21.02.2013
Finanzgericht Düsseldorf: Urteil vom 04.10.2012 – 12 K 993/12 E
- Eine –die Option zur Regelbesteuerung nach § 32 d Abs. 2 Nr. 3 a EStG und damit abweichend von § 20 Abs. 6 und 9 EStG den Abzug von Schuldzinsen als nachträgliche Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen ermöglichende – Beteiligung von mindestens 25 % besteht auch nach Eintragung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH fort, bis die GmbH wegen Vermögenslosigkeit im Handelsregister gelöscht wird.
- Die Option zur Regelbesteuerung ist auch zulässig, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung nicht mehr mit Kapitalerträgen aus der Beteiligung gerechnet werden kann.
Tatbestand
Der Kläger war seit dem Jahr 2002 am Stammkapital der C GmbH (GmbH) mit einer Stammeinlage von 37,5 % beteiligt (Bl. 23 ff Gerichtsakte – GA –). Wegen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit Beschluss vom 1.2.2007 wurde im Handelsregister am 2.2.2007 die Auflösung der GmbH eingetragen (Bl. 31 GA). Die GmbH ist im Handelsregister nicht gelöscht (aktueller Auszug Bl. 52 f GA). Der Kläger wurde im Rahmen der Insolvenz aus einer für die GmbH geleisteten Bürgschaft in Anspruch genommen, deren Kosten der Beklagte im Rahmen des im Veranlagungszeitraum 2007 ermittelten Verlustes aus § 17 Einkommensteuergesetz (EStG) erklärungsgemäß berücksichtigte. Die Zahlung auf die Bürgschaft finanzierte der Kläger durch ein Darlehen, für das in den Jahren 2009 und 2010 Zinsen in Höhe von 9.375 Euro und 9.372 Euro gezahlt wurden.
Die Kläger wurden in den Streitjahren 2009 und 2010 gem. §§ 26, 26 b EStG zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger machte für das Jahr 2009 bei seinen Einkünften aus Kapitalvermögen unter Hinweis auf § 32 d Abs. 2 Nr. 3 EStG Schuldzinsen in Höhe von 9.375 Euro geltend, die er als (nachträgliche) Werbungskosten wegen seiner Beteiligung an der GmbH in Höhe von 60 % (§ 3 Nr. 40 Satz 1 EStG i.V.m. § 3 c Abs. 2 Satz 1 EStG) berücksichtigt haben wollte. Der Kläger machte für das Jahr 2010 bei seinen Einkünften aus Kapitalvermögen unter Hinweis auf § 32 d Abs. 2 Nr. 3 EStG Schuldzinsen in Höhe von 9.375 Euro geltend, die er als (nachträgliche) Werbungskosten wegen seiner Beteiligung an der GmbH in Höhe von 60 % (§ 3 Nr. 40 Satz 1 EStG i.V.m. § 3 c Abs. 2 Satz 1 EStG) berücksichtigt haben wollte. Der Beklage berücksichtigte die Schuldzinsen in den Bescheiden vom 5.1.2011 (für das Jahr 2009) und vom 15.8.2011 (für das Jahr 2010) mit der Begründung nicht, dass eine mehr als 25 % - tige Beteiligung des Klägers an der GmbH seit Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr bestanden habe und deshalb die Voraussetzungen für die Ausübung des Wahlrechts in § 32 d Abs. 2 Nr. 3 EStG nicht erfüllt gewesen seien.
Im Verlaufe des gegen den Einkommensteuerbescheid des Jahres 2009 gerichteten Einspruchsverfahrens wurde der Einkommensteuerbescheid aus hier nicht streitigen Gründen durch Bescheid vom 8.6.2011 geändert. Mit Einspruchsentscheidung vom 7.2.2012 wurde der Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2009 ebenso wie der Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2010 zurückgewiesen.
Zur Begründung ihrer Klage tragen die Kläger vor:
Der Bundesfinanzhof (BFH) habe mit Urteilen vom 16.3.2010 und vom 8.9.2010 entschieden, dass Schuldzinsen, die für die Anschaffungskosten einer im Privatvermögen gehaltenen Beteiligung im Sinne von § 17 EStG anfallen, nach Veräußerung, Auflösung oder Liquidation der Beteiligung als nachträgliche Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen abgezogen werden könnten, soweit die für die Anschaffung aufgewendeten Darlehen aus dem Veräußerungs- bzw. Liquidationserlös nicht hätten getilgt werden können. Diese Voraussetzungen seien für die vom Kläger geltend gemachten Schuldzinsen unstreitig erfüllt. Der Kläger habe zur Regelbesteuerung nach § 32 d Abs. 2 Nr. 3 EStG optieren können. Er sei an der GmbH in den Streitjahren zu mehr als 25 % beteiligt gewesen, denn die GmbH bestehe bis zur Beendigung des Insolvenzverfahrens, das noch andauere, fort.
Die Kläger beantragen,
den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2009 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 8.6.2011 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung dahingehend zu ändern, dass die Einkommensteuer auf den Betrag von 27.868 Euro herabgesetzt wird;
den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2010 vom 15.8.2011 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung dahingehend zu ändern, dass die Einkommensteuer auf den Betrag von 29.801 Euro herabgesetzt wird;
hilfsweise die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
Zur Begründung trägt er unter Bezugnahme auf sein Vorbringen im Verwaltungsverfahren vor:
Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens sei die GmbH gem. § 60 Abs. 1 Nr. 4 des Gesetzes über die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) aufgelöst worden. Seither könne der Kläger an dieser Gesellschaft nicht mehr beteiligt im Sinne von § 32 d Abs. 2 Nr. 3 EStG sein. Ein nachträglicher Schuldzinsenabzug komme seit Einführung der Abgeltungssteuer ab dem Veranlagungszeitraum 2009 wegen des allgemeinen Abzugsverbotes in § 20 Abs. 9 EStG nicht mehr in Betracht.
Gründe
Die Klage ist begründet.
Die angefochtenen Einkommensteuerbescheide sind rechtswidrig und verletzten die Kläger in ihren Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung– FGO–). Sie waren zu ändern, indem die Einkommensteuer des Jahres 2009 auf 27.868 Euro und die Einkommensteuer des Jahres 2010 auf 29.801 Euro herabgesetzt wird. Die geltend gemachten Schuldzinsen sind als nachträgliche Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen zu berücksichtigen.
Nach der neueren Rechtsprechung des BFH, der der Senat folgt, können Schuldzinsen, die für die Anschaffung einer im Privatvermögen gehaltenen Beteiligung im Sinne von § 17 EStG anfallen, ab dem Veranlagungszeitraum 1999 wie nachträgliche Betriebsausgaben als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen abgezogen werden, wenn sie auf Zeiträume nach Veräußerung der Beteiligung oder Auflösung der Gesellschaft entfallen, soweit die zur Finanzierung der Anschaffungskosten aufgenommenen Verbindlichkeiten nicht aus dem Veräußerungs- oder Liquidationserlös zurückgeführt werden können (BFH- Urteile vom 16. März 2010 VIII R 36/07, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH- BFH/NV – 2010, 1795; VIII R 20/08, Sammlung amtlich veröffentlichter Entscheidungen des BFH– BFHE– 229, 151; vom 8. September 2010, VIII R 1/10, BFH/NV 2011, 223).
Diese Voraussetzungen sind vorstehend erfüllt.
Eine Beteiligung am Stammkapital der GmbH in Höhe von 37,5 % ist wesentlich im Sinne von § 17 EStG. Der Kläger hat Anschaffungskosten für diese Beteiligung finanziert. Er ist aus einer Bürgschaft für die GmbH in Anspruch genommen worden. Insoweit handelt es sich um nachträgliche Anschaffungskosten (zu den Voraussetzungen vgl. BFH- Urteil vom 6. Juli 1999 VIII R 9/98, Bundessteuerblatt – BStBl – II 1999, 816), was zwischen den Beteiligten unstreitig ist und dadurch belegt wird, dass der Beklagte die Bürgschaftszahlungen bei der Ermittlung des Auflösungsverlustes für das Jahr 2007 berücksichtigt hat. Zur Ablösung der Bürgschaft hat der Kläger das Darlehen aufgenommen, dessen Schuldzinsen er – nach Auflösung der GmbH im Jahr 2007 – geltend macht. Mit Liquidationserlösen, aus denen der aufgenommene Kredit zurückgeführt werden kann, ist nicht zu rechnen.
Entgegen der Auffassung des Beklagten ist der Abzug der Zinsen als Werbungskosten nicht durch § 20 Abs. 9 EStG ausgeschlossen. § 20 Abs. 6 EStG steht einer Verrechnung der so entstehenden negativen Einkünfte aus Kapitalvermögen mit anderen Einkünften nicht entgegen. Beide Vorschrift gelangen nicht zur Anwendung, wenn der Steuerpflichtige gem. § 32 d Abs. 2 Nr. 3 EStG auf die Anwendung des gesonderten Steuertarifs für Einkünfte aus Kapitalvermögen verzichtet (§ 32 d Abs. 2 Nr. 3 Satz 2 EStG). In diesem Fall erfolgt die Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen nach dem (allgemeinen) Einkommensteuertarif gem. § 32 a EStG. Die Einkünfte sind dann nach dem Teileinkünfteverfahren (§ 3 Nr. 40 EStG i.V.m. § 3 c Abs. 2 EStG) zu ermitteln.
Der Kläger hat zur Anwendung des allgemeinen Steuertarifes ab dem Jahr 2009 optiert. Er war dazu berechtigt, denn er war am Stammkapital der GmbH mit 37,5 % beteiligt und hat damit die gesetzliche Voraussetzung, dass der Steuerpflichtige im Veranlagungszeitraum der Option zu mindestens 25 % an der Kapitalgesellschaft beteiligt gewesen sein muss (§ 32 d Abs. 2 Nr. 3 a EStG), erfüllt. Trotz Eintragung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH bestand diese fort. Zwar lag ein Auflösungsgrund gem. § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG vor. Der Beschluss über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beseitigt aber weder die Fähigkeit der Gesellschaft, Träger von Rechten und Pflichten zu sein, noch ihre Kaufmannseigenschaft. Mit Insolvenzeröffnung wird lediglich der bisherige Gesellschaftszweck durch den Insolvenzzweck überlagert, die bestmögliche und gleichmäßige Gläubigerbefriedigung und die Vollabwicklung des Unternehmens herbeizuführen (Haas in Baumbach/Hueck GmbHG 19. Auflage 2010, § 60, Rz. 42 mit weiteren Nachweisen). Gem. § 66 GmbHG schließt sich an die Auflösung der Gesellschaft deren Liquidation an. Die Geschäftsanteile der Gesellschafter bestehen trotz Auflösung weiter (vgl. § 66 Abs. 2 GmbHG), bis die GmbH wegen Vermögenslosigkeit im Handelsregister gelöscht wird (vgl. dazu BFH- Urteil vom 9. Juni 2010 IX R 52/09, BStBl II 2010, 1102; a.A. Fichtelmann, GmbH – Rundschau – GmbHR – 2011, 912, wonach die GmbH im Regelfall auch über diesen Zeitpunkt hinaus als existent anzusehen ist).
Dass der Kläger im Jahr der Option keine Erträge aus der Beteiligung erzielt hat, ist unschädlich, weil das Gesetz solche Einnahmen im Jahr der Optionsausübung nicht verlangt (ebenso Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen – BMF– vom 22. Dezember 2009 IV C 1 – S 2252/08/10004, 2009/0860687, BStBl I 2010, 94, Rz. 143).
Zur Überzeugung des Senates hat der Kläger die Option auch ausüben können, obwohl er im Zeitpunkt der Entscheidung nicht mehr mit Kapitalerträgen aus der GmbH – Beteiligung rechnete (vgl. dazu auch Fuhrmann, NWB 37/2010, 2942, Beispiel 1 Abwandlung 2). Nach der Gesetzesbegründung berücksichtigt § 32 d Abs. 2 Nr. 3 EStG, dass bei den dort genannten Beteiligungsverhältnissen der Anteilserwerb nicht als bloße Kapitalanlage gedacht ist, sondern aus einem unternehmerischen Interesse heraus erfolgt ist. Wegen der Vergleichbarkeit mit einer Beteiligung im Betriebsvermögen wird dem Gesellschafter die Wahl zwischen gesondertem Tarif mit pauschalem Werbungskostenabzug einerseits und der Anwendung des Teileinkünfteverfahrens, verbunden mit der Möglichkeit, Finanzierungsaufwendungen auch oberhalb des Sparerpauschbetrages geltend zu machen, andererseits eröffnet (Bundestagsdrucksache 16/7036, 14). Mit diesem Gesetzeszweck stünde es nicht in Einklang, einen Gesellschafter, der eine „unternehmerische” Beteiligung nach den Kriterien von § 32 d Abs. 2 Nr. 3 EStG innehat, auf § 20 Abs. 9 EStG zu verweisen, weil die Einnahmen aus der Beteiligung vor Einführung der Abgeltungssteuer (zur erstmaligen Anwendung vgl. § 52 a Abs. 15 EStG) zugeflossen sind. Es erschiene nicht folgerichtig, demjenigen, der den Vorteil des gesonderten Tarifes (§ 32 d EStG) nicht in Anspruch nehmen konnte, sondern seine Erträge zwingend nach dem Teileinkünfteverfahren zu versteuern hatte, den – mit der Einführung des gesonderten Tarifes gerechtfertigten – Nachteil des beschränkten Werbungskostenabzuges (§ 20 Abs. 9 EStG) aufzuerlegen.
Auf die in der Literatur diskutierten Fragen, ob solche Zinszahlungen als laufende Werbungskosten bei den Einkünften aus § 17 EStG zu behandeln sind (Paus, Finanzrundschau – FR – 2008, 1106) oder ob sie bei der Ermittlung des Gewinns im Rahmen von § 17 EStG zu berücksichtigen sind (Dornheim, Deutsche Steuerzeitung – DStZ– 2011, 763), braucht daher nicht eingegangen zu werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Die Revision war gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 FGO zuzulassen.