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  • 20.12.2007 · IWW-Abrufnummer 073960

    Bundesfinanzhof: Urteil vom 18.09.2007 – I R 44/06

    1. Zieht sich die Liquidation einer Kapitalgesellschaft über mehr als drei Jahre hin, so darf das FA nach Ablauf dieses Zeitraums regelmäßig auch dann gegenüber der Kapitalgesellschaft einen Körperschaftsteuerbescheid erlassen, wenn für eine Steuerfestsetzung vor Abschluss der Liquidation kein besonderer Anlass besteht. Ein solches Vorgehen muss nur dann begründet werden, wenn ein rechtliches Interesse der Kapitalgesellschaft an der Verlängerung des Besteuerungszeitraums über drei Jahre hinaus erkennbar ist.



    2. Hat das FA gegenüber einer in Liquidation befindlichen Kapitalgesellschaft einen Körperschaftsteuerbescheid für einen im Jahr 1997 endenden Besteuerungszeitraum erlassen und dabei den im Jahr 1997 geltenden Steuersatz angesetzt, so ist dieser Bescheid nicht allein deshalb rechtswidrig, weil die Liquidation über den 31. Dezember 2000 hinaus andauert und seither der tarifliche Körperschaftsteuersatz nur noch 25 % beträgt.


    Gründe:

    I.

    Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) berechtigt war, die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) für das Streitjahr (1997) zur Körperschaftsteuer zu veranlagen.

    Die Klägerin ist eine Kapitalgesellschaft (AG), die im Jahr 1967 aufgelöst und im Anschluss an eine Abwicklung im Jahr 1970 im Handelsregister gelöscht wurde. Für den Zeitraum 1967 bis 1970 wurde eine Abwicklungsbesteuerung nach Maßgabe des § 11 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) durchgeführt.

    Seit 1990 machte die Klägerin vermögensrechtliche Ansprüche im Zusammenhang mit Grundbesitz in Ostdeutschland geltend. Am 28. Februar 1991 wurde für sie erstmals ein Abwickler gemäß § 273 Abs. 4 des Aktiengesetzes bestellt; im Jahr 1993 erkannte die zuständige Behörde ihr gegenüber Zahlungsansprüche an. Im Streitjahr erhielt die Klägerin zur Befriedigung eines Teils ihrer Ansprüche eine Zahlung in Höhe von 5 055 031,65 DM. Weitergehende Forderungen verfolgt sie auf dem Zivilgerichtsweg; das betreffende Verfahren ist nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) bisher nicht abgeschlossen.

    Das FA erließ für das Streitjahr einen Körperschaftsteuerbescheid, in dem es einen vom 28. Februar 1991 bis zum 31. Dezember 1997 dauernden Besteuerungszeitraum erfasste und die Besteuerungsgrundlagen für diesen Zeitraum schätzte. Die Klage gegen diesen Bescheid hat das FG abgewiesen (FG Hamburg, Urteil vom 29. Mai 2006 5 K 136/03); sein Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2006, 1856 abgedruckt.

    Mit ihrer vom FG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung materiellen Rechts. Sie beantragt sinngemäß, das Urteil des FG, den angefochtenen Bescheid und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung aufzuheben.

    Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

    Das FG hat der Klage in einem zweiten ursprünglichen Streitpunkt stattgegeben. Das FA hat deshalb gegen das erstinstanzliche Urteil ebenfalls Revision eingelegt, diese aber im weiteren Verlauf zurückgenommen. Die Klägerin hat der Rücknahme der Revision zugestimmt.

    II.

    Das Verfahren wird, soweit es die Revision des FA betrifft, gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 und § 72 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 121 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) eingestellt. Die Revision der Klägerin ist unbegründet und deshalb nach § 126 Abs. 2 FGO zurückzuweisen. Der mit ihr angefochtene Bescheid ist rechtmäßig.

    1. Da sich die Klägerin in Liquidation befindet, richtet sich ihre Veranlagung zur Körperschaftsteuer nach § 11 KStG. Danach ist grundsätzlich der im Zeitraum der Abwicklung erzielte Gewinn der Besteuerung zu Grunde zu legen (§ 11 Abs. 1 Satz 1 KStG); Besteuerungszeitraum ist also in diesem Fall nicht das einzelne Kalenderjahr, sondern der gesamte Abwicklungszeitraum. Jedoch folgt aus § 11 Abs. 1 Satz 2 KStG, dass die Finanzbehörde in bestimmten Fällen schon vor dem Abschluss der Abwicklung die bis dahin entstandene Steuer in einem Bescheid festsetzen darf (Senatsurteil vom 22. Februar 2006 I R 67/05, BFHE 213, 301, m.w.N.). Um eine solche "Zwischenveranlagung" geht es im Streitfall.

    2. Der angefochtene Bescheid ist nach den Feststellungen des FG als "Bescheid für 1997 über Körperschaftsteuer" bezeichnet. Das könnte bei isolierter Betrachtung deshalb bedenklich erscheinen, weil das FG zugleich festgestellt hat, dass im Bescheid die Steuer für einen vom 28. Februar 1991 bis zum 31. Dezember 1997 laufenden Zeitraum festgesetzt ist. Auch könnte zweifelhaft sein, ob das FA berechtigt war, im Rahmen der Liquidationsbesteuerung einen Besteuerungszeitraum von nur einem Kalenderjahr anzusetzen (vgl. Senatsurteil in BFHE 213, 301, m.w.N.). Jedoch sind sowohl die Beteiligten als auch das FG erkennbar davon ausgegangen, dass der Bescheid die Steuer für den genannten mehrjährigen Besteuerungszeitraum betrifft, die Angabe "Körperschaftsteuer 1997" also nur eine unschädliche begriffliche Unklarheit beinhaltet. Der Senat hat keine Bedenken, dem zu folgen.

    3. Das FG hat zutreffend entschieden, dass das FA berechtigt war, gegenüber der Klägerin eine Körperschaftsteuer und daran anschließend den Gewerbesteuermessbetrag (vgl. § 14 Satz 1 des Gewerbesteuergesetzes --GewStG--) für den Zeitraum vom 28. Februar 1991 bis zum 31. Dezember 1997 festzusetzen.

    a) Nach § 11 Abs. 1 Satz 2 KStG soll der für die Besteuerung maßgebliche Abwicklungszeitraum (§ 11 Abs. 1 Satz 1 KStG) drei Jahre nicht überschreiten. Daraus folgt, dass die Finanzbehörde in Liquidationsfällen regelmäßig berechtigt ist, nach Ablauf von drei Jahren einen Steuerbescheid zu erlassen. Diese Berechtigung hängt entgegen der Ansicht der Klägerin nicht davon ab, dass für eine Steuerfestsetzung vor Abschluss der Abwicklung ein besonderer Anlass besteht. Denn die in § 11 Abs. 1 Satz 2 KStG getroffene Regelung dient zwar der Vermeidung von Schwierigkeiten, die sich bei einer streng auf den gesamten Abwicklungszeitraum abstellenden Besteuerung daraus ergeben könnten, dass die Liquidation lange andauert oder nur zum Schein durchgeführt wird (Senatsurteil in BFHE 213, 301, m.w.N.). Das Gesetz enthält aber keinen Anhaltspunkt dafür, dass eine "Zwischenveranlagung" nur dann zulässig sein soll, wenn solche Schwierigkeiten konkret drohen. Deshalb setzt eine solche Maßnahme insbesondere nicht voraus, dass eine Abwicklung unangemessen hinausgezögert wird oder dass ohne eine Zwischenveranlagung der Ausfall von Steueransprüchen zu befürchten ist; im Gegenteil soll die Regelung nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers dazu dienen, den Finanzbehörden einzelfallbezogene Beweisschwierigkeiten zu ersparen (vgl. Begründung zum Körperschaftsteuergesetz vom 16. Oktober 1934, RStBl 1935, 81, 85). Angesichts dessen war eine Veranlagung im Streitfall, in dem sowohl die gesamte Liquidationsphase als auch speziell die Nachtragsliquidation der Klägerin sich über mehr als drei Jahre hingezogen hatten, im Grundsatz zulässig.

    b) Liegen die Voraussetzungen für eine Zwischenveranlagung vor, so muss die zuständige Finanzbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen darüber entscheiden, ob sie von dieser Möglichkeit Gebrauch macht (ebenso FG des Landes Brandenburg, Urteil vom 23. Januar 2002 2 K 2272/98 K,U,F, EFG 2002, 432; Lambrecht in Gosch, Körperschaftsteuergesetz, § 11 Rz 41; Hofmeister in Blümich, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, § 11 KStG Rz 39; Küster, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2006, 209, 211, m.w.N.). Ihre Ermessensausübung kann im gerichtlichen Verfahren nur daraufhin überprüft werden, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 102 Satz 1 FGO). Im Streitfall hält die Entscheidung des FA dieser Prüfung stand.

    Das FG hat einen Ermessensfehler nicht für gegeben erachtet und dazu vor allem darauf abgehoben, dass bei Erlass des angefochtenen Bescheids der in § 11 Abs. 1 Satz 2 KStG bestimmte Regelzeitraum im Streitfall deutlich überschritten war, dass ein Abschluss der Abwicklung der Klägerin nicht absehbar war und dass vor diesem Hintergrund die vom FA vorgenommene Veranlagung der zeitnahen steuerlichen Erfassung eines erheblichen Gewinns diente. Diese Einschätzung ist rechtlich nicht zu beanstanden. Dasselbe gilt im Hinblick auf die Erwägung der Vorinstanz, das FA sei nicht gehalten gewesen, auf die Durchführung einer Zwischenveranlagung zu verzichten und stattdessen Vorauszahlungen festzusetzen: Ausweislich der Gesetzesbegründung sollte durch § 11 Abs. 1 Satz 2 KStG den Finanzbehörden die Möglichkeit verschafft werden, einerseits "die Gesellschaft spätestens nach Ablauf von drei Jahren zur Steuer heranzuziehen" und "andererseits den besonderen Verhältnissen des einzelnen Falls auch durch eine weitere Ausdehnung des Besteuerungszeitraums Rechnung zu tragen"; der Dreijahreszeitraum stellt mithin nach dem Verständnis des Gesetzgebers den Regelfall dar (ebenso Lambrecht in Gosch, a.a.O., § 11 Rz 41; Küster, DStR 2006, 209, 212), weshalb eine Entscheidung für eine Zwischenveranlagung nach Ablauf dieses Zeitraums nur dann einer Begründung bedarf, wenn ein rechtliches Interesse an der Verlängerung dieses Zeitraums erkennbar ist (Küster, DStR 2006, 209, 212). Dazu hat die Revision nichts vorgetragen. Soweit sie ergänzend geltend macht, der Inhalt vorgerichtlicher Äußerungen des FA deute auf Ermessensfehler im Zusammenhang mit der körperschaftsteuerrechtlichen Systemänderung hin, wird dieser Vortrag in tatsächlicher Hinsicht von den Feststellungen des FG nicht getragen; er kann daher im Revisionsverfahren nicht berücksichtigt werden (§ 118 Abs. 2 FGO).

    4. Der hiernach dem Grunde nach gerechtfertigte Steuerbescheid ist auch seinem Inhalt nach nicht zu beanstanden.

    a) Im Hinblick auf die in ihm angesetzten Besteuerungsgrundlagen beruht der Bescheid auf den Angaben der Klägerin. Diese hat zwar im gerichtlichen Verfahren geltend gemacht, dass bestrittene Schadensersatzforderungen erst nach einer endgültigen Bereinigung des Streits aktiviert werden dürften (Senatsurteil vom 26. April 1989 I R 147/84, BFHE 157, 121, BStBl II 1991, 213) und dass die vom FA als erfolgswirksam behandelte Entschädigungszahlung deshalb als Anzahlung zu bilanzieren sei. Damit kann sie jedoch keinen Erfolg haben, da ihr nach den revisionsrechtlich bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) die von ihr vereinnahmte Entschädigung unstreitig endgültig zustand und ein Streit nur über darüber hinausgehende Beträge geführt wurde; unter diesen Umständen war ein Ertrag in Höhe der genannten Zahlung am maßgeblichen Stichtag bereits realisiert. Die weiteren Überlegungen der Klägerin dazu, wie die bilanzrechtliche Situation bei einem unterstellten Buchwert der ostdeutschen Grundstücke zu beurteilen wäre, sind für den Streitfall unerheblich. Das FG hat daher zu Recht angenommen, dass der angefochtene Bescheid hinsichtlich des dort angesetzten Einkommens der Klägerin nicht zu beanstanden ist.

    b) Ebenso begegnet keinen Bedenken, dass das FA das Einkommen der Klägerin dem im Streitjahr geltenden Steuersatz von 45 % unterworfen hat. Dem steht namentlich der Umstand, dass im Zuge der Umstellung des körperschaftsteuerrechtlichen Anrechnungsverfahrens auf das Halbeinkünfteverfahren der tarifliche Steuersatz inzwischen auf 25 % abgesenkt worden ist (§ 23 KStG i.d.F. des Steuersenkungsgesetzes vom 23. Oktober 2000, BGBl I 2000, 1433, BStBl I 2000, 1428), nicht entgegen:

    Nach der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (RFH) unterliegt in Liquidationsfällen, wenn sich während des Abwicklungszeitraums der gesetzliche Steuersatz ändert, der Abwicklungsgewinn dem am Ende jenes Zeitraums geltenden Steuersatz (RFH-Urteil vom 17. Januar 1939 I 418/38, RFHE 46, 47, RStBl 1939, 598; zustimmend z.B. Lambrecht in Gosch, a.a.O., § 11 Rz 78; Hofmeister in Blümich, a.a.O., § 11 KStG Rz 80; Olgemöller in Streck, Körperschaftsteuergesetz, 6. Aufl., § 11 Rz 6; Frotscher in Frotscher/Maas, Körperschaftsteuergesetz, Umwandlungssteuergesetz, § 11 KStG Rz 26). Ob diese Regel auch dann eingreift, wenn für einen Teil des Abwicklungszeitraums eine Zwischenveranlagung stattgefunden hat und erst nach Ablauf des von ihr erfassten Besteuerungszeitraums eine Änderung des Steuersatzes in Kraft getreten ist, ist noch nicht höchstrichterlich entschieden (bejahend wohl FG des Landes Brandenburg in EFG 2002, 432; verneinend z.B. Hofmeister, ebenda; Olgemöller, ebenda; ebenso wohl R 51 Abs. 4 der Körperschaftsteuer-Richtlinien 2006). Der Streitfall bietet keine Veranlassung, diese Frage abschließend zu beantworten. Denn selbst wenn davon auszugehen wäre, dass die von § 11 Abs. 1 Satz 2 KStG zugelassenen Zwischenveranlagungen nach Abschluss der Abwicklung durch eine endgültige Veranlagung für den gesamten Abwicklungszeitraum zu ersetzen sind (so z.B. Wacht in Ernst & Young, Körperschaftsteuergesetz, § 11 Rz 41) und dass für diese endgültige Veranlagung allein das am Schluss des Abwicklungszeitraums geltende Steuerrecht maßgeblich ist, könnte dies nicht zur Rechtswidrigkeit des hier in Rede stehenden Bescheids führen.

    Aus einer solchen Beurteilung könnte sich nämlich allenfalls ergeben, dass nach vollständiger Durchführung des Liquidationsverfahrens ein den gesamten Abwicklungszeitraum betreffender Körperschaftsteuerbescheid erlassen und in diesem Zusammenhang der Zwischenveranlagungsbescheid aufgehoben werden muss. Hingegen kann aus der Maßgeblichkeit des Abwicklungszeitraums für die Besteuerung nicht abgeleitet werden, dass im Rahmen einer Zwischenveranlagung für einen abgelaufenen Besteuerungszeitraum Änderungen des Steuerrechts zu beachten sind, die erst nach Ablauf jenes Besteuerungszeitraums in Kraft getreten sind. Eine solche Handhabung wäre zum einen nicht damit vereinbar, dass eine Zwischenveranlagung nur den von ihr abgedeckten Besteuerungszeitraum betrifft. Zum anderen würde sie die Praktikabilität der Liquidationsbesteuerung deutlich erschweren, zumal sie folgerichtig dazu führen müsste, dass bereits durchgeführte Zwischenveranlagungen stets an nachträglich eintretende Änderungen der Rechtslage angepasst werden müssten. Deshalb kann, selbst wenn einer Zwischenveranlagung nur ein in dem genannten Sinne vorläufiger Charakter beizumessen sein sollte, sich diese Vorläufigkeit erst nach dem Abschluss der Abwicklung auswirken. Dieser ist indessen im Streitfall nach den Feststellungen des FG bis zum Ergehen der erstinstanzlichen Entscheidung, auf das insoweit abzustellen ist, nicht eingetreten.

    RechtsgebietKStGVorschriftenKStG § 11 Abs. 1, KStG § 23