20.09.2011 · IWW-Abrufnummer 113293
Finanzgericht Niedersachsen: Urteil vom 06.07.2011 – 4 K 322/10
Der Begriff der nahe stehenden Person i. S. des § 32d Abs. 2 EStG ist im Gesetz nicht definiert.
Nach der Gesetzesbegründung soll ein Näheverhältnis vorliegen, wenn die Person auf den Stpfl. einen beherrschenden Einfluss ausüben kann oder umgekehrt der Stpfl. auf diese Person einen beherrschenden Einfluss ausüben kann oder eine dritte Person auf beide.
Der Begriff der nahe stehenden Person ist am Gesetzeszweck des § 32d Abs. 2 EStG auszurichten. Die Vorschrift soll dem von der Steuersatzspreizung ausgehenden Anreiz entgegenwirken, betriebliche Gewinne abzusaugen, um deren Steuerbelastung auf den Abgeltungssteuersatz zu reduzieren.
Die Kriterien für die Bestimmung nahe stehender Personen i. S. des § 32d EStG entsprechen denjenigen, die der Feststellung von vGA bei Vorteilsgewährungen der KapG an Nichtgesellschafter zu Grunde gelegt werden.
Tatbestand
Streitig ist, ob Zinsen aus einem Privatdarlehen dem gesonderten Steuertarif für Einkünfte aus Kapitalvermögen gemäß § 32 d des Einkommensteuergesetzes (EStG) unterliegen.
Die Klägerin ist verwitwet und hat zwei Töchter. Zu einem nicht genau bekannten Zeitpunkt gewährte sie der X-GmbH (GmbH) ein Darlehen über 400.000 DM (entsprechend 204.516,75 €). An dem Stammkapital der GmbH sind ihre Enkelkinder B und C zu jeweils 36 Prozent und ihre Tochter A zu 28 Prozent beteiligt. Durch privatschriftlichen Vertrag vom 27. März 2002 wurde dieses Darlehen um 45.483,25 € aufgestockt und für das Gesamtdarlehen ab 1. April 2002 eine Verzinsung mit 4,25 Prozent vereinbart. Die Laufzeit des Darlehens sollte fünf Jahre betragen, von denen die ersten beiden tilgungsfrei sein sollten. Regelungen über Zeitpunkt und Höhe der danach zu erbringenden Tilgungsleistungen wurden nicht getroffen. Eine Besicherung des Darlehens wurde nicht vereinbart. Durch privatschriftlichen Vertrag vom 31. Oktober 2002 schenkte die Klägerin ihren Enkelkindern B und C Darlehensteilbeträge in Höhe von jeweils 51.000 €. Durch notarielle Urkunde vom 7. September 2004 erteilte die Klägerin ihrer Tochter A und ihrer Enkeltochter B Generalvollmacht.
Mit der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2009 erklärte die Klägerin bei den Einkünften aus Kapitalvermögen Zinsen aus dem der GmbH gewährten Darlehen in Höhe von 6.290 €. Durch Einkommensteuerbescheid vom 30. August 2010 unterwarf der Beklagte (das Finanzamt – FA –) die Einkünfte aus Kapitalvermögen der tariflichen Einkommensteuer nach § 32 a EStG.
Den am 2. September 2010 eingelegten Einspruch, mit dem die Klägerin geltend machte, dass die Zinseinnahmen dem gesonderten Steuertarif für Einkünfte aus Kapitalvermögen gemäß § 32 d EStG unterlägen, wies das FA durch Einspruchsbescheid vom 8. November 2010 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte es aus: Nach § 32 d Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe b EStG sei der gesonderte Steuertarif für Einkünfte aus Kapitalvermögen nicht anzuwenden, wenn Kapitalerträge von einer Kapitalgesellschaft an einen Anteilseigner gezahlt würden, der zu mindestens 10 Prozent an der Gesellschaft beteiligt sei. Nach § 32 d Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe b Satz 2 EStG gelte dies auch dann, wenn Gläubiger der Kapitalerträge eine dem Anteilseigner nahe stehende Person sei. Da A als Tochter eine der Klägerin nahe stehende Person und an der GmbH zu 28 Prozent beteiligt sei, seien die Zinseinnahmen daher der tariflichen Einkommensteuer zu unterwerfen.
Hiergegen richtet sich die am 29. November 2010 erhobene Klage. Zu deren Begründung führt die Klägerin aus:
Der Gesetzeswortlaut gebe keinen Aufschluss darüber, wer nahe stehende Person im Sinne des § 32 d Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe b Satz 2 EStG sei. Nach der Gesetzesbegründung zum Unternehmensteuerreformgesetz 2008 solle es sich bei Vereinbarungen zwischen nahe stehenden Personen um Beherrschungsverhältnisse im Sinne des § 1 Abs. 2 des Außensteuergesetzes (AStG) handeln. Dass sie – die Klägerin – auf ihre über 60 Jahre alte Tochter einen wirtschaftlichen oder außerhalb dieser Geschäftsbeziehung begründeten Einfluss nehmen könne, sei praktisch auszuschließen. Die Auffassung des FA, dass Angehörige im Sinne des § 15 der Abgabenordnung (AO) stets nahe stehende Personen seien, hätte die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes zur Folge, weil die Darlehensgewährung innerhalb der Familie damit steuerlich ungünstiger behandelt würde als die Darlehensgewährung an fremde Dritte.
Die Klägerin beantragt,
unter Änderung des Einkommensteuerbescheides 2009 vom 30. August 2010 und des dazu ergangenen Einspruchsbescheides vom 8. November 2010 die Einkommensteuer auf den Betrag herabzusetzen, der sich ergibt, wenn die Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von 6.290 € dem gesonderten Steuertarif gemäß § 32 d Abs. 1 EStG unterworfen werden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält an der seinem Einspruchsbescheid zugrunde liegenden Beurteilung fest.
Gründe
Die Klage ist unbegründet. Das FA hat die von der GmbH gezahlten Zinsen zu Recht der tariflichen Einkommensteuer unterworfen.
Nach § 32 d Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe b Satz 1 EStG unterliegen Kapitalerträge im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG, zu denen auch die von der Klägerin bezogenen Zinsen gehören, nicht dem Abgeltungsteuersatz nach § 32 d Abs. 1 EStG, wenn sie von einer Kapitalgesellschaft an einen Anteilseigner gezahlt werden, der zu mindestens 10 Prozent an der Gesellschaft beteiligt ist. Dies gilt nach § 32 d Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe b Satz 2 EStG auch dann, wenn der Gläubiger der Kapitalerträge eine dem Anteilseigner nahe stehende Person ist.
Der Begriff der nahe stehenden Person ist im Gesetz nicht definiert. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD zum Unternehmensteuerreformgesetz 2008 (Bundestags-Drucksache 16/4841, S. 61) soll ein Näheverhältnis im Sinne des § 32 d Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a EStG vorliegen, wenn die Person auf den Steuerpflichtigen einen beherrschenden Einfluss ausüben kann oder umgekehrt der Steuerpflichtige auf diese Person einen beherrschenden Einfluss ausüben kann oder eine dritte Person auf beide einen beherrschenden Einfluss ausüben kann oder die Person oder der Steuerpflichtige imstande ist, bei der Vereinbarung der Bedingungen einer Geschäftsbeziehung auf den Steuerpflichtigen oder die nahe stehende Person einen außerhalb dieser Geschäftsbeziehung begründeten Einfluss auszuüben oder wenn einer von ihnen ein eigenes wirtschaftliches Interesse an der Erzielung der Einkünfte des anderen hat. In Randnummer 136 Satz 1 des „Einzelfragen zur Abgeltungsteuer” betreffenden Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 22. Dezember 2009 IV C 1 - S 2252/08/10004 (BStBl. I 2010, 94) wird diese – an die Begriffsbildung des § 1 Abs. 2 AStG angelehnte – Definition nahezu wörtlich übernommen. Ergänzend heißt es dort, dass ein Näheverhältnis in diesem Sinne vorliegt, wenn Gläubiger und Schuldner der Kapitalerträge Angehörige im Sinne des § 15 AO sind oder wenn an einem Personenunternehmen der Steuerpflichtige und/oder ein Angehöriger beteiligt ist oder wenn – außerhalb von Angehörigenverhältnissen – die Vertragsbeziehungen einem Fremdvergleich nicht standhalten (Randnummer 136 Satz 2 und 3 des BMF-Schreibens). Dazu, ob diese Definitionen auch für den Fall des § 32 d Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe b EStG gelten sollen, treffen weder die Gesetzesbegründung noch das BMF-Schreiben eine ausdrückliche Aussage.
In der Literatur ist die an § 1 Abs. 2 AStG angelehnte Definition der nahe stehenden Person auf Kritik gestoßen. Hingewiesen wird zum einen darauf, dass § 32d Abs. 2 EStG – im Unterschied zu § 8 a Abs. 2 und 3 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) in der Fassung des Unternehmensteuerreformgesetzes – keine ausdrückliche Verweisung auf § 1 Abs. 2 AStG enthält (Fischer, DStR 2007, 1898, 1899). Zum anderen wird eingewandt, dass die Anlehnung an den Wortlaut dieser Vorschrift die Besonderheiten des jeweiligen normativen Kontextes unberücksichtigt lasse (Frotscher/Storg, Einkommensteuergesetz, § 32d Randnummer 20). So gehöre der Fall, dass der Schuldner oder eine dritte Person auf den Steuerpflichtigen einen beherrschenden Einfluss ausüben könne, in den unternehmerischen Kontext des AStG, während es sich bei dem Steuerpflichtigen im Sinne des § 32d Abs. 2 EStG stets um eine Privatperson handele (Baumgärtel/Lange in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommen- und Körperschaftsteuergesetz, § 32 d EStG Anmerkung 20). Auch die Variante, dass „einer von ihnen ein eigenes wirtschaftliches Interesse an der Erzielung der Einkünfte des anderen [habe]”, ergebe keinen Sinn, weil sie Fälle im Anwendungsbereich des AStG betreffe, in denen nicht dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechende Verrechnungspreise vereinbart würden (Behrens/Renner, BB 2008, 2319, 2321). Weitgehende Einigkeit besteht auch darüber, dass der Begriff der nahe stehenden Person nicht mit dem des Angehörigen im Sinne des § 15 AO gleichgesetzt werden kann (Baumgärtel/Lange, Behrens/Renner und Fischer, jeweils a.a.O.; Korn/Koss, Einkommensteuergesetz, § 32 d Randnummer 47; Schulz/Vogt, DStR 2008, 2189, 2191). Vereinzelt wird anstelle der Anknüpfung an die Begrifflichkeit des § 1 Abs. 2 AStG auch eine Anlehnung an die zu § 10 Abs. 5 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes ergangene Rechtsprechung oder eine Übernahme der Legaldefinition des § 138 der Insolvenzordnung zur Diskussion gestellt (Homburg, DStR 2007, 686, 690).
Nach Auffassung des Senats ist der Begriff der nahe stehenden Person am Gesetzeszweck des § 32 d Abs. 2 EStG auszurichten. Die Vorschrift soll dem von der Steuersatzspreizung ausgehenden Anreiz entgegenwirken, betriebliche Gewinne z.B. in Form von Darlehenszinsen abzusaugen, um deren Steuerbelastung auf den Abgeltungsteuersatz zu reduzieren (Begründung des Gesetzentwurfs, Bundestags-Drucksache 16/4841, Seite 60). Für den Fall, dass die Darlehensgewährung an die Kapitalgesellschaft durch einen Anteilseigner erfolgt, der zu mindestens zehn Prozent an der Gesellschaft beteiligt ist, wird eine solche Zielsetzung durch § 32 d Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe b Satz 1 EStG unwiderleglich vermutet. Zwar würde die Minderung der betrieblichen Gewinne um die Fremdkapitalzinsen bei gleichzeitiger Besteuerung der Zinsen mit dem Abgeltungsteuersatz auch dann eintreten, wenn die Kapitalgesellschaft das benötigte Fremdkapital nicht bei dem Gesellschafter, sondern bei einem Dritten aufnehmen und der Gesellschafter sein Kapital einem Fremden zur Nutzung überlassen würde. In diesem Fall bestünde jedoch keine unmittelbare Entsprechung zwischen der Höhe der von der Kapitalgesellschaft aufgewendeten und der Höhe der von dem Anteilseigner bezogenen Zinsen. Denn in aller Regel wird die Kapitalgesellschaft das Fremdkapital bei einem Dritten nur zu ungünstigeren Bedingungen aufnehmen und/oder der Gesellschafter sein Kapital einem Fremden nur zu weniger günstigen Bedingungen überlassen können, als sie im Verhältnis zwischen Kapitalgesellschaft und Anteilseigner vereinbart werden.
Vor diesem Hintergrund ist der Ausschluss des Abgeltungsteuersatzes durch § 32 d Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe b Satz 2 EStG dann gerechtfertigt, wenn zwischen dem Gläubiger der Kapitalerträge und dem Anteilseigner eine Beziehung besteht, durch die der zwischen Fremdkapitalgeber und -nehmer normalerweise bestehende Interessengegensatz in ähnlicher Weise eingeschränkt oder aufgehoben wird, wie dies im Verhältnis zwischen der Kapitalgesellschaft und dem Anteilseigner selbst der Fall wäre. Damit entsprechen die Kriterien für die Bestimmung nahe stehender Personen im Sinne des § 32 d Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe Satz 2 EStG denjenigen, die der Feststellung verdeckter Gewinnausschüttungen (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG; § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG) bei Vorteilsgewährungen der Kapitalgesellschaft an Nichtgesellschafter zugrunde gelegt werden (ebenso Treiber in Blümich, Einkommensteuergesetz/Körperschaftsteuergesetz/Gewerbesteuergesetz, § 32 d EStG Randnummer 69). Ebenso wie dort können die das Näheverhältnis begründenden Beziehungen familienrechtlicher, gesellschaftsrechtlicher, schuldrechtlicher oder auch rein tatsächlicher Art sein (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 8. Oktober 2008 I R 61/07, BFHE 223, 131, BStBl. II 2011, 62).
Bei Anlegung dieser Maßstäbe ist die Klägerin als nahe stehende Person im Sinne des § 32 d Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe b Satz 2 EStG anzusehen. Als Mutter bzw. Großmutter der – jeweils zu mindestens 10 Prozent an der GmbH beteiligten – Gesellschafter steht sie zu diesen in einer engen familienrechtlichen Beziehung, die typischerweise dazu geeignet ist, den zwischen fremden Dritten bestehenden Interessengegensatz einzuschränken oder aufzuheben. Die Bedingungen des Darlehensvertrages vom 27. März 2002 lassen darauf schließen, dass dies auch tatsächlich der Fall gewesen ist. Dafür sprechen nicht nur der vergleichsweise niedrige Zinssatz von 4,25 Prozent, sondern auch die übrigen Vertragsbedingungen und die tatsächliche Durchführung des Darlehensverhältnisses. So wurde auf jede Besicherung des Darlehens verzichtet. Klare Absprachen über die Tilgung des Darlehens wurden nicht getroffen. Unter Nr. 4 des Darlehensvertrages wurde die Darlehenslaufzeit zwar auf fünf Jahre festgelegt und bestimmt, dass die ersten beiden Jahre tilgungsfrei sein sollten. Regelungen über Zeitpunkt und Höhe der danach zu erbringenden Tilgungsleistungen wurden jedoch nicht getroffen. Tatsächlich wurden überhaupt keine Tilgungszahlungen geleistet und das Darlehen offenbar ohne ausdrückliche Vereinbarung über den sich aus Nr. 4 des Darlehensvertrages ergebenden Endtermin (31. März 2007) hinaus verlängert. Schließlich spricht auch der Umstand, dass die Klägerin ihren beiden als Gesellschafter beteiligten Enkelkindern im Jahr 2002 Darlehensteilbeträge in Höhe von jeweils 51.000 € geschenkt hat, dafür, dass es zwischen ihr und ihren Enkelkindern und damit auch zwischen ihr und der von diesen beherrschten GmbH an einem wirtschaftlichen Interessengegensatz fehlt.
Da die Voraussetzungen für die Anwendung des Abgeltungsteuersatzes nach § 32 d Abs. 1 EStG nicht erfüllt sind, sind die von der Klägerin bezogenen Zinsen ohne Abzug des Sparerpauschbetrages nach § 20 Abs. 9 EStG der tariflichen Einkommensteuer zu unterwerfen (§ 32 d Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 EStG).
Die Klage ist daher abzuweisen. Die Kosten des Verfahrens sind der Klägerin als der unterlegenen Beteiligten aufzuerlegen (§ 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO –). Die Zulassung der Revision beruht auf § 115 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 Nr. 1 FGO. Die Frage, wer nahe stehende Person im Sinne des § 32 d Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe b Satz 2 EStG ist, hat grundsätzliche Bedeutung.