17.04.2013
Finanzgericht Düsseldorf: Urteil vom 14.01.2013 – 11 K 1633/12 E
- Auch Aufwendungen für Kosten aus verwaltungsgerichtlichen Prozessen können aufgrund der neuen Rechtsgrundsätze des BFH in seinem Urteil vom 12.05.2011, VI R 42/10, BStBl. II 2011, 1015, eine außergewöhnliche Belastung darstellen.
- Erstreiten Eltern ihrer Tochter im Rechtswege die Zulassung zum Studium, sind die hierfür aufgewendeten Gerichts- und Anwaltskosten als typische Aufwendungen für die Berufsausbildung im Sinne von § 33 EStG zu qualifizieren, so dass nach § 33 a Abs. 4 EStG eine Steuerermäßigung nach § 33 EStG nicht in Betracht kommt.
- Infolge der typisierenden Pauschalregelung zur Berücksichtigung von Ausbildungskosten gilt die „Sperrwirkung” des § 33 a Abs. 4 EStG unabhängig davon, ob die sonstigen Voraussetzungen des § 33 a Abs. 1 EStG im konkreten Fall vorliegen (vgl. BFH-Rspr.).
Tatbestand
Streitig bei der Einkommensteuerfestsetzung 2010 ist die Höhe der zu berücksichtigenden außergewöhnlichen Belastung.
In ihrer Steuererklärung machten die Kläger unteranderem einen Betrag i.H.v.
6383,00 € als außergewöhnliche Belastung geltend. Bei diesem Betrag handelt es sich laut Vortrag der Kläger um Prozess– und Anwaltskosten, die den Klägern dadurch entstanden sind, dass sie für ihre Tochter „A”, geboren im Juni 1990, einen Studienplatz im Fach Psychologie für das Wintersemester 2010/2011 erkämpfen mussten. Aufgrund der durchgeführten Maßnahmen konnte erreicht werden, dass die Tochter „A” an der Universität „B” einen Studienplatz im Fach Psychologie erhalten hat.
Im Einkommensteuerbescheid 2010 vom 09.11.2011 erkannte das Finanzamt diese Kosten unter Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH- vom 09.11.1984, Bundessteuerblatt – BStBl. – II 1985 Seite 135, nicht als außergewöhnliche Belastung an.
Der rechtzeitig gegen die Steuerfestsetzung eingelegte Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 04.04.2012 als unbegründet zurückgewiesen. Zwar habe der Bundesfinanzhof unter Änderung seiner bisherigen Rechtsprechung mit Urteil vom 12.05.2011 VI R 42/10 entschieden, dass Kosten eines Zivilprozesses – unabhängig von dessen Gegenstand – bei den außergewöhnlichen Belastungen nach § 33 Einkommensteuergesetz –EStG- berücksichtigungsfähig sind. Nach dem Schreiben des Bundesministers der Finanzen – BMF – vom 20.12.2011 IV C 4– S 2284/07/0031:002 sei das Urteil des Bundesfinanzhofs jedoch über den entschiedenen Einzelfall hinaus nicht anzuwenden.
Mit ihrer am 25.04.2012 eingegangenen Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Das BFH-Urteil aus dem Jahr 1984 sei durch die vielen Gesetzesänderungen in der Zwischenzeit nicht mehr anzuwenden. Die rechtliche Situation habe sich erheblich verändert. Es gebe keinen Ausbildungsfreibetrag mehr. Lediglich dann, wenn die Kinder zur Berufsausbildung auswärtig untergebracht seien, gewähre der Gesetzgeber noch einen geringfügigen steuerlichen Freibetrag von 924,00 €.
Der BFH habe mit seinem Urteil vom 12.05.2011 entschieden, dass Kosten eines Prozesses unabhängig von dessen Gegenstand bei der Einkommensteuer als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt werden können. Er habe ausgeführt, dass außergewöhnliche Belastungen dann vorliegen, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes entstehen. Die Kosten eines Prozesses zur Erlangung eines Studienplatzes entstünden der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen jedoch nicht. Deshalb seien diese Kosten als außergewöhnliche Belastungen anzuerkennen. Hierbei sei auch zu berücksichtigen, dass die Kläger zur Erreichung des Studienplatzes gerichtlich vorgehen mussten. Das staatliche Gewaltmonopol lasse keinen anderen Weg zu.
Die Kläger beantragen,
den Einkommensteuerbescheid 2010 vom 09.11.2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 04.04.2012 dahingehend abzuändern, dass weitere Aufwendungen i.H.v. 6383,00 € als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden.
Der Beklagte beantragt,
Klageabweisung.
Nach langjähriger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (siehe BFH-Urteil vom 09.11.1984, VI R 40/83, BStBl. II 1985, Seite 135) seien Prozesskosten, die Eltern aufwenden, um für ihre Kinder einen Studienplatz in einem Numerus–Clausus–Fach zu erstreiten, Aufwendungen für die Berufsausbildung und deshalb keine außergewöhnliche Belastung im Sinne des § 33 EinkommensteuergesetzEStG.
Aufwendungen für die Berufsausbildung der Kinder seien grundsätzlich mit dem Freibetrag für den Betreuungs–, Erziehungs– oder Ausbildungsbedarf des Kindes nach § 32 Abs. 6 EStG bzw. mit dem Kindergeld abgegolten. Zur Abdeckung des Sonderbedarfs eines sich in Berufsausbildung befindlichen auswärtig untergebrachten Kindes bestehe zusätzlich ein Anspruch auf den Freibetrag nach § 33 a Abs. 2 EStG.
Aufgrund der in den letzten Jahren vorgenommenen Gesetzesänderungen sei beim Familienleistungsausgleich der „alte” Ausbildungsfreibetrag nach § 33 a Abs. 2 EStG nunmehr im (doppelten) Kinderfreibetrag nach § 32 Abs. 6 EStG (Freibetrag für das sächliche Existenzminimum und Freibetrag für Betreuungs–, Erziehungs– oder Ausbildungsbedarf) und dem erhöhten Kindergeld berücksichtigt. Insoweit bestünden keine Bedenken, das BFH-Urteil vom 09.11.1984 in seinen Grundsätzen weiterhin anzuwenden, denn der Gesetzgeber gewähre nunmehr in § 32 Abs. 6 EStG einen Freibetrag für Ausbildungsbedarf, welcher den „alten” Ausbildungsfreibetrag nach § 33 a Abs. 2 Nr. 2 S. 1 EStG ersetze.
Eine Berücksichtigung der Prozesskosten zur Erlangung eines Studienplatzes der Tochter als außergewöhnliche Belastung komme somit zum einen nicht in Betracht, weil es sich um Berufsausbildungskosten eines Kindes handele und zum anderen werde von der Finanzverwaltung das BFH-Urteil vom 12.05.2011 zu Prozesskosten nicht über den entschiedenen Einzelfall hinaus angewendet.
In Bezug auf die Angemessenheit der Anwaltsvergütungen ist der Klägervertreter mit Schreiben des Berichterstatters vom 20.12.2012 um Übersendung der zu Grunde liegenden Honorarvereinbarung/Vergütungsvereinbarung und um Mitteilung der Höhe der gesetzlichen Anwaltsgebühren gebeten worden. Auf das Antwortschreiben vom 09.01.2013 und die damit überreichten Unterlagen wird Bezug genommen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll der mündlichen Verhandlung vom 14.01.2013 Bezug genommen.
Gründe
Die Klage ist unbegründet. Der angefochtene Einkommensteuerbescheid 2010 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 S. 1 Finanzgerichtsordnung – FGO). Die geltend gemachten Kosten können nicht als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG berücksichtigt werden.
a) Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, dass der Teil der Aufwendungen, der die dem Steuerpflichtigen zumutbare Belastung übersteigt, vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen wird (§ 33 Abs. 1 EStG). Aufwendungen erwachsen dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 S. 1 EStG).
Zwar steht aufgrund des anwaltlichen Schreibens vom 09.01.2013 zur Überzeugung des Senates fest, dass die geltend gemachten Anwaltskosten nicht unangemessen im Sinne von § 33 Abs. 2 S. 1 EStG sind. Aufgrund der Vielzahl der eingeleiteten verwaltungsgerichtlichen Verfahren und der schlüssig dargelegten Gebühren in Höhe von knapp 490 € pro Eilverfahren geht der Senat davon aus, dass die gesetzlichen Gebühren höher gewesen wären als die Gebühren, die von Seiten des Anwalts kraft Honorarvereinbarung für die Verfahren der Tochter in Rechnung gestellt wurden.
Auch der Umstand, dass die getätigten Aufwendungen Kosten aus Verwaltungsprozessen sind, welche nach der bisherigen Rechtsprechung regelmäßig keine außergewöhnliche Belastung darstellen (vergleiche BFH–Beschluss vom 17.09.1999 III B 38/99, in Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs – BFH/NV – 2000, 315), würde aufgrund der neuen Rechtsgrundsätze des BFH in seinem Urteil vom 12.05.2011, VI R 42/10, BStBl. II 2011, 1015, von der Finanzverwaltung über den entschiedenen Einzelfall hinaus mit einem Nichtanwendungserlass belegt (BMF-Schreiben vom 20.12.2011, BStBl. I 2011, 1286) einer Berücksichtigung als außergewöhnliche Belastung grundsätzlich nicht entgegenstehen. Das vom BFH in seiner Entscheidung vom 12.05.2011 betonte staatliche Gewaltmonopol, nach dem strittige Ansprüche nur mit Hilfe der Gerichte durchzusetzen oder abzuwehren sind, gilt auch bei der Durchsetzung von Ansprüchen im öffentlich-rechtlichen Bereich (für eine Gleichbehandlung der Kosten für Zivilprozesse und verwaltungsgerichtliche Prozesse nach der neuen BFH-Rechtsprechung ebenfalls Schmieszek in Bordewin- Brandt, § 33 EStG Rz. 370; vgl. ferner auch Trossen, Anmerkung zum Urteil des FG Hamburg 24.09.2012 – 1 K 195/11, Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 2013, 41).
b) Die Anwendung des § 33 EStG ist aber durch § 33 a Abs. 4 EStG ausgeschlossen, weil es sich um Aufwendungen für die Berufsausbildung der Tochter im Sinne des § 33 a Abs. 1 EStG handelt. Nach § 33 a Abs. 4 EStG kann in den Fällen der Absätze 1 und 2 wegen der in diesen Vorschriften bezeichneten Aufwendungen der Steuerpflichtige eine Steuerermäßigung nach § 33 nicht in Anspruch nehmen. Der Begriff der Berufsausbildung i.S. des § 33 a Abs.1 und 2 EStG ist weit, was sich schon daraus ergibt, dass er z.B. die gesamte Schulbildung mit umfasst (Urteil des BFH vom 10. Februar 1961 VI 182/60 U, BStBl III 1961, 160). Berufsausbildung in diesem Sinne liegt auch vor, wenn das Kind des Steuerpflichtigen nach Schulabschluss und der dadurch erlangten Hochschulreife ein Erststudium absolviert. Zu den Aufwendungen für die Berufsausbildung gehören ferner vorab entstandene Aufwendungen, die vom Steuerpflichtigen zu dem Zweck getätigt werden, dem Kind die von ihm gewünschte Art der Berufsausbildung zu ermöglichen. Als Kosten dieser Art sind die hier streitigen Gerichts- und Anwaltskosten zu qualifizieren, weil die Kläger sie aufgewendet haben, um ihrer Tochter im Rechtswege die Zulassung zum Studium zu erstreiten (BFH–Urteil vom 09.11.1984 VI R 40/83, BStBl. II 1985, 135).
Unerheblich ist, ob die sonstigen Voraussetzungen von § 33 a Abs. 1 EStG in Bezug auf den dort für abziehbar erklärten Aufwand für eine etwaige Berufsausbildung vorliegen, was im Streitfall aufgrund der Regelung von § 33 a Absatz 1 S. 4 EStG zu verneinen ist, da die Kläger Anspruch auf einen Freibetrag nach § 32 Abs. 6 EStG haben. Infolge der typisierenden Pauschalregelung zur Berücksichtigung von Ausbildungskosten gilt die „Sperrwirkung” des § 33 a Abs. 4 EStG unabhängig davon, ob die sonstigen Voraussetzungen des § 33 a Abs. 1 EStG im konkreten Fall vorliegen (BFH – Beschluss vom 17.04.1997 III B 216/96, BStBl. II 1997, 752 – damals zu § 33 a Abs. 5 Einkommensteuergesetz).
c) Die Anwendbarkeit des § 33 EStG neben § 33 a Abs. 1 EStG ist auch nicht mit dem Argument zu bejahen, bei den Prozesskosten handele es sich nicht um typische Kosten der Ausbildung. Zwar hat die Rechtsprechung außergewöhnliche Unterhaltskosten
als außergewöhnliche Belastung im Sinne von § 33 EStG angesehen (BFH–Urteil vom 09.11.1984,BStBl. II 1985, 135 mit weiterem Nachweis; vgl. zur Nichtanwendbarkeit von § 33 EStG auf typische Berufsausbildungskosten als typischer Unterhaltsaufwand BFH-Urteil vom 17.12.2009 VI R 63/08, BStBl. II 2010, 341 mit weiteren Nachweisen). Der Senat schließt sich jedoch der bisherigen Rechtsprechung an, nach der die hier entstandenen Kosten ihrer Art nach nicht so ungewöhnlich sind, dass sie aus dem Rahmen der durch die Pauschalregelung des § 33 a Abs. 1 EStG abgegoltenen Ausbildungskosten fallen würden (BFH-Urteil vom 09.11.1984,BStBl. II 1985, 135).
d) Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.
Zum einen wird die neue Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zum erleichterten Abzug von (Zivil) Prozesskosten als außergewöhnliche Belastung kritisch gesehen (vergleiche Schmitz–Herscheidt, Neue Wirtschafts-Briefe – NWB - 3/2013, 112; FG Hamburg, Urteil vom 24.09.2012 – 1 K 195/11, EFG 2013, 41 mit Anmerkung Trossen, Revision eingelegt (Az. des BFH: X R 34/12)].
Zum anderen halten Teile des Schrifttums und der FG–Rechtsprechung entgegen der BFH Entscheidung vom 09.11.1984 verwaltungsgerichtliche Verfahrenskosten wegen Zulassung zum Studium nicht für typische laufende Unterhaltsaufwendungen, die von § 33 a Abs. 1 und 2 EStG erfasst werden; die Kosten lebenswichtiger Prozesse seien unterhaltsrechtlicher Sonderbedarf und einkommenssteuerrechtlich entsprechend ungewöhnliche Aufwendungen, die nicht durch § 33 a Abs. 4 (früher Abs. 5) EStG vom Abzug als außergewöhnliche Belastung ausgeschlossen sind (vergleiche Kanzler in Herrmann Heuer Raupach, EStG Kommentar, Lieferung 173 Juni 1993, § 33 EStG, Rn. 127 mit weiteren Nachweise).