20.10.2009 · IWW-Abrufnummer 093480
Europäischer Gerichtshof: Urteil vom 01.04.2004 – C-90/02
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Fünfte Kammer)
1. April 2004(1)
„Vorabentscheidungsersuchen – Auslegung von Artikel 18 Absatz 1 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie – Voraussetzungen für die Ausübung des Rechts auf Abzug der als Vorsteuer entrichteten Mehrwertsteuer – Empfänger einer Dienstleistung nach Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie – Gestellung von Personal durch einen im Ausland ansässigen Steuerpflichtigen – Empfänger, der die Mehrwertsteuer als Leistungsempfänger schuldet – Erfordernis des Besitzes einer Rechnung – Inhalt der Rechnung“
In der Rechtssache C-90/02
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom deutschen Bundesfinanzhof in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
Finanzamt Gummersbach
gegen
Gerhard Bockemühl
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Artikel 18 Absatz 1 und 22 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1) in der Fassung der Richtlinien 91/680/EWG des Rates vom 16. Dezember 1991 zur Ergänzung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems und zur Änderung der Richtlinie 77/388 im Hinblick auf die Beseitigung der Steuergrenzen (ABl. L 376, S. 1) und 92/111/EWG des Rates vom 14. Dezember 1992 zur Änderung der Richtlinie 77/388 und zur Einführung von Vereinfachungsmaßnahmen im Bereich der Mehrwertsteuer (ABl. L 384, S. 47)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Richters P. Jann in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Fünften Kammer sowie der Richter A. Rosas und S. von Bahr (Berichterstatter),
Generalanwalt: F. G. Jacobs,
Kanzler: M. F. Contet, Hauptverwaltungsrätin,
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
– der deutschen Regierung, vertreten durch W.-D. Plessing und M. Lumma als Bevollmächtigte,
– der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch E. Traversa und K. Gross als Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwalt A. Böhlke,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen des Finanzamts Gummersbach, vertreten durch F. Fürst als Bevollmächtigten, von Herrn Bockemühl, vertreten durch J. A. Nohl und C. Hesener, Steuerberater, und der Kommission, vertreten durch K. Gross im Beistand von A. Böhlke, in der Sitzung vom 11. September 2003,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 23. Oktober 2003,
folgendes
Urteil
Mit Beschluss vom 22. November 2001, eingegangen beim Gerichtshof am 15. März 2002, hat der Bundesfinanzhof gemäß Artikel 234 EG drei Fragen nach der Auslegung der Artikel 18 Absatz 1 und 22 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1) in der Fassung der Richtlinien 91/680/EWG des Rates vom 16. Dezember 1991 zur Ergänzung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems und zur Änderung der Richtlinie 77/388 im Hinblick auf die Beseitigung der Steuergrenzen (ABl. L 376, S. 1) und 92/111/EWG des Rates vom 14. Dezember 1992 zur Änderung der Richtlinie 77/388 und zur Einführung von Vereinfachungsmaßnahmen im Bereich der Mehrwertsteuer (ABl. L 384, S. 47) (im Folgenden: Sechste Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
Diese Fragen stellten sich in einem Rechtsstreit zwischen dem Finanzamt Gummersbach (im Folgenden: Finanzamt) und Herrn Bockemühl wegen der Weigerung des Finanzamts, Herrn Bockemühl den Abzug der Mehrwertsteuer auf an ihn erbrachte Dienstleistungen zu erlauben. Sie betreffen im Wesentlichen die Voraussetzungen für die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts nach Artikel 18 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie in den Fällen, in denen der betreffende Steuerpflichtige selbst die genannte Steuer schuldet, weil der Erbringer der fraglichen Dienstleistungen nicht in dem betreffenden Staat ansässig ist.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsregelung
Artikel 2 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie sieht vor, dass der Mehrwertsteuer Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen unterliegen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt.
Für Dienstleistungen bestimmt sich der Ort des steuerbaren Umsatzes nach Artikel 9 dieser Richtlinie, dessen Absatz 1 vorsieht, dass als solcher der Ort gilt, an dem der Dienstleistende den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, von wo aus die Dienstleistung erbracht wird, oder in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen festen Niederlassung sein Wohnort oder sein üblicher Aufenthaltsort. Als Ausnahme von dieser Regel gilt jedoch nach Artikel 9 Absatz 2:
„a)
als Ort einer Dienstleistung im Zusammenhang mit einem Grundstück, einschließlich der Dienstleistung von Grundstücksmaklern und ‑sachverständigen, und als Ort einer Dienstleistung zur Vorbereitung oder zur Koordinierung von Bauleistungen, wie z. B. die Leistungen von Architekten und Bauaufsichtsbüros, der Ort, an dem das Grundstück gelegen ist;
…
e)
als Ort der folgenden Dienstleistungen, die an außerhalb der Gemeinschaft ansässige Empfänger oder an innerhalb der Gemeinschaft, jedoch außerhalb des Landes des Dienstleistenden ansässige Steuerpflichtige erbracht werden, der Ort, an dem der Empfänger den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, für welche die Dienstleistung erbracht worden ist, oder in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen Niederlassung sein Wohnort oder sein üblicher Aufenthaltsort:
...
–
Gestellung von Personal,
…“
Zum Recht auf Vorsteuerabzug bestimmt Artikel 17 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie:
„Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:
a)
die im Inland geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden oder geliefert werden bzw. erbracht wurden oder erbracht werden,
…“
Artikel 18 dieser Richtlinie über die Einzelheiten der Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug lautet wie folgt:
„(1) Um das Recht auf Vorsteuerabzug ausüben zu können, muss der Steuerpflichtige
a)
über die nach Artikel 17 Absatz 2 Buchstabe a abziehbare Steuer eine nach Artikel 22 Absatz 3 ausgestellte Rechnung besitzen;
b)
über die nach Artikel 17 Absatz 2 Buchstabe b abziehbare Steuer ein die Einfuhr bescheinigendes Dokument besitzen, das ihn als Empfänger oder Importeur ausweist und aus dem sich der geschuldete Steuerbetrag ergibt oder aufgrund dessen seine Berechnung möglich ist;
c)
in Bezug auf die nach Artikel 17 Absatz 2 Buchstabe c abziehbare Steuer die von jedem Mitgliedstaat vorgeschriebenen Formalitäten erfüllen;
d)
bei der Entrichtung der Steuer als Abnehmer oder Dienstleistungsempfänger im Falle der Anwendung des Artikels 21 Ziffer 1 die von jedem Mitgliedstaat vorgeschriebenen Förmlichkeiten erfüllen;
…
(3) Die Mitgliedstaaten legen die Bedingungen und Einzelheiten fest, nach denen einem Steuerpflichtigen gestattet werden kann, einen Abzug vorzunehmen, den er nach den Absätzen 1 und 2 nicht vorgenommen hat.
…“
Hinsichtlich der Steuerschuldner bestimmt Artikel 21 Nummer 1 Buchstabe a Unterabsatz 1 der Sechsten Richtlinie, dass der Steuerpflichtige, der eine steuerpflichtige Lieferung von Gegenständen durchführt bzw. eine steuerpflichtige Dienstleistung erbringt, mit Ausnahme der Dienstleistungen nach Buchstabe b die Mehrwertsteuer im inneren Anwendungsbereich schuldet. Artikel 21 Nummer 1 Buchstabe a Unterabsätze 2 und 3 der Sechsten Richtlinie sieht jedoch vor:
„Wird die steuerpflichtige Lieferung von Gegenständen bzw. die steuerpflichtige Dienstleistung von einem nicht im Inland ansässigen Steuerpflichtigen bewirkt bzw. erbracht, so können die Mitgliedstaaten die erforderlichen Regelungen treffen, nach denen die Steuer von einer anderen Person geschuldet wird. Als solche kann unter anderem ein Steuervertreter oder der Empfänger der steuerpflichtigen Lieferung von Gegenständen bzw. der steuerpflichtigen Dienstleistung bestimmt werden.
Die Steuer wird jedoch vom Empfänger der steuerpflichtigen Lieferung geschuldet, wenn folgende Voraussetzungen gegeben sind:
…
– Die von dem nicht im Inland ansässigen Steuerpflichtigen ausgestellte Rechnung entspricht Artikel 22 Absatz 3.
…“
Nach Artikel 21 Nummer 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie schuldet der Empfänger einer Dienstleistung im Sinne des Artikels 9 Absatz 2 Buchstabe e dieser Richtlinie die Mehrwertsteuer, wenn die Dienstleistung von einem im Ausland ansässigen Steuerpflichtigen erbracht wird.
Artikel 21 Nummer 1 Buchstabe c bestimmt, dass jede Person, die die Mehrwertsteuer in einer Rechnung oder einem ähnlichen Dokument ausweist, diese schuldet.
Artikel 22 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie sieht vor:
„(3) a)
Jeder Steuerpflichtige hat für die Lieferungen von Gegenständen und die Dienstleistungen, die er an einen anderen Steuerpflichtigen oder an eine nichtsteuerpflichtige juristische Person bewirkt, eine Rechnung oder ein an deren Stelle tretendes Dokument auszustellen. …
b)
Die Rechnung muss getrennt den Preis ohne Steuer und den auf die einzelnen Steuersätze entfallenden Steuerbetrag sowie gegebenenfalls die Steuerbefreiung ausweisen.
…
c)
Die Mitgliedstaaten legen die Kriterien fest, nach denen ein Dokument als Rechnung betrachtet werden kann.
…“
Nationale Regelung
Die Bundesrepublik Deutschland hat nach Artikel 21 Nummer 1 der Sechsten Richtlinie in § 51 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung 1993 (BGBl. 1993 I S. 565, im Folgenden: UStDV 1993) bestimmt:
„(1) Für folgende steuerpflichtige Umsätze hat der Leistungsempfänger die Steuer von der Gegenleistung einzubehalten und an das für ihn zuständige Finanzamt abzuführen.
1.
Werklieferungen und sonstige Leistungen eines im Ausland ansässigen Unternehmers,
...
(3) Ein im Ausland ansässiger Unternehmer ist ein Unternehmer, der weder im Inland noch in einem Zollfreigebiet einen Wohnsitz, seinen Sitz, seine Geschäftsleitung oder eine Zweigniederlassung hat. Maßgebend ist der Zeitpunkt, in dem die Gegenleistung erbracht wird. Ist es zweifelhaft, ob der Unternehmer diese Voraussetzungen erfüllt, so darf der Leistungsempfänger die Einbehaltung und Abführung der Steuer nur unterlassen, wenn ihm der Unternehmer durch eine Bescheinigung des nach den abgabenrechtlichen Vorschriften für die Besteuerung seiner Umsätze zuständigen Finanzamtes nachweist, dass er kein Unternehmer im Sinne des Satzes 1 ist.
(4) Gegenleistung im Sinne des Absatzes 1 ist das Entgelt zuzüglich der Umsatzsteuer.“
In § 52 Absätze 2 und 3 UStDV 1993 sind jedoch Ausnahmen von den Verpflichtungen nach § 51 geregelt:
„(2) Der Leistungsempfänger ist nicht verpflichtet, die Steuer für die Leistung des Unternehmers einzubehalten und abzuführen, wenn
1.
der Unternehmer keine Rechnung mit gesondertem Ausweis der Steuer erteilt hat und
2.
der Leistungsempfänger im Falle des gesonderten Ausweises der Steuer den Vorsteuerabzug hinsichtlich dieser Steuer voll in Anspruch nehmen könnte.
(3) Für die Voraussetzung in Absatz 2 Nr. 2 ist es nicht erforderlich, dass der leistende Unternehmer zum gesonderten Ausweis der Steuer in einer Rechnung berechtigt ist.
...“
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen
Herr Bockemühl betreibt in Deutschland ein Bauunternehmen. Im streitigen Veranlagungszeitraum setzte er englische Bauarbeiter ein, die ihm von einem Unternehmen unter der Firma „Jaylink Bau Ltd Building Contractors“ zur Verfügung gestellt worden waren. Dieses Unternehmen unterhielt eine Kontaktadresse in den Niederlanden.
Die von diesen englischen Bauarbeitern verrichteten Arbeiten wurden ihm unter der genannten Firma in Rechnung gestellt; die Rechnungen wiesen eine englische Umsatzsteuer-Identifikationsnummer aus. Die Rechnungen vom 14. Dezember 1994 bis 22. März 1995 und vom 29. März 1995 bis 19. Juli 1995 gaben zwei unterschiedliche Londoner Adressen an. Sie wiesen außerdem die in Rechnung gestellte Leistung als Gewerke aus, obwohl es sich in Wirklichkeit um die Gestellung von Personal handelte.
Nach den Ermittlungen des Bundesamts für Finanzen gab es eine Gesellschaft mit der Firma „Jaylink Building Contractors Ltd“, die am 21. Mai 1992 in das englische Handelsregister eingetragen worden war und deren eingetragener Sitz sich an der auf den ersten Rechnungen angegebenen Adresse befand. In den lokalen Telefonverzeichnissen war diese Gesellschaft nicht eingetragen.
Die Rechnungen wiesen keine Umsatzsteuer aus, sondern enthielten vielmehr den Vermerk „Nullregelung Par. 52 UStDV vereinbart“. Nach einer Betriebsprüfung ging das Finanzamt allerdings davon aus, dass die in Rechnung gestellten Leistungen nicht von dem darin genannten, sondern von einem unbekannten dritten Unternehmen ausgeführt worden waren. Deshalb verlangte es mit Haftungsbescheid vom 23. August 1996 von Herrn Bockemühl als Empfänger der Dienstleistungen die Zahlung von Mehrwertsteuer in Höhe von 17 219,17 DM auf die fraglichen steuerbaren Umsätze.
Auf die Klage des Herrn Bockemühl hob das Finanzgericht K öln (Deutschland) diesen Bescheid sowie die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 27. März 1997 auf und stellte fest, es gebe „keine vernünftigen Zweifel daran, dass die Identität zwischen Rechnungsaussteller und leistendem Unternehmer gegeben ist“.
Das Finanzamt legte gegen dieses Urteil Revision zum Bundesfinanzhof ein und machte geltend, die Voraussetzungen der so genannten Nullregelung des § 52 Absatz 2 Nummer 2 UStDV 1993 seien nicht erfüllt, da zweifelhaft sei, wer die Leistungen erbracht habe. Herr Bockemühl hafte daher gesamtschuldnerisch für die Steuer.
Laut Vorlagebeschluss wurde das Abzugsverfahren nach den §§ 51 ff. UStDV 1993 ab 1. Januar 2002 durch ein Verfahren mit einer Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers ersetzt, da das Abzugsverfahren nicht mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar gewesen sei. Das vorlegende Gericht ist jedoch der Ansicht, dass die genannten Paragrafen des UStDV 1993 für den streitigen Veranlagungszeitraum weiterhin anwendbar blieben, soweit sie gemeinschaftsrechtskonform ausgelegt werden könnten.
Vor diesem Hintergrund geht das vorlegende Gericht zum Zwecke einer Auslegung der maßgeblichen nationalen Bestimmungen im Einklang mit der Sechsten Richtlinie davon aus, dass die fraglichen Dienstleistungen, sei es im Sinne des Artikels 9 Absatz 2 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie über Dienstleistungen im Zusammenhang mit einem Grundstück, sei es im Sinne des Artikels 9 Absatz 2 Buchstabe e dieser Richtlinie über die Gestellung von Personal, von einem im Ausland ansässigen Steuerpflichtigen erbracht wurden und der Ort dieser Leistungen in Deutschland lag. Im Falle des Artikels 9 Absatz 2 Buchstabe e der Sechsten Richtlinie sei die Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 21 Nummer 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie verpflichtet, Herrn Bockemühl als Empfänger der Leistung als Schuldner der Mehrwertsteuer zu behandeln.
Was das Recht auf Vorsteuerabzug im Sinne des § 52 Absatz 2 Nummer 2 UStDV 1993 anbelangt, ist das vorlegende Gericht der Auffassung, dass Herr Bockemühl, da er die fraglichen Leistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet habe, befugt sein müsse, die Vorsteuer gemäß Artikel 17 Absatz 2 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie abzuziehen. Da es gleichwohl Zweifel hinsichtlich der Voraussetzungen des Rechts auf Vorsteuerabzug hegt, hat es das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende drei Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1.
Muss der Empfänger von Dienstleistungen, der gemäß Artikel 21 Nummer 1 der Richtlinie 77/388/EWG Steuerschuldner und als solcher in Anspruch genommen worden ist, um das Recht auf Vorsteuerabzug ausüben zu können, gemäß Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 77/388 eine nach Artikel 22 Absatz 3 der Richtlinie 77/388 ausgestellte Rechnung besitzen?
2.
Falls diese Frage zu bejahen ist: Welche Angaben muss die Rechnung enthalten? Ist es schädlich, wenn statt der Gestellung von Personal die mit Hilfe dieses Personals erstellten Gewerke als Leistungsgegenstand bezeichnet werden?
3.
Welche Rechtsfolgen hätten nicht behebbare Zweifel daran, dass der Rechnungsaussteller die berechnete Leistung erbracht hat?
Zur ersten und zur zweiten Frage
Mit der ersten und der zweiten Frage, die zusammen zu behandeln sind, möchte das vorlegende Gericht erstens wissen, ob das Recht eines Steuerpflichtigen, der als Empfänger einer Dienstleistung die darauf anfallende Mehrwertsteuer schuldet, auf Vorsteuerabzug im Falle einer so genannten „Verlagerung der Steuerschuld“ nur ausgeübt werden kann, wenn dieser Steuerpflichtige eine nach Artikel 22 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie ausgestellte Rechnung besitzt. Für den Fall der Bejahung dieser Frage möchte es zweitens erfahren, welche Angaben diese Rechnung enthalten muss und insbesondere, ob der Mehrwertsteuerbetrag sowie der Name und die Anschrift des Erbringers der Dienstleistungen anzugeben sind und ob eine falsche Bezeichnung der Dienstleistung rechtliche Folgen für das Bestehen des Vorsteuerabzugsrechts nach sich zieht.
Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen
Nach Ansicht der deutschen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die als Einzige schriftliche Erklärungen eingereicht haben, steht die Anwendbarkeit des Artikels 18 Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie auf den vorliegenden Fall außer Frage. Sie betonen, dass diese Bestimmung ausdrücklich das Erfordernis des Besitzes einer nach Artikel 22 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie ausgestellten Rechnung vorsehe, von dem es keine Ausnahme gebe.
Die deutsche Regierung ist der Auffassung, auch in den Fällen, in denen der Leistungsempfänger die Mehrwertsteuer schulde, sei diese Verlagerung der Schuldnerschaft zu dessen Lasten nicht mehr als eine andere Art der Erhebung der Mehrwertsteuer und könne keine Auswirkungen auf die Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs haben.
Die Kommission trägt außerdem vor, diese Ansicht entspreche der Systematik des Artikels 21 Nummer 1 der Sechsten Richtlinie. Danach werde die Mehrwertsteuer nämlich bei Lieferungen von Gegenständen durch einen nicht im Inland ansässigen Steuerpflichtigen nur dann vom Empfänger geschuldet, wenn die Rechnung Artikel 22 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie entspreche.
Sie verweist ferner auf die Änderungen, die inzwischen durch die Richtlinie 2001/115/EG des Rates vom 20. Dezember 2001 zur Änderung der Richtlinie 77/388 mit dem Ziel der Vereinfachung, Modernisierung und Harmonisierung der mehrwertsteuerlichen Anforderungen an die Rechnungstellung (ABl. L 15, S. 24) eingeführt worden seien. Der neue Wortlaut des Artikels 22 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie bestimme, dass bei Steuerbefreiung oder wenn der Kunde Steuerschuldner sei, die Rechnung den Verweis auf die einschlägige Bestimmung der Sechsten Richtlinie oder die entsprechende einzelstaatliche Bestimmung oder einen Hinweis darauf enthalten müsse, dass für die Leistung eine Steuerbefreiung gelte bzw. diese der Verlagerung der Steuerschuld unterliege.
Die deutsche Regierung bemerkt im Übrigen, dass die Rechnung aus der Sicht der Steuerverwaltung eine wichtige Dokumentationsfunktion habe, da sie nachprüfbare Angaben darüber enthalte, in welcher Höhe der Vorsteuerabzug zulässig sei, wenn der Mitgliedstaat Vorsteuerabzugsausschlüsse für bestimmte Leistungen geregelt habe.
Auf eine schriftliche Frage des Gerichtshofes haben sowohl das Finanzamt als auch die deutsche Regierung und die Kommission geantwortet, dass Artikel 18 Absatz 1 Buchstaben a und d der Sechsten Richtlinie kumulativ anzuwenden seien, so dass der Steuerpflichtige bei einer Verlagerung der Steuerschuld die zusätzlichen Förmlichkeiten erfüllen müsse, die die Mitgliedstaaten in Wahrnehmung der ihnen nach Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe d der Richtlinie eröffneten Möglichkeit vorschrieben. Diese Vorschrift ermächtige die Mitgliedstaaten also nicht zu Ausnahmen im Sinne von Erleichterungen gegenüber den in Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie verlangten Voraussetzungen.
Die Kommission stellt fest, dass Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe d der Sechsten Richtlinie jedenfalls ausdrücklich auf die Anwendung des Artikels 21 Nummer 1 dieser Richtlinie verweise, wonach die Steuerschuldverlagerung voraussetze, dass „[d]ie von dem nicht im Inland ansässigen Steuerpflichtigen ausgestellte Rechnung … Artikel 22 Absatz 3 [entspreche]“. Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe d halte damit unverändert am Erfordernis des Besitzes einer Rechnung fest.
Zur Frage, ob die Rechnung den fraglichen Mehrwertsteuerbetrag ausweisen müsse, sind sowohl die deutsche Regierung als auch die Kommission der Ansicht, dass Sinn und Zweck des Artikels 22 Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie dafür sprächen, diesen in dem Fall, dass der Leistungsempfänger Steuerschuldner sei, eng auszulegen und auf das Erfordernis eines getrennten Ausweises der Mehrwertsteuer zu verzichten.
Die deutsche Regierung führt dafür verschiedene Gründe an. Erstens müsse der Leistungsempfänger als Steuerschuldner den von ihm abzuführenden Mehrwertsteuerbetrag selbst berechnen, ohne auf entsprechende Angaben des leistenden Unternehmers angewiesen zu sein. Zweitens würde der leistende Unternehmer im Falle eines gesonderten Ausweises der Mehrwertsteuer nach Artikel 21 Nummer 1 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie neben dem Leistungsempfänger Mehrwertsteuer schulden, was dem Grundgedanken der Sechsten Richtlinie zuwiderliefe. Drittens macht die deutsche Regierung unter Verweisung auf den Wortlaut des Artikels 22 Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie in der inzwischen durch die Richtlinie 2001/115 geänderten Fassung geltend, dass das dadurch geschaffene System Regeln enthalte, die einen getrennten Ausweis des Mehrwertsteuerbetrags überflüssig machten.
Nach Auffassung der Kommission behandelt Artikel 22 Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie eine derartige Verlagerung der Steuerschuld wie eine Steuerbefreiung. Andernfalls würde der Rechnungsaussteller die Mehrwertsteuer gemäß Artikel 21 Absatz 1 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie allein wegen ihres Ausweises schulden, ohne dass der Leistungsempfänger hinsichtlich dieser Mehrwertsteuer den Vorsteuerabzug geltend machen könnte. Sei der Leistungsempfänger Steuerschuldner, genüge es also, in der Rechnung auf diesen Umstand oder auf die einschlägige Bestimmung hinzuweisen, nach der dies der Fall sei.
Zum Namen und zur Adresse des Leistungserbringers verweist die deutsche Regierung zunächst auf die Urteile des Gerichtshofes vom 14. Juli 1988 in den Rechtssachen 123/87 und 330/87 (Jeunehomme, Slg. 1988, 4517, Randnr. 17) und vom 17. September 1997 in der Rechtssache C-141/96 (Langhorst, Slg. 1997, I-5073, Randnr. 17). Sie ist der Ansicht, wenn Artikel 22 Absatz 3 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie und die Rechtsprechung des Gerichtshofes die Mitgliedstaaten nicht verpflichteten, diese Angaben zu verlangen, hätten diese auch nicht das Recht, zusätzliche Angaben zu fordern.
Die Kommission ist der Meinung, aus dem Urteil vom 13. Dezember 1989 in der Rechtssache 342/87 (Genius Holding, Slg. 1989, 4227), nach dem das Vorliegen eines steuerpflichtigen Umsatzes überprüfbar sein müsse, ergebe sich, dass die Rechnung die Identifizierung des Steuerpflichtigen mit Namen und Anschrift sowie des betroffenen Umsatzes ermöglichen müsse.
Nach Ansicht der deutschen Regierung sollten die Mitgliedstaaten eine präzise Angabe der Art der Leistung auf der Rechnung verlangen dürfen, um die genaue Erhebung der Mehrwertsteuer sicherzustellen und Steuerhinterziehung zu verhindern.
Die Kommission vertritt die Auffassung, da die Rechnung das wesentliche Mittel zur Kontrolle der korrekten Handhabung der Mehrwertsteuer darstelle, müsse die Beschreibung der Umsätze hinreichend genau sein, um die Art, die Steuerbarkeit und den Ort der Umsätze und damit gegebenenfalls den Steuerschuldner bestimmen zu können.
Antwort des Gerichtshofes
Zunächst kann ein die Mehrwertsteuer schuldender Steuerpflichtiger, wie der Generalanwalt in Nummer 37 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, als Empfänger von Gegenständen oder Dienstleistungen das Recht auf Vorsteuerabzug nach Artikel 17 Absatz 2 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie geltend machen. Die späteren Änderungen dieser Bestimmung durch die Richtlinie 95/7/EG des Rates vom 10. April 1995 zur Änderung der Richtlinie 77/388 und zur Einführung weiterer Vereinfachungsmaßnahmen im Bereich der Mehrwertsteuer – Geltungsbereich bestimmter Steuerbefreiungen und praktische Einzelheiten ihrer Durchführung (ABl. L 102, S. 18), mit der die in dieser Hinsicht bestehenden Unterschiede zwischen einigen Sprachfassungen beseitigt wurden, bestätigen diese Ansicht.
Nach ständiger Rechtsprechung ist ferner das in Artikel 17 der Sechsten Richtlinie geregelte Recht auf Vorsteuerabzug integrierender Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer und kann grundsätzlich nicht eingeschränkt werden. Dieses Recht kann für die gesamte Steuerbelastung der vorausgehenden Umsatzstufen sofort ausgeübt werden (vgl. u. a. Urteile vom 6. Juli 1995 in der Rechtssache C-62/93, BP Soupergaz, Slg. 1995, I-1883, Randnr. 18, und vom 21. März 2000 in den Rechtssachen C-110/98 bis C-147/98, Gabalfrisa u. a., Slg. 2000, I-1577, Randnr. 43).
Durch die Regelung über den Vorsteuerabzug soll der Unternehmer vollständig von der im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden. Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem gewährleistet daher, dass alle wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis in neutraler Weise steuerlich belastet werden, sofern diese Tätigkeiten selbst der Mehrwertsteuer unterliegen (vgl. u. a. Urteile vom 14. Februar 1985 in der Rechtssache 268/83, Rompelman, Slg. 1985, 655, Randnr. 19, vom 15. Januar 1998 in der Rechtssache C‑37/95, Ghent Coal Terminal, Slg. 1998, I-1, Randnr. 15, und vom 21. März 2000, Gabalfrisa u. a., Randnr. 44).
Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie sieht hinsichtlich der Voraussetzungen des Vorsteuerabzugsrechts als allgemeine Regel vor, dass der Steuerpflichtige für den Vorsteuerabzug im Sinne des Artikels 17 Absatz 2 Buchstabe a dieser Richtlinie eine nach Artikel 22 Absatz 3 dieser Richtlinie ausgestellte Rechnung besitzen muss.
Für den Fall, dass die Mehrwertsteuer nach Artikel 21 Nummer 1 der Sechsten Richtlinie vom Leistungsempfänger geschuldet wird, bestimmt Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe d dieser Richtlinie jedoch, dass dieser die von jedem Mitgliedstaat vorgeschriebenen Förmlichkeiten erfüllen muss.
Aus dem Vorlagebeschluss ergibt sich, dass Herr Bockemühl im vorliegenden Fall grundsätzlich berechtigt ist, als Mehrwertsteuerschuldner das Vorsteuerabzugsrecht auszuüben. Er besitzt jedoch keine nach Artikel 22 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie ausgestellte Rechnung.
Daher stellt sich die Frage, ob bei einer Verlagerung der Steuerschuld wie im vorliegenden Fall nur Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe d der Sechsten Richtlinie oder, wie die deutsche Regierung, das Finanzamt und die Kommission vortragen, auch Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe a anwendbar ist.
In dieser Hinsicht ist erstens darauf hinzuweisen, dass Artikel 22 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie in der im Ausgangsverfahren maßgebenden Fassung das Verfahren der Steuerschuldverlagerung nicht ausdrücklich regelte. Wie die deutsche Regierung und die Kommission in ihren Erklärungen dargelegt haben, ergeben sich bei der Anwendung dieser Vorschrift im Rahmen dieses Verfahrens Auslegungsschwierigkeiten insbesondere hinsichtlich der Bestimmung, wonach die Angabe des Mehrwertsteuerbetrags Voraussetzung für die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts ist (vgl. Randnrn. 30 bis 32 des vorliegenden Urteils). Außerdem wird zwar, wie in Randnummer 26 des vorliegenden Urteils ausgeführt, in den Änderungen des Artikels 22 Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie durch die Richtlinie 2001/115 die Verlagerung der Steuerschuld genannt, Artikel 22 der Sechsten Richtlinie über die Pflicht zur Ausstellung einer Rechnung regelt jedoch als solcher nicht die Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs.
Zweitens ist zum Vorbringen der Kommission hinsichtlich der Systematik des Artikels 21 Nummer 1 Buchstabe a Unterabsatz 3 der Sechsten Richtlinie, diese Bestimmung sehe für Lieferungen von Gegenst änden durch einen nicht im Inland ansässigen Steuerpflichtigen vor, dass die Mehrwertsteuer nur dann vom Empfänger geschuldet werde, wenn die Rechnung Artikel 22 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie entspreche, festzustellen, dass Artikel 21 Nummer 1 Buchstabe a Unterabsatz 3 der Sechsten Richtlinie lediglich die Voraussetzungen nennt, unter denen der Empfänger einer Lieferung von Gegenständen zum Schuldner der Mehrwertsteuer bestimmt werden kann.
Drittens kann aus einem ähnlichen Grund dem Vorbringen der Kommission, Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe d der Sechsten Richtlinie halte unverändert am Erfordernis des Besitzes einer Rechnung fest, nicht gefolgt werden, denn diese Bestimmung verweist ausdrücklich auf die Anwendung des Artikels 21 Nummer 1 dieser Richtlinie, und dessen Buchstabe a Unterabsatz 3 verlangt als Voraussetzung für eine Verlagerung der Steuerschuld, dass „[d]ie von dem nicht im Inland ansässigen Steuerpflichtigen ausgestellte Rechnung … Artikel 22 Absatz 3 [entspricht]“. Wie nämlich in der vorstehenden Randnummer festgestellt wurde, nennt Artikel 21 Nummer 1 Buchstabe a Unterabsatz 3 der Sechsten Richtlinie lediglich die Voraussetzungen, unter denen der Empfänger einer Lieferung von Gegenständen zum Schuldner der Mehrwertsteuer bestimmt werden kann.
Artikel 18 Absatz 1 Buchstaben a und d der Sechsten Richtlinie sind folglich dahin auszulegen, dass nur Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe d auf das Verfahren der Steuerschuldverlagerung wie das im vorliegenden Fall anwendbar ist. Ein Steuerpflichtiger, der als Empfänger einer Dienstleistung die darauf anfallende Mehrwertsteuer schuldet, braucht für die Ausübung seines Vorsteuerabzugsrechts keine nach Artikel 22 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie ausgestellte Rechnung zu besitzen und muss nur die Förmlichkeiten erfüllen, die der betreffende Mitgliedstaat in Wahrnehmung der ihm nach Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe d dieser Richtlinie eröffneten Möglichkeit vorgeschrieben hat.
Diese Auslegung wird im Übrigen durch den Wortlaut des Artikels 18 Absatz 1 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie bestätigt, wo mit derselben Formulierung wie in Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe d zur Voraussetzung gemacht wird, dass der Steuerpflichtige die von jedem Mitgliedstaat vorgeschriebenen Förmlichkeiten erfüllt. Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe c ist auf Situationen der Zuordnung zum eigenen Unternehmen anwendbar, in denen das Vorsteuerabzugsrecht folgerichtig nicht an das Erfordernis gebunden ist, eine nach Artikel 22 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie ausgestellte Rechnung zu besitzen.
Die den Mitgliedstaaten durch Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe d der Sechsten Richtlinie eröffnete Möglichkeit erlaubt diesen zwar, die Förmlichkeiten für die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts bei einer Steuerschuldverlagerung vorzuschreiben, diese Befugnis muss jedoch im Einklang mit einem der Ziele der Sechsten Richtlinie ausgeübt werden, das darin besteht, die Erhebung der Mehrwertsteuer und ihre Überprüfung durch die Steuerverwaltung sicherzustellen (vgl. zu Artikel 22 Absatz 3 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie das Urteil Langhorst, Randnr. 17). Außerdem kann diese Befugnis nur ausgeübt werden, soweit die Auferlegung dieser Förmlichkeiten nicht wegen deren Zahl oder deren technischem Charakter die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts praktisch unmöglich macht oder übermäßig erschwert (vgl. zu Artikel 22 Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie in Verbindung mit Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe a dieser Richtlinie das Urteil Jeunehomme, Randnr. 17).
Was Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe d der Sechsten Richtlinie anbelangt, darf daher weder die Zahl noch der Umfang der für die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts zu erfüllenden Förmlichkeiten über das zur Gewährleistung der korrekten Anwendung des betreffenden Verfahrens der Steuerschuldverlagerung absolut Notwendige hinausgehen.
In diesem Zusammenhang erfüllt eine Rechnung zwar eine wichtige Dokumentationsfunktion, da sie überprüfbare Angaben enthalten kann. Im Falle einer Steuerschuldverlagerung müsste jedoch die Feststellung, dass und in welcher Höhe der Steuerpflichtige, der Empfänger einer Lieferung oder einer Dienstleistung ist, Mehrwertsteuer schuldet, gerade auf der Grundlage überprüfbarer Angaben getroffen worden sein. Verfügt die Steuerverwaltung über die Angaben, die für die Feststellung erforderlich sind, dass der Steuerpflichtige als Empfänger der fraglichen Leistung die Mehrwertsteuer schuldet, so darf sie hinsichtlich des Rechts des Steuerpflichtigen auf Abzug der Mehrwertsteuer keine zusätzlichen Voraussetzungen festlegen, die die Ausübung dieses Rechts verhindern können.
Wenn also ein Steuerpflichtiger als Empfänger einer Dienstleistung zum Schuldner der darauf entfallenden Mehrwertsteuer bestimmt wird, kann die Steuerverwaltung nicht als zusätzliche Voraussetzung für das Vorsteuerabzugsrecht verlangen, dass er eine nach Artikel 22 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie ausgestellte Rechnung besitzt. Ein derartiges Erfordernis würde nämlich dazu führen, dass der Steuerpflichtige einerseits als Dienstleistungsempfänger die entsprechende Mehrwertsteuer schuldet, andererseits aber Gefahr läuft, diese nicht abziehen zu können.
Daher ist auf die erste Frage zu antworten, dass ein Steuerpflichtiger, der nach Artikel 21 Nummer 1 der Sechsten Richtlinie als Empfänger einer Dienstleistung die darauf entfallende Mehrwertsteuer schuldet, im Rahmen eines Verfahrens der Steuerschuldverlagerung für die Ausübung seines Vorsteuerabzugsrechts keine nach Artikel 22 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie ausgestellte Rechnung zu besitzen braucht.
Zur zweiten und dritten Frage
Angesichts der Antwort auf die erste Frage sind die zweite und die dritte Frage nicht zu beantworten.
Kosten
Die Auslagen der deutschen Regierung und der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
auf die ihm vom Bundesfinanzhof mit Beschluss vom 22. November 2001 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
Ein Steuerpflichtiger, der nach Artikel 21 Nummer 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage in der Fassung der Richtlinien 91/680/EWG des Rates vom 16. Dezember 1991 zur Ergänzung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems und zur Änderung der Richtlinie 77/388 im Hinblick auf die Beseitigung der Steuergrenzen und 92/111/EWG des Rates vom 14. Dezember 1992 zur Änderung der Richtlinie 77/388 und zur Einführung von Vereinfachungsmaßnahmen im Bereich der Mehrwertsteuer als Empfänger einer Dienstleistung die darauf entfallende Mehrwertsteuer schuldet, braucht für die Ausübung seines Vorsteuerabzugsrechts keine nach Artikel 22 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie ausgestellte Rechnung zu besitzen.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg