31.01.2008 · IWW-Abrufnummer 080358
Bundesfinanzhof: Urteil vom 11.10.2007 – V R 57/06
Die Lieferung eines weder vermieteten noch verpachteten Grundstücks ist im Regelfall keine Geschäftsveräußerung nach § 1 Abs. 1a UStG.
Gründe:
I.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erwarb mit notariellem Kaufvertrag vom 7. Oktober 1999 ein bebautes Grundstück und Einrichtungsgegenstände. Der Gesamtkaufpreis belief sich auf 950 000 DM zuzüglich Umsatzsteuer. Hiervon entfielen 350 000 DM auf die Einrichtung. Nach dem Vertrag war der Verkauf umsatzsteuerpflichtig. Besitz, Nutzen und Lasten sollten am 1. November 1999 übergehen. Der Veräußerer hatte das Gebäude für den Betrieb als Diskothek verpachtet. Der Pachtvertrag endete vor der Besitzeinweisung und ging nicht auf die Klägerin über.
Am 30. Oktober 1999 verpachtete die Klägerin das Objekt mit der Diskothek an ihre Gesellschafterin M mit Wirkung ab 1. November 1999. Die Umsatzangaben des Veräußerers S erwiesen sich als unrealistisch. Die neue Pächterin war nicht in der Lage, Pachtzahlungen zu leisten. Zivilrechtlich erstrebte die Klägerin die Rückabwicklung des Kaufvertrages. Ein von ihr erwirkter Titel konnte aber nicht vollstreckt werden.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) erkannte den Vorsteuerabzug nicht an, da eine Geschäftsveräußerung nach § 1 Abs. 1a des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG) vorliege, und setzte die Umsatzsteuer auf 0 DM fest. Einspruch und Klage blieben erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) stützte die Klageabweisung darauf, dass es sich um eine Geschäftsveräußerung nach § 1 Abs. 1a UStG handele. Entscheidend sei, ob die übertragenen Vermögensgegenstände ein hinreichendes Ganzes bilden, um die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit zu ermöglichen. Dies bedürfe einer Gesamtbewertung, bei der insbesondere die Art der übertragenen Vermögensgegenstände und der Grad der Übereinstimmung oder Ähnlichkeit zwischen den vor und nach der Übertragung ausgeübten Tätigkeiten zu berücksichtigen seien. Die Klägerin habe die Verpachtungstätigkeit des Veräußerers ohne nennenswerte zeitliche Unterbrechung fortgesetzt. Sie habe einen Tag vor der Besitzeinweisung einen Pachtvertrag mit einer neuen Pächterin abgeschlossen. Beim Betrieb der Diskothek sei keine längere Pause eingetreten. Das veräußerte und durch die Klägerin betriebene Gewerbe erscheine identisch. Im Hinblick auf die nahtlose Fortsetzung der Verpachtungstätigkeit sei unerheblich, dass die Klägerin keinen Pachtvertrag des Veräußerers übernommen, sondern selbst einen Pachtvertrag abgeschlossen habe. Für die Übernahme eines Unternehmens spreche auch, dass der Umsatz des übernommenen Unternehmens katastrophal eingebrochen sei und deshalb Pachtzahlungen unterblieben seien. Gerade dies zeige, dass ein laufender Diskothek-Betrieb übernommen worden sei und nicht nur eine leer stehende Immobilie.
Mit ihrer hiergegen eingelegten Revision rügt die Klägerin, dass keine Geschäftsveräußerung nach § 1 Abs. 1a UStG vorliege. Sie, die Klägerin, habe keine Verpachtungstätigkeit des Veräußerers fortgesetzt, sondern das Objekt nach Beendigung des vom Veräußerer abgeschlossenen Pachtvertrages übernommen. Die bloße Übertragung eines Grundstücks könne nicht zu einer Geschäftsveräußerung führen.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und das FA zur erklärungsgemäßen Veranlagung zu verurteilen.
Das FA beantragt Zurückweisung der Revision.
Für die Geschäftsveräußerung nach § 1 Abs. 1a UStG komme es nicht auf die Übernahme eines Pachtvertrages an, da die Klägerin bereits vor der Besitzeinweisung einen eigenen Pachtvertrag mit einer neuen Pächterin abgeschlossen habe. Der Klägerin sei die Fortführung der bisherigen Verpachtungstätigkeit ohne weitere nennenswerte Aufwendungen möglich gewesen.
II.
Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt nach § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung der Vorentscheidung sowie zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz liegt im Streitfall keine Geschäftsveräußerung nach § 1 Abs. 1a UStG vor. Es sind zur Entscheidung des Streitfalls weitere Feststellungen zu treffen.
1. Nach § 1 Abs. 1a UStG unterliegen Umsätze im Rahmen einer Geschäftsveräußerung an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen nicht der Umsatzsteuer. Die Vorschrift setzt voraus, dass ein Unternehmen oder ein in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb im Ganzen entgeltlich oder unentgeltlich übereignet oder in eine Gesellschaft eingebracht wird.
a) § 1 Abs. 1a UStG dient der Umsetzung von Art. 5 Abs. 8 und Art. 6 Abs. 5 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) in nationales Recht und ist richtlinienkonform auszulegen (vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 18. Januar 2005 V R 53/02, BFHE 208, 491, BFH/NV 2005, 810).
Art. 5 Abs. 8 der Richtlinie 77/388/EWG bezweckt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH), die Übertragung von Unternehmen oder Unternehmensteilen zu erleichtern und zu vereinfachen (EuGH-Urteil vom 27. November 2003 C-497/01, Zita Modes, Slg. 2003, I-14393, BFH/NV Beilage 2004, 128 Randnr. 32). Im Hinblick auf diesen Zweck erfasst Art. 5 Abs. 8 der Richtlinie 77/388/EWG die Übertragung der Geschäftsbetriebe und der selbständigen Unternehmensteile, die jeweils materielle und immaterielle Bestandteile umfassen, die zusammengenommen ein Unternehmen oder einen Unternehmensteil bilden, mit dem eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit fortgeführt werden kann (EuGH-Urteil Zita Modes in Slg. 2003, I-14393, BFH/NV Beilage 2004, 128 Randnr. 39 f.). Der Erwerber muss darüber hinaus die Absicht haben, den übertragenen Geschäftsbetrieb oder Unternehmensteil zu betreiben. Nicht begünstigt ist die sofortige Abwicklung der übernommenen Geschäftstätigkeit (EuGH-Urteil Zita Modes in Slg. 2003, I-14393, BFH/NV Beilage 2004, 128 Randnr. 44).
b) Im Hinblick auf die nach der EuGH-Rechtsprechung erforderliche Absicht des Erwerbers, den übertragenen Geschäftsbetrieb oder Unternehmensteil zu betreiben, kommt es maßgeblich darauf an, ob das übertragene Vermögen die Fortsetzung einer bisher durch den Veräußerer ausgeübten Tätigkeit ermöglicht. Dabei ist im Rahmen einer Gesamtwürdigung die Art des übertragenen Vermögens/Teilvermögens und der Grad der Übereinstimmung oder Ähnlichkeit zwischen den vor und nach der Übertragung ausgeübten Tätigkeiten zu berücksichtigen (BFH-Urteil vom 28. November 2002 V R 3/01, BFHE 200, 160, BStBl II 2004, 665).
2. Nach diesen Grundsätzen ist die Veräußerung eines Gebäudes ohne Übergang eines Mietvertrages keine Geschäftsveräußerung. Die Übertragung eines unvermieteten Grundstücks führt nicht zur Übertragung eines Unternehmensteils, mit dem eine selbständige Tätigkeit fortgeführt werden kann, sondern zur Übertragung eines einzelnen Vermögensgegenstandes. Fehlt es an weiteren Faktoren wie z.B. einer bestehenden Vermietung oder Verpachtung des Grundstücks, kann kein "Geschäftsbetrieb" angenommen werden. Es bleibt vielmehr bei einer grundsätzlich nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG steuerfreien Grundstücksübertragung.
3. Die Vorinstanz ist von anderen Grundsätzen ausgegangen. Das Urteil war daher aufzuheben und an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Es liegt keine Geschäftsveräußerung nach § 1 Abs. 1a UStG an die Klägerin vor, da dieser lediglich ein unverpachtetes Grundstück übertragen wurde.
Der von der Klägerin beanspruchte Vorsteuerabzug aus dieser (als steuerpflichtig behandelten) Grundstückslieferung an sie setzt aber weiter voraus, dass die Klägerin keine (steuerfreien) Verwendungsumsätze nach § 15 Abs. 2 UStG ausführte. Das FG hat auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung hierzu keine ausreichenden Feststellungen getroffen. Es ist insbesondere aufzuklären, ob die Klägerin das Grundstück entgeltlich (als Unternehmerin) verpachtete und ggf. nach § 4 Nr. 12 UStG auf die Steuerfreiheit verzichtete und ob eine Rechnung mit gesondertem Steuerausweis vorliegt.