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  • 05.07.2012

    Finanzgericht Niedersachsen: Urteil vom 02.02.2012 – 16 K 10148/07

    - Zu steuerfreien Umsätzen von Ärzten nach § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG.


    - Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin umfassen nur Tätigkeiten, die zum Zwecke der Vorbeugung, Diagnose, der Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen beim Menschen vorgenommen werden.


    - Für die Umsatzsteuerfreiheit von Schönheitsoperationen reicht es nicht aus, dass die Operation nur von einem Arzt ausgeführt wird.


    - Erforderlich ist, dass die Schönheitsoperation dem Schutz der menschlichen Gesundheit dient, d. h. medizinisch indiziert ist. Fehlt die medizinische Indikation, ist die USt-Freiheit der Schönheitsoperation nicht gegeben.


    Tatbestand

    Streitig ist die Frage, ob die Umsätze der Klägerin gem. § 4 Nr. 14 UStG steuerfrei sind.

    Die Klägerin betreibt ein Unternehmen in der Rechtsform einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts, dessen Gegenstand nach § 2 des Gesellschaftsvertrags vom 30. Juni 1998 die Durchführung kosmetischer Eingriffe und Operationen ist. Die Umsätze der Klägerin betrugen im Streitjahr 2003 ausweislich ihrer Einnahme-Überschussrechnung X €.

    Die Klägerin ging davon aus, dass ihre Umsätze umsatzsteuerfrei seien und gab deshalb keine Umsatzsteuererklärungen ab.

    In der Zeit vom 14. Dezember 2004 bis zum 22. September 2005 fand bei der Klägerin eine Außenprüfung statt. Der Prüfer stellte sich unter Bezugnahme auf die Entscheidung des BFH vom 15. Juli 2004, BStBl. II 2004, 862 auf den Standpunkt, dass Umsätze aus ästhetisch-plastischen Operationen, die nicht medizinisch indiziert seien und deren Kosten von den Sozialversicherungsträgern nicht übernommen würden, nicht umsatzsteuerfrei seien. Derartige Umsätze erziele die Klägerin; eine medizinische Indikation sei nicht nachgewiesen worden. Deshalb seien die Umsatzerlöse - unter Herausrechnung der Umsatzsteuer - steuerpflichtig. Vorsteuern könnten berücksichtigt werden, soweit ordnungsgemäße Eingangsrechnungen vorliegen würden.

    Mit Bescheid vom 31. Oktober 2005 setze der Beklagte, das Finanzamt (FA), die Umsatzsteuer entsprechend den Feststellungen der Außenprüfung fest. Der dagegen gerichtete Einspruch hatte nur insoweit Erfolg, als die Klägerin weitere Vorsteuern belegte.

    Die Klägerin ist der Auffassung, dass ihre Umsätze nach § 4 Nr. 14 UStG umsatzsteuerfrei seien und hat hierzu ein von ihr in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten vorgelegt. Umsätze aus der Tätigkeit eines Arztes im Sinne dieser Norm seien alle Leistungen nach der Bundesärzteordnung. Dieser Begriffsdefinition würden auch die Leistungen eines ästhetisch-plastischen Chirurgen unterfallen, wovon auch die Gebührenordnungen der Ärzte ausgehe. Von diesem einheitlichen Verständnis des Begriffs der einheitlichen Leistung seien seinerzeit ferner der Gesetzgeber und auch die Finanzverwaltung in den Umsatzsteuerrichtlinien ausgegangen. Eine Aufspaltung des Begriffs der ärztlichen Leistung für Zwecke der Auslegung des § 4 Nr. 14 UStG in medizinisch indizierte und medizinisch nicht indizierte Leistungen sei dem Gesetz und der früheren Verwaltungspraxis fremd.

    Auch aus Art. 13 A Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie ergebe sich kein anderes Verständnis der medizinischen Heilbehandlung. Soweit sich die nationale Rechtsprechung für eine andere Rechtsauslegung auf den EuGH berufe, sei dem entgegenzuhalten, dass der EuGH bislang keine Entscheidung zu plastischer Chirurgie getroffen habe. Der EuGH stelle vielmehr auf den Begriff der „Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin” ab. Eine unterschiedliche Besteuerung der Umsätze der Ärzte würde gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität verstoßen.

    Die Rechtsauffassung des BFH führe auch zu strukturellen Vollzugsdefiziten. Es sei kaum möglich, eine klare Abgrenzung der medizinisch indizierten von nicht medizinisch indizierten Umsätzen zu treffen. Der behandelnde Arzt werde so gezwungen, seine Schweigepflicht zu verletzen. Das Ergebnis der Besteuerung hänge von vom Arzt nicht erzwingbarer Mitwirkungspflichten der Patienten ab. Die Kostenübernahme durch die Krankenkasse sei kein brauchbares Indiz, da es eine sehr unterschiedliche Kostenübernahmepraxis der einzelnen Krankenkassen gebe. Richtig sei es hingegen, die Frage der medizinischen Indikation durch den behandelnden Arzt selbst beantworten zu lassen. Es könne nicht Aufgabe der Finanzverwaltung oder der Finanzgerichte sein, die Beurteilung des behandelnden Arztes über die medizinische Indikation in Frage zu stellen.

    Die Klägerin verweist außerdem auf die Verwaltungspraxis in den Niederlanden und Österreich, nach der es zu einer faktischen Nichtbesteuerung der streitgegenständlichen Leistungen in diesen Ländern komme. Daher läge ein Verstoß gegen den gemeinschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz vor.

    Im Übrigen seien sämtliche im Streitjahr durchgeführten Operationen jedoch auch medizinisch indiziert gewesen. Zum Nachweis dieser Behauptung hat die Klägerin dem Gericht Patientenunterlagen mit den Krankheitsgeschichten der operierten Patienten vorgelegt. In diesem Zusammenhang hat sie ferner darauf hingewiesen, dass von den in der Sprechstunde bei ihr untersuchten Patienten nur ca. 50 % operiert worden seien, weil es nach Ansicht des behandelnden Arztes bei den nicht operierten Patienten gerade an der medizinischen Indikation gefehlt habe. Eingriffe im rein kosmetischen Bereich seien im Streitjahr durch eine andere GbR durchgeführt worden. Die hierauf entfallene Umsatzsteuer sei aus Gründen der Vorsicht an das FA abgeführt worden.

    Die Klägerin beantragt,

    die Umsatzsteuer 2003 unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 1. März 2007 auf 0 € festzusetzen.

    Das FA beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Ästhetisch-plastische Leistungen eines Chirurgen, seien nach § 4 Nr. 14 UStG nur steuerbefreit, wenn sie im Einzelfall medizinisch indiziert seien. Hierfür treffe die Klägerin die Feststellungslast.

    Das Gericht hat zur Frage der medizinischen Indikation, der von der Klägerin durchgeführten Operationen, ein Gutachten eingeholt. Wegen des von dem Sachverständigen erzielten Ergebnisses wird auf das zu den Akten gereichte Gutachten vom 31. August 2011 verwiesen.

    Das Finanzamt hat auf eine Reihe von Ungereimtheiten in der Beurteilung der Fälle durch den Gutachter aufmerksam gemacht. Beispielsweise sei es in einem Fall zu einer Doppelbegutachtung gekommen, in einem anderen Fall sei die Beurteilung nicht schlüssig oder die Beurteilung in Form einer psycho-medizinischen Indikation werde im Gutachten nicht näher ausgeführt. Im Übrigen stelle der BFH jedoch auf die Kostenübernahme durch den Sozialversicherträger ab. Vor dem Hintergrund der sehr differenzierten Sozialgerichtsrechtsprechung im Hinblick auf den Krankheitsbegriff sei das Gutachten intransparent und lasse nicht erkennen, dass diese Grundsätze beachtet worden seien.

    Nach Ansicht der Klägerin enthält das Gutachten allenfalls Flüchtigkeitsfehler, die aber ansonsten die Qualität des Gutachtens nicht erschütterten. Im Übrigen seien aber die vom Gutachter als rein ästhetisch indizierten Operationen jedoch sehr wohl medizinisch indiziert gewesen. Die vorgelegten Patientenunterlagen wiesen Schwächen in der Anamnesedokumentation auf, da sie zu einem Zeitpunkt erstellt worden seien, als die steuerrechtliche Problematik nicht bekannt gewesen sei. Zum anderen sei es häufig vorgekommen, dass wesentliche Details der Anamnese auf Wunsch des Patienten hin nicht dokumentiert worden seien. In einer Reihe von Fällen könne die Anamnese jedoch jetzt noch nachträglich ergänzt werden. Wegen den hierzu von der Klägerin weiter ausgeführten Details wird auf den Schriftsatz vom 16. November 2011 verwiesen. In einer Reihe anderer Fälle könnten keine nachträglichen Informationen mehr gegeben werden, weil der behandelnde Arzt für die Klägerin nicht mehr erreichbar sei.

    Das Gericht hat im Termin zur mündlichen Verhandlung den Sachverständigen zu dem von ihm erstellten Gutachten befragt. Wegen der Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll vom 2. Februar 2012 verwiesen.

    Gründe

    Die Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Im Übrigen ist sie unbegründet.

    Die Umsätze der Klägerin waren im Streitjahr nur steuerfrei soweit die durchgeführten Operationen medizinisch indiziert waren.

    1. Nach § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG waren im Streitjahr „die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Krankengymnast, Hebamme oder aus einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes und aus der Tätigkeit als klinischer Chemiker” steuerfrei.

    a) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH sind nach dieser Vorschrift nur Tätigkeiten steuerfrei, die zum Zweck der Vorbeugung, der Diagnose, der Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen für bestimmte Patienten ausgeführt werden (z.B. BFH-Urteile vom 30. Juni 2005 V R 1/02, BFHE 210, 188, BStBl II 2005, 675; vom 13. Juli 2006 V R 7/05, BFHE 214, 458, BStBl II 2007, 412; vom 1. Februar 2007 V R 64/05, BFH/NV 2007, 1203; BFH-Beschlüsse vom 31. Juli 2007 V B 98/06, BFHE 217, 94, BStBl II 2008, 35; vom 30. Januar 2008 XI R 53/06, BFHE 221, 399, BStBl II 2008, 647, jeweils m.w.N.). Wird eine ärztliche Leistung in einem Zusammenhang erbracht, der die Feststellung zulässt, dass ihr Hauptziel nicht der Schutz der Gesundheit ist, sind § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG und Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG auf diese Leistung nicht anzuwenden (BFH-Beschluss in BFHE 217, 94, BStBl II 2008, 35). Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an. Die im Wesentlichen nicht neue Gegenauffassung der Klägerin vermag nicht zu überzeugen. Dem Beweisantrag der Klägerin bezüglich der Motive des deutschen Gesetzgebers bei Einführung der Änderung der im Streitjahr gültigen Fassung des § 4 Nr. 14 UStG war dabei nicht weiter nachzugehen. Da von der Klägerin nicht angegeben worden ist, welche konkrete Tatsache durch welches Beweismittel nachgewiesen werden soll, ist ihr Antrag bereits unsubstantiiert. Im Übrigen ist der Wille des historischen Gesetzgebers keine dem Beweis zugängliche Tatsache, sondern nur normativ mittels Wertung erschließbar.

    Auch nach der Rechtsprechung des EuGH umfassen Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin i.S. des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG nur solche Tätigkeiten, die zum Zwecke der Vorbeugung, Diagnose, der Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen bei Menschen vorgenommen werden (EuGH-Urteil vom 20.11.2003 C-307/01, HFR 2004, 278). Wird eine ärztliche Leistung in einem Zusammenhang erbracht, der die Feststellung zulässt, dass ihr Hauptziel nicht der Schutz der Gesundheit ist, findet die zitierte Bestimmung der Richtlinie keine Anwendung.

    Im Einklang hiermit hat der BFH entschieden, dass es für die Umsatzsteuerfreiheit von Schönheitsoperationen nicht ausreicht, dass die Operationen nur von einem Arzt ausgeführt werden. Erforderlich ist vielmehr, dass auch derartige Operationen dem Schutz der menschlichen Gesundheit dienen (vgl. BFH-Urteil vom 15. Juli 2004 V R 27/03, BFHE 206, 471, BStBl II 2004, 862; BFH-Beschluss vom 18. Februar 2008 V B 35/06, BFH/NV 2008, 1001). Dementsprechend hat der BFH geklärt, dass Schönheitsoperationen, die nicht medizinisch indiziert sind, deren Kosten nicht von den Sozialversicherungsträgern übernommen werden und die nicht der medizinischen Behandlung einer Krankheit oder einer anderen Gesundheitsstörung dienen, nicht von der Umsatzsteuer befreit sind (vgl. BFH-Urteil vom 7. Oktober 2010 V R 17/09, BFH/NV 2011, 865). Die Auffassung, dass Leistungen der Schönheitschirurgen als „ärztliche” Tätigkeit ohne Rücksicht auf ihre medizinische Indikation steuerfrei sind, ist damit nicht vereinbar. Die hiergegen erhobene Verfassungsbeschwerde hatte keinen Erfolg (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 20. Februar 2006 1 BvR 2241/04).

    Nach der Rechtsprechung des EuGH und des BFH sind die Steuerbefreiungen des Art. 13 der Richtlinie 77/388/EWG im Übrigen autonome gemeinschaftsrechtliche Begriffe, die eine von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedliche Anwendung des Mehrwertsteuersystems vermeiden sollen (ständige Rechtsprechung, vgl. EuGH-Urteile Unterpertinger in Slg. 2003, I-13859, BFH/NV Beilage 2004, 111 Rdnr. 34; vom 14. Juni 2007 C-445/05, Haderer, BFH/NV Beilage 2007, 394, Rdnr. 17). Ob ein bestimmter Umsatz der Mehrwertsteuer zu unterwerfen oder von ihr zu befreien ist, kann folglich nicht davon abhängen, wie der Begriff der Gesundheit durch die Weltgesundheitsorganisation definiert wird (vgl. BFH-Beschluss vom 18. Februar 2008 V B 35/06, BFH/NV 2008, 1001, unter 4.a, bb).

    Die Feststellung, ob bei chirurgisch-plastischen Operationen steuerpflichtige oder --wegen medizinischer Indikation-- steuerfreie Leistungen vorliegen, hat der behandelnde Arzt unter Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung zu treffen. Dabei kann im Regelfall von einer medizinischen Indikation ausgegangen werden, wenn die Kosten der Operation von den Sozialversicherungsträgern getragen werden (vgl. BFH-Urteil in BFHE 206, 471, BStBl II 2004, 862, unter 3.). Derjenige, der die Umsatzsteuerfreiheit begehrt, trägt die Feststellungslast für die hierfür entscheidungserheblichen Tatsachen (BFH-Beschluss in BFH/NV 2008, 1001, unter II.4.c).

    b) Nach den oben genannten Grundsätzen waren die Umsätze der Klägerin im Streitjahr nur insoweit steuerfrei, als die durchgeführten Operationen medizinisch indiziert waren.

    aa) Das hierzu vom Gericht eingeholte Sachverständigengutachten gelangte zunächst einmal zu dem Ergebnis, dass von 129 Fällen 36 Fälle ästhetisch und 1 Fall teilweise ästhetisch gewesen sein sollen, wobei zu berücksichtigen war, dass der Fall Nummer 44, für den der Gutachter einen ästhetischen Eingriff annahm, in der von ihm gefertigten Zusammenstellung der ästhetischen Eingriffe am Ende des Gutachtens fehlt. Alle anderen Fälle sollen nach dem erstellten Gutachten entweder aufgrund physisch-medizinischer Indikation oder aufgrund psycho-medizinischen Gründen erforderlich gewesen sein.

    Der Gutachter hat sein Gutachten im Termin zur mündlichen Verhandlung ausführlich erläutert und dabei zunächst eine Reihe von Ungereimtheiten, auf die das FA aufmerksam gemacht hatte, ausgeräumt. In den Fällen 18 und 19 lag eine Doppelbeurteilung vor, was zur Folge hat, dass insgesamt ein Fall weniger beurteilt wurde. Im Fall 57 war ohne Einfluss auf das Ergebnis des Gutachtens die Patientennummer zu korrigieren. Aufgrund eines Schreibfehlers muss das Ergebnis im Fall 34 richtig heißen, dass keine medizinische Indikation gegeben sei soll, was die Zahl der Fälle laut Gutachten mit ästhetischer Indikation erhöht. Zum Fall 35 führte der Gutachter aus, dass sich seine Schilderung auf eine Operation aus dem Jahre 2000 bezieht. Im Streitjahr liege eine Operation an den Wangen vor, für die eine ästhetische Indikation anzunehmen sei. Zum Fall 66 ergänzte der Sachverständige, dass seine Ausführungen zur Nasendeformität nicht das Jahr 2003 beträfen, was auf das Gesamtergebnis der Beurteilung dieses Falls aber keine Auswirkung habe. Nach erneuter Sichtung der vorgelegten Unterlagen sei im Fall 67 bezüglich der Kapselfibrose eine medizinische Indikation gegeben, die übrigen durchgeführten Maßnahmen seien jedoch ästhetisch indiziert gewesen. Im Fall 104 liege nach nochmaliger Sichtung der Unterlagen kein Nachweis für eine psycho-medizinische Indikation vor. Im Fall 108 ließen die vorliegenden Unterlagen kein Beurteilungsergebnis zu. Zum Fall 127 bleibe er bei seinem Ergebnis, dass eine medizinische Indikation gegeben sei. Im Fall 121 müsse er sein Gutachten jedoch korrigieren, da in diesem Fall nach nochmaliger Prüfung keine medizinische Indikation vorliege. Auf Nachfrage durch das Gericht, kam der Gutachter zum Fall 9 nach nochmaliger Sichtung der Unterlagen zu dem Ergebnis, dass doch von einem ästhetischen Eingriff auszugehen sei. Auch zum Fall 50 korrigierte er sich dahingehend, dass nach den Unterlagen eine ästhetische Indikation vorliege.

    Als Ergebnis des Gutachtens ist daher aufgrund der in der mündlichen Verhandlung gemachten Ergänzungen festzuhalten, dass von 129 Fällen 45 ästhetisch indiziert gewesen sei sollen.

    bb) Das Gericht ist von der Richtigkeit der im Gutachten getroffenen Feststellungen und Bewertungen in der durch den Gutachter im Termin zur mündlichen Verhandlung verbesserten Form überzeugt.

    Die eingereichten Patientenunterlagen stellten eine tragfähige Basis für das erstellte Gutachten dar. Das Gericht hat den Gesellschafter der Klägerin Herrn Dr. XY hierzu im Termin zur mündlichen Verhandlung persönlich vernommen und ist davon überzeugt, dass die Patientengeschichten wahrheitsgemäß und gemäß ärztlichen Standards korrekt aufgezeichnet worden sind. Gewähr für ihre Richtigkeit und Vollständigkeit ist dabei insbesondere auch ihre zeitnahe Erstellung zu den durchgeführten Operationen.

    Es mag dahin stehen, ob für eine Erstattung von Krankenkassen in vergleichbaren Fällen detailreichere Aufzeichnungen nötig gewesen wären. Auch nach der oben zitierten BFH-Rechtsprechung ist die Behandlung von Vergleichsfällen durch Krankenkassen kein Maßstab in dem Sinne, dass hiervon die Umsatzsteuerfreiheit ärztlicher Leistungen abhängt. Die Erstattung durch die Kassen mag ein Indiz für eine medizinische Indikation sein, die Nichterstattung in Vergleichsfällen schließt die medizinische Indikation hingegen nicht aus, wenn diese auf anderem Wege bewiesen werden kann. Hierfür spricht, dass die Handhabung seitens der Kassen gerichtsbekanntermaßen unterschiedlich ist und außer von medizinischen auch von für Solidargemeinschaften typischen Zweckmäßigkeitserwägungen getragen wird, die für die steuerliche Einordnung nicht ausschlaggebend sein können. Entscheidend ist, dass der Sachverständige im Termin zur mündlichen Verhandlung auf Nachfrage glaubhaft darlegen konnte, warum ihm die vorgelegten Patientenunterlagen für seine Begutachtung ausreichten und er diese ohne Spekulationen vornehmen konnte.

    Dies gilt insbesondere auch für die Fälle psychisch-medizinischer Indikation. Herr Dr. XY hat dem Gericht hierzu im Termin zur mündlichen Verhandlung glaubhaft dargelegt, wie für ihn aufgrund seines während seiner Ausbildung erworbenen psychiatrischen Wissens und seiner langjährigen praktischen Erfahrung in derartigen Fällen auch im Rahmen eines einmaligen Beratungsgesprächs eine sichere Einordnung möglich ist. Auch der Sachverständige hat dem Gericht eingehend erläutert, wie in der Praxis im nahezu täglichen Umgang mit entsprechenden Fällen ein Erfahrungswissen entsteht, wann von einer echten depressiven Beeinträchtigung des jeweiligen Patienten auszugehen ist.

    Neben der Frage, wann genau von einer psychisch-medizinischen Indikation auszugehen ist, hat sich das Gericht im Termin zur mündlichen Verhandlung von dem Sachverständigen auch die genauen Kriterien für eine medizinische Indikation in Fällen von Brustaugmentationen, bei sog. Reithosen, bei Operationen an den Augenlidern und bei männlichen Brustwuchs darlegen lassen. Der Gutachter hat hierzu überzeugende Ausführungen gemacht, welche in Verbindung mit dem von ihm erstellten Gutachten, den Schluss zulassen, dass das von ihm gefundene Ergebnis für die von ihm bejahten Fälle mit medizinischer Indikation zutreffend ist. Für die von ihm verneinten Fälle medizinischer Indikation gilt letztlich nichts anderes. Hier hat der Sachverständige überzeugend dargelegt, dass die von der Klägerin eingereichten Patientenunterlagen eine andere Bewertung nicht zulassen. Es ist der Klägerin insoweit auch im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht gelungen, die Ergebnisse des Sachverständigengutachtens zu erschüttern. Es besteht daher auch keine Notwendigkeit der Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens. Dies gilt auch soweit die Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 16. November 2011 und im Termin zur mündlichen Verhandlung für spezielle Fälle dem Gericht weitere Patienteninformationen unterbreitete, welche in ihren eingereichten Unterlagen bislang nicht dokumentiert waren. Nach Ansicht des Gerichts bieten diese nicht zeitnah zu den durchgeführten Operationen dokumentierten Aussagen keine verlässliche Grundlage für eine medizinische Bewertung. Es mag dabei sein, dass in einzelnen Fällen wesentliche Details der Anamnese auf Patientenwunsch hin nicht dokumentiert worden sind. Darauf beruhende Unsicherheiten in der Einordnung von Operationen gehen aber zu Lasten der Klägerin.

    Auf das für richtig gefundene Ergebnis hat keinen Einfluss und kann daher als wahr unterstellt werden, dass die Klägerin im Streitjahr eine Großzahl der von ihr beratenen Patienten nicht operiert hat, weil es bereits nach Einschätzung der behandelnden Ärzte an einer medizinischen Indikation fehlte.

    cc) Nach den obigen Ausführungen sind die Operationen mit den nachfolgenden Patientennummern und den nachfolgenden Bruttoumsätzen aus den Honorarvereinbarungen ästhetisch bzw. teilweise ästhetisch indiziert gewesen:…

    Die Operationen mit den übrigen Patientennummern waren medizinisch indiziert. Nebenleistungen (Narkose, Mieder, Übernachtung) teilen das Schicksal der Hauptleistung. Soweit eine Rechnung nur teilweise einer ästhetisch indizierten Operation zuzuordnen war, hat der Senat eine Aufteilung im Schätzungswege vorgenommen.

    2. Die vorgenommene Auslegung des § 4 Nr. 14 UStG verstößt weder gegen Europarecht noch gegen das allgemeine Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG.

    a) Sofern in anderen Mitgliedstaaten die Umsätze von Ärzten aus chirurgisch-plastischen Operationen stets steuerfrei wären, kommt zwar ein Verstoß gegen den gemeinschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz in Betracht. Ein solcher liegt vor, wenn unterschiedliche Vorschriften auf vergleichbare Situationen angewandt werden oder wenn dieselbe Vorschrift auf unterschiedliche Situationen angewendet wird (vgl. EuGH-Urteil vom 23. April 2009 C-460/07, Sandra Puffer, Slg. 2009, I-3251 Rdnr. 52, m.w.N.). Nach der Rechtsprechung des EuGH ist es einem Steuerpflichtigen jedoch versagt, sich zu eigenen Gunsten auf eine fehlerhafte Rechtsanwendung bei anderen zu berufen (vgl. EuGH-Urteile vom 9. Oktober 1984 C-188/83, Witte/Europäisches Parlament, Slg. 1984, 03465 Rdnr. 15; vom 31. März 1993 C-89/85, A. Ahlström Osakeyhtiö u.a., Slg. 1993, I-01307 Rdnr. 197).

    Es kann daher als wahr unterstellt werden, dass vergleichbare Umsätze der Klägerin in Österreich und den Niederlanden nicht der Umsatzbesteuerung unterworfen werden und Kliniken mit der Umsatzsteuerfreiheit ihrer Leistungen werben. Denn dies beruht nach Ansicht des Gerichts auf einer fehlerhaften Rechtsanwendung in diesen Ländern. Eine solche fehlerhafte Rechtsanwendung in anderen Ländern ist im Übrigen auch nicht der Bundesrepublik Deutschland zuzurechnen, so dass die Klägerin auch aus diesem Grund durch ein Vollzugsdefizit in anderen Ländern nicht durch den angegriffenen Bescheid des FA in ihren Rechten verletzt werden kann.

    b) Die Besteuerung von medizinisch nicht indizierten Leistungen, die durch Ärzte erbracht werden, verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

    Denn die Tatsache, dass Schönheitsoperationen, die durch ausländische Ärzte vorgenommen werden, möglicherweise nicht der Umsatzsteuer unterworfen werden, stellt

    - unbeschadet der weiteren Voraussetzungen gleichheitswidrigen Verhaltens - im Hinblick auf die Besteuerung des Klägers jedenfalls keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung dar.

    Nach den getroffenen Feststellungen stellt sich nicht die Besteuerung, sondern die Nichtbesteuerung der bezeichneten Leistungen als rechtswidrig dar. Aufgrund des Faktums, dass die Erkenntnis über die Umsatzsteuerpflicht im wesentlichen auf einer Anwendung von Richtlinien der Europäischen Union und der korrespondierenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs basiert und der EGV für den Bereich der Umsatzsteuer in Art. 93 ausdrücklich eine Harmonisierung innerhalb der EG vorsieht, muss eine abweichende Besteuerungspraxis in anderen Mitgliedstaaten der EU als rechtswidrig angesehen werden.

    3. Damit steht einer Steuerbefreiung des Klägers der Grundsatz „Keine Gleichheit im Unrecht” entgegen: Der Gleichheitssatz in Art. 3 Abs. 1 GG vermittelt nach der höchstrichterlichen Finanzrechtsprechung, welcher der Senat folgt - keinen Anspruch auf Anwendung einer rechtswidrigen Verwaltungspraxis und damit auf „Gleichheit im Unrecht” (dazu z.B. BFH-Entscheidungen vom 13.02.2007 - II B 32/06, BFH/NV 2007, 966; vom 11.01. 2006 II R 12/04, BStBl II 2006, 615, m.w.N.; vom 18.07.2002 V B 112/01, BFHE 199, 77, BStBl II 2003, 675 und - speziell für den vorliegenden Fall der Nichtbesteuerung von Schönheitsoperationen - BFH-Beschluss vom 26.09.2007 - V B 8/06, BFH/NV 2008, 320).

    4. Die der Klägerin seitens des FA im angegriffenen Bescheid gewährten Vorsteuern sind im Wege der Schätzung zu kürzen, wobei das Verhältnis der steuerbefreiten zu den steuerpflichtigen Umsätzen der Klägerin zugrunde zu legen ist.

    5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO und der Ausspruch zur sofortigen Vollstreckbarkeit auf § 151 Abs. 3 FGO.

    6. Die Revision ist mangels eines Revisionsgrundes nach § 115 Abs. 2 FGO nicht zuzulassen.

    VorschriftenUStG 1999 § 4 Nr. 14 EWGRL 388/77 Art. 13