11.01.2012 · IWW-Abrufnummer 113903
Finanzgericht Düsseldorf: Urteil vom 13.10.2011 – 11 K 4448/10 E
Finanzgericht Düsseldorf
11 K 4448/10 E
Tenor:
Der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2008 vom 7. September 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11. November 2010 wird dahingehend abgeändert, dass Mehraufwendungen für doppelte Haushaltsführung i. H. v. 10.575 EUR als Werbungskosten der Klägerin bei ihren Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit berücksichtigt werden.
Die Berechnung des festzusetzenden Steuerbetrags wird dem Beklagten übertragen.
Die bis zur Einschränkung des Klagebegehrens in der mündlichen Verhandlung entstandenen Verfahrenskosten tragen die Kläger zu 17 % und der Beklagte zu 83 %, die danach entstandenen Verfahrenskosten trägt der Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Auslegung des Tatbestandsmerkmals "am Beschäftigungsort" im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes – EStG –.
Die Kläger werden als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Schon vor ihrer Heirat im Jahr 2007 haben sie einen gemeinsamen Hausstand in S-Stadt begründet. Sie erzielen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Die Klägerin arbeitet als kaufmännische Angestellte in A-Stadt. Ihr Arbeitgeber hat seinen Firmensitz zum 1. Januar 2007 von B-Stadt nach A-Stadt verlegt. Die Klägerin ist seit dem Jahr 2000 Eigentümerin einer 78,40 qm großen Wohnung in B-Stadt, die sie unter der Woche als Zweitwohnsitz benutzt. Die Entfernung zwischen der Wohnung der Klägerin in B-Stadt und ihrer Arbeitsstätte in A-Stadt beträgt 141 km. Die Wochenenden verbringen die Kläger regelmäßig gemeinsam in S-Stadt.
In ihrer Einkommensteuererklärung für das Jahr 2008 machten die Kläger Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte i. H. v. 7.656,30 EUR (181 Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln à 141 km zu 0,30 EUR/km) sowie 13.487 EUR Mehraufwendungen für doppelte Haushaltsführung als Werbungskosten der Klägerin geltend. Letztere setzten sich wie folgt zusammen:
Fahrtkosten 46 x 267 km x 0,30 EUR/km 3.685 EUR
Unterkunftskosten: Schuldzinsen Strom Laufende Betriebs-/Nebenkosten AfA (geschätzt) Reparaturen 5.046 EUR 404 EUR 2.149 EUR 2.000 EUR 203 EUR 9.802 EUR
13.487 EUR
Im Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2008 vom 7. September 2009 berücksichtigte der Beklagte die Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mit dem Höchstbetrag von 4.500 EUR, nicht jedoch die Mehraufwendungen für doppelte Haushaltsführung. Dagegen legten die Kläger rechtzeitig Einspruch ein. Mit Einspruchsentscheidung vom 11. November 2010 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus, die Aufwendungen für doppelte Haushaltsführung könnten nicht berücksichtigt werden, da sich der Zweithausstand der Klägerin nicht am Beschäftigungsort befinde. Beschäftigungsort im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG sei die politische Gemeinde bzw. deren nähere Umgebung (Umkreis von 20 bis 25 km), in der sich die Arbeitsstätte des Arbeitnehmers befinde. Bei einer Entfernung von 62 km könne auch bei einer großzügigen Auslegung des Begriffs "am Beschäftigungsort" nicht mehr davon ausgegangen werden, dass sich die Zweitwohnung in der Nähe des Beschäftigungsorts befinde (Beschluss des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 2. Oktober 2008 VI B 33/08, juris). Die Klägerin wohne 141 km vom Beschäftigungsort entfernt, so dass eine doppelte Haushaltsführung allein aus diesem Grund zu verneinen sei.
Die Kläger haben am 14. Dezember 2010 Klage erhoben, mit der sie zunächst die Berücksichtigung von Mehraufwendungen wegen doppelter Haushaltsführung i. H. v. 12.687 EUR verfolgten. Die Aufwendungen setzten sich aus Kosten für Familienheimfahrten i. H. v. 3.685 EUR und Kosten der Unterkunft i. H. v. 9.002 EUR zusammen; als Absetzung für Abnutzung wurde – ausgehend von Anschaffungskosten i. H. v. 100.000 EUR – nur noch ein Betrag von 1.200 EUR geltend gemacht. In der mündlichen Verhandlung am 13. Oktober 2011 haben sie ihr Begehren auf einen Betrag von 10.575 EUR eingeschränkt. Zur Begründung führen die Kläger aus, dass sich die Klägerin im Hinblick auf die schwierige Arbeitsmarktlage in B-Stadt und fehlende Alternativen für die Weiterarbeit in A-Stadt entschieden habe, als ihr Arbeitgeber seinen Betrieb von B-Stadt nach A-Stadt verlegt habe. Sie sei aber in ihrer Eigentumswohnung in B-Stadt wohnen geblieben. Dies sei günstiger gewesen, als sich in A-Stadt eine neue Wohnung zu suchen. Dabei habe auch die schnelle und komfortable Zugverbindung zwischen B-Stadt und A-Stadt eine Rolle gespielt.
Der Begriff des Beschäftigungsorts im Sinne von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Sätze 1 und 2 EStG sei von der Rechtsprechung immer wieder erweiternd ausgelegt worden. Dies sei wegen der hohen Anforderungen der ständig mobiler werdenden Arbeitswelt auch dringend erforderlich. Der Gesetzgeber sei dem mit der nicht mehr zeitgemäßen Formulierung "Wohnen am Beschäftigungsort" nicht gefolgt. Der veraltete Gesetzestext müsse daher teleologisch ausgelegt werden. Der Gesetzeszweck sei im Streitfall erfüllt. Die Klägerin arbeite 267 km vom gemeinsamen Hausstand der Eheleute in S-Stadt entfernt. Sie müsse daher, um ihre Tätigkeit ausüben zu können, im zumutbaren Einzugsbereich eine Wohnung haben. Ob dies aber nach der wörtlichen Auslegung des Gesetzes nur der Innen- oder der Außenstadtbereich von S-Stadt sein darf oder ob es im Zeitalter der Schnellbahnen (ICE) nicht mit vertretbarem Zeitaufwand B-Stadt sein kann, müsse gefragt werden dürfen. Die Rechtsprechung des BFH berücksichtige nicht die Möglichkeiten, die sich durch die Benutzung moderner Verkehrsmittel wie den ICE ergäben. Es sei wahrscheinlich schneller, mit dem Zug von B-Stadt nach A-Stadt zu kommen als mit dem Auto ins Zentrum von A-Stadt von einem 60 km entfernt liegenden Ort. Nach Sinn und Zweck des Gesetzes seien die Kosten für doppelte Haushaltsführung auch bei einer Wohnung in B-Stadt und Arbeitsstelle in A-Stadt anzuerkennen. Es komme hinzu, dass die Klägerin nicht freiwillig, sondern wegen der von ihr nicht beeinflussbaren Betriebsverlagerung gezwungenermaßen nach A-Stadt fahren müsse, um ihren Arbeitsplatz zu erhalten.
Die Kläger beantragen,
den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2008 vom 7. September 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11. November 2010 dahingehend abzuändern, dass Mehraufwendungen für doppelte Haushaltsführung i. H. v. 10.575 EUR als Werbungskosten der Klägerin bei ihren Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit berücksichtigt werden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Zur Begründung nimmt der Beklagte auf seine Einspruchsentscheidung vom 11. November 2010 Bezug. Ergänzend macht er geltend, der Auffassung der Kläger, wonach der Einzugsbereich des Beschäftigungsorts aufgrund der von den Arbeitnehmern geforderten Mobilität und der sich ständig verbessernden Verkehrsanbindungen weit ausgelegt werden müsse, könne im Hinblick auf die Gesetzeslage in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG und die BFH-Rechtsprechung nicht gefolgt werden. Zudem entspreche der von der Klägerin zurückgelegte Weg zur Arbeitsstätte nicht dem Bereich des Üblichen; auf die im Statistischen Monatsheft Baden-Württemberg 4/2010 (S. 40 f.) abgedruckten Erhebungen werde Bezug genommen.
Der Senat hat der Klage mit Gerichtsbescheid vom 1. August 2011 weitgehend stattgegeben. Dagegen hat der Beklagte fristgerecht mündliche Verhandlung beantragt.
Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere die Sitzungsniederschrift vom 13. Oktober 2011, und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist begründet.
Der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2008 vom 7. September 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11. November 2010 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO –). Der Beklagte hat Aufwendungen der Klägerin wegen doppelter Haushaltsführung i. H. v. 10.575 EUR zu Unrecht nicht zum Werbungskostenabzug zugelassen.
Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 1 EStG sind notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer aus beruflichem Anlass begründeten doppelten Haushaltsführung entstehen, Werbungskosten, und zwar unabhängig davon, aus welchen Gründen die doppelte Haushaltsführung beibehalten wird. Eine doppelte Haushaltsführung liegt nur vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt ( § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Die geltend gemachten Aufwendungen sind dem Grunde nach abzugsfähig, der Werbungskostenabzug ist jedoch auf den Betrag von 10.575 EUR beschränkt.
1. Die Klägerin ist im Sinne von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG außerhalb des Ortes, in dem sie einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt. Mittelpunkt der Lebensinteressen der Klägerin und damit Ort ihres eigenen Hausstandes ist S-Stadt, wo sie ein Einfamilienhaus zusammen mit dem Kläger bewohnt. Bei verheirateten Ehegatten ist offenkundig, dass der Arbeitnehmer gemeinsam mit dem Ehegatten am Mittelpunkt der Lebensinteressen einen eigenen Hausstand unterhält, wenn er sich persönlich am Familienhaushalt beteiligt (vgl. Drenseck, in: Schmidt, EStG, 30. Aufl. 2011, § 9 Rn. 141). Von letzterem ist im Streitfall auszugehen. Zudem ist die Klägerin außerhalb des Ortes des Haupthausstandes – in A-Stadt – beschäftigt.
Entgegen der Auffassung des Beklagten ist auch davon auszugehen, dass die Klägerin im Sinne von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG am Beschäftigungsort wohnt. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH darf sich die Auslegung des Tatbestandsmerkmals "Beschäftigungsort" nicht allein am Gesetzeswortlaut orientieren, der Begriff ist vielmehr weit auszulegen. Demnach wird als Beschäftigungsort nicht nur die politische Gemeinde der Arbeitsstätte angesehen, sondern auch deren Umgebung, d.h. das Einzugsgebiet der politischen Gemeinde (BFH-Urteile vom 16. Dezember 1981 VI R 227/80, BFHE 135, 57, BStBl II 1982, 302; vom 9. November 1971 VI R 96/70, BFHE 103, 506, BStBl II 1972, 134; Urteil des FG des Saarlandes vom 25. Juni 1993 1 K 189/92, EFG 1994, 201; Urteil des FG Münster vom 19. Oktober 1999 13 K 2468/94, juris). Andererseits kann aus der weiten Entfernung zwischen der Zweitwohnung und dem Beschäftigungsort (im entschiedenen Fall: 62 km) zu folgern sein, dass sich die Zweitwohnung auch bei großzügiger Auslegung des Begriffs "am Beschäftigungsort" nicht mehr in dessen Nähe befindet (BFH-Beschluss vom 2. Oktober 2008 VI B 33/08, juris).
In Anwendung dieser Grundsätze wohnt die Klägerin am Beschäftigungsort. Zwar liegt die Zweitwohnung in B-Stadt weder in der politischen Gemeinde ihrer Arbeitsstätte (A-Stadt) noch in deren Einzugsgebiet im engeren Sinne. Davon kann im Fall zweier Großstädte wie B-Stadt und A-Stadt, die ca. 100 km Luftlinie voneinander entfernt liegen, nicht mehr ausgegangen werden. Die Entfernung zwischen der Eigentumswohnung der Klägerin und ihrer Arbeitsstätte beträgt gar 141 km. Indes wird unter "Einzugsgebiet" der politischen Gemeinde der Arbeitsstätte der Bezirk verstanden, von dem aus Arbeitnehmer üblicherweise täglich zu diesem Ort fahren (vgl. Urteil des FG des Saarlandes vom 25. Juni 1993 1 K 189/92, EFG 1994, 201; von Bornhaupt, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 9 Rn. G 50; Hartz/Meeßen/Wolf, ABC-Führer Lohnsteuer, "doppelte Haushaltsführung" Rn. 46). Die Wohnung muss sich so weit im Einzugsbereich der Arbeitsstätte befinden, dass ein tägliches Aufsuchen möglich ist (Wagner, in: Heuermann/Wagner, LohnSt, F, Rn. 313). Diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt. Unter den Begriff des Einzugsgebiets können nach Ansicht des erkennenden Senats nicht nur die Vororte einer Großstadt fallen, sondern auch im Umland liegende andere Großstädte. Mit den Klägern ist davon auszugehen, dass es im Zeitalter steigender Mobilitätsanforderungen nicht auf die bloße Entfernung zwischen Zweitwohnung und Arbeitsstätte ankommen kann. Es ist durchaus üblich, dass Arbeitnehmer größere Entfernungen zwischen Wohnung und Arbeitsstätte in Kauf nehmen, wenn die Arbeitsstätte verkehrsgünstig zu erreichen ist. Die einfache Fahrt von B-Stadt Hbf. nach A-Stadt Hbf. dauert mit dem ICE eine Stunde. Ein derartiger Zeitaufwand liegt nach Auffassung des Senats durchaus noch im Bereich des Üblichen. Dies gilt selbst dann, wenn die Klägerin – worauf der Beklagte in der mündlichen Verhandlung hingewiesen hat – für den Weg "von Tür zu Tür" länger braucht. In Abwägung der Gesamtumstände des Streitfalles befindet sich die Wohnung der Klägerin in B-Stadt damit noch im Einzugsgebiet (im weiteren Sinne) von A-Stadt.
Für dieses Ergebnis spricht, dass eine doppelte Haushaltsführung auch dann anzunehmen sein kann, wenn die Hauptwohnung und die Arbeitsstätte innerhalb einer politischen Großstadtgemeinde liegen, soweit ein tägliches Fahren nicht zumutbar erscheint (Urteil des FG Berlin vom 29. Juli 1985 VIII 221/4, EFG 1986, 286). Vor diesem Hintergrund muss auch dann von einer doppelten Haushaltsführung ausgegangen werden, wenn sich die Hauptwohnung, die Zweitwohnung und die Arbeitsstätte in verschiedenen Gemeinden befinden, ein tägliches Fahren zwischen der Zweitwohnung und der Arbeitsstätte aber zumutbar erscheint. Allein die Tatsache, dass die Zweitwohnung und die Arbeitsstätte in verschiedenen Großstadtgemeinden liegen, steht der Annahme einer doppelten Haushaltsführung nicht entgegen.
Im Streitfall kommt hinzu, dass der Arbeitgeber der Klägerin seinen Firmensitz zunächst in B-Stadt hatte und erst später nach A-Stadt verlegt hat. Diese Sitzverlegung kann in steuerlicher Hinsicht nicht dergestalt zum Nachteil der Klägerin gereichen, dass die Voraussetzungen der doppelten Haushaltsführung als nicht mehr erfüllt angesehen werden. Aus der Sicht der Klägerin hat sich an der beruflichen Veranlassung der Zweitwohnsitznahme in B-Stadt nichts geändert. Lediglich ihr Arbeitgeber hat seinen Firmensitz "wegverlegt".
Der Anerkennung einer doppelten Haushaltsführung steht der BFH-Beschluss vom 2. Oktober 2008 (VI B 33/08, juris) – entgegen der Auffassung des Beklagten – nicht entgegen. Darin hat der BFH zwar unbeanstandet gelassen, dass die Vorinstanz aus den Gesamtumständen des Streitfalles, insbesondere aus der weiten Entfernung zwischen der Zweitwohnung und dem Beschäftigungsort (62 km), gefolgert hat, dass auch bei großzügiger Auslegung des Begriffs "am Beschäftigungsort" nicht mehr von der erforderlichen Nähe zwischen Zweitwohnung und Beschäftigungsort ausgegangen werden könne. Hieran wird aber zugleich deutlich, dass die Entfernung nur einer von mehreren Gesamtumständen ist, die Rückschlüsse darauf zulassen, ob der Steuerpflichtige am Beschäftigungsort wohnt. Im Streitfall sprechen die Gesamtumstände für ein Wohnen der Klägerin am Beschäftigungsort im Sinne von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG.
Die vom Beklagten in der mündlichen Verhandlung am 13. Oktober 2011 vorgebrachten statistischen Erwägungen führen zu keinem anderen Ergebnis. Der Beklagte hat lediglich darauf hingewiesen, dass nach dem Statistischen Monatsheft Baden-Württemberg 4/2010 nur knapp 5 % aller Berufspendler Fernpendler mit Arbeitswegen von 50 km und mehr seien und dass bei nur knapp 5 % der Pendler der Arbeitsweg 60 Minuten und mehr dauere. Daraus folge, dass Berufspendler üblicherweise eben nicht eine derartige Entfernung zurücklegten wie die Klägerin. Dabei verkennt der Beklagte jedoch, dass bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals "Wohnen am Beschäftigungsort" im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG nicht auf ein statistisches Mittel abzustellen ist. Vielmehr ist im Rahmen der gebotenen weiten Auslegung danach zu fragen, ob Arbeitnehmer derartige Wegstrecken üblicherweise täglich zurücklegen bzw. ob ihnen ein tägliches Aufsuchen der Arbeitsstätte möglich ist. Dies ist nach Auffassung des Senats der Fall. Im Übrigen bedarf es einer Abwägung der Gesamtumstände des Einzelfalls. Im Hinblick auf den zuvor dargestellten Hintergrund der Beschäftigungsaufnahme in A-Stadt hält der Senat die Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nicht für das ausschlaggebende Kriterium.
2. Des Weiteren hat die Klägerin die doppelte Haushaltsführung aus beruflichem Anlass begründet. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig.
3. Abzugsfähig sind die notwendigen Mehraufwendungen wegen doppelter Haushaltsführung ( § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG). Dies sind zum einen die Aufwendungen für Familienheimfahrten i. H. v. 3.685 EUR (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 4 und 5 EStG). Zum anderen können die Kosten der Unterkunft abgezogen werden, wobei Unterkunftskosten notwendig im Sinne von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 1 EStG sind, wenn sie den Durchschnittsmietzins einer 60 qm-Wohnung am Beschäftigungsort nicht übersteigen (BFH-Urteil vom 9. August 2007 VI R 10/06, BFHE 218, 380, BStBl II 2007, 820). Dies gilt für Eigentumswohnungen gleichermaßen (Bergkemper, in: Hermann/Heuer/Raupach, EStG, § 9 Rn. 491). Im Hinblick auf die Größe der Eigentumswohnung der Klägerin (78,40 qm) sind die geltend gemachten Unterkunftskosten i. H. v. 9.002 EUR daher nur im Umfang von 6.890 EUR (60/78,40) abzugsfähig (vgl. zur Berechnung Hartz/Meeßen/Wolf, ABC-Führer Lohnsteuer, "doppelte Haushaltsführung" Rn. 136). Dass dieser Betrag die im Fall der Anmietung einer Wohnung entstehenden Kosten (fiktive Mietkosten) übersteigt (vgl. dazu BFH-Urteil vom 27. Juli 1995 VI R 32/95, BFHE 178/348, BStBl II 1995, 841; vom 24. Mai 2000 VI R 28/97, BFHE 1991, 552, BStBl II 2000, 474; Drenseck, in: Schmidt, EStG, 30. Aufl. 2011, § 9 Rn. 157), ist nicht ersichtlich.
Die Übertragung der Berechnung des festzusetzenden Steuerbetrags auf den Beklagten beruht auf § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1, 136 Abs. 1 Satz 1 FGO. Im Hinblick auf die Einschränkung des Klageantrags in der mündlichen Verhandlung (10.575 EUR statt 12.687 EUR Werbungskosten) sind nach Zeitabschnitten differenzierende Kostenquoten zu bilden.
Die Revision war zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) zuzulassen.