kleinere Anlagen verhältnismäßig umfangreichen steuerlichen Erklärungspflichten einem rascheren Ausbau entgegen. Es sei somit Ziel des Gesetzgebers gewesen, die Erklärungspflichten für die definierten Anlagen möglichst umfassend und schnell zu beseitigen. Hierzu habe er sich des Mittels der Steuerbefreiung bei der Einkommensteuer (oder auch des Nullsteuersatzes bei der Umsatzsteuer) bedient. Die Regelung des § 3 Nr. 72 Satz 2 EStG sei als weiterer Baustein in diesem Gesamtkonzept anzusehen. Sie verhindere, dass in Fällen, in denen § 3c EStG nicht greife, noch weiterhin - ggf. über Jahre - Gewinne ermittelt und Steuererklärungen abgegeben werden müssten. Dadurch trage diese Norm zu einer schnellen Beseitigung bürokratischer Pflichten bei.
Eine Gleichbehandlung zwischen einem Gewinnermittler durch Betriebsvermögensvergleich und einem Gewinnermittler durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung könne in aller Regel schon deshalb nicht zustande kommen, weil sich durch die zeitliche Verschiebung der Ansätze (nach der wirtschaftlichen Zuordnung in einem Fall und nach den Zahlungsflüssen im anderen Fall) regelmäßig auch Auswirkungen auf die Steuerhöhe (z.B. durch abweichende Progressionseffekte) ergäben. Auch mit dem beantragten Ansatz des Verlustes im Streitjahr würde sich mit Sicherheit eine andere Gesamtsteuerbelastung ergeben als bei einer Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich. Diese Unterschiede seien systembedingt; hieraus könne ein Verstoß gegen das Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit nicht abgeleitet werden. Ansonsten müsse man sämtliche jahresübergreifenden Verschiebungen bereinigen. Grundsätzlich könne sogar davon ausgegangen werden, dass ein Steuerpflichtiger, der seinen Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG ermittele, gegenüber einem bilanzierenden Steuerpflichtigen leicht im Vorteil sei, denn er habe an der Schwelle zwischen zwei Jahren zumindest in einem begrenzten Ausmaß die Möglichkeit, Einfluss auf den Zeitpunkt der Zahlungsströme zu nehmen und so die Besteuerung gezielt in dasjenige Jahr zu verlagern, in dem die geringere Steuerlast zu erwarten sei.
Beim Betreiber einer Photovoltaikanlage sei zudem regelmäßig davon auszugehen, dass der produzierte und verkaufte Strom im Nachhinein vergütet werde und die Vergütung für den am Jahresende erzeugten Strom erst im folgenden Jahr zufließe. Soweit der Kläger im Jahr 2022 Zahlungen erhalten habe, die noch die Stromproduktion des Jahres 2021 beträfen, könne er diese durch die Anwendung des Zuflussprinzips nunmehr steuerfrei vereinnahmen. Ein bilanzierender Steuerpflichtiger dagegen hätte diesen Betrag noch für das Jahr 2021 gewinnwirksam verbuchen und damit versteuern müssen. Tatsächlich hätte der Kläger ohne § 3 Nr. 72 EStG im Jahr 2022 einen Gewinn von 3.954,62 € (Betriebseinnahmen 6.254,89 € abzgl. Betriebsausgaben 2.300,27 €) versteuern müssen. Dies entspreche eigentlich seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. De facto erfolge die Besteuerung demnach nicht über, sondern unter seiner tatsächlichen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.
Auf den Inhalt der im Klageverfahren eingereichten Schriftsätze und der dem Senat vorliegenden Finanzamtsakte wird Bezug genommen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gem. § 90 Abs. 2 FGO einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
I. Dem Kläger steht kein Betriebsausgabenabzug für die im Jahr 2022 geleistete Umsatzsteuernachzahlung für das Jahr 2021 zu.
1. Ein Betriebsausgabenabzugsverbot ergibt sich nicht bereits aus § 3c Abs. 1 EStG. Nach dieser Vorschrift dürfen Ausgaben, soweit sie mit steuerfreien Einnahmen in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang stehen, nicht als Betriebsausgaben oder Werbungskosten abgezogen werden. Die Umsatzsteuernachzahlung 2021 bezog sich auf steuerpflichtige Einkünfte im Jahr 2021. Diese wurden nicht von der rückwirkenden Steuerbefreiung gem. § 3 Nr. 72 EStG erfasst. § 3 Nummer 72 in der Fassung des Artikels 1 des Gesetzes vom 16. Dezember 2022 (BGBl. I S. 2294) ist gem. § 52 Abs. 4 Satz 28 EStG nur für Einnahmen und Entnahmen anzuwenden, die nach dem 31. Dezember 2021 erzielt oder getätigt werden. Der unmittelbare wirtschaftliche Zusammenhang besteht auch, wenn die Ausgaben den Einnahmen in einem anderen Veranlagungszeitraum nachfolgen (Levedag in Schmidt, EStG, § 3c Rn. 6). Nicht ausreichend ist, dass entsprechende weitere Einnahmen im Jahr der Betriebsausgaben steuerfrei wären. Aus § 3c Abs. 1 EStG ergibt sich im vorliegenden Fall daher noch kein Abzugsverbot.
2. Ein Gewinnermittlungsverbot und damit auch ein Betriebsausgabenabzugsverbot ergibt sich jedoch aus § 3 Nr. 72 Satz 2 EStG.
a) Nach dieser Vorschrift sind steuerfrei die Einnahmen und Entnahmen im Zusammenhang mit dem Betrieb (Buchst. a) von auf, an oder in Einfamilienhäusern (einschließlich Nebengebäuden) oder nicht Wohnzwecken dienenden Gebäuden vorhandenen Photovoltaikanlagen mit einer installierten Bruttoleistung laut Marktstammdatenregister von bis zu 30 kW (peak) und (Buchst. b) von auf, an oder in sonstigen Gebäuden vorhandenen Photovoltaikanlagen mit einer installierten Bruttoleistung laut Marktstammdatenregister von bis zu 15 kW (peak) je Wohn- oder Gewerbeeinheit, insgesamt höchstens 100 kW (peak) pro Steuerpflichtigen oder Mitunternehmerschaft. Derartige Einkünfte erzielte der Kläger im Streitjahr 2022 unstreitig.
b) Werden Einkünfte nach § 2 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 erzielt und sind die aus dieser Tätigkeit erzielten Einnahmen insgesamt steuerfrei nach Satz 1, ist gem. § 3 Nr. 72 Satz 2 EStG kein Gewinn zu ermitteln.
aa) § 3 Nr. 72 Satz 2 EStG ist dahingehend auszulegen, dass er ein Gewinnermittlungsverbot und nicht nur eine Befreiung von einer Gewinnermittlungspflicht beinhaltet. Auch in der Literatur wird inzwischen ein vollständiges Abzugsverbot entgegen § 3c Abs. 1 EStG angenommen und ein Verzicht der Steuerpflichtigen auf die Steuerbefreiung ausgeschlossen (so Levedag in Schmidt, EStG, § 3 Nr. 72 Rn. 239).
Die Gesetzesbegründung spricht zwar davon, bei Einkünften aus einer steuerbefreiten Photovoltaikanlage "braucht hierfür kein Gewinn mehr ermittelt und damit auch z. B. keine Anlage EÜR mehr abgegeben zu werden." Die Formulierung kann jedoch auch dahingehend verstanden werden, dass sie nur die Folge des Gewinnermittlungsverbots, nämlich den Wegfall der Verpflichtung zu Ermittlung des Gewinns und Abgabe der Erklärung EÜR beschreibt.
Außerdem ist für die Auslegung durch das Gericht in erster Linie nicht der Wille des historischen Gesetzgebers, sondern der Wortlaut des Gesetzestextes maßgeblich. Dieser spricht eindeutig davon, dass bei Vorliegen steuerbefreiter Einnahmen kein Gewinn zu ermitteln "ist". Die Formulierung ist als verbindlich und nicht als bloße Wahlmöglichkeit für den Steuerpflichtigen zu verstehen.
Auch die Gesetzessystematik spricht für ein ab dem 01.01.2022 geltendes Gewinnermittlungsverbot. Der Gesetzgeber hat gerade nicht auf den Mechanismus des § 3c Abs. 1 EStG vertraut, der zahlreiche Ausnahmen für - wie vorliegend - Umsatzsteuernachzahlungen, Jahresabschlusskosten, Steuerberatungskosten etc. zulassen würde. Stattdessen hat er sich zu einem klaren Schnitt entschieden und diesen mit den zulässigen Zielsetzungen der Förderung erneuerbarer Energien und des Abbaus bürokratischer Hemmnisse begründet. Dieser Systematik würde es zuwiderlaufen, nachlaufende Betriebsausgaben vom Abzugsverbot auszunehmen und im Einzelfall einen unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit Einkünften vor oder nach dem Jahreswechsel 2021/2022 prüfen zu müssen.
Die Umsatzsteuernachzahlung 2021 unterfällt daher dem Gewinnermittlungsverbot.
bb) Ein Verstoß gegen das objektive Nettoprinzip ist hierin nicht zu erkennen. Der Gesetzgeber hat zugunsten der Betreiber kleiner Photovoltaikanlagen eine großzügige Steuerbefreiung vorgenommen. Wie schon der Fall des Klägers zeigt, würde eine Berechtigung zur Gewinnermittlung dazu führen, dass er eigentlich einen Gewinn i. H. v. 3.954,62 € versteuern müsste. Eine Ausweitung der Steuervergünstigung um nachlaufende Betriebsausgaben ist weder durch das objektive Nettoprinzip geboten noch durch die Kompetenz der Finanzgerichtsbarkeit bei der bloßen Kontrolle der Rechtsanwendung auf Rechtsverletzungen zu Lasten der Steuerpflichtigen gedeckt.
cc) Die rückwirkende Einführung des Gewinnermittlungsverbots zum 01.01.2022 durch das Jahressteuergesetz 2022 vom 21.12.2022 wird zwar in der Literatur verfassungsrechtlich hinterfragt. Auch die kritischen Stimmen kommen allerdings für den Veranlagungszeitraum 2022 zu einer unechten Rückwirkung, da die Einkommensteuer 2022 gem. § 36 EStG erst mit Ablauf des 31.12.2022 entstanden ist. Eine unechte Rückwirkung ist verfassungsrechtlich nicht grundsätzlich unzulässig. Die öffentlichen Interessen erlauben in der vorliegenden Konstellation nach Überzeugung des Senats eine Rückanknüpfung (a. A. Stefan Mücke, "Rückwirkende Steuerbelastungen gegen Betreiber von Photovoltaikanlagen", http://muecke.de). Der Abbau bürokratischer Hemmnisse für das Jahr 2022 wird zwar in den Tagen vom 21.12.2022 bis 31.12.2022 nur wenige Interessenten zum Erwerb einer Photovoltaikanlage ermutigt haben. Das Signal, dass Betreiber kleiner Photovoltaikanlagen ab sofort nicht mehr mit steuerlichen, insbesondere auch umsatzsteuerlichen Pflichten behaftet sind, war aber durchaus geeignet, der Photovoltaik auf privaten Hausdächern zum Durchbruch zu verhelfen. Das Ermessen des Gesetzgebers umfasst auch die sofortige Einführung um den Preis, dass nachlaufende Betriebsausgaben im Jahr 2022 nicht mehr berücksichtigt werden können. Für die ganz überwiegende Mehrzahl der von der Regelung erfassten Steuerpflichtigen war die Steuerbefreiung eine Begünstigung, so auch für den Kläger.
3. Selbst, wenn man § 3 Nr. 72 Satz 2 EStG lediglich als eine Befreiung von der Verpflichtung zur Ermittlung des Gewinns verstehen würde, würde sich im Fall des Klägers kein Verlust, sondern ein Gewinn i. H. v. 3.954,62 € ergeben. Eine Herabsetzung der Einkommensteuer käme daher auch in diesem Fall nicht in Betracht.
Die angefochtene Einkommensteuerfestsetzung verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten.
Die Klage war daher als unbegründet abzuweisen.
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
III. Die Revision war gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung im Hinblick auf die Zahl der betroffenen Steuerpflichtigen zuzulassen.
RechtsgebietEStGVorschriften§ 3 Nr. 72 S. 2 EStG