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  • 03.01.2012

    Bundesfinanzhof: Beschluss vom 27.10.2011 – VI B 79/11


    Gründe

    1

    Die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist zulässig und begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Finanzgericht (FG) zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

    2

    1. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig. Denn den Klägern ist --entgegen der Auffassung des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt)-- die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO wegen der Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist zu bewilligen. Sie haben glaubhaft gemacht, dass ihr Prozessbevollmächtigter wegen eines technischen Übermittlungsfehlers ohne Verschulden verhindert gewesen war, die Beschwerdeeinlegungsfrist einzuhalten.

    3

    2. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist auch begründet. Es liegt ein von den Klägern geltend gemachter Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung des FG beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Denn das FG hat seine aus § 76 Abs. 1 FGO folgende Pflicht zur Sachaufklärung verletzt.

    4

    a) Nach dieser Vorschrift hat das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären. Diesen Amtsermittlungsgrundsatz hat das FG --unbeschadet der Mitwirkungspflicht der Beteiligten-- besonders zu beachten, soweit es sich um Feststellungen handelt, denen entscheidungserhebliche Bedeutung zukommt. In diesen Fällen muss es jedenfalls solchen tatsächlichen Zweifeln nachgehen, die sich ihm nach Lage der Akten und dem Vortrag der Beteiligten aufdrängen müssen (z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 17. September 2003 I B 18/03, BFH/NV 2004, 207, m.w.N.).

    5

    b) Hierzu bestand zum einen Anlass, weil das FG den Lebensmittelpunkt der Klägerin allein wegen ihrer Eheschließung im ... 2000 für das gesamte Streitjahr in A verortet hat. Allein die vermutete --von der Klägerin bestrittene-- partnerschaftliche Beziehung zum Kläger reicht hierfür jedoch nicht aus. Die Bestimmung des Lebensmittelpunkts bedarf vielmehr weiterer Feststellungen. Indizien dafür, wo der Lebensmittelpunkt liegt, können insbesondere sein, wie oft und wie lange sich der Arbeitnehmer in der einen und der anderen Wohnung aufhält, wie beide Wohnungen ausgestattet und wie groß sie sind. Von Bedeutung sind auch die Dauer des Aufenthalts am Beschäftigungsort, die Entfernung beider Wohnungen, die Zahl der Heimfahrten sowie insbesondere auch der --gegebenenfalls durch Zeugenbeweis zu erhebende-- Umstand, zu welchem Wohnort die engeren persönlichen Beziehungen bestehen (vgl. BFH-Urteil vom 21. April 2010 VI R 26/09, BFHE 230, 5).

    6

    Zum anderen hat das FG einen eigenen Hausstand der Klägerin außerhalb des Beschäftigungsorts verneint, da sie "ihre Wohnung in X nicht unterhalten" (im Sinne von Kosten getragen) habe. Auch hier bedarf der Sachverhalt der weiteren Aufklärung. Denn die Frage, ob ein --vorliegend möglicherweise zumindest einen Teil des Streitjahres-- alleinstehender Arbeitnehmer einen eigenen Hausstand i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) unterhält, entscheidet sich unter Einbeziehung und Gewichtung aller tatsächlichen Verhältnisse im Rahmen einer den Finanzgerichten als Tatsacheninstanz obliegenden Gesamtwürdigung. Dabei ist der Umstand, ob der Arbeitnehmer für die Kosten des Haushalts aufkommt, zwar ein besonders gewichtiges Indiz, aber keine zwingende Voraussetzung im Sinne einer conditio sine qua non (vgl. BFH-Urteil in BFHE 230, 5).

    7

    3. Auch haben die Kläger das Recht zur Rüge mangelnder Sachaufklärung nicht verloren. Zwar kann dies bei verzichtbaren Verfahrensmängeln --wie dem der unzureichenden Sachverhaltsaufklärung-- auch durch bloßes Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge geschehen (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung). Ein Verzichtswille ist dafür nicht erforderlich. Diese Folge wird vom BFH allerdings nur für den Fall angenommen, dass der Kläger --anders als im Streitfall-- rechtskundig vertreten ist (BFH-Beschlüsse vom 29. Oktober 2004 XI B 213/02, BFH/NV 2005, 566, und vom 27. September 2007 IX B 19/07, BFH/NV 2008, 27; so auch Thürmer, in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 76 FGO, Rz 209).

    8

    4. Der Senat hält es für sachgerecht, nach § 116 Abs. 6 FGO zu verfahren, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Im Hinblick darauf kann der Senat dahinstehen lassen, ob die angefochtene Entscheidung im Übrigen verfahrensfehlerfrei ist.

    9

    Für das weitere Verfahren weist der Senat --ohne Bindungswirkung-- darauf hin, dass nach § 33a Abs. 1 EStG nur Aufwendungen für den Unterhalt einer dem Steuerpflichtigen oder seinem Ehegatten gegenüber gesetzlich unterhaltsberechtigten Person zu berücksichtigen sind. Ob der Steuerpflichtige zum Unterhalt gesetzlich verpflichtet ist, ist nach inländischen Maßstäben zu beurteilen. Gesetzlich unterhaltsberechtigt sind danach diejenigen Personen, denen gegenüber der Steuerpflichtige nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) unterhaltsverpflichtet ist. Dies sind insbesondere nach § 1601 BGB Verwandte in gerader Linie i.S. des § 1589 Satz 1 BGB, wie z.B. Kinder, Enkel, Eltern und Großeltern, nicht hingegen Verwandte in der Seitenlinie --vorliegend die Schwester der Klägerin-- oder verschwägerte Personen (vgl. BFH-Urteil vom 27. Juli 2011 VI R 13/10, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, www.bundesfinanzhof.de, BFH/NV 2011, 1957). Weitere Voraussetzung ist die Bedürftigkeit des Unterhaltsempfängers i.S. des § 1602 BGB. Bedürftigkeit ist beispielsweise gegeben, wenn die unterhaltene Person weder Vermögen (hierzu zählt auch ein eigengenutztes Wohnhaus) hat noch Einkünfte aus einer Erwerbstätigkeit oder Bezüge (beispielsweise eine Rente oder Arbeitslosengeld) erzielt (vgl. BFH-Urteil vom 30. Juni 2010 VI R 35/09, BFHE 230, 538, BStBl II 2011, 267).