22.10.2010 · IWW-Abrufnummer 103240
Bundesfinanzhof: Urteil vom 17.03.2010 – X R 28/08
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe
I.
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Der Kläger erzielte in den Streitjahren 1998 bis 2000 als Versicherungsvertreter Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Er ermittelte seinen Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich (§ 5 i.V.m. § 4 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes --EStG--) und war insbesondere für die folgenden Versicherungen tätig: A-Versicherung, D-Versicherung, C-Versicherung, V-Versicherung, DK-Versicherung, H-Versicherung, A-Versicherung, BB-Versicherung und N-Versicherung. Gemäß den mit den Versicherungen geschlossenen Verträgen und den diesen zugrunde liegenden Bestimmungen erhielt er für die Vermittlung der Verträge Provisionen. Teilweise wurde ausdrücklich die Zahlung von Provisionsvorschüssen vereinbart. Bei den vermittelten Versicherungen handelt es sich überwiegend um Lebensversicherungen mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr und mit unterschiedlichen Prämienzahlungen (teilweise einmalige Prämienzahlung, teilweise laufende Prämienzahlung).
Grundsätzlich konnten zudem nach den Vereinbarungen mit den Versicherungen die Provisionszahlungen anteilig zurückgefordert werden, wenn sich die Beiträge der Versicherten ermäßigten oder zurückgezahlt wurden oder wenn es während des sog. Provisionshaftungszeitraumes zur Vertragsaufhebung oder zur vorzeitigen Vertragsbeendigung kam. Überdies wurden gegebenenfalls entstehende Rückzahlungsansprüche abgesichert, indem ein zuvor festgelegter Teil der Provision von etwa 10% (sog. Stornoreserve) zunächst einbehalten und einem Stornoreservekonto der jeweiligen Versicherung gutgeschrieben wurde.
In den jeweils zum 31. Dezember der Streitjahre aufgestellten Bilanzen stellte der Kläger einen Bilanzposten "Forderungen aus Stornoreserve" ein; für die Streitjahre 1999 und 2000 bildete er auf der Passivseite eine Rückstellung in derselben Höhe. Für das Streitjahr 2000 passivierte er zudem --neben den zwischen den Beteiligten unstreitig auf diese Weise zu behandelnden Provisionsvorschusszahlungen der A-Versicherung und der N-Versicherung-- die Provisionszahlungen der anderen Versicherungen als "erhaltene Anzahlungen".
Nach einer Außenprüfung, die auch die Streitjahre 1998 bis 2000 umfasste, versagte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) die Korrektur der Stornoreserve auf der Passivseite. Die Provisionszahlungen der anderen Versicherungen im Jahr 2000 wertete das FA als Erlöse, wobei es wegen eines angenommenen Ausfallrisikos eine Rückstellung in Höhe von 5% der Zahlungen bildete.
Die Kläger wandten sich erfolglos mit Einsprüchen und Klagen gegen die aufgrund der Außenprüfung ergangenen geänderten Einkommensteuerbescheide 1998 bis 2000 und den gesonderten Feststellungsbescheiden des verbleibenden Verlustabzuges zur Einkommensteuer zum 31. Dezember 1998. Auch die Klage des Klägers gegen die geänderten Bescheide wegen der Gewerbesteuermessbeträge 1998 bis 2000 und wegen gesonderter Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31. Dezember 1998 blieb ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) führte u.a. aus, das FA habe die Provisionszahlungen zu Recht als Erlöse berücksichtigt. Für die Aktivierung von Provisionsforderungen komme es nicht auf das Entstehen oder die Fälligkeit der Forderung an, sondern darauf, ob der Versicherungsvertreter seine Leistung erbracht und sein Geschäftspartner sie abgenommen habe. Bei einem Versicherungsvertreter sei dieser Zustand mit Zahlung der Erstprämie zu bejahen. Ab diesem Zeitpunkt habe der Kläger daher den Anspruch auf die Abschlussprovision zu aktivieren; der Anspruch sei dann nicht mehr mit besonderen Risiken behaftet, die eine Bewertung hindern könnten. Dies habe der Bundesfinanzhof (BFH) in seinem Urteil vom 14. Oktober 1999 IV R 12/99 (BFHE 190, 349, BStBl II 2000, 25 ) so bestätigt. Sowohl bei den durch die Kläger als "Haftungsvolumen" bezeichneten Provisionszahlungen als auch bei der "Stornoreserve" handele es sich um Provisionsansprüche im Sinne des BFH-Urteils in BFHE 190, 349, [BFH 14.10.1999 - IV R 12/99] BStBl II 2000, 25 . Das Haftungsvolumen stehe zwar unter einer auflösenden Bedingung und bei der Stornoreserve sei die Fälligkeit der Zahlungen hinausgeschoben; beide seien jedoch Provisionsforderungen im Sinne des BFH-Urteils, da auch die dortigen Provisionsforderungen lediglich "pro rata" der eingegangenen Prämien zahlbar gewesen seien. Diese Provisionszahlungen stellten auch keine Vorschüsse f ür Teilleistungen dar, da der Kläger die Leistungen, für die die Abschlussprovision zu zahlen sei, bereits vollständig erbracht habe. Nach § 92 Abs. 4 des Handelsgesetzbuchs (HGB) entstehe der Anspruch auf die Provision, sobald der Versicherungsnehmer die Prämie gezahlt habe. Die Entstehung des Anspruchs könne deshalb, anders als seine Fälligkeit, nicht durch individuelle Vereinbarung bestimmt werden. Daher beinhalte die Verwendung des Begriffes "Vorschüsse" in den Verträgen nur eine Fälligkeitsabrede. In Hinblick auf mögliche vertragliche Rückabwicklungen und Ausfälle sei allerdings eine Wertberichtigung vorzunehmen. Dem habe das FA durch eine Rückstellung in Höhe von 5% in ausreichender Höhe Rechnung getragen.
Mit ihrer Revision rügen die Kläger Verletzung des § 5 i.V.m. § 4 Abs. 1 EStG, der §§ 133, 157, 158 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs und der §§ 92 Abs. 4, 242 ff. HGB sowie eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 96 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO-- i.V.m. Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes). Das FG werte Vorschusszahlungen und Stornoreserven zu Unrecht als bilanzierungspflichtige Wirtschaftsgüter. Die Vorschüsse würden zwischen den Versicherungen und dem Kläger fast wie Darlehen und keinesfalls wie verdiente Provisionen behandelt. Stornoreserven seien keine bilanzierungsfähigen Wirtschaftsgüter, sondern lediglich informatorische Mitteilungen darüber, wie hoch die Vergütung ausfallen könne, wenn die Verträge erfolgreich durchgeführt würden. Das FG habe die zwischen dem Kläger und den Versicherungen getroffenen Vereinbarungen nicht ausreichend zur Kenntnis genommen und gewürdigt. Es seien reine Erfolgshonorare vereinbart worden. Die Leistung des Klägers sei gemäß den Verträgen jeweils nur in Höhe der durch die Versicherungsnehmer tatsächlich gezahlten monatlichen Prämien erbracht. Die Entstehung des Provisionsanspruchs setze die Zahlung der Versicherungsprämien voraus. Der im Vorfeld bestehende vertragliche Anspruch sei ausdrücklich als Anspruch auf Vorschuss ausgestaltet. Die Aussage des FG-Urteils, dass nach Zahlung der Erstprämie der Provisionsanspruch nicht mehr mit besonderen Risiken behaftet sei, entspreche nicht den Tatsachen. Es gebe immer wieder unvorhergesehene Konstellationen, in denen bis zu 50% oder mehr der Versicherungsverträge gescheitert seien. Das erstinstanzliche Urteil verstoße gegen die Entscheidung des BFH vom 21. Oktober 1971 IV 305/65 (BFHE 104, 56, BStBl II 1972, 274 ). Im Streitfall gebe es weder eine Verzinsung noch eine Abtretungsmöglichkeit des Haftungsvolumens und der Stornoreserve.
Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liege zum einen darin, dass das FG nicht den Inhalt der Akten kenne und nicht dargelegt habe, aus welchem konkreten Vertrag sich ergebe, dass es sich bei dem Haftungsvolumen und der Stornoreserve um entstandene und realisierte Forderungen handele. Der BFH-Beschluss vom 13. Februar 2008 III B 29/07, III B 30/07, III B 31/07 (BFH/NV 2008, 947) zeige, dass der BFH nach den jeweiligen mit der Versicherung vereinbarten und praktizierten Abrechnungssystemen unterscheide. Zum anderen habe das FG eine Überraschungsentscheidung erlassen. Die ursprüngliche Berichterstatterin habe hinsichtlich der Entstehung des Provisionsanspruchs bei Teilprämienzahlung zu Protokoll des nicht-öffentlichen Erörterungstermins vom 7. November 2005 gegeben, die Forderung dürfte erst am letzten Tag der Zahlung seitens des Versicherungsnehmers entstanden sein. Das FG habe nunmehr ohne entsprechenden Hinweis seine Rechtsauffassung geändert.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das FG-Urteil und die Einspruchsentscheidung vom 4. Juni 2004 aufzuheben und die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1998 bis 2000, den Bescheid wegen gesonderter Feststellung des verbleibenden Verlustabzuges zur Einkommensteuer zum 31. Dezember 1998, wegen Gewerbesteuermessbeträgen 1999 bis 2000 und wegen gesonderter Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31. Dezember 1998 dahingehend zu ändern, dass der Besteuerung bzw. der Feststellung im Jahr 1998 ein um 84.225,17 DM niedrigerer Gewinn, im Jahr 1999 ein um 125.273,66 DM niedrigerer Gewinn und im Jahr 2000 ein um 391.354,84 DM niedrigerer Gewinn zugrunde gelegt wird. Die Klägerin schließt sich diesem Antrag --mit Ausnahme des Antrags bezüglich der Gewerbesteuer-- an.
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass es für die bilanzielle Behandlung von Provisionszahlungen nicht auf die vertraglichen Vereinbarungen zwischen dem Kläger und den Versicherungen ankommt, sondern darauf, ob die Leistung erbracht und abgenommen worden ist. Soweit der Kläger in Übereinstimmung mit den vertraglichen Vereinbarungen lediglich Provisionsvorschüsse erhalten hat, durften diese Zahlungen nicht den Gewinn erhöhen, sondern sind als "erhaltene Anzahlungen" zu passivieren.
1.
Wird der Gewinn --wie im Streitfall-- durch Betriebsvermögensvergleich ermittelt, ist für den Schluss des betreffenden Wirtschaftsjahres das Betriebsvermögen anzusetzen, das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung auszuweisen ist (§ 5 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 4 Abs. 1 EStG). Gemäß § 252 Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 2 HGB sind Gewinne nur zu berücksichtigen, wenn sie am Abschlussstichtag realisiert sind. Diese Voraussetzung liegt vor, wenn eine Forderung entweder rechtlich bereits entstanden ist oder die für die Entstehung wesentlichen wirtschaftlichen Ursachen im abgelaufenen Geschäftsjahr gesetzt worden sind und der Kaufmann mit der künftigen Entstehung der Forderung fest rechnen kann. Nicht erforderlich ist, dass die Forderung am Bilanzstichtag fällig ist (BFH-Urteil vom 6. Oktober 2009 I R 36/07, BFHE 226, 342, BStBl II 2010, 232, unter II.2.b aa).
a)
Der BFH hat bereits entschieden, dass ein Provisionsanspruch, der entstanden ist, sobald der vom Versicherungsmakler vermittelte Vertrag zwischen dem Versicherer und dem Versicherungsnehmer zustande gekommen ist, stets und in vollem Umfang zu aktivieren ist (BFH-Beschluss in BFH/NV 2008, 947, unter II.3., m.w.N.). Hinsichtlich der am Bilanzstichtag von den Versicherungen bereits gezahlten Provisionen ist ebenfalls geklärt, dass für sie die gleichen Erwägungen wie für die Aktivierung von Provisionsforderungen gelten (BFH-Urteil in BFHE 190, 349, [BFH 14.10.1999 - IV R 12/99] BStBl 2000, 25, unter 2.). Stellen sie Entgelt für einen bereits entstandenen Provisionsanspruch dar, sind sie gewinnerhöhend als Erlöse zu verbuchen (BFH-Urteil vom 14. März 1986 III R 179/82, BFHE 146, 541, BStBl II 1986, 669 ). Sind die Zahlungen nach den Vereinbarungen hingegen lediglich als Provisionsvorschüsse zu werten, fehlt es an einer Gewinnrealisierung. Solche Zahlungen sind dann als "erhaltene Anzahlungen" nach § 266 Abs. 3 Abschn. C.3. HGB zu passivieren (BFH-Beschluss in BFH/NV 2008, 947, unter 3., m.w.N.; vgl. ferner Blümich/Schreiber, § 5 EStG Rz 740 "Versicherungsvertreter"; Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 29. Aufl., § 5 Rz 270 "Provisionsanspruch/Provisionsvorschüsse", jeweils m.w.N.).
b)
Wann der Provisionsanspruch eines Versicherungsvertreters entsteht, richtet sich --entgegen der Auffassung des FG-- nach den zwischen den Versicherungen und dem Versicherungsvertreter geschlossenen Verträgen. Nach der Sonderregelung des § 92 Abs. 4 HGB, die den in § 87a Abs. 1 bis 3 HGB für Handelsvertreter enthaltenen Regelungen vorgeht, hat der Versicherungsvertreter Anspruch auf eine Provision, sobald der Versicherungsnehmer die Prämie gezahlt hat, aus der sich die Provision nach dem Vertragsverhältnis berechnet. § 92 Abs. 4 HGB überlässt es daher der Vertragsgestaltung, welche Prämienzahlung zur Entstehung des Provisionsanspruchs führen soll. Liegen entsprechende vertragliche Vereinbarungen bezüglich der Abhängigkeit der Entstehung des Provisionsanspruchs von der Prämienzahlung vor, ist auch die Anwendbarkeit des § 87a Abs. 1 Satz 3 HGB ausgeschlossen, wonach unabhängig von einer Vereinbarung der Provisionsanspruch entsteht, sobald und soweit der Dritte das Geschäft ausgeführt hat (Küstner in Küstner/Thume, Handbuch des gesamten Außendienstrechts, Band 1, 3. Aufl., Rz 957; Thume in Röhricht/Graf v. Westphalen --Hrsg.--, HGB, 3. Aufl., § 92 Rz 7).
Der Zeitpunkt, zu dem ein Anspruch auf eine Vermittlungsprovision im Versicherungsgeschäft realisiert ist, hängt von den Vertragsgestaltungen im konkreten Einzelfall ab (Bundesministerium der Finanzen vom 28. Mai 2002 IV A 6 -S 2132- 10/02, Der Betrieb 2002, 1348). Die Entstehung des Provisionsanspruchs kann daher vertraglich zum Beispiel von der Zahlung der ersten Jahresprämie durch den Versicherungsnehmer, von der Zahlung einer bestimmten Anzahl von Monatsprämien oder der Zahlung der Abschlussgebühr abhängig gemacht werden. Bei mehreren Prämienzahlungen kann zudem bestimmt werden, ob sich für den Vermittler nur aus der ersten Prämienzahlung oder jeder Prämienzahlung ein Provisionsanpruch ergeben soll (Thume in Röhricht/Graf v. Westphalen --Hrsg.--, a.a.O., § 92 Rz 6; Baumbach/Hopt/Hopt, HGB, 34. Aufl., § 92 Rz 8).
Entgegen der Auffassung des FG ist § 92 Abs. 4 HGB abdingbar. Vertraglich kann also z.B. auch ein Recht auf die Zahlung von Vorschüssen oder von Teilprovisionen --z.B. bei laufend zu leistenden Prämienzahlungen-- vereinbart werden (MünchKommHGB/ von Hoyningen-Huene, 2. Aufl., § 92 Rz 35; Baumbach/Hopt/Hopt, a.a.O., § 92 Rz 9; Thume in Röhricht/Graf v. Westphalen --Hrsg.--, a.a.O., § 92 Rz 6; Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/ Löwisch, HGB, Band 1, 2. Aufl., § 92 Rz 14).
2.
Da das FG bezüglich der Vertragsinhalte keine tatsächlichen Feststellungen i.S. des § 118 Abs. 2 FGO getroffen hat, kann der Senat nicht abschließend entscheiden, in welcher Höhe Provisionszahlungen --inklusive der sog. Stornoreserve-- gewinnerhöhend und in welcher Höhe als erhaltene Anzahlungen zu erfassen sind. Das FG wird dies im zweiten Rechtsgang nachzuholen haben. Dabei ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn ein mögliches Ausfallrisiko durch eine Rückstellung in Höhe von 5% der Provisionszahlungen berücksichtigt wird.
3.
Eine Auseinandersetzung mit der klägerischen Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs er übrigt sich, weil schon die Rüge der Verletzung materiellen Rechts revisionsrechtlich Erfolg hat.