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  • 24.06.2004 · IWW-Abrufnummer 97408

    Bundesfinanzhof: Urteil vom 18.12.1996 – XI R 63/96

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Urteil des Bundesfinanzhofs vom 18.12.1996

    Aktenzeichen: XI R 63/96
    1. Der Gewerbebetrieb, den ein Versicherungsbezirksdirektor unterhalten hat, kann sich in finanzieller, wirtschaftlicher und organisatorischer Hinsicht grundlegend von einem Betrieb unterscheiden, dessen Gegenstand sich in der gelegentlichen Vermittlung von Verträgen durch einen aus dem aktiven Erwerbsleben ausgeschiedenen Versicherungsvertreter erschöpft.

    2. Der Ertrag aus der Veräußerung einer Büroeinrichtung in Zusammenhang mit der Einstellung des Betriebs unterliegt nicht der Gewerbesteuer (st. Rspr.).

    3. Im Unterschied zum Ausgleichsanspruch nach § 89b HGB ist eine sog. Provisionsrente nicht als Gewerbeertrag zu erfassen, sofern ein Zusammenhang mit dem werbenden Betrieb fehlt.

    GewStG § 2 Abs. 1
    Urteil vom 18. Dezember 1996 XI R 63/96
    Vorinstanz: FG Düsseldorf (EFG 1996, 876)

    Gründe
    Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist Gesamtrechtsnachfolgerin ihres während des Klageverfahrens verstorbnen Ehemanns (A).

    A war seit 1949 als Versicherungsvertreter tätig und betrieb in eigenen Büroräumen eine Versicherungsagentur für die V-Versicherung (Versicherung). Er beschäftigte mehrere Arbeitnehmer. Seine Einnahmen beliefen sich im Jahr 1984 auf ca. 300.000 DM. Nach seinem Ausscheiden als Bezirksdirektor sollte A eine ab 1. April 1985 zu zahlende sog. Provisionsrente, einen Ausgleichsanspruch für das Bauspargeschäft (später mit 5.730 DM ermittelt) und eine pauschale Ausgleichszahlung von 75.000 DM (u.a. für das Lebensversicherungsgeschäft und zur Abgeltung einer Beratergebühr) erhalten (Schreiben der Versicherung vom 11. Februar 1985). Außerdem sollten dem A für das vermittelte Geschäft aus Neuverbindungen auch weiterhin die Provisionssätze in bisheriger Höhe vergütet werden.

    In den folgenden Jahren vergütete die Versicherung dem A folgende Beträge:
    1986 9.981,93 DM
    1987 5.750,00 DM
    1988 4.339,34 DM
    1989 1.555,00 DM
    1990 1.005,00 DM.

    In diesen Beträgen waren in größerem Umfang auch Folgeprovisionen für Altgeschäfte enthalten.

    Über den von der Betriebsprüfung ermittelten Gewinn von 37.740 DM hinaus erfasste der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ?FA--) im Gewerbesteuermessbescheid 1985 als Gewerbeertrag auch die Ausgleichszahlungen (75.000 DM und 5.730 DM), die Provisionsrente (72.083 DM), Zahlungen der Versicherung an die Tochter des A (24.027 DM) sowie auch Zahlungen der Versicherung für die Übernahme der Betriebsausstattung (20.000 DM). Im Gewerbesteuermessbescheid 1986 wurden ebenfalls die Provisionsrente (96.111 DM), Versicherungsprovisionen (9.981 DM) und Zahlungen der Versicherung an die Tochter (32.037 DM) angesetzt.

    Das Finanzgericht (FG) gab der Klage, mit der die Klägerin begehrte, für 1985 von einem Gewerbeertrag von 90.282 DM (laufender Gewinn 37.740 DM; Ausgleichszahlungen 46.812 DM und 5.730 DM) auszugehen und den Gewerbesteuermessbescheid 1986 aufzuheben, statt; das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 1996, 876 veröffentlicht. Die nach dem 31. März 1985 zugeflossenen Vergütungen könnten mit Ausnahme der Abfindung für den Ausgleichsanspruch nach § 89b des Handelsgesetzbuches (HGB) nicht als Gewerbeertrag dieses Gewerbetriebs erfasst werden. Der bis zum 31. März 1985 bestehende Gewerbebetrieb, den A in seiner Funktion als Versicherungsbezirksdirektor unterhalten habe, unterscheide sich in finanzieller, wirtschaftlicher und organisatorischer Hinsicht grundlegend von einem Betrieb, dessen Gegenstand sich in der gelegentlichen Vermittlung von Verträgen durch einen aus dem aktiven Erwerbsleben ausgeschiedenen Versicherungsvertreter erschöpfe. A habe diese Tätigkeit ohne die bis zur Aufgabe seiner hauptberuflichen Tätigkeit erforderlichen sachlichen und persönlichen Mittel ausüben können und habe dementsprechend auch im Vergleich zu seinen früheren Provisionseinnahmen nur noch geringe Vergütungen erhalten. Diese strukturellen Veränderungen ließen es nicht zu, die gelegentliche Vermittlungstätigkeit durch A als Weiterführung des bisherigen Betriebs zu qualifizieren. Es komme daher nicht mehr darauf an, dass eine Nebentätigkeit in geringen Umfang einer Veräußerung nicht entgegenstehe.

    Das Finanzgericht beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

    Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

    II.
    Die Revision ist unbegründet (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Entscheidung des Finanzgericht ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden; das Finanzgericht hat den Gewerbeertrag für 1985 zutreffend ermittelt und den Gewerbesteuermessbescheid für 1986 zu Recht aufgehoben. Die nach dem 31. März 1985 erzielten Erträge können ? mit Ausnahme der Abfindung für den Ausgleichsanspruch nach § 89b HGB ? nicht dem laufenden Ertrag des bisherigen Gewerbebetriebs zugerechnet werden.

    1. Das FG hat die Tätigkeit des A nach Aufgabe der Bezirksdirektion zu Recht nicht als Fortführung des bisherigen Betriebs angesehen.

    Gemäß § 2 Abs. 1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) unterliegt jeder stehende Gewerbebetrieb, soweit er im Inland betrieben wird, der Gewerbesteuer. Hat ein Steuerpflichtiger mehrere Betriebe der gleichen Art, so können diese Betriebe eine wirtschaftliche Einheit bilden, sofern sie als gleichartig anzusehen sind. Das ist der Fall, wenn sie sachlich, insbesondere organisatorisch, wirtschaftlich oder finanzielle zusammenhängen. Kriterien hierfür sind die Art der gewerblichen Bestätigung, der Kunden- und Lieferantenkreis, die Geschäftsleitung, die Arbeitnehmerschaft, die Betriebsstätte, die Zusammensetzung und Finanzierung des Aktivvermögens sowie die Gleichartigkeit der Betätigung (Urteile des Bundesfinanzhofs ?BFH- vom 12. Januar 1983 IV R 177/80, BFHE 138, 90, BStBI II 1983, 425; vom 25. April 1989 VIII R 294/84, BFH/NV 1990, 261; vom 9. August 1989 X R 130/87, BFHE 158, 80, BStBI II 1989, 901; Abschn. 19 Abs. 2 der Gewerbesteuer-Richtlinien ?GewStR-- ). Kennzeichen für einen organisatorischen Zusammenhang ist beispielsweise, dass die Unternehmensbereiche in einem Geschäftslokal untergebracht sind unter Einsatz derselben Arbeitskräfte ausgeübt oder dass die Waren oder Betriebsmittel gemeinsam eingekauft und bezahlt werden. Ein wirtschaftlicher Zusammenhang ist gegeben, wenn zwei (oder mehrere) Unternehmensbereiche sich gegenseitig stützen und ergänzen und nur miteinander wirtschaftlich betrieben werden können. Ein finanzieller Zusammenhang fehlt, wenn getrennte Aufzeichnungen geführt werden, wenn jeweils eigene Bankkonten unterhalten werden, getrennte Kassenabrechnungen vorgenommen werden und für jeden Betrieb gesonderte Gewinn- und Verlustrechnungen sowie Bilanzen erstellt werden. Lässt sich ein organisatorischer, wirtschaftlicher oder finanzieller Zusammenhang nicht feststellen, handelt es sich um mehrere Betriebe, die jeder für sich steuerlich zu erfassen sind.

    Im Streitfall ist der erforderliche sachliche Zusammenhang nicht gegeben. Der bisherige Betrieb und der Betrieb, den A möglicherweise nach dem 31. März 1985 unterhielt, sind nicht gleichartig; zwischen beiden bestand weder ein organisatorischer, ein wirtschaftlicher noch ein finanzieller Zusammenhang. Der ursprüngliche Betrieb war eine in eigenen Büroräumen mit mehreren Arbeitnehmern betriebene Versicherungsagentur, die von A als Bezirksdirektor geführt wurde. Diese Versicherungsagentur wurde aufgelöst, die Büroeinrichtung wurde veräußert, der bisherige Kundenstamm wurde der Versicherung übertragen. A entäußerte sich damit aller wesentlichen Grundlagen seines bisherigen Betriebs. Zwischen dem bisherigen Betrieb und der gelegentlichen Vermittlungstätigkeit, wie sie A nach dem 31. März 1985 noch ausübte, besteht keine Gleichartigkeit. Diese gelegentliche Vermittlungstätigkeit ist nicht ein ?Minus? im Verhältnis zu der bisherigen Tätigkeit, sondern angesichts der Veränderten Umstände ein ?Aliud?. Wie das Finanzgericht zu Recht ausführt, unterscheidet sich der bis zum 31. März 1985 bestehende Gewerbebetrieb, den A in seiner Funktion als Versicherungsbezirksdirektor unterhalten hatte, in finanzieller, wirtschaftlicher und organisatorischer Hinsicht grundlegend von einem Betrieb, dessen Gegenstand sich in der gelegentlichen Vermittlung von Verträgen durch einen aus dem aktiven Erwerbsleben ausgeschiedenen Versicherungsvertreter erschöpft. A hat diese Tätigkeit ohne die bis zur Aufgabe seiner bisherigen Tätigkeit erforderlichen sachlichen und persönlichen Mittel ausüben können und hat dementsprechend auch im Vergleich zu seiner früheren Provisionseinnahmen nur noch geringe Vergütungen erhalten. Diese strukturellen Veränderungen verbieten, die gelegentliche Vermittlungstätigkeit durch A als Weiterführung des bisherigen Betriebs zu qualifizieren.

    Die vom Finanzgericht angeführten Urteile stehen dieser Beurteilung nicht entgegen. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH ist einheitlicher Beurteilungsmaßstab der sachliche, namentlich wirtschaftliche oder finanzielle oder organisatorische Zusammenhang zwischen den verschiedenen gleichzeitig oder nacheinander ausgeübten gewerblichen Betätigungen nach Maßgabe des Gesamtbilds der Verhältnisse im Einzelfall und unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung (BFH-Urteil in BFHE 138, 90, BStBI II 1983, 425). Der Betrieb endet, wenn jede werbende Tätigkeit aufgegeben wird; der Zeitpunkt der Einstellung ist unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (BFH-Urteil vom 20. März 1990 VIII R 47/86, BFH/NV 1990, 799). Im Streitfall führt diese Beurteilung zu dem Ergebnis, dass der bisherige Betrieb nicht fortgeführt, sondern die gelegentliche Vermittlung ? wenn überhaupt ? im Rahmen eines anderen Betriebs ausgeübt wurde. In vergleichbarer Weise steht nach dem Urteil vom 7. November 1991 IV R 14/90 (BFHE 166, 527, BStBI II 1992, 457) einer tarifbegünstigten Praxisveräußerung nicht entgegen, dass eine Nebentätigkeit (als Betriebsarzt und Truppenarzt) nur in geringem Umfang (weniger als 10 %) ausgeübt wird. In dem Fall des BFH-Urteils vom 19. Februar 1987 IV R 72/83 (BFHE 149, 188, BStBI II 1987, 570) wurde die Tätigkeit ? im Unterschied zum Streitfall ? nur um ein Drittel gekürzt.

    2. Der Betrag von 20.000 DM, den A für die Veräußerung der Büroeinrichtung erhielt, rechnet nicht zu dem vor der Einstellung des Gewerbebetriebs erzielten Gewerbeertrag. Diese Veräußerung steht nicht mit der Erzielung des laufenden Ertrags, sondern mit der Beendigung des Betriebs in einem engen Zusammenhang. Der Gewinn aus der Veräußerung oder Aufgabe eines Betriebs unterliegt nicht der Gewerbesteuer (st. Rspr.; vgl. z.B. BFH-Urteile vom 2. Mai 1990 VIII R 204/85, BFH/NV 1990, 801; vom 3. Februar 1994 III R 23/89, BFHE 174, 372, BStBI II 1994, 709).

    3. Das Finanzgericht hat die Provisionsrente zu Recht nicht als Gewerbeertrag des bisherigen Betriebs erfasst. Im Unterschied zum Ausgleichsanspruch nach § 89b HGB, der nach ständiger Rechtsprechung noch dem laufenden Gewinn zuzuordnen ist (vgl. BFH-Beschluss vom 17. August 1995 XI B 73/95, BFH/NV 1996, 169; Schmidt, Einkommensteuergesetz, 15. Aufl. 1996, § 16 Rz. 325), gehört die Provisionsrente nicht zum laufenden Ertrag des werbenden Betriebs; sie hat keinen Vergütungscharakter, sondern dient der Altersversorgung (BFH-Urteil vom 31. März 1977 IV R 111/76, BFHE 122, 139, BStBI II 1977, 618; vgl. auch von Twickel, in Blümich, Gewerbesteuergesetz, Stand: Januar 1996, § 7 Tz. 154; Baumbach/Hopt, Handelsgesetzbuch, 29. Aufl. 1995, § 89b Rn.93; Brüggemann, Handelsgesetzbuch, Großkommentar, 4. Aufl. 1995, § 89b Rn. 137).

    4. Das Finanzgericht hat den Gewerbeertrag des Streitjahres 1985 auch der Höhe nach zutreffend ermittelt. Nach den tatsächlichen (und vom Finanzgericht nicht angegriffenen) Feststellungen des Finanzgericht betrug der Ausgleichsanspruch gemäß § 89b HGB nur 52.542 DM (46.812 DM und 5.730 DM).