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  • 11.01.2002 · IWW-Abrufnummer 020053

    Bundesfinanzhof: Urteil vom 17.10.2001 – I R 97/00

    1. Erhält eine Gesellschaft von ihrem Gesellschafter ein zinsloses Darlehen und legt sie das empfangene Kapital im eigenen Namen und für eigene Rechnung verzinslich an, so ist der Zinsertrag allein der Gesellschaft zuzurechnen.



    2. Die Gewährung eines zinslosen Gesellschafterdarlehens und dessen anschließende zinsbringende Verwendung durch die Gesellschaft sind nicht allein deswegen als Gestaltungsmissbrauch anzusehen, weil die Verlagerung von Erträgen auf die Gesellschaft dem Verbrauch eines vom Verfall bedrohten Verlustabzugs dient.


    Gründe:

    I.

    Die Revisionsbeklagte ist Rechtsnachfolgerin der X-AG, die im erstinstanzlichen Klageverfahren Klägerin war. Die Beteiligten streiten über das Vorliegen eines Gestaltungsmissbrauchs.

    Die X-AG war im Streitjahr (1990) mit 49 v.H. des Stammkapitals an der S-GmbH beteiligt. Die übrigen Anteile an der S-GmbH hielt die Y-AG, die sich mit der X-AG zwecks Beherrschung der S-GmbH zu einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts zusammengeschlossen hatte.

    Die S-GmbH war ihrerseits bis August 1990 mit 51 v.H. des Stammkapitals Gesellschafterin der A-GmbH. Mit Wirkung zum 31. August 1990 erwarb sie von ihrer bisherigen Mitgesellschafterin die übrigen Anteile an der A-GmbH hinzu. Mit Vertrag vom 2. Oktober 1991 wurde die A-GmbH auf die S-GmbH verschmolzen (aufnehmende Verschmelzung), wodurch ein am 21. November 1990 gefasster Beschluss umgesetzt wurde.

    Die A-GmbH hatte seit ihrer Gründung im Jahr 1986 erhebliche Verluste erwirtschaftet. Obwohl ihr Kapital über das ursprüngliche Stammkapital von 50 000 DM hinaus auf mehr als 18 Mio. DM aufgestockt worden war, wies ihre Bilanz zum 30. September 1990 ein Fehlkapital von 582 009 DM aus.

    Zum Ende des Wirtschaftjahres 1989/90 gewährte die X-AG der A-GmbH ein zinsloses Darlehen in Höhe von 90 650 000 DM mit einer Laufzeit vom 3. September bis zum 3. Oktober 1990. Die A-GmbH legte die erhaltenen Mittel verzinslich an und erzielte hieraus einen Ertrag von 601 689 DM. Im Wirtschaftsjahr 1990/91 erhielt die A-GmbH sowohl von der X-AG als auch von der Y-AG weitere unverzinsliche Darlehen, deren Beträge sie ebenfalls verzinslich anlegte. Die Abwicklung der Anlagevorgänge übernahm jeweils die Y-AG, die dabei im Namen und für Rechnung der A-GmbH handelte. Die Rückzahlung der angelegten Gelder sowie die Auszahlung der Zinsen erfolgten auf Veranlassung der A-GmbH jeweils unmittelbar an die X-AG bzw. die Y-AG, wodurch zugleich die jeweiligen Darlehensverbindlichkeiten der A-GmbH gegenüber diesen Gesellschaften getilgt wurden. Die erzielten Zinserträge wurden --wie zuvor ausdrücklich vereinbart-- von der X-AG und der Y-AG jeweils an die A-GmbH weitergeleitet. Auf diese Weise erzielte die A-GmbH im Wirtschaftsjahr 1990/91 Zinserträge in Höhe von mehr als 20 Mio. DM, wodurch sich bis zur Verschmelzung auf die S-GmbH ihr Eigenkapital auf ca. 19,1 Mio. DM erhöhte.

    Im Rahmen einer Außenprüfung gelangte der Prüfer zu der Auffassung, dass das beschriebene Vorgehen einen Gestaltungsmissbrauch i.S. des § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) darstelle. Spätestens im Juni 1990 sei bekannt gewesen, dass bei der schon damals in Aussicht genommenen, im November 1990 beschlossenen und im Oktober 1991 erfolgten Verschmelzung der bei der A-GmbH angefallene Verlustvortrag von ca. 11 Mio. DM untergehen würde. Dies zu verhindern, sei der alleinige Grund für die zinslosen Darlehensgewährungen gewesen. Deshalb sei gemäß § 42 Satz 2 AO 1977 bei der Einkommensermittlung für die A-GmbH ein Betrag in Höhe der vereinnahmten Zinsen abzuziehen und bei der Einkommensermittlung der X-AG bzw. der Y-AG ein entsprechender Betrag als entgangener Gewinn hinzuzurechnen. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) schloss sich dem an und erließ auf dieser Basis gegenüber der X-AG u.a. einen Körperschaftsteuerbescheid für das Streitjahr.

    Der von der X-AG erhobenen Klage gegen diesen Bescheid gab das Finanzgericht (FG) statt. Sein Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2000, 1426 veröffentlicht.

    Mit seiner vom FG zugelassenen Revision rügt das FA eine Verletzung des § 42 AO 1977. Es beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

    Die Revisionsbeklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

    II.

    Die Revision ist unbegründet. Sie ist deshalb gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das FG hat zu Recht entschieden, dass der streitige Zinsertrag steuerlich nicht der X-AG zuzurechnen ist.

    1. Sowohl bei der X-AG als auch bei der A-GmbH handelte es sich um Kapitalgesellschaften, die nach den Vorschriften des Handelsgesetzbuchs zur Buchführung verpflichtet waren. Der Ertrag aus der verzinslichen Festgeldanlage gehört daher --unabhängig von seiner personalen Zurechnung-- gemäß § 8 Abs. 2 des Körperschaftsteuergesetzes zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb. Gleichwohl sind auf sie, was die steuerliche Zurechnung dieses Ertrags betrifft, die für Einkünfte aus Kapitalvermögen geltenden Regeln entsprechend anwendbar (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 29. November 1982 GrS 1/81, BFHE 137, 433, BStBl II 1983, 272, 275).

    2. Nach gefestigter Rechtsprechung des BFH sind Einkünfte aus Kapitalvermögen demjenigen zuzurechnen, der das betreffende Kapital im eigenen Namen und für eigene Rechnung zur Nutzung überlassen hat (Senatsurteil vom 8. Juli 1998 I R 112/97, BFHE 186, 496, BStBl II 1999, 123, m.w.N.). Zurechnungssubjekt eines Zinsertrags ist mithin der Gläubiger der verzinsten Kapitalforderung (Wassermeyer in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, § 20 Rdnr. B 40; Kirchhof/von Beckerath, Einkommensteuergesetz, § 20 Rz. 9).

    Gläubigerin der im Streitfall zu beurteilenden Darlehenforderung war nicht die X-AG. Diese hatte zwar der A-GmbH Kapital auf Zeit überlassen. Hierfür hatte sie sich jedoch weder eine Verzinsung versprechen lassen noch eine solche erhalten. Der Zinsertrag beruht vielmehr auf der Anlage des von der X-AG stammenden Kapitals als Festgeld, die nach den Feststellungen des FG im Namen und für Rechnung der A-GmbH erfolgt war. Anhaltspunkte dafür, dass die Festgeldanlage nur zum Schein im Namen der A-GmbH vorgenommen worden wäre oder dass diese als Treuhänderin der X-AG gehandelt hätte, sind weder dem FG-Urteil zu entnehmen noch vom FA aufgezeigt worden. Ebenso ist unstreitig, dass die Geldanlagen tatsächlich über Konten der Y-AG abgewickelt wurden und dass die Y-AG die angefallenen Zinsen in vollem Umfang sogleich an die A-GmbH weiterleitete, diese Zinsen also nicht etwa zunächst von der X-AG vereinnahmt oder verwendet wurden. Angesichts dessen können sie steuerlich nicht der X-AG --und damit nunmehr der Revisionsbeklagten-- zugerechnet werden.

    3. Dieser Beurteilung steht die bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung nicht entgegen. Insbesondere ist die hier vorliegende Gestaltung nicht mit der unentgeltlichen Einräumung eines Zuwendungsnießbrauchs vergleichbar, bei der --zumindest unter bestimmten Voraussetzungen-- die Erträge des nießbrauchbelasteten Kapitalvermögens steuerlich weiterhin dem Nießbrauchsbesteller zuzurechnen sind (BFH-Urteil vom 14. Dezember 1976 VIII R 146/73, BFHE 121, 53, BStBl II 1977, 115). Denn die genannte Handhabung beruht ausschließlich darauf, dass die Einräumung eines Zuwendungsnießbrauchs als Vorausabtretung künftiger Erträgnisansprüche gewertet wird. Ihr liegt mithin die Vorstellung zu Grunde, dass weiterhin allein der Nießbrauchsbesteller derjenige ist, der dem Schuldner des Kapitalertrags das Kapitalvermögen zur Nutzung überlässt. Dieser Gedanke kann im Streitfall, in dem die Festgeldanlage originär durch die A-GmbH erfolgte und von Anfang an nur die A-GmbH Gläubigerin der betreffenden Kapitalforderung war, nicht durchgreifen.

    Aus demselben Grund muss im Streitfall nicht auf die Regeln zur Ertragszurechnung bei Wertpapier-Pensionsgeschäften eingegangen werden (hierzu BFH in BFHE 137, 433, BStBl II 1983, 272), bei denen es letztlich ebenfalls im Kern um die Abgrenzung zwischen der Abtretung des Stammrechts einerseits und der Abtretung von Ertragsansprüchen andererseits geht. Vielmehr ist die hier maßgebliche Gestaltung in systematischer Hinsicht mit einer Wertpapierleihe vergleichbar, die ebenfalls dazu führt, dass während der Laufzeit des Leihvertrags die Erträge aus den verliehenen Wertpapieren dem Entleiher zuzurechnen sind (Oberfinanzdirektion Frankfurt a.M., Verfügung vom 25. Juni 1996 S 2257 A - 4 - St II 22, Der Betrieb --DB-- 1996, 1702; Wassermeyer, a.a.O., § 20 Rdnr. L 31c; Häuselmann/Wiesenbart, DB 1990, 2129, 2134, m.w.N.). Entsprechendes gilt bei der unentgeltlichen Überlassung einer Wohnung und deren anschließender Vermietung durch den Nutzungsberechtigten (BFH-Urteile vom 25. April 1995 IX R 41/92, BFH/NV 1996, 122; vom 10. Oktober 2000 IX R 11/97, BFH/NV 2001, 586). Die befristete Überlassung liquider Mittel, aus deren Anlage der Empfänger sodann Erträge erzielt, kann nicht anders beurteilt werden (ähnlich Conradi in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, § 20 EStG Rz. 36).

    4. Hinzuweisen ist ferner auf § 1 des Außensteuergesetzes (AStG). Diese Vorschrift ist insbesondere auf zinslose Darlehensgewährungen eines inländischen Gesellschafters gegenüber einer ausländischen Gesellschaft anwendbar. Sie geht von der steuerlichen Anerkennung einer solchen Darlehensgewährung aus und sieht lediglich eine Gewinnkorrektur bei dem das Darlehen gebenden Gesellschafter vor. § 1 AStG ist zwar nur auf grenzüberschreitende Darlehensgewährungen anwendbar; um eine solche handelt es sich im Streitfall nicht, weshalb die Regelung hier nicht eingreift. Dennoch folgt aus ihr im Umkehrschluss, dass die Gewährung zinsloser Gesellschafterdarlehen im Regelfall steuerlich anzuerkennen ist und nicht generell zum Ansatz eines fiktiven Ertrags des Gesellschafters führt.

    5. Die unentgeltliche Darlehensgewährung an die A-GmbH kann nicht als verdeckte Einlage der X-AG gewertet werden und unter diesem Gesichtspunkt das Einkommen der X-AG erhöhen (vgl. BFH-Beschluss vom 26. Oktober 1987 GrS 2/86, BFHE 151, 523, BStBl II 1988, 348). Hiervon gehen auch die Beteiligten übereinstimmend aus, weshalb der Senat auf weitere Ausführungen zu diesem Punkt verzichtet.

    6. Schließlich hat das FG zu Recht entschieden, dass eine Zurechnung des Zinsertrags zum Einkommen der X-AG nicht auf § 42 Satz 2 AO 1977 gestützt werden kann. Denn die im Streitfall zu beurteilende Gestaltung ist nicht missbräuchlich i.S. des § 42 Satz 1 AO 1977. Das gilt auch dann, wenn die Verlagerung des Zinsertrags von der X-AG auf die A-GmbH ausschließlich oder überwiegend dem Ziel diente, im Vorfeld der vorgesehenen Verschmelzung den bei der A-GmbH aufgelaufenen Verlustvortrag zu neutralisieren.

    a) Eine Gestaltung ist nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung missbräuchlich, wenn sie zur Erreichung des wirtschaftlichen Ziels unangemessen ist, der Steuerminderung dienen soll und nicht durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche nichtsteuerliche Gründe gerechtfertigt wird (Senatsurteile in BFHE 186, 496, BStBl II 1999, 123, 126; vom 19. August 1999 I R 77/96, BFHE 189, 342, BStBl II 2001, 43, 44, jeweils m.w.N.). Diese Voraussetzung ist nach der Rechtsprechung des Senats nicht erfüllt, wenn die zu beurteilende Gestaltung dazu dient, das Verlustausgleichspotenzial eines Anteilseigners möglichst umfassend auszunutzen (Senatsurteil in BFHE 189, 342, BStBl II 2001, 43, 45). Denn die Ausschöpfung eines bestehenden Verlustabzugs dient letztlich der Vermeidung einer im Ergebnis überhöhten Gesamtbesteuerung und damit dem Ziel der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Zielt eine Gestaltung darauf ab, im Rahmen der bestehenden gesetzlichen Vorschriften dieses Ziel zu verwirklichen, so kann sie deshalb grundsätzlich nicht als missbräuchlich verworfen werden. Das gilt unabhängig davon, ob sie zugleich von weiteren, außersteuerlichen Zielsetzungen getragen wird oder nicht (Senatsurteil in BFHE 189, 342, BStBl II 2001, 43, 45). Dieser Grundsatz gilt entsprechend für andere Gestaltungen, die der Rettung eines vom Verfall bedrohten Verlustabzugs dienen.

    b) Vor diesem Hintergrund liegt im Streitfall auch dann kein Gestaltungsmissbrauch vor, wenn die unentgeltliche Darlehensgewährung durch die X-AG von dem Bestreben getragen war, der A-GmbH zu zusätzlichen Einkünften und auf diese Weise zum alsbaldigen Ausgleich des bestehenden Verlustvortrags zu verhelfen. Das FA geht zwar zu Recht davon aus, dass bei der im Jahr 1991 erfolgten Verschmelzung nach der seinerzeit geltenden Rechtslage ein nicht ausgeglichener Verlustvortrag der A-GmbH nicht auf die S-GmbH übergegangen, sondern vielmehr ersatzlos verfallen wäre (vgl. Blümich/Klingberg, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, § 12 UmwStG Rz. 39). Dies rechtfertigt jedoch nicht seine Annahme, dass die von der X-AG gewählte Gestaltung deshalb als missbräuchlich zu werten sei, weil durch sie die bestehende Verlustabzugsmöglichkeit der A-GmbH noch rechtzeitig vor der Verschmelzung genutzt werden sollte. Im Gegenteil wäre die Zielsetzung der X-AG, ihrer Enkelgesellschaft eine rechtzeitige Verlustnutzung zu ermöglichen, steuerlich anzuerkennen. Ob für die Darlehensgewährung zusätzlich weitere, nichtsteuerliche Erwägungen maßgeblich waren, ist angesichts dessen nicht entscheidungserheblich.

    c) Die Rechtsprechung zum Gestaltungsmissbrauch bei Einschaltung einer wirtschaftlich funktionslosen Zwischengesellschaft (BFH-Urteile vom 5. März 1986 I R 201/82, BFHE 146, 158, BStBl II 1986, 496; vom 28. Januar 1992 VIII R 7/88, BFHE 167, 273, BStBl II 1993, 84; vom 27. August 1997 I R 8/97, BFHE 184, 329, BStBl II 1998, 163), auf die das FA zur Begründung seiner Auffassung weiter verwiesen hat, ist im Streitfall nicht einschlägig. Denn um eine solche Gesellschaft handelte es sich bei der A-GmbH nicht. Ausweislich des finanzgerichtlichen Urteils hat die A-GmbH vielmehr eine eigene Geschäftstätigkeit entfaltet, die u.a. zu den zitierten Verlusten geführt hat. Selbst wenn der Vortrag des FA zutrifft, dass im Streitjahr bereits die spätere Verschmelzung der A-GmbH geplant war und dass im Hinblick hierauf diese Gesellschaft keine weiteren Investitionen mehr tätigen sollte, kann hieraus nicht ihre "Funktionslosigkeit" i.S. der vorgenannten Rechtsprechung abgeleitet werden. Diesem Vortrag hat das FG deshalb zu Recht keine Bedeutung beigemessen.

    RechtsgebieteEStG, AO 1977, KStGVorschriftenEStG § 20 AO 1977 § 42 Satz 1 KStG § 8 Abs. 1 Verfahrensgang: FG München