Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • 02.11.2007

    Bundesfinanzhof: Urteil vom 08.05.2007 – VIII R 13/06

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Gründe:

    I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war Gesellschafter-Geschäftsführer der im Oktober 1994 gegründeten M-GmbH. Das Stammkapital der M-GmbH betrug 100 000 DM; 60 v.H. der Geschäftsanteile hielt der Kläger, die weiteren 40 v.H. hielt Frau H. Im Februar 1996 verkaufte der Kläger seinen gesamten Geschäftsanteil zum Kaufpreis von 60 000 DM an die Y-GbR (GbR); H veräußerte Geschäftsanteile in Höhe von insgesamt 30 000 DM zum Nennwert an die nämliche GbR. Die M-GmbH besteht noch immer.

    In seiner Einkommensteuererklärung 1995 deklarierte der Kläger lediglich Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und Vermietung und Verpachtung. Nach einer Außenprüfung bei der M-GmbH, die sich auf die Jahre 1994 bis 1996 erstreckte, erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) einen auf § 173 der Abgabenordnung (AO) gestützten Änderungsbescheid, in dem er von Kapitaleinnahmen in Höhe von 40 735 DM ausging. Dem lag zugrunde, dass der Kläger der M-GmbH nach den Feststellungen des Außenprüfers im Zeitraum 20. September bis 10. Dezember 1994 vier jeweils mit 12 v.H. zu verzinsende Darlehen über insgesamt 310 000 DM gewährt hatte.

    1995 gewährte der Kläger der M-GmbH ein weiteres Darlehen von 45 000 DM. Die Summe der Zinsen in Höhe von 40 735,81 DM wurde zum 31. Dezember 1995 dem Darlehenskonto gutgeschrieben. Außerdem hat die X-Bank zumindest ab Mai 1995 beträchtliche Kontoüberziehungen der M-GmbH geduldet, obwohl dieser ausdrücklich kein Dispositionskredit eingeräumt worden war.

    Nach Meinung des FA war nach den Bilanzen der M-GmbH für 1994 und 1995 von einer Leistungsfähigkeit der GmbH auszugehen, da keine Überschuldung vorliege; der Zufluss der Zinsen müsse daher unterstellt werden.

    Den gegen den Änderungsbescheid erhobenen Einspruch des Klägers wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 19. August 2002 als unbegründet zurück, wobei es sich im Wesentlichen darauf berief, dass dem beherrschenden Gesellschafter Beträge, die ihm die GmbH schulde, bereits im Zeitpunkt der Fälligkeit zuflössen. Der beherrschende Gesellschafter habe es kraft seiner Stellung in der Hand, sich fällige Beträge auszahlen zu lassen. Die Zuflussannahme sei lediglich davon abhängig, dass die GmbH zum Fälligkeitstermin der Forderung zahlungsfähig sei. Davon sei hier auszugehen, denn andernfalls hätte die M-GmbH Konkurs anmelden müssen. Lediglich vorübergehende Zahlungsschwierigkeiten dürften mit Illiquidität der Gesellschaft nicht verwechselt werden. Auch wenn ein Zahlungsengpass vorgelegen habe, verhindere dieser den Zufluss i.S. von § 11 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht.

    Mit seiner dagegen gerichteten Klage machte der Kläger geltend, auch bei einem beherrschenden Gesellschafter scheide eine Zurechnung von Kapitaleinnahmen bereits bei Fälligkeit der Forderung aus, wenn die Auszahlung infolge Illiquidität der GmbH unterbleibe. Letzteres bedeute, dass die Gesellschaft nicht nur vorübergehend zur Zahlung außerstande sei. Dabei müsse auf den konkursrechtlichen Begriff der Zahlungsunfähigkeit abgestellt werden. Wesentlich sei danach die Liquiditätslage im betreffenden Zeitpunkt, wobei die Barliquidität zum Stichtag 31. Dezember 1995 von nur 436,23 DM deutlich mache, dass Illiquidität gegeben sei.

    Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit Urteil vom 31. Oktober 2005 9 K 9350/02 ab. Es entschied, die Zinsen in Höhe von 40 735 DM seien i.S. des § 11 EStG zugeflossen, denn die M-GmbH könne zum 31. Dezember 1995 nicht als zahlungsunfähig angesehen werden. Dafür spreche, dass bis heute kein Konkurs- bzw. Insolvenzantrag für die M-GmbH gestellt worden sei, der Kläger als auch H im Februar 1996 ihre Geschäftsanteile ohne Abschlag vom Nennwert veräußert hätten, die X-Bank die Kontoüberziehung seitens der M-GmbH geduldet habe, obwohl sie keinen Dispositionskredit eingeräumt habe, und dass das für die Besteuerung der M-GmbH zuständige Finanzamt für Körperschaften im Rahmen der Außenprüfung keine Überschuldung zum 31. Dezember 1995 festgestellt habe.

    Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts (§ 11 Abs. 1 Satz 1, § 8 Abs. 1 EStG). Das FG habe zu Unrecht die Zahlungsunfähigkeit der M-GmbH verneint.

    Der Kläger beantragt,

    das Urteil des FG Berlin vom 31. Oktober 2005 9 K 9350/02 und den Änderungsbescheid für 1995 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 19. August 2002 aufzuheben.

    Das FA beantragt, die Revision des Klägers zurückzuweisen.

    II. Die Revision ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das FG ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass dem Kläger zum 31. Dezember 1995 Zinsen in Höhe von 40 735 DM zugeflossen und diese als Einnahmen aus Kapitalvermögen zu versteuern sind.

    1. Einnahmen sind nach § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG innerhalb des Kalenderjahres bezogen, in dem sie dem Steuerpflichtigen zugeflossen sind. Geldbeträge fließen in der Regel dadurch zu, dass sie bar ausgezahlt oder einem Bankkonto des Empfängers gutgeschrieben werden. Indes kann auch eine Gutschrift in den Büchern des Verpflichteten einen Zufluss bewirken, wenn in der Gutschrift nicht nur das buchmäßige Festhalten einer Schuldverpflichtung zu sehen ist, sondern darüber hinaus zum Ausdruck gebracht wird, dass der Betrag dem Berechtigten von nun an zur Verwendung zur Verfügung steht. Bei beherrschenden Gesellschaftern ist der Zufluss eines Vermögensvorteils aber nicht erst im Zeitpunkt der Gutschrift auf dem Konto des Gesellschafters, sondern bereits im Zeitpunkt der Fälligkeit der Forderung anzunehmen; denn ein beherrschender Gesellschafter hat es regelmäßig in der Hand, sich geschuldete Beträge auszahlen zu lassen (ständige Rechtsprechung, vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 14. Februar 1984 VIII R 221/80, BFHE 140, 542, BStBl II 1984, 480; vom 19. Juli 1994 VIII R 58/92, BFHE 176, 317, BStBl II 1995, 362; vom 17. November 1998 VIII R 24/98, BFHE 187, 292, BStBl II 1999, 223; vom 5. Oktober 2004 VIII R 9/03, BFH/NV 2005, 526, m.w.N.). Diese Zuflussregel gilt jedenfalls dann, wenn der Anspruch eindeutig, unbestritten und fällig ist und sich gegen eine zahlungsfähige Gesellschaft richtet.

    2. Im Streitfall hielt der Kläger vor der Veräußerung seiner Geschäftsanteile im Februar 1996 60 v.H. der Geschäftsanteile der M-GmbH und war daher beherrschender Gesellschafter. Sein Zinsanspruch gegen die M-GmbH aufgrund der von ihm hingegebenen Darlehen war --darüber besteht zwischen den Beteiligten Einigkeit-- der Höhe nach eindeutig, unbestritten und fällig. Entgegen der Auffassung des Klägers richtete sich der Anspruch auch gegen eine zahlungsfähige Gesellschaft. Denn als Zahlungsunfähigkeit ist nur das auf dem Mangel an Zahlungsmitteln beruhende dauernde Unvermögen des Schuldners anzusehen, seine sofort zu erfüllenden Geldschulden noch im Wesentlichen zu berichtigen (vgl. BFH-Urteile vom 6. April 2000 IV R 56/99, BFH/NV 2000, 1191; vom 30. Oktober 2001 VIII R 15/01, BFHE 197, 126, BStBl II 2002, 138, m.w.N.). Dies ist vor dem "Zusammenbruch" des Schuldners im Regelfall zu verneinen, so lange ein Antrag auf Eröffnung des Konkurs- oder Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners noch nicht gestellt wurde (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteile in BFHE 197, 126, BStBl II 2002, 138, und in BFH/NV 2005, 526; BFH-Beschluss vom 24. Mai 2005 VIII B 165/03, BFH/NV 2005, 1786). Ob auch nach Inkrafttreten der Insolvenzordnung am 1. Januar 1999 weiterhin von diesen Grundsätzen auszugehen ist (vgl. dazu Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 24. Mai 2005 IX ZR 123/04, BGHZ 163, 134), kann dahingestellt bleiben, da hier das Jahr 1995 betroffen ist.

    3. Unter Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall hat das FG die Zahlungsfähigkeit der M-GmbH zu Recht bejaht. Zum einen hat der Kläger bis heute keinen Konkurs- bzw. Insolvenzantrag für die M-GmbH gestellt. Zum anderen deutet die Tatsache, dass der Kläger und die Mitgesellschafterin H im Februar 1996, d.h. zu einem Zeitpunkt nach Fälligkeit des Zinsanspruchs des Klägers, ihre Geschäftsanteile ohne Abschlag vom Nennwert veräußern konnten, darauf hin, dass die M-GmbH aus der Sicht potentieller Erwerber zumindest noch mit dem Nennwert der Geschäftsanteile zu bewerten, also weder überschuldet noch zahlungsunfähig war. Dass das für die Besteuerung der M-GmbH zuständige Finanzamt für Körperschaften im Rahmen der bei der M-GmbH durchgeführten Außenprüfung zum 31. Dezember 1995 keine Überschuldung festgestellt hat, spricht ebenfalls für deren Zahlungsfähigkeit. Zwar kann auch eine nicht überschuldete Gesellschaft zahlungsunfähig sein. Im Streitfall hat das FG aber zutreffend darauf hingewiesen, dass die X-Bank Kontoüberziehungen der M-GmbH geduldet hat, obwohl sie dieser keinen Dispositionskredit eingeräumt hatte. Außerdem schwankte der Sollsaldo auf dem Konto der M-GmbH bei der X-Bank aufgrund der geduldeten Kontoüberziehungen erheblich und betrug z.B. am 3. Mai 1995 96 546,12 DM, am 27. Dezember 1995 27 638,93 DM und am 31. Dezember 1995 68 701,22 DM. Angesichts dessen hat das FG zu Recht darauf verwiesen, es bleibe unklar, weshalb gerade die dem Kläger zustehenden Zinsen nicht hätten gezahlt werden können bzw. weshalb andere Forderungen zwischen dem 27. Dezember 1995 und 31. Dezember 1995 hätten beglichen werden müssen. Wenn die M-GmbH aber Verbindlichkeiten gegenüber anderen Gläubigern erfüllt und keine Anhaltspunkte dafür erkennbar sind, weshalb sie das nicht auch hinsichtlich der Zinsverbindlichkeit gegenüber dem Kläger hätte tun können (vgl. dazu BFH-Urteil in BFH/NV 2005, 526, m.w.N.), ist davon auszugehen, dass das FG die Zahlungsunfähigkeit der M-GmbH zutreffend verneint hat. Denn von Illiquidität einer Gesellschaft kann nicht gesprochen werden, wenn Forderungen anderer Gläubiger beglichen werden, so dass zur Befriedigung der Forderung des Klägers keine Mittel mehr verbleiben oder wenn die M-GmbH vorhandene Mittel für Zwecke verwendet, die ihr im Interesse einer erfolgreichen Betriebsführung vordringlich erscheinen (vgl. BFH-Urteil vom 22. Mai 1973 VIII R 97/70, BFHE 109, 573, BStBl II 1973, 815).

    Ob der Gesellschaft dafür eigene Mittel zur Verfügung standen, ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung; vielmehr ist eine das Zufließen i.S. des § 11 EStG bewirkende Verfügung des Klägers über seine Forderung gegen die von ihm beherrschte M-GmbH bereits dann gegeben, wenn Mittel vorhanden waren oder hätten bereitgestellt werden können, um seine Forderung zu erfüllen oder wenn sich die M-GmbH die zur Erfüllung der Forderung notwendigen Mittel durch Kreditaufnahme hätte beschaffen können (vgl. BFH-Urteil in BFHE 109, 573, BStBl II 1973, 815). Im Streitfall spricht der Umstand, dass die X-Bank in erheblichem Umfang und über mehrere Monate Kontoüberziehungen der M-GmbH geduldet hat, für die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Fremdmitteln. Die erheblichen und vom Betrag her unterschiedlichen Sollsalden im Zeitraum zwischen dem 3. Mai 1995 und dem 31. Dezember 1995 lassen erkennen, dass die X-Bank der M-GmbH jedenfalls faktisch Kredit bewilligt und damit den Ausgleich von Forderungen anderer Gläubiger ermöglicht hat. Ob der Kläger in seiner Funktion als Geschäftsführer der M-GmbH in deren Interesse bewusst von der Auszahlung seiner Zinsansprüche abgesehen hat, um die Liquidität der M-GmbH zwecks etwaiger Befriedigung anderer Gläubiger zu schonen, kann dabei offenbleiben. Denn mangels anderweitiger Fälligkeitsabrede konnte der Kläger den Zufluss seiner Forderung nicht dadurch vermeiden, dass er ggf. seine Interessen als Gläubiger hinter die Interessen der Gesellschaft zurücktreten ließ (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2005, 526, m.w.N.).

    Wenn das FG nach der Gesamtwürdigung aller Umstände zu dem Schluss kommt, die M-GmbH sei am 31. Dezember 1995 nicht zahlungsunfähig gewesen, so ist das aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Denn die tatrichterliche Überzeugungsbildung und die Würdigung der Vorinstanz (§ 96 Abs. 1 FGO) sind nur insoweit revisibel, als Verstöße gegen die Verfahrensordnung, gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze vorliegen (ständige Rechtsprechung, Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 118 Rz 30; Seer in Tipke/ Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 118 FGO Rz 87, m.w.N.). Solche Verstöße sind im Streitfall nicht erkennbar. Überdies binden die Schlussfolgerungen der Vorinstanz den BFH als Revisionsgericht schon dann, wenn sie nur möglich, d.h. vertretbar sind; sie müssen nicht zwingend sein (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil vom 14. Februar 1995 IX R 95/93, BFHE 177, 95, BStBl II 1995, 462; BFH-Beschluss vom 10. Februar 2005 VI B 113/04, BFHE 209, 211, BStBl II 2005, 488).

    RechtsgebieteAO, EStG, FGO