14.02.2013 · IWW-Abrufnummer 130799
Finanzgericht Sachsen: Urteil vom 10.01.2013 – 6 K 1332/10
1. Bei deutlich ausgeprägter finanzieller und organisatorischer Eingliederung endet eine umsatzsteuerliche Organschaft nicht allein deshalb, weil die wirtschaftlicher Eingliederung sinkt, nach dem die ursprünglich überlassenen Wirtschaftsgüter nicht mehr vollständig vorhanden sind und die Organgesellschaft eine Vielzahl von für den Gewerbebetrieb erforderlichen Wirtschaftsgütern zum großen Teil selbst in ihrem Anlagevermögen aufführt.
2. Endet der Pachtvertrag mit der Organgesellschaft ausweislich des Kaufvertrags über den Pachtgegenstand zum Ende des Jahres, lässt sich aus der Nichtentrichtung der Pachtzahlungen bereits ab Mitte des Jahres nicht auf die frühere Beendigung des Pachtverhältnisses und damit die Beendigung des umsatzsteuerlichen Organschaftsverhältnisses schließen.
3. Uneinbringlichkeit i. S. d. § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG 2005 kann auch schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens eintreten, wenn der sachliche Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung gegeben ist (hier: Maßgeblichkeit des vom Insolvenzverwalter festgestellten Zeitpunkts der Zahlungsunfähigkeit).
Im Namen des Volkes
URTEIL
In dem Finanzrechtsstreit
hat der 6. Senat durch Vorsitzenden Richter am Finanzgericht W., Richter am Finanzgericht P., Richterin am Finanzgericht K. und die ehrenamtlichen Richter R. und S. auf Grund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 10. Januar 2013
für Recht erkannt:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über den Bestand eines umsatzsteuerlichen Organschaftsverhältnisses bzw. den Zeitpunkt der Vorsteuerberichtigung gemäß § 17 Abs. 1 UStG.
Zwischen dem Kläger und der Firma F. Heizungs- und Sanitärtechnik-Klempnerei GmbH (GmbH) bestand eine ertragsteuerliche Betriebsaufspaltung und ein umsatzsteuerliches Organschaftsverhältnis seit dem 1. Januar 1999. Mit Vertrag vom 30. Dezember 1998 verpachtete der Kläger an die GmbH, bei der er Gesellschafter-Geschäftsführer war, seine bisherigen für den Betrieb des Heizungs- und Sanitärtechnikgewerbes erforderlichen Wirtschaftsgüter (Anlage zum Pachtvertrag vom 30. Dezember 1998 – Blatt 5 ff. der Dauerakte) zu einem Pachtzins von monatlich 10.000 DM zuzüglich Umsatzsteuer. Das Betriebsgrundstück pachtete die GmbH von der Frau des Klägers. Zum 31. Dezember 2007 wurde das Anlagevermögen veräußert und das Pachtverhältnis beendet. Der damalige und heutige steuerliche Berater teilte dem Beklagten am 8. Februar 2008 mit, dass das Pachtverhältnis zum 31. Dezember 2007 beendet worden und die umsatzsteuerliche Organschaft ab dem 1. Januar 2008 weggefallen sei (Bl. 31 der Dauerakte). Bis Dezember 2007 gab der Kläger als Organträger noch Umsatzsteuer-Voranmeldungen ab.
Auf Grund eines im April 2008 gestellten Insolvenzantrages wurde am 4. Juni 2008 über das Vermögen der GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet. In der Folgezeit fand eine Umsatzsteuersonderprüfung statt. Die Prüferin kam zu dem Ergebnis, dass die vorangemeldete Umsatzsteuer um einen Vorsteuerbetrag in Höhe von insgesamt 50.757,77 EUR zu Lasten des Klägers zu korrigieren sei. Das Unternehmen habe seinen Zahlungsverpflichtungen zum 31. Dezember 2007 nicht mehr nachkommen können (Bericht über die Umsatzsteuer-Sonderprüfung vom 26. Januar 2009).
Der Beklagte folgte den Feststellungen der Prüferin und erließ am 12. Februar 2009 einen dementsprechenden Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid für den Monat Dezember 2007. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Einspruch ein. Während des Einspruchsverfahrens reichte der Kläger die Umsatzsteuererklärung 2007 für den Zeitraum vom 1. Januar bis 30. Juni 2007 ein, da das Organschaftsverhältnis nur bis zum 30. Juni 2007 bestanden habe. Der Beklagte folgte der Erklärung nicht, soweit diese von einem Ende des Organschaftsverhältnisses zum 30. Juni 2007 ausging. Im Übrigen korrigierte der Beklagte die zurückgeforderten Vorsteuerbeträge um 7.307,55 EUR. Zudem berücksichtigte der Beklagte Forderungsausfälle des Klägers in Höhe von 13.664,17 EUR und erließ am 19. Oktober 2009 einen dementsprechenden Umsatzsteuerjahresbescheid für das Jahr 2007, der Gegenstand des Einspruchsverfahrens wurde. Im Einspruchsverfahren wurde der Umsatzsteuerbescheid am 11. Februar 2010 nochmals geändert. Mit der Einspruchsentscheidung vom 22. Juli 2010 wurde die Umsatzsteuer 2007 auf 28.267,61 EUR festgesetzt. Ein weiterer Änderungsbescheid erging am 2. Dezember 2010.
Mit der dagegen erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er ist der Auffassung, dass das Organschaftsverhältnis zum 30. Juni 2007 geendet habe. Eine Vermietung von Gegenständen habe nur bis zu diesem Zeitpunkt stattgefunden. Aus der Buchhaltung sei ersichtlich, dass Pachtzahlungen nur bis zum Juni 2007 geleistet worden seien. Zudem sei das Organschaftsverhältnis auch dadurch beendet worden, dass nur noch Wirtschaftsgüter von untergeordneter Bedeutung verpachtet gewesen seien und die eigenen Wirtschaftsgüter der GmbH die verpachteten Wirtschaftsgüter deutlich überwogen hätten. Zudem sei zum 31. Dezember 2007 kein Berichtigungsgrund nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 2 UStG gegeben, weil die Forderungen zu diesem Zeitpunkt noch nicht uneinbringlich gewesen seien. Im Jahr 2008 seien noch Zahlungen erfolgt. Uneinbringlichkeit sei in der Regel erst im Augenblick der Insolvenzeröffnung frühestens aber mit Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens anzunehmen.
Der Kläger beantragt,
den Umsatzsteuerbescheid 2007 vom 2. Dezember 2010 insoweit zu ändern, als eine Vorsteuerkürzung i.H.v. 40.864,47 EUR vorgenommen wurde und
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, dass ein Ende des Organschaftsverhältnisses erst zum 31. Dezember 2007 angenommen werden könne. Dies bestätige der Vertrag über die Veräußerung des an die GmbH verpachteten Anlagevermögens des Klägers an seine Frau vom 18. Dezember 2007. Nach dessen § 5 werde der Pachtvertrag zwischen dem Kläger und der GmbH zum 31. Dezember 2007 beendet. Dementsprechend habe der steuerliche Berater den Beklagten darüber informiert. Von einem früheren Ende des Organschaftsverhältnisses könne deswegen nicht ausgegangen werden. Zudem sei nach § 17 Abs. 1 UStG die Vorsteuer zu berichtigen, soweit aus den Gesamtumständen von einer Nichtbezahlung der Verbindlichkeiten auszugehen sei. Da das Gutachten des Insolvenzverwalters vom 29. Mai 2008 zu dem Ergebnis komme, dass bereits zum 31. Dezember 2007 Zahlungsunfähigkeit eingetreten gewesen sei, sei auch schon vor der Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens von einer Uneinbringlichkeit auszugehen. Allerdings könne die bisher angenommene Vorsteuerkorrektur in Höhe von 50.757,77 EUR auf 48.172,02 EUR reduziert werden.
Der Beklagte erließ am 2. Dezember 2010 einen dementsprechenden Änderungsbescheid über Umsatzsteuer 2007, in dem die Umsatzsteuer nunmehr auf 25.681,86 EUR festgesetzt wurde.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze, die vorgelegten Behördenakten und das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
1. Hat sich die Bemessungsgrundlage für einen steuerpflichtigen Umsatz geändert, hat nach § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 UStG der Unternehmer, an den dieser Umsatz ausgeführt worden ist, den dafür in Anspruch genommenen Vorsteuerabzug entsprechend zu berichtigen. Das gilt gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG sinngemäß, wenn das vereinbarte Entgelt uneinbringlich geworden ist. Wird das Entgelt nachträglich vereinnahmt, sind der Steuerbetrag und der Vorsteuerabzug erneut zu berichtigen (§ 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG). Nach § 17 Abs. 1 Satz 3 UStG sind die Berichtigungen für den Besteuerungszeitraum vorzunehmen, indem die Änderung der Bemessungsgrundlage eingetreten ist.
Entgegen der Auffassung des Klägers hat sich die Bemessungsgrundlage nicht erst im Jahr 2008 gemindert. Uneinbringlich ist eine Forderung, wenn der Anspruch auf Entrichtung des Entgelts nicht erfüllt wird und bei objektiver Betrachtung damit zu rechnen ist, dass der Leistende die Entgeltforderung (ganz oder teilweise) jedenfalls auf absehbare Zeit nicht durchsetzen kann (vgl. BFH, BFH/NV 2012, 1665; BFH, BFH/NV 2011, 77; BFH, BStBl. II 2007, 22). Uneinbringlichkeit im Sinne des § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG kann auch schon vor Eröffnung eines Insolvenzverfahrens bereits dann eintreten, wenn der sachliche Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung gegeben ist. Eine Auslegung des Begriffes der Uneinbringlichkeit, wonach diese z.B. erst bei der Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder der Einleitung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen oder – bei substantiiertem Bestreiten der Forderung – erst nach Abschluss eines Klageverfahrens in Bezug auf die Forderung vorläge, ließe sich mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht vereinbaren (vgl. BFH, BFH/NV 2012, 1665).
Bei objektiver Betrachtung ist damit zu rechnen ist, dass der Leistende die Entgeltforderung (ganz oder teilweise) jedenfalls auf absehbare Zeit nicht mehr durchsetzen kann, wenn der Leistungsempfänger zahlungsunfähig ist. Dies war hier zum 31. Dezember 2007 der Fall. Ausweislich des Gutachtens des Insolvenzverwalters vom 29. Mai 2008 standen der GmbH zum 31. Dezember 2007 liquide Mittel in Höhe von 30.067,65 EUR zur Verfügung. Dem standen fällige Verbindlichkeiten von mindestens 748.209,77 EUR gegenüber, so dass eine Liquiditätslücke von rund 96 % bestand. Die GmbH war demgemäß bereits im Dezember 2007 zahlungsunfähig; bei objektiver Betrachtung war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr damit zu rechnen, dass die Leistenden ihre Entgeltforderungen (ganz oder teilweise) würden durchsetzen können. Nach Uneinbringlichkeit erfolgte Zahlungen stellen nicht die Uneinbringlichkeit in Frage, sondern führen nur zu einer erneuten Berichtigung des Vorsteuerabzugs. Dem hat der Beklagte Rechnung getragen, indem er auf Grund der vorgelegten Unterlagen des Klägers den Änderungsbescheid vom 2. Dezember 2010 erlassen hat.
2. Der Kläger war auch bis zum 31. Dezember 2007 Unternehmer, da die GmbH in sein Unternehmen eingegliedert war (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG). Nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG wird die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit nicht selbständig ausgeübt, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen eines anderen Unternehmers eingegliedert ist (Organschaft). Die Organschaft wurde am 1. Januar 1999 begründet. Die GmbH war finanziell und organisatorisch in das Unternehmen des Klägers eingegliedert. Die finanzielle Eingliederung ergab sich aus der alleinigen Beteiligung des Klägers an der GmbH. Die organisatorische Eingliederung beruhte darauf, dass es sich bei dem Geschäftsführer der GmbH um den Kläger handelte. Die wirtschaftliche Eingliederung war durch die Überlassung der wesentlichen Betriebsgrundlagen, die für den Betrieb des Heizungs- und Sanitärtechnikgewerbes erforderlichen sind, gegeben. Dazu wird auf Blatt 5 ff. der Dauerakte verwiesen.
Diese Organschaft war am 30. Juni 2007 nicht beendet. Dabei ist auf das Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse abzustellen. Es ist davon auszugehen, dass die Organschaft solange gegeben ist, wie alle drei Merkmale der Eingliederung feststellbar sind. Unschädlich ist es, wenn das eine oder andere Merkmal weniger in Erscheinung tritt. Nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse kann die Selbständigkeit auch dann fehlen, wenn die Eingliederung auf einem der drei Gebiete nicht vollkommen ist (vgl. BFH, BStBl. II 2004, 434; BFH, BStBl. II 2002, 167). Im vorliegenden Fall bestand die finanzielle und organisatorische Eingliederung fort. Allein der Umstand, dass die ursprünglich überlassenen Wirtschaftsgüter nicht mehr vollständig vorhanden waren und die GmbH eine Vielzahl von Wirtschaftsgütern, die für den Betrieb des Gewerbes erforderlich sind, zum großen Teil selbst in ihrem Anlagevermögen aufführte, lässt die wirtschaftliche Eingliederung nicht entfallen. Für die wirtschaftliche Eingliederung ist charakteristisch, dass die Organgesellschaft im Gefüge des übergeordneten Organträgers als dessen Bestandteil erscheint (vgl. BFH, BStBl. II 2004, 434). Dabei kommt es nicht auf eine wirtschaftliche Zweckabhängigkeit der Organgesellschaft an (vgl. BFH, BStBl. II 2004, 434). So liegt nur dann keine wirtschaftliche Eingliederung vor, wenn den entgeltlichen Leistungen des Gesellschafters für die Unternehmenstätigkeit der Untergesellschaft nur unwesentliche Bedeutung zukommt. Eine solche Unwesentlichkeit liegt nicht vor. Die weiterhin überlassenen Wirtschaftsgüter (Maschinen, Fahrzeuge, Geschäftsausstattung, Bäderstudio, Bäderausstellung, Büroeinrichtung) sind nicht unwesentlich. Hinzu kommt, dass wegen der deutlich ausgeprägten finanziellen und organisatorischen Eingliederung an die wirtschaftliche Eingliederung keine hohen Anforderungen mehr gestellt werden müssen.
Es ist nicht zu beanstanden, wenn der Beklagte von einem Ende der Organschaft zum 31. Dezember 2007 ausgeht. Ausweislich des am 18. Dezember 2007 mit der Frau des Klägers abgeschlossenen Kaufvertrages endete der mit der GmbH eingegangene Pachtvertrag zum 31. Dezember 2007. Gleiches hat der steuerliche Berater unmittelbar im Anschluss gegenüber dem Beklagten bestätigt. Wenn tatsächlich das Ende des Organschaftsverhältnisses dadurch herbeigeführt worden sein sollte, dass die verpachteten Wirtschaftsgüter unmaßgeblich geworden sein sollen, dann wäre dies dem steuerlich fachkundigen Berater in Kenntnis des Kaufvertrages aufgefallen. Der Umstand, dass möglicherweise die Pachtzahlungen am 30. Juni 2007 endeten, lässt sich nicht auf eine Beendigung des Pachtverhältnisses zurückführen, sondern dürfte der Liquiditätslage der GmbH geschuldet gewesen sein.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
4. Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der Zulassungsgründe des § 115 Abs. 2 FGO vorliegt.