08.01.2010
Finanzgericht München: Urteil vom 19.11.2003 – 10 K 1534/00
Ein Stuntcoordinator, der Stunts ausarbeitet, die Kostenkalkulation erstellt, Motive aussucht, die optimale Kameraführung festlegt, Filmszenen im Detail choreographiert, Schauspieler, Stuntman und Komparsen trainiert bzw. deren Auftritte abstimmt und selbst als Stuntman auftritt, ist gewerblich tätig.
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In der Streitsache
wegen Gewerbesteuermessbetrag 1998
hat der 10. Senat des Finanzgerichts München unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Finanzgericht …, des Richters am Finanzgericht … und des Richters am Finanzgericht sowie der ehrenamtlichen Richter … und … aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 19. November 2003
für Recht erkannt:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob die Einkünfte des Klägers der Gewerbesteuer unterliegen oder ob er als Künstler freiberuflich tätig war.
Der Kläger ist als Stuntcoordinator und als Stuntman tätig. Er wird bei der Produktion von Filmen engagiert, bei denen Stunts (z.B. Autostunts; Pferdestunts; Schlägereien; Feuerstunts) anfallen. Im Allgemeinen wurde im Streitjahr 1998 ein Auftrag wie folgt abgewickelt:
Die Filmfirma rief beim Kläger an, ob er zu bestimmten Teminen Zeit habe. War dies der Fall, stellte die Filmfirma dem Kläger das Drehbuch des Films zur Verfügung. Da die Regisseure meist nicht die nötigen Fachkenntnisse hatten, erhielt der Kläger mit den Drehbüchern oft nur eine grobe Vorgabe der Rahmenhandlung. Diese arbeitete er dann im Detail aus (Erstellen und Ausarbeiten von Skizzen, Zeichnungen, Plänen, Storyboards) und erstellte eine Kostenkalkulation. Auf dieser Basis wurde anschließend ein mündlicher Vertrag geschlossen. Auch bei der anschließenden Umsetzung des Filmprojekts wirkte der Kläger planend mit. Kam es zu Meinungsverschiedenheiten mit dem Regisseur wurde im Einzelfall, ggf. unter Mitwirkung des Filmproduzenten, entschieden, welcher Filmvorschlag realisiert wurde. Sodann sorgte der Kläger für die Realisierung der Stunts, z.B. durch Motivsuche, Auf- und Umbauten der Motive und Festlegung der optimalen Kameraführung. Ferner wurde die Filmszene im Detail choreographiert und Schauspieler, Stuntman und Komparsen entsprechend trainiert bzw. in ihren Auftritten aufeinander abgestimmt. Im Streitjahr setzte der Kläger für Pferdestunts das eigene Pferd ein. Ferner hatte er mehrere speziell hergerichtete KFZ im Einsatz, mit denen Autostunts (z.B. Verfolgungsjagden) optimal gefilmt werden konnten. Wenn für die Stunts andere Stuntman benötigt wurden, beauftragte sie der Kläger (Betriebsausgaben 1998: 27.480 DM). Bei der Mehrzahl der Produktionen wurde er selbst als Stuntman tätig. Dabei doubelte er einerseits Schauspieler. In zahlreichen Filmen, in denen sich die Filmrolle im Stunt erschöpfte, trat er aber auch als eigene Person auf. Daneben wurden ihm als gelernten Schauspieler in Actionfilmen auch ganze Filmrollen übertragen, die über die Stuntszenen hinausgingen. Der Kläger war als Stuntman in der Künstlersozialkasse gesetzlich versicherungspflichtig.
Seine Aufträge im Streitjahr 1998 hat der Kläger im Einzelnen in der mit Schreiben vom 8. August 2002 übersandten Liste erläutert. Im Schreiben vom 15. Januar 2003 führte er auf Antrage des Gerichts aus, er könne nachträglich nicht mehr feststellen, in welchen Produktionen er als Schauspieler tätig war. Die Verträge wurden – wie in der Filmbranche üblich – nur mündlich abgeschlossen. Honorare für Schauspielerei rechnete der Kläger nicht gesondert ab. Auch eine Erörterung der einzelnen Aufträge im Streitjahr war im Erörterungstermin nicht mehr möglich, da der Kläger sich an die Filmproduktionen nicht mehr näher erinnern konnte.
Der Beklagte, das Finanzamt (FA), vertrat die Ansicht, die Tätigkeiten des Klägers seien nicht künstlerisch und setzte mit Bescheid vom 1. Oktober 1999 einen Gewerbesteuer-Messbetrag von 678 DM fest. Den Einspruch wies es mit der Einspruchsentscheidung vom 1. März 2000 zurück.
Hiergegen richtet sich die Klage. Der Kläger macht geltend, er habe einen erheblichen künstlerischen Gestaltungsspielraum. Er sei als Drehbuchautor tätig, da er die Stuntszenen nach seinen Vorstellungen, Phantasien und Erlebnissen umschreibe. Er sei ferner mit einem Regisseur zu vergleichen, da er die Szenen künstlerisch gestalte und technisch so realisiere, dass sie publikumswirksam und gleichzeitig realistisch zu dem jeweiligen Film passten. Die technische Umsetzung der Szene sei lediglich das Ergebnis der vorherigen künstlerischen Bearbeitung. Per Saldo stelle der Kläger somit einen Teil des Gesamtkunstwerks Film her, der gerade im Genre der Actionfilme eine erhebliche Bedeutung habe. Soweit er Stunts selber spiele, liege eine Tätigkeit als Schauspieler vor. Dies gelte auch beim Doubeln von Schauspielern. Die künstlerische Leistung liege hierbei in der möglichst genauen Nachahmung des anderen Schauspielers. Der Schwerpunkt der Tätigkeit liege auch deshalb in der künstlerischen Gestaltung, da diese zeitlich überwiege. Das Drehen der jeweiligen Stuntszene dauere nur kurze Zeit.
Der Kläger beantragt.
den Gewerbesteuer-Messbescheid 1998 vom 1. Oktober 1999 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 1. März 2000 ersatzlos aufzuheben, hilfsweise die Revision zuzulassen.
Das Finanzamt beantragt
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung des FA wird auf den Schriftsatz vom 17. Mai 2000 und die Einspruchsentscheidung verwiesen. Ferner wird zum Sachverhalt auf das Protokoll zum Erörterungstermin verwiesen.
Gründe
II.
Die Klage ist nicht begründet.
1. Nach § 2 Abs. 1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) unterliegt jeder inländische stehende Gewerbebetrieb im Sinne des Einkommensteuergesetzes (EStG) der Gewerbesteuer.
a) Gewerbebetrieb ist nach § 15 Abs. 2 Satz 1 EStG jede selbständige nachhaltige Betätigung, die mit der Absicht, Gewinn zu erzielen, unternommen wird, sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt und weder als Ausübung von Land- und Forstwirtschaft noch als Ausübung eines freien Berufs noch als eine andere selbständige Arbeit anzusehen ist; ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des Gewerbebetriebs ist nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), dass die Betätigung den Rahmen einer privaten Vermögensverwaltung überschreitet. Zu den gewerbesteuerfreien freiberuflichen Tätigkeiten zählen insbesondere selbständig ausgeübte künstlerische Tätigkeiten im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG.
Das Wesen künstlerischer Betätigung liegt in der freien schöpferischen Gestaltung, in der der Steuerpflichtige seine individuelle Anschauungsweise und Darstellungskraft zum Ausdruck bringt und die über eine hinreichende Beherrschung der Technik hinaus eine gewisse Gestaltungshöhe erreicht (ständige Rechtsprechung, vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 15. Oktober 1998 IV R 1/97, BFH/NV 1999, 465 m.w.N.). Diese herkömmliche Auslegung des Künstlerbegriffs ist verfassungsgemäß, da es bei ihr nicht um die Differenzierung zwischen „höherer” oder „niedrigerer” Kunst bzw. „guter” oder „schlechter” Kunst geht. Vielmehr dienen die Abgrenzungskriterien lediglich als Prüfungsmaßstab zwischen Kunst und Nichtkunst im steuerrechtlichen Sinne (BFH-Urteil vom 23. September 1998 XI R 71/97, BFH/NV 1999, 460).
b) Übt ein Steuerpflichtiger sowohl eine künstlerische als auch eine gewerbliche Tätigkeit aus, so ist zu unterscheiden, ob es sich um trennbare Tätigkeiten handelt oder nicht. Sind die verschiedenen Tätigkeiten nach der Verkehrsauffassung ohne Schwierigkeiten zu trennen, so können sie nach der heutigen Rechtsprechung des BFH steuerlich getrennt beurteilt werden, und zwar auch dann, wenn sachliche und wirtschaftliche Bezugspunkte zwischen den verschiedenen Tätigkeiten bestehen. Sind allerdings bei einer Tätigkeit die verschiedenen Tätigkeitsarten derart miteinander verflochten, dass sie sich gegenseitig unlösbar bedingen, so liegt eine einheitliche Tätigkeit vor, die steuerlich danach zu qualifizieren ist, ob das künstlerische oder das gewerbliche Element vorherrscht. Schuldet ein Steuerpflichtiger gegenüber seinem Auftraggeber einen einheitlichen Erfolg, so ist auch die zur Durchführung des Auftrags erforderliche Tätigkeit regelmäßig als einheitliche zu beurteilen. Werden in einem Betrieb nur gemischte Leistungen mit überwiegend gewerblichem Charakter erbracht, so ist auch der Betrieb einheitlich als gewerblicher zu qualifizieren (vgl. BFH-Urteil vom 30. März 1994 I R 54/93, BStBl II 1994, 864).
c) Die Fragen, ob eine Tätigkeit die aufgezeigten Merkmale einer künstlerischen Tätigkeit erfüllt, eine einheitliche Tätigkeit vorliegt und welches Element einen einheitlichen Betrieb prägt, hat das FG anhand der tatsächlichen Verhältnisse des Einzelfalles zu beurteilen. Bei der gebotenen umfassenden Gesamtwürdigung aller Umstände kommt auch der Verkehrsauffassung erhebliche Bedeutung zu (BFH-Urteil vom 11. Juli 1991 IV R 33/90, BStBl II 1992, 353).
So ist der typische Schauspieler als Künstler anzusehen (BFH, a.a.O.; vgl. bereits BFH-Urteil vom 3. August 1978 VI R 212/75, BStBl II 1979, 131: Synchronsprecher ist Künstler, da er mit Schauspieler vergleichbar ist). Unerheblich ist dagegen, mit welcher Zielsetzung die künstlerische Tätigkeit ausgeübt wird oder für welche Zwecke sie verwendet werden soll. Eine künstlerische Tätigkeit bleibt daher auch dann künstlerisch, wenn sie für gewerbliche Zwecke (z.B. Werbung) eingesetzt werden soll. Eine enge Weisungsgebundenheit spricht dagegen gegen eine künstlerische Gestaltungsfreiheit. Gleiches gilt, wenn der Steuerpflichtige nur bekannte Vorbilder nachahmt (vgl. BFH-Urteil vom 11. Juli 1991 IV R 15/90, BStBl II 1991, 889: Holzschnitzer als Kunsthandwerker oder Künstler?) oder aufgrund von in der Natur der Sache liegenden Zwangsvorgaben keinen erheblichen Gestaltungsspielraum hat (vgl. BFH-Urteil vom 23. August 1990 IV R 61/89, BStBl II 1991, 20: Industriedesigner; Gestaltung von Produkten lediglich nach der neuesten Moderichtung nicht künstlerisch, wenn auf bekannte Vorbilder zurückgegriffen wird oder der Gebrauchszweck von Gegenständen keinen Gestaltungsspielraum lässt). Auch muss eine Tätigkeit nicht deshalb als künstlerisch angesehen werden, weil sie notwendige Voraussetzung zur Entstehung eines Kunstwerks ist (BFH-Urteil vom 22. März 1990 IV R 145/88, BStBl II 1990, 643: Klavierstimmer). Ein Filmhersteller ist nur dann Künstler, wenn er an allen Tätigkeiten mitwirkt, die für den künstlerischen Wert bestimmend sind (Drehbuch; Regie; Kameraführung; Schnitt; Vertonung). Üben dagegen andere Personen entscheidenden Einfluss auf die Gestaltung des Films aus, liegt eine gewerbliche Filmherstellung vor. Der Einsatz von Mitarbeitern mit eigener Gestaltungsfreiheit ist mithin einer künstlerischen Tätigkeit wesensfremd (vgl. BFH-Urteil vom 2. Dezember 1980 VIII 32/75, BStBl II 1981, 170). Auch Artisten (z.B. Feuerschlucker, Schlangenmenschen, Jongleure) sind gewerblich tätig (BFH-Urteil vom 10. März 1993 I R 96/92, BFH/NV 1993, 716), da der Schwerpunkt der Tätigkeit in der Unterhaltung liegt. Ebenso üben Profisportler eine gewerbliche Tätigkeit aus.
Da der freie Beruf grundsätzlich alle Merkmale eines Gewerbebetriebs (Nachhaltigkeit; Gewinnerzielungsabsicht; Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr) erfüllt und er der Gewerbesteuerpflicht nur dann nicht unterliegt, wenn er die Merkmale des § 18 EStG aufweist, trägt die Feststellungslast für das Vorliegen eines freien Berufs der Steuerpflichtige (vgl. BFH-Urteil vom 30. März 1994 I R 53/93, BFH/NV 1995, 210 m.w.N.).
2. Nach diesen Grundsätzen könnte nach Ansicht des Senats eine künstlerische Tätigkeit als Schauspieler in den Fällen vorliegen, in denen der Kläger eine vollständige Filmrolle spielt, die über die Stuntszene hinausgeht. Indes kann die Klage unter diesem Gesichtspunkt keinen Erfolg haben, weil ein solcher Sachverhalt im Streitjahr nicht festgestellt werden konnte. Der Kläger hat auf mehrfache Nachfrage des Gerichts erklärt, sich an die Filmrollen im Streitjahr nicht mehr im Einzelnen erinnern zu können. Dies geht zu seinen Lasten, da er die Feststellungslast für das Vorliegen von Tatsachen trägt, die für eine künstlerische Tätigkeit sprechen.
3. Soweit der Kläger als Stuntcoordinator und als Double von Schauspielern tätig war, schließt sich der Senat den Rechtsausführungen der (in diesen beiden Punkten) vom Sachverhalt her gleichgelagerten Entscheidung des Finanzgerichts München vom 16. Mai 2002 5 K 5281/97 (EFG 2002, 1176; siehe insoweit Volltext des Urteils, den der Klägervertreter im Erörterungstermin erhalten hat: Haufe-Index 772220) an. Diese Entscheidung kommt zum Ergebnis, dass bei der Stuntcoordination nicht die künstlerische Leistung im Vordergrund steht und ein Stuntman mit Berufssportlern und Artisten zu vergleichen ist. Auch im Streitfall führt eine Gesamtwürdigung aller erkennbaren Umstände nicht dazu, dass eine überwiegende künstlerische Tätigkeit angenommen werden kann.
Zutreffend weist der Kläger darauf hin, dass seine Tätigkeit künstlerische Elemente aufweist, da er bei der Herstellung des Films eine gewisse Gestaltungsfreiheit hat und dabei teilweise ähnlich dem Drehbuchverfasser und dem Regisseur die Gestaltung von Filmen im Detail beeinflusst. Andererseits weisen erhebliche Teile seiner Tätigkeit keinen künstlerischen Charakter auf. So ist der Kläger verantwortlich für die Hinzuziehung anderer Stuntman und vor allem für die technische Realisierung der Stunts. Er wird nach eigener Aussage engagiert, weil die Regisseure das nötige Wissen, wie Stunts realisiert werden können, nicht besitzen. Mit der Beauftragung des Klägers erwerben die Filmfirmen die technischen Spezialkenntnisse, die zur Vermeidung von Unfällen nötig sind. Ferner erhält der Kläger seine Vergütung auch dafür, dass er seine speziell präparierten KFZ für Filmaufnahmen bei Autostunts zur Verfügung stellt. Im Streitjahr hatte er ferner ein eigenes Pferd im Einsatz. Unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung legt der Senat diesen gewerblich/technischen Komponenten der Tätigkeit des Klägers eine erhebliche Bedeutung bei. Gegen ein Überwiegen der künstlerischen Elemente der Tätigkeit spricht ferner, dass der Kläger nur in den Grenzen, die Filmproduzent und Regisseur ihm setzen, eigenen Gestaltungsspielraum besitzt und damit erheblich eingeschränkt ist. Ferner ist der Kläger durch die technischen Sachzwänge, die bei Stunts zu beachten sind, eingeschränkt.
Zu einem anderen Abwägungsergebnis kommt der Senat auch nicht in den Fällen, in denen der Kläger als Double oder als eigenständiger Schauspieler im Film aufgetreten ist. Denn in solch kurzen Filmszenen steht nicht die eigenschöpferische künstlerische Leistung des Klägers als Schauspieler, sondern die unfallfreie technische Abwicklung der Filmszene unter Einsatz der körperlichen Fähigkeiten des Klägers im Vordergrund. Ein gesondert abgerechnetes Honorar für Schauspielerei hat der Kläger nicht erhalten.
Bei den vorstehenden Beurteilungen ist zu Lasten des Klägers zu berücksichtigen, dass seine Tätigkeiten nur anhand von abstrakten Beispielen, die er selbst ausgesucht hat, bewertet werden kann, während konkrete Auskünfte zu den einzelnen Aufträgen und Filmszenen, die im Streitjahr abgerechnet wurden, vom Kläger nicht zu erhalten waren.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).