02.10.2008 · IWW-Abrufnummer 083033
Bundesfinanzhof: Urteil vom 19.06.2008 – VI R 33/07
Bewirtet ein leitender Arbeitnehmer mit variablen Bezügen seine Arbeitskollegen, insbesondere ihm unterstellte Mitarbeiter, so unterliegen die Bewirtungsaufwendungen nicht der Abzugsbeschränkung gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 9 Abs. 5 EStG.
Gründe:
I.
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die zur Einkommensteuer des Streitjahres (2000) zusammen veranlagt werden. Der Kläger war als Chemiker bei einem Joint Venture Unternehmen der X AG mit anderen Firmen angestellt. Bis September 2000 war er "Gruppenleiter Verfahrensentwicklung" mit 24 Mitarbeitern; das Haushaltsvolumen der Gruppe betrug 6 Mio. DM. Ab Oktober 2000 nach seiner Beförderung zum Forschungsleiter unterstanden dem Kläger 217 Mitarbeiter; das Haushaltsvolumen dieser Abteilung betrug 60 Mio. DM.
Die Gesamtvergütung des Klägers setzte sich aus einem festen Bestandteil und einer variablen Vergütung zusammen, deren Grundlage eine Vereinbarung "Vertragsstufen und Bonussystem" war. Die variablen Bezüge orientierten sich am Unternehmenserfolg sowie am Erreichen persönlich vereinbarter Ziele. Die jährlichen Gesamtbezüge des Klägers betrugen in den Jahren 1998 bis 2001 zwischen 256 000 DM und 318 000 DM. Die darin enthaltenen, nachschüssig bezahlten Bonuszahlungen schwankten zwischen 27 000 DM und 63 000 DM und machten demnach rd. 10 % bis 20 % der Gesamtvergütung aus. Mit der Beförderung vom Gruppenleiter zum Forschungsleiter erhöhten sich die variablen Bezüge auf rd. 89 000 DM pro Jahr.
In der Einkommensteuer-Erklärung für 2000 machte der Kläger bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit Aufwendungen für verschiedene Bewirtungen als Werbungskosten geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) versagte den Abzug.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage, gerichtet auf eine Anerkennung von Bewirtungsaufwendungen in Höhe von 1 634 DM, mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 111 veröffentlichten Gründen statt.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts (§ 9 Abs. 1 Satz 1 und § 12 Nr. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes --EStG--).
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II.
Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das angefochtene Urteil hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
1. Werbungskosten sind Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung von Einnahmen (§ 9 Abs. 1 Satz 1 EStG). Hierzu können nach § 9 Abs. 5 EStG i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 EStG auch Bewirtungsaufwendungen eines Arbeitnehmers zählen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) liegen Werbungskosten dann vor, wenn zwischen den Aufwendungen und den steuerpflichtigen Einnahmen ein Veranlassungszusammenhang besteht. Eine berufliche Veranlassung ist gegeben, wenn die Aufwendungen objektiv mit dem Beruf zusammenhängen und subjektiv zu dessen Förderung erbracht werden (z.B. BFH-Urteil vom 1. Februar 2007 VI R 25/03, BFHE 216, 522, BStBl II 2007, 459, m.w.N.). Ob der Steuerpflichtige Aufwendungen aus beruflichem Anlass erbringt oder ob es sich um Aufwendungen für die Lebensführung i.S. von § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG handelt, muss anhand einer Würdigung aller Umstände des Einzelfalls, die in erster Linie dem FG als Tatsacheninstanz obliegt, entschieden werden (ständige Rechtsprechung; vgl. BFH-Urteile in BFHE 216, 522, BStBl II 2007, 459; vom 12. April 2007 VI R 77/04, BFH/NV 2007, 1643; vom 24. Mai 2007 VI R 78/04, BFHE 218, 177, BStBl II 2007, 721, jeweils m.w.N.).
Für die Beurteilung, ob Aufwendungen für eine Feier beruflich oder privat veranlasst sind, ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH in erster Linie auf den Anlass der Feier abzustellen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 216, 522, BStBl II 2007, 459, m.w.N.). Indes ist der Anlass einer Feier nur ein erhebliches Indiz, nicht aber das allein entscheidende Kriterium für die Beurteilung der beruflichen oder privaten Veranlassung der Bewirtungsaufwendungen. Ein gewichtiges Indiz für die Zuordnung von Aufwendungen zum beruflichen Bereich kann auch der Umstand bilden, dass der Steuerpflichtige variable, vom Erfolg seiner Arbeit abhängige Entlohnung erhält (vgl. BFH-Urteile vom 18. Oktober 2007 VI R 43/04, BFH/NV 2008, 357, und in BFHE 218, 177, BStBl II 2007, 721). Denn in einem solchen Fall hat es ein Arbeitnehmer in größerem Umfang selbst in der Hand, die Höhe seiner Bezüge zu beeinflussen. Ob eine Bewirtung ausdrücklich als Belohnung für diejenigen Mitarbeiter in Aussicht gestellt wird, die sich nachweisbar durch besondere Leistungen ausgezeichnet haben, ist dabei nicht entscheidend. Entgegen der Auffassung des FA ergibt sich eine solche Einschränkung des Werbungskostenabzugs auch nicht aus der neueren Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. BFH-Urteil in BFHE 216, 522, BStBl II 2007, 459).
2. Nach diesen Grundsätzen hält die Entscheidung des FG revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Vorentscheidung wird einer umfassenden Prüfung aller wesentlichen Umstände des Streitfalles nicht gerecht. Das FG hat seine Entscheidung im Wesentlichen nur damit begründet, der Kläger habe (auch) variable Bezüge erzielt; seine Bezüge seien zu einem nicht unwesentlichen Teil von den Leistungen seiner Mitarbeiter abhängig gewesen. Zu den sonstigen Umständen der verschiedenen Bewirtungen (wie Anlass der Feier, Ort der Veranstaltung, Teilnehmer, sonstige Begleitumstände) hat das FG keine hinreichenden Feststellungen getroffen.
3. Mangels Spruchreife geht die Sache an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurück. Das FG erhält hierdurch Gelegenheit, die den Streitfall prägenden Umstände umfassend zu beurteilen.
Sollte das FG im zweiten Rechtsgang erneut den beruflichen Bezug der streitbefangenen Bewirtungsaufwendungen bejahen, wird es zu beachten haben, dass die Vorschrift des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 EStG nach der Verweisungsnorm des § 9 Abs. 5 EStG für Werbungskosten sinngemäß gilt. Insoweit weist der Senat auf Folgendes hin:
a) Nach der für Betriebsausgaben maßgeblichen Vorschrift des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 EStG (in der im Streitjahr geltenden Fassung) dürfen Aufwendungen für die Bewirtung von Personen aus geschäftlichem Anlass den Gewinn nicht mindern, soweit sie 80 vom Hundert der Aufwendungen übersteigen, die nach der allgemeinen Verkehrsauffassung als angemessen anzusehen und deren Höhe und betriebliche Veranlassung nachgewiesen sind.
Nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. Urteile vom 18. September 2007 I R 75/06, BFHE 219, 78, BStBl II 2008, 116, und vom 19. August 1999 IV R 20/99, BFHE 190, 158, BStBl II 2000, 203) ist der Begriff des "geschäftlichen Anlasses" nicht identisch mit demjenigen der "Veranlassung durch den Betrieb" (§ 4 Abs. 4 EStG) bzw. der "betrieblichen Veranlassung", sondern ein spezifizierter Unterfall. Der BFH hat sich damit der Ansicht der Verwaltung und Literatur (siehe hierzu BFH-Urteil in BFHE 219, 78, BStBl II 2008, 116, m.w.N.) angeschlossen, dass --entsprechend der schon vor Inkrafttreten der Vorschrift durch das Steuerreformgesetz 1990 bestehenden Rechtslage-- nur die rein betriebsinterne Arbeitnehmerbewirtung keiner Abzugsbeschränkung unterliegt (vgl. hierzu auch Schmidt/Heinicke, EStG, 27. Aufl., § 4 Rz 542, m.w.N.); die Möglichkeit des unbeschränkten Abzugs über den Bereich der Arbeitnehmerbewirtung hinaus besteht bei der jetzigen Rechtslage nicht.
b) Für die in § 9 Abs. 5 EStG angeordnete sinngemäße Anwendung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG auf Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geht der erkennende Senat davon aus, dass der Begriff des "geschäftlichen Anlasses" auch nicht mit dem in ständiger Rechtsprechung des BFH zur Definition der Werbungskosten (§ 9 Abs. 1 Satz 1 EStG) verwendeten Begriff der "beruflichen Veranlassung" identisch ist. Dies hat für Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zur Folge, dass die Abzugsbeschränkung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 EStG (auch) nicht greift, wenn ein Arbeitnehmer aus beruflichem Anlass Aufwendungen für die Bewirtung von Arbeitskollegen trägt. Dies gilt insbesondere für solche Mitarbeiter, die ihm unterstellt sind und die durch ihre Zu- und Mitarbeit Einfluss auf die Höhe der variablen Bezüge des Bewirtenden nehmen. Derartige Umstände führen nach Auffassung des erkennenden Senats nicht dazu, dass bei sinngemäßer Anwendung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 EStG die Bewirtung aus der Sicht des (leitenden) Arbeitnehmers "geschäftlich veranlasst" ist. Denn ein solcher Arbeitnehmer verhält sich insoweit wie ein bewirtender Arbeitgeber. Ein Arbeitgeber will seine Arbeitnehmer, die durch ihre Arbeitsleistung zum wirtschaftlichen Erfolg des Betriebs beitragen, durch eine Bewirtung zu nachhaltiger und engagierter Mitarbeit motivieren. Nicht anders verhält sich ein Arbeitnehmer, der insbesondere ihm untergeordnete, beim gleichen Arbeitgeber beschäftigte Arbeitnehmer bewirtet, um den wirtschaftlichen Erfolg der von ihm geleiteten Abteilung zu sichern und damit jedenfalls mittelbar seine variablen Bezüge zu erhalten oder zu steigern. Deshalb ist auch bei sinngemäßer Anwendung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 EStG auf Werbungskosten die Abzugsbeschränkung auf die Bewirtung von Personen bezogen, die nicht Arbeitnehmer des gleichen Arbeitgebers sind.
c) Die sinngemäße Anwendung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 EStG erstreckt sich auch darauf, ob die in den Sätzen 2 und 3 EStG geforderten Angaben über die näheren Umstände der Bewirtung vorliegen und die gesetzlichen Aufzeichnungspflichten erfüllt sind (vgl. hierzu BFH-Urteil in BFH/NV 2007, 1643). Das FG wird deshalb auch die einzelnen Belege der verschiedenen Bewirtungen in seine Prüfung einzubeziehen haben.