01.02.2012 · IWW-Abrufnummer 120321
Finanzgericht Niedersachsen: Beschluss vom 27.12.2011 – 9 V 280/11
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
NIEDERSÄCHSISCHES FINANZGERICHT
BESCHLUSS
Vom 27.12.2011
Az.: 9 V 280/11
Bei der Ermittlung des aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05) steuerfrei zu belassenen Anteils des Veräußerungsgewinns gem. §§ 22 Nr.2, 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG sind die Absetzungen für Abnutzung, erhöhte Absetzungen und Sonderabschreibungen den Zeiträumen zuzurechnen, in denen sie tatsächlich in Anspruch genommen worden sind (entgegen OFD Magdeburg vom 07.04.2011 S 2256-61-St 222)
Beschwerde zugelassen
Der Einkommensteuerbescheid 2004 wird i.H.v. 20.658 € von der Vollziehung ausgesetzt.
Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Beschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Streitig ist die Höhe der Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften.
Die Antragsteller sind verheiratet und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Antragsteller war Eigentümer des mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks in S. Er hatte dieses Grundstück mit Vertrag vom 20.12.1996 erworben und mit Vertrag vom 05.04.2004 wieder veräußert. Im Rahmen der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung sind für das Objekt Sonderabschreibungen/Absetzungen für Abnutzung (AfA) in folgender Höhe berücksichtigt worden:
1996: 34.862,95 €
1997: 19.835,26 €
1998: 21.617,42 €
1999: 3.051,39 €
2000: 3.051,00 €
2001: 3.051,00 €
2002: 3.052,22 €
2003: 3.052,00 €
2004: 762,00 €
Summe Abschreibungen 92.335,24 €
In der Anlage zur Einkommensteuererklärung 2004 ermittelten die Antragsteller einen Gewinn aus privaten Veräußerungsgeschäften i.H.v. 91.596,80 €. Wegen der Berechnung wird auf die Anlage zu Anlage SO Zeilen 30 - 40 der Einkommensteuererklärung 2004 Bezug genommen.
Die Antragsteller waren der Auffassung, dass der Gewinn aus der Veräußerung des Grundstückes in S nicht unter die Vorschrift des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) i.V.m. § 52 Abs. 39 Satz 1 EStG falle, weil zum Zeitpunkt der Veräußerung die vor 1999 geltende Spekulationsfrist von zwei Jahren bereits abgelaufen gewesen sei.
Der Antragsgegner legte gleichwohl den Veräußerungsgewinn i.H.v. 91.596 € der Besteuerung zugrunde. Gegen den Einkommensteuerbescheid vom 22.05.2006 legten die Antragsteller Einspruch ein und beantragten die Aussetzung der Vollziehung des Einkommensteuerbescheides 2004, die der Antragsgegner zunächst gewährte. Zur Begründung des Einspruchs beriefen die Antragsteller sich auf den Ablauf der - nach altem Recht geltenden - zweijährigen Spekulationsfrist zum Zeitpunkt der Veräußerung des Grundstücks. Aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 07.07.2010 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05 (BStBl II 2011, 76) beantragten die Antragsteller nunmehr die Aufteilung des Gewinns aus dem privaten Veräußerungsgeschäft nach dem tatsächlichen Wertverhältnissen gem. BMF-Erlass vom 20.12.2010 IV C 1-S 2256/07/10001: 006 (BStBl I 2001, 14). Sie ermittelten einen steuerpflichtigen Veräußerungsgewinn i.H.v. 14.753,55 €. Wegen der Berechnung im Einzelnen wird auf den Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Antragsteller vom 14.03.2011 Bezug genommen.
Der Antragsgegner forderte die Antragsteller daraufhin auf, den tatsächlichen höheren Wertzuwachs für den Zeitraum zwischen Anschaffung des Grundstückes und dem Zeitpunkt der Verkündung des Steuerentlastungsgesetzes (StEntlG) 1999/2000/2002 nachzuweisen. Die Antragsteller führten hierzu aus, durch die Veräußerung des Grundstückes habe sich tatsächlich ein Verlust i.H.v. 739 € (ohne Berücksichtigung der Abschreibungen) ergeben. Steuerpflichtig sei ein fiktiver Wertzuwachs, der darauf zurückzuführen sei, dass der Gesetzgeber vorgenommene Sonderabschreibungen und Normal-Abschreibungen über die spezielle Definition des Begriffes der Anschaffungskosten rückgängig mache. Die zu dem Veräußerungsgewinn führenden Abschreibungen seien zeitlich genau zuzuordnen, so dass bestimmt werden könne, in welchen Zeiträumen die fiktive Werterhöhung entstanden sei.
Mit Einspruchsbescheid vom 25.08.2011 setzte der Antragsgegner die Einkommensteuer 2004 von 56.354 € auf 43.238 € herab. Der Antragsgegner ermittelte die Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften nach der Vereinfachungsregelung des BMF-Schreiben vom 20.12.2010 (a.a.O.) Ziff. II.1 i.H.v. 62.451 €.
Er teilte den Veräußerungsgewinn von 91.596 € zeitanteilig den Besitzzeiten 20.12.1996 - 30.03.1999 und 31.03.1999 (Zeitpunkt der Verkündung des StEntlG 1999/2000/2002) bis 05.04.2004 auf. Die Gesamtbesitzzeit betrage aufgerundet 88 Monate. Auf den Zeitraum 31.03.1999 - 05.04.2004 entfielen 60 Monate (abgerundet). Es ergebe sich daher aus dem gesamten Wertzuwachs von 91.596 € ein zu berücksichtigender steuerpflichtiger Anteil von 60/88 = 62.451 €. Eine Zuordnung der tatsächlich in Anspruch genommenen AfA zu den jeweiligen Besitzzeiträumen sei nicht vorzunehmen.
Hiergegen haben die Antragsteller Klage beim Niedersächsischen Finanzgericht erhoben (Az.: 9 K 252/11), über die noch nicht entschieden worden ist.
Nachdem ein erneut gestellter Antrag auf Aussetzung der Vollziehung mit Schreiben vom 07.10.2011 vom Antragsgegner abgelehnt worden ist, haben die Antragsteller beim Niedersächsischen Finanzgericht am 01.11.2011 einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Einkommensteuerbescheides 2004 gem. § 69 Finanzgerichtsordnung (FGO) bestellt. Zur Begründung verweisen sie auf ihre Klagebegründung in der sie ihr Vorbringen aus dem Vorverfahren wiederholen und ergänzend vortragen: Der aus dem Veräußerungsgeschäft vom 05.04.2004 entstandene Verlust i.H.v. 739 € errechne sich wie folgt:
Veräußerungspreis 150.000,00 €
./. Anschaffungskosten 150.401,22 €
./. 401.22 €
./. Veräußerungskosten 337,78 €
Veräußerungsverlust 739,00 €
Da bei der Ermittlung des steuerpflichtigen Gewinns oder Verlustes aus Veräußerungsgeschäften sich die Anschaffungs- oder Herstellungskosten gem. § 23 Abs. 3 Satz 4 EStG um Absetzungen für Abnutzung, erhöhte Abschreibungen und Sonderabschreibungen mindern, seien die Abschreibungen bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns wie Wertzuwächse zu berücksichtigen. Diese aufgrund der vorgenommenen Abschreibungen fiktiven Wertzuwächse ließen sich zeitlich zuordnen. Es ergebe sich ein steuerpflichtiger Veräußerungsgewinn in Höhe vom 14.753,55 €. Wegen der Berechnung wird auf die Aufteilung im Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Antragsteller vom 26.09.2011 in den Verfahren 9 K 252/11 Bezug genommen.
Die vom Antragsgegner aufgrund des Verwaltungserlasses angewandte sogenannte Vereinfachungsregelung führe zu einem mit den tatsächlichen Verhältnissen nicht zu vereinbarenden Ergebnis.
Die Antragsteller beantragen,
den Einkommensteuerbescheid 2004 i.d.F. des Einspruchsbescheides vom 25.08.2011 i.H.v. 20.658,00 € von der Vollziehung auszusetzen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er verweist auf seine Ausführungen im Einspruchsbescheid vom 25.08.20011.
II.
Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist begründet.
1. Die Aussetzung der Vollziehung soll gem. § 69 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 2. Halbsatz FGO erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatsachen bewirken (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10.02.1984 III B 40/83, BStBl II 1984, 454 und vom 30.12.1996 I B 61/96, BStBl II 1997, 466).
Derartige Zweifel sind im Streitfall gegeben.
2. Unstreitig liegt im Streitfall ein steuerpflichtiges Veräußerungsgeschäft i.S.d. §§ 22 Nr. 2, 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG vor.
a) Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 07.07.2010 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05 (a.a.O.) ist die rückwirkende Verlängerung der Spekulationsfrist von zwei auf zehn Jahre wegen des Verstoßes gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes insoweit verfassungswidrig und daher nichtig, soweit in einem Veräußerungsgewinn Wertsteigerungen steuerlich erfasst werden, die bis zu Verkündung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 am 31.03.1999 entstanden sind und nach der zuvor geltenden Rechtslage steuerfrei realisiert worden sind oder steuerfrei hätten realisiert werden können, weil die alte Spekulationsfrist bereits abgelaufen war. Insoweit war bereits eine konkret verfestigte Vermögensposition entstanden, die durch die rückwirkende Verlängerung der Spekulationsfrist nachträglich entwertet wird.
b) Zutreffend gehen daher die Beteiligten davon aus, dass der Veräußerungsgewinn aufzuteilen ist in einen Anteil für den bis zur Verkündung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 entstandenen Wertzuwachs und in einem Anteil für den nach Verkündung dieses Gesetzes entstanden steuerbaren Wertzuwachs.
c) Im Streitfall hat der Senat an dem vom Antragsgegner ermittelten Umfang des steuerpflichtigen Anteils des Veräußerungsgewinns erhebliche Zweifel.
Zwar hält der Senat die schätzweise Aufteilung des steuerbaren Wertzuwachses entsprechend dem Verhältnis der Besitzzeit nach dem 31.03.1999 im Vergleich zur Gesamtbesitzzeit grundsätzlich für vertretbar, sofern - wie im Streitfall - der tatsächliche Wert des Grundstückes zum 31.03.1999 nicht nachgewiesen worden ist.
Allerdings vermag der Senat die Auffassung des Antragsgegners, die in Anspruch genommenen Absetzungen für Abnutzungen (AfA) und Sonderabschreibungen seien nicht den einzelnen Besitzzeiträumen, in denen sie sich steuerlich ausgewirkt haben, zuzuordnen, für zweifelhaft. Der Senat schließt sich vielmehr der Auffassung der Antragsteller an, wonach die Absetzungen für Abnutzungen, erhöhte Absetzungen und Sonderabschreibungen den Zeiträumen zuzuordnen sind, in denen sie tatsächlich gewährt wurden und sich steuerlich ausgewirkt haben. Das bedeutet, dass die AfA, die sich bis zum 30.03.1999 steuerlich im Rahmen einer Einkunftsart i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 - 7 EStG ausgewirkt hat (hier: Vermietung und Verpachtung), sich auch bei der Ermittlung des steuerpflichtigen Anteils des Veräußerungsgewinns auswirken muss. Als Kontrollüberlegung dafür, dass diese Berechnungsmethode zutreffend sein muss, gilt Folgendes: Hätte der Antragsteller nach Ablauf der alten Spekulationsfrist von zwei Jahren das Grundstück am 30.03.1999 veräußert, so hätten die bis dahin gewährten Sonderabschreibungen und Absetzungen für Abnutzung i. H.v. insgesamt 77.078,47 € gem. § 23 Abs. 3 Satz 4 EStG die Anschaffungskosten/Herstellungskosten gemindert, d.h., der entsprechende Veräußerungsgewinn wäre im Streitfall entsprechend erhöht - aber steuerfrei - gewesen. Da ab 31.03.1999 bis zum Verkauf des Grundstückes nur noch AfA i.H.v. insgesamt 15.256,77 € gewährt wurde und sich steuerlich im Rahmen der Einkunftsart Vermietung und Verpachtung ausgewirkt hat, wird deutlich, dass der weitaus höhere Anteil des nach der Vorschrift des § 23 Abs. 3 EStG ermittelten Veräußerungsgewinns in den Zeitraum 20.12.1996 - 30.03.1999 und damit in den nicht steuerbaren Bereich fällt.
Der Veräußerungsgewinn ist danach wie folgt zu ermitteln:
Veräußerungspreis 150.000,00 €
./. Anschaffungskosten 150.401,22 €
./. 401,22 €
./. Veräußerungskosten 37,78 €
Veräußerungsverlust 739,00 €
Hiervon entfallen 60/88 auf den Zeitraum 31.03.1999 - 05.04.2004 (./. 504 €). Rechnet man die für den Zeitraum 31.03.1999 - 05.04.2004 gewährte AfA hinzu, ergibt sich ein Betrag - entsprechend der Berechnung der Antragsteller - i.H.v. 14.752,77 €.
Der vom Antragsgegner angesetzte Veräußerungsgewinn ist demnach um 47.698,23 € zu vermindern, der Einkommensteuerbescheid 2004 somit um 20.658 € von der Vollziehung auszusetzen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Finanzgerichtsordnung (FGO).
4. Die Beschwerde war gem. § 128 Abs. 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 FGO zuzulassen.