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  • 07.10.2005 · IWW-Abrufnummer 052615

    Bundesfinanzhof: Urteil vom 02.09.1992 – XI R 44/91

    Steuerfreie Einkünfte gemäß § 3 Nr.9 EStG sind bei der Beurteilung der Zusammenballung von Einkünften gemäß § 34 Abs.1 und 2 EStG nicht zu berücksichtigen.


    BFH

    Urteil vom 02.09.1992 - XI R 44/91

    Tatbestand
    I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) wurde im Streitjahr 1985 zusammen mit ihrem nach Klageerhebung verstorbenen Ehemann (E) gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt.

    Wegen Arbeitsmangels schloß E am 11.Januar 1984 mit seinem Arbeitgeber einen Auflösungsvertrag, der das seit dem 16.August 1964 bestehende Arbeitsverhältnis zum 31.Mai 1984 beendete. Zeitgleich wurde ein befristeter Arbeitsvertrag für den Zeitraum vom 1.Juni 1984 bis zum 31.Dezember 1984 geschlossen. Ferner wurde vereinbart, daß E wegen der von seinem Arbeitgeber veranlaßten Auflösung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung nach §§ 9, 10 des Kündigungsschutzgesetzes, § 3 Nr.9 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 68 056 DM erhalten sollte.

    Ein Teilbetrag in Höhe von 36 000 DM wurde im Jahr 1984 gezahlt. Diesen Betrag erklärte E in der Einkommensteuererklärung 1984 nicht als Einnahme aus nichtselbständiger Tätigkeit. Der Rest der Abfindung in Höhe von 32 056 DM wurde im Jahr 1985 gezahlt.

    In ihrer Einkommensteuererklärung 1985 beantragten die Klägerin und E die Anwendung des § 34 Abs.1 EStG hinsichtlich des restlichen Abfindungsbetrages.

    Auf Nachfrage des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt --FA--) erklärte der (frühere) Arbeitgeber, daß der Betrag in Höhe von 32 056 DM als Abfindung gezahlt worden sei, wobei der Freibetrag nach § 3 Nr.9 EStG bereits Berücksichtigung gefunden habe. Die Klägerin und E wurden entsprechend ihrem Antrag zur Einkommensteuer veranlagt.

    Im Rahmen einer bei dem Arbeitgeber durchgeführten Außenprüfung stellte das FA fest, daß die Abfindung an E in zwei Teilbeträgen, verteilt auf zwei Veranlagungszeiträume, ausgezahlt worden war. Das FA änderte daraufhin den Einkommensteuerbescheid 1985 nach § 173 Abs.1 Nr.1 der Abgabenordnung (AO 1977). Es behandelte den Abfindungsbetrag in Höhe von 32 056 DM als Arbeitslohn für mehrere Jahre gemäß § 34 Abs.3 EStG.

    Der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) statt (vgl. Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1992, 198).

    Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen und formellen Rechts.

    Es beantragt,

    das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, die

    Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG

    zurückzuverweisen.

    Die Klägerin beantragt,

    die Revision zurückzuweisen.

    Entscheidungsgründe
    II. Die Revision ist unbegründet (§ 126 Abs.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Der materiell-rechtlichen Beurteilung des FG ist im Ergebnis zu folgen; ob die Voraussetzungen des § 173 Abs.1 Nr.1 AO 1977 vorliegen, kann dahinstehen.

    1. Gemäß § 34 Abs.1, Abs.2 Nr.2 EStG sind Entschädigungen i.S. des § 24 Nr.1 EStG als außerordentliche Einkünfte ermäßigt zu besteuern.

    Eine ermäßigte Besteuerung von Einkünften kommt nur in Betracht, sofern die Einkünfte nicht bereits steuerbefreit sind. Steuerbefreite Einkünfte sind bei der Anwendung des § 34 Abs.1, Abs.2 EStG unbeachtlich. § 3 Nr.9 EStG und § 34 Abs.1, Abs.2 EStG sind selbständige Begünstigungsnormen, deren Voraussetzungen unabhängig voneinander zu beurteilen sind; steuerfreie Einkünfte sind keine steuerbaren Entschädigungen i.S. des § 24 Nr.1 EStG (vgl. Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 11.Aufl., 1992, § 3, Stichwort "Abfindungen wegen Auflösung eines Dienstverhältnisses (§ 3 Nr.9)", Buchst.a; Offerhaus, Der Betrieb --DB-- 1991, S.2456). Dementsprechend können steuerbefreite Einkünfte auch nicht bei der Beurteilung, ob die Entschädigung zusammengeballt in einem Veranlagungszeitraum zugeflossen ist (dazu vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 2.September 1992 XI R 63/89, BFH/NV 1992, 23), berücksichtigt werden. Bei der Beurteilung dieser Frage ist allein auf die steuerbaren nicht steuerbefreiten Entschädigungszahlungen abzustellen. Das FG weist zu Recht darauf hin, daß die Auszahlung der steuerfreien Einkünfte im Vorjahr die (progressive) Besteuerung der Einkünfte des Streitjahres nicht berührt. Die Abmilderung der Progression (durch Verminderung der Einkünfte um den steuerbefreiten Teil der Abfindung) hat ihre Ursache nicht in der Verteilung auf zwei Jahre, sondern allein in der Anwendung des § 3 Nr.9 EStG. In welchem Jahr die steuerbefreiten Einkünfte ausgezahlt werden, ist für die Anwendung des § 34 Abs.1, Abs.2 EStG bedeutungslos.

    2. Dem FA ist ferner nicht in der Auffassung zu folgen, daß --entgegen der im Einkommensteuerbescheid 1984 selbst vertretenen Beurteilung-- lediglich eine Entschädigung in Höhe von 30 000 DM hätte steuerfrei belassen werden dürfen. Bei der Berechnung der Dauer des Arbeitsverhältnisses ist der befristete Arbeitsvertrag, der vom 1.Juni 1984 bis zum 31.Dezember 1984 dauerte, in die Beurteilung einzubeziehen. Unabhängig von der formalen Aufteilung der Arbeitsverträge (dazu vgl. auch BFH-Urteil vom 21.Juni 1990 X R 48/86, BFHE 161, 372, BStBl II 1990, 1021) hat das Dienstverhältnis zwischen E und seinem Arbeitgeber mehr als 20 Jahre bestanden.

    3. Schließlich brauchte das FG nicht auf Punkt 5 des Auflösungsvertrages einzugehen. Dieser Punkt regelt den Anspruch des Klägers auf Urlaub und --wie sich aus der ergänzenden Formulierung ergibt-- auf Weihnachtsgeld für das Jahr 1984. Entgegen der Auffassung des FA war diese Regelung nicht Teil der Entschädigungsregelung, sondern betraf das noch bis zum 31.Dezember 1984 fortgeführte (laufende) Arbeitsverhältnis.

    RechtsgebietEStGVorschriftenEStG § 3 Nr. 9, § 34 Abs. 1-2