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  • 28.06.2013 · IWW-Abrufnummer 140141

    Finanzgericht Hamburg: Urteil vom 22.03.2013 – 6 K 69/11

    Die rückwirkend angeordnete Besteuerung von Erstattungszinsen
    als Einnahmen aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs.
    1 Nr. 7 Satz 3 EStG verstößt nicht gegen Verfassungsrecht.


    Tatbestand
    Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die dem Kläger
    in 2004 zugeflossenen Erstattungszinsen die Einnahmen aus Kapitalvermögen
    erhöhen und damit der Einkommensteuer unterliegen.
    Der Kläger war bis 31.12.1999 mit einer Unterbeteiligung
    an einem Kommanditanteil an der Firma A ... (Fa) beteiligt. Bei
    einer von dem Finanzamt B-1 durchgeführten Betriebsprüfung
    wurden für die Jahre 1996 und 1997 höhere Gewinne
    ermittelt und dem Kläger zugerechnet. Mit Einkommensteuerbescheiden
    für 1996 und 1997, jeweils vom 04.11.2004, wurde die Einkommensteuer für
    diese Jahre höher festgesetzt; zugleich wurden Nachzahlungszinsen
    um insgesamt 4.912 € (3.120 € für 1996
    und 1.792 € für 1997) höher festgesetzt
    und zum 08.12.2004 fällig gestellt (Anlagen K1 und K2 zum
    Schriftsatz vom 07.03.2007).
    Für die Jahre 1998 bis 2002 wurde die Einkommensteuer
    mit Bescheiden vom 04. und 08.11.2004 herabgesetzt; zugleich wurden
    Erstattungszinsen um insgesamt 11.649 € (825 € für
    1998, 1.033 € für 1999, 4.573 € für
    2000, 4.005 € für 2001 und 1.213 € für
    2002) höher festgesetzt.
    Der Beklagte erhöhte im Einkommensteuerbescheid 2004
    vom 20.06.2006 die erklärten Einnahmen aus Kapitalvermögen
    um in 2004 erstattete Zinsen von 11.319 € (S. 3 des Einkommensteuerbescheides
    - Anlage zur Klagschrift vom 08.02.2008) gem. § 20 Abs.
    1 Nr. 7 Einkommensteuergesetz (EStG). Die vom Kläger entrichteten
    Nachzahlungszinsen von 4.912 €, die am 04.01.2005 bei dem
    Beklagten eingegangen sind, wurden steuerlich nicht berücksichtigt.
    Der Gesamtbetrag der Einkünfte wurde in Höhe von
    20.485 € ermittelt, und die Einkommensteuer 2004 wurde
    nach Berücksichtigung eines entsprechenden Verlustvortrags
    auf 0 € festgesetzt. Mit gleichem Datum erging ein Bescheid über die
    gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Einkommensteuer
    zum 31.12.2004; der verbleibende Verlustvortrag wurde um den für 2004
    in Abzug gebrachten Verlust von 20.485 € niedriger berücksichtigt
    und zum 31.12.2004 auf 30.852 € festgestellt.
    Gegen den Einkommensteuer-Bescheid 2004 legte der Kläger
    am 26.07.2006 Einspruch ein und wies darauf hin, dass die für
    frühere Jahre in 2004 fällig gestellten und in
    2005 gezahlten Nachzahlungszinsen nicht berücksichtigt
    worden seien. Der Kläger beantragte zunächst,
    die als Einkünfte aus Kapitalvermögen angesetzten
    Erstattungszinsen in 2004 um die in 2005 gezahlten Nachzahlungszinsen
    zu mindern.
    Der Beklagte wertete diesen Rechtsbehelf als Einspruch gegen
    den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden
    Verlustvortrags zur Einkommensteuer zum 31.12.2004 vom 20.06.2006
    und wies ihn mit Einspruchsentscheidung vom 09.01.2008 als unbegründet
    zurück. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt,
    dass Erstattungszinsen als Entgelt für die - wenn auch
    nicht freiwillige - Überlassung des Kapitalvermögens
    gewährt würden und sie damit einen Ertrag aus
    dem Steuererstattungsanspruch darstellten. Dem gegenüber
    seien Nachzahlungszinsen aus Steuernachforderungen als privat veranlasste
    Schuldzinsen gem. § 12 Nr. 3 EStG einkommensteuerrechtlich
    unerheblich. Die für die Veranlagungszeiträume
    1990 bis 1998 geltende Rechtslage (§ 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG),
    wonach diese als Sonderausgaben abgezogen werden konnten, habe sich
    ab 1999 geändert.
    Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 08.02.2008,
    beim Finanzgericht eingegangen am 11.02.2008, Klage, nunmehr mit
    dem Ziel der Nichtberücksichtigung der Erstattungszinsen
    bei den Einkünften aus Kapitalvermögen für
    2004.
    Mit Beschluss vom 09.10.2008 des Finanzgerichts Hamburg wurde
    das Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung des Bundesfinanzhofs
    zum Az. VIII R 33/07 angeordnet. Das Urteil des Bundesfinanzhofs
    erging am 15.06.2010. Nach dieser Entscheidung unterliegen Zinsen
    im Sinne von § 233a Abgabenordnung (AO), die das Finanzamt
    an den Steuerpflichtigen zahlt, beim Empfänger nicht der
    Besteuerung, soweit sie auf Steuern entfallen, die gem. § 12
    Nr. 3 EStG nicht abziehbar sind.
    Mit dem Jahressteuergesetz 2010 (JStG 2010) vom 08.12.2010 wurde § 20
    Abs. 1 Nr. 7 EStG um den Satz 3 ergänzt, wonach Erstattungszinsen
    im Sinne des § 233a AO Erträge im Sinne des Satzes
    1 sind. Diese Regelung ist gem. § 52a Abs. 8 Satz 2 EStG
    in allen Fällen anzuwenden, in denen die Steuer noch nicht bestandskräftig
    festgesetzt war.
    Der Kläger führt zur Begründung seiner
    Klage aus, dass der Umstand, dass Nachzahlungszinsen steuerlich
    irrelevant seien, während Erstattungszinsen steuerpflichtig
    seien, zu einer Disparität in dem steuerrechtlichen Verhältnis
    der Vollverzinsung führe. Nach § 233a AO bestehe
    eine Kongruenz zwischen den wechselseitigen Verpflichtungen von
    Finanzamt und Steuerpflichtigem, die von dem Gedanken getragen würden,
    dass gegenseitige Liquiditätsvorteile abgeschöpft
    werden sollten. Dies gelte wechselseitig, wie schon der identische Zinssatz
    in beide Richtungen zeige. Diese vom Grundsatz der Wechselseitigkeit
    geprägte Regelung werde überlagert durch § 20
    Abs. 1 Nr. 7 EStG, der einseitig nur die Erstattungszinsen zum steuerpflichtigen
    Einkommen mache. Bei dem Steuerpflichtigen wirkten sich Nachzahlungs-
    und Erstattungszinsen, solange und soweit sie sich aufrechenbar
    gegenüber ständen, nicht aus. Er habe dadurch
    keinen Liquiditätsvorteil. In dem Zeitraum, in dem sich
    die Erstattung eines Veranlagungszeitraumes und die Nachzahlung
    eines anderen Zeitraumes gegenüber stünden, seien
    die Nachzahlungszinsen Werbungskosten hinsichtlich der Erstattungszinsen.
    Andernfalls komme es zu einer Besteuerung fiktiven Einkommens, die
    von § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG nicht erfasst werde; zudem stelle sich
    hier die Frage der Verfassungsmäßigkeit einer
    solchen Regelung.
    Wäre das Verfahren unmittelbar nach Verkündung
    des Urteils des Bundesfinanzhofs vom 15.06.2010 wiederaufgenommen
    worden, hätte es vermutlich vor Erlass des Jahressteuergesetzes
    2010 im Sinne des Klägers rechtskräftig abgeschlossen
    werden können. Die Regelung des Jahressteuergesetzes 2010 hätte
    den Kläger dann nicht mehr getroffen. Schon daraus werde
    deutlich, dass mit der getroffenen Rückwirkungsregelung
    rein willkürliche oder zufällige Ergebnisse erzielt
    würden, die dem Prinzip der Gleichheit der Besteuerung widersprechen
    würden. Der Ansicht des Finanzgerichts Münster
    im Urteil vom 16.12.2010 (Az: 5 K 3626 E), die Rückwirkung
    sei verfassungsgemäß, weil sie eine Rechtslage
    herstelle, die gefestigter Rechtsprechung entspreche, könne nicht
    gefolgt werden. Nach der geänderten Rechtsprechung des
    Bundesfinanzhofs fehle es an einer Grundlage für die Heranziehung
    dieser Zinsen zur Einkommensteuer. Diese fehlende Rechtsgrundlage
    könne auch nicht rückwirkend durch ein Gesetz
    geschaffen werden. Im Jahressteuergesetz 2010 liege insoweit ein
    Verstoß gegen die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit
    und gegen das Nettoprinzip vor. Die Reaktion des Gesetzgebers auf
    ein ihm missliebiges Urteil stelle einen so gravierenden Eingriff
    in die Gewaltenteilung dar, dass die Regelung bereits verfassungsfeindliche
    Qualität bekomme. Die Gewaltenteilung gehöre jedoch
    zu dem von der Ewigkeitsklausel des Artikel 79 Abs. 3 Grundgesetz
    (GG) umfassten Kernbereich der Grundsätze unseres Gemeinwesens.
    Der Kläger beantragt sinngemäß,
    den Bescheid zum 31.12.2004 über
    die Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer
    vom 20.06.2006 und in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 09.01.2008
    dahingehend zu ändern, dass als Verlustabzug im Jahr 2004
    ein Betrag von 9.166 € (bisher von 20.485 €) berücksichtigt
    wird.
    Der Beklagte beantragt,
    die Klage abzuweisen.
    Der Beklagte hält die Klage für unbegründet.
    Er bezieht sich im Wesentlichen auf die Begründung der
    streitigen Einspruchsentscheidung und verweist im Übrigen
    auf das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 20.03.2007 -
    Az. 14 K 2373/04. Er, der Beklagte, teile die verfassungsgemäßen
    Bedenken des Klägers gegen das Jahressteuergesetz 2010
    nicht und verweise ferner auf das Urteil des Finanzgerichts Münster
    vom 16.12.2010 (Az. 5 K 3626/03, EFG 2011, 649).
    Für den weiteren Sachverhalt wird auf den Inhalt der
    Protokolle vom 14.02.2013 (Erörterungstermin) und vom 22.03.2013
    (mündliche Verhandlung) verwiesen.
    Dem Senat haben Einkommensteuerakten 2004 und die Rechtsbehelfsakte
    zur St. Nr. .../.../... vorgelegen.
    Gründe
    I.
    Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angefochtene
    Feststellungsbescheid vom 20.06.2006 in der Fassung der Einspruchsentscheidung
    vom 09.01.2008 ist rechtmäßig und verletzt den
    Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung
    - FGO -).
    1. Zwar hat der Kläger
    in seinem Schreiben vom 26.07.2006 den Einkommensteuerbescheid vom
    20.06.2006 genannt, gegen den der Einspruch gerichtet war; dennoch
    durfte der Beklagte diesen Einspruch als solchen gegen den Bescheid
    zum 31.12.2004 über die gesonderte Feststellung des verbleibenden
    Verlustvortrags zur Einkommensteuer auslegen, weil aus den Einwendungen
    des Klägers hervorging, dass diese sich gegen den Feststellungsbescheid
    gleichen Datums richteten.
    Auch außerprozessuale Rechtsbehelfe sind unter Beachtung
    des verfassungsrechtlichen Gebots zur Gewährung effektiven
    Rechtsschutzes auszulegen, wenn es an einer eindeutigen und zweifelsfreien
    Erklärung fehlt. Dies gilt grundsätzlich auch
    für Erklärungen rechtskundiger Personen (vgl.
    BFH-Urteil vom 31.10.2000 VIII R 47/98, BFH/NV
    2001, 589). Ein Einspruch, der sich gegen einen auf 0 € lautenden
    Einkommensteuerbescheid richtet, kann entgegen seinem Wortlaut auch
    als Einspruch gegen den Bescheid über die gesonderte Feststellung
    des verbleibenden Verlustvortrags gemäß § 10d Abs.
    4 EStG verstanden werden (vgl. BFH-Beschlüsse vom 06.07.2005
    XI B 45/03, BFH/NV 2005, 2029 und vom 19.07.2005
    XI B 206/04, BFH/NV 2006, 68). Dies ist der Unübersichtlichkeit
    und Komplexität der verfahrensrechtlichen Lage hinsichtlich
    des Verhältnisses zwischen dem Einkommensteuerbescheid
    einerseits und dem Bescheid über die gesonderte Feststellung des
    verbleibenden Verlustabzugs andererseits geschuldet (vgl. BFH-Beschluss
    vom 24.08.2006 XI B 149/05, BFH/NV 2006, 2035).
    Bei den Einwendungen des Klägers zur Nichtberücksichtigung
    der Nachzahlungszinsen für 2004 handelt es sich um solche,
    die nur gegen den Verlustfeststellungsbescheid geltend gemacht werden
    konnten. Die entsprechende Wertung des Beklagten hat deshalb dem
    tatsächlichen Willen des Klägers entsprochen,
    so dass die unrichtige Bezeichnung „Einspruch gegen den
    Einkommensteuerbescheid” insoweit unschädlich
    war.
    2. Der Beklagte hat die dem Kläger
    in 2004 zugeflossenen Erstattungszinsen zu Recht als Einnahmen bei
    den Einkünften aus Kapitalvermögen behandelt.
    Erstattungszinsen nach § 233a Abgabenordnung (AO) stellen
    gem. § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 Einkommensteuergesetz (EStG)
    in der durch Artikel 1 Nr. 16 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa) JStG
    2010 vom 08.12.2010 (BGBl I 2010, S. 1768) geänderten Fassung
    Erträge aus Kapitalforderungen im Sinne von § 20
    Abs. 1 Nr. 7 Satz 1 EStG dar. Diese Gesetzesänderung ist
    in allen Fällen anzuwenden, in denen die Steuer noch nicht
    bestandskräftig festgesetzt ist (§ 52a Abs. 8
    Satz 2 EStG in der durch Artikel 1 Nr. 39 Buchstabe a JStG 2010
    geänderten Fassung). Sie ist am Tage nach der Verkündung
    des JStG 2010, also am 14.12.2010, in Kraft getreten (§ 32
    Abs. 1 JStG 2010).
    3. In der finanzgerichtlichen Rechtsprechung
    und auch im Schrifttum wird die Frage, ob zugeflossene Erstattungszinsen
    nach § 233a AO, als Einnahmen bei den Einkünften
    aus Kapitalvermögen gemäß § 20
    Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes
    2010 zu berücksichtigen sind, kontrovers diskutiert. Die
    zu dieser Problematik beim BFH anhängigen Revisionsverfahren
    (Az: VIII R 1/11, Vorinstanz FG Münster, Urteil
    vom 16.12.2010 - 5 K 3626/03 E, EFG 2011, 649; VIII R 36/10,
    Vorinstanz Baden-Württemberg, Urteil vom 29.01.2010 - 10
    K 2720/09, EFG 2010, 723; VIII R 26/12, Vorinstanz
    FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 29.05.2012 - 3 K 1954/11,
    EFG 2012 1656; VIII R 28/12, Vorinstanz FG Münster,
    Urteil vom 10.05.2012 - 2 K 1947/00 E, EFG 2012, 1750;
    VIII R 29/12 Vorinstanz FG Münster Urteil vom
    10.05.2012 - 2 K 1950/00 E, BB 2012, 1890) sind noch offen.
    Allerdings hat der BFH in zwei Beschwerdeverfahren ernstliche Zweifel
    an der Erfassung von Erstattungszinsen im Sinne von § 233a
    AO nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG in der Fassung des
    Jahressteuergesetzes des Jahres 2010 bejaht (BFH-Beschluss vom 22.12.2011
    - VIII B 146/11, BFH/NV 2012, 575 und vom 09.01.2012
    - VIII B 95/11, BFH/NV 2012, 575) ohne eine tiefere
    inhaltliche, dem Hauptsacheverfahren vorbehaltenen Auseinandersetzung.
    Gegen die Neufassung des Gesetzes werden sowohl einfach-rechtliche
    als auch verfassungsrechtliche Bedenken, insbesondere wegen eines
    möglichen Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot,
    erhoben (vgl. die Darstellung der kontroversen Meinungen im Urteil
    des FG Rheinland-Pfalz vom 29.05.2012 - 3 K 1954/11, beim
    BFH anhängig unter dem Az. VIII R 26/12).
    Der Senat schließt sich der Auffassung des FG Münster
    im Urteil vom 16.12.2010 (Az: 5 K 3626/03 E, EFG 2011,
    649) an, wonach der Gesetzgeber lediglich die alte Gesetzeslage
    wieder hergestellt hat, sodass kein Vertrauensschutz des Klägers
    in eine von der Rechtsprechung und der ihr folgenden Rechtspraxis
    abweichenden Rechtslage besteht. Der Senat folgt auch der Ansicht
    des Schleswig-Holsteinischen FG (Beschluss vom 01.06.2011 - 2 V
    35/11 -, EFG 2011, 1687) sowie des FG Rheinland-Pfalz (Urteil
    vom 19.05.2012 3 K 1954/11, beim BFH anhängig
    unter VIII R 26/12), wonach der im JStG 2010 neu geschaffenen
    Regelung des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG ein Anwendungsvorrang
    vor § 12 Nr. 3 EStG eingeräumt wird. Dieser Vorrang
    ergibt sich bereits aus der Entstehungsgeschichte und dem erklärten
    Zweck des § 233a AO (BT-Drs 17/3579, S. 17). Danach
    sollten nach dem Willen des Gesetzgebers Erstattungszinsen im Sinne
    von § 233a AO bei den Einkünften aus Kapitalvermögen
    erfasst werden, um eine Ungleichbehandlung mit demjenigen zu vermeiden,
    der seine vor Beginn des Zinslaufs nach § 233a AO erhaltene
    Einkommensteuerrückerstattung zinsbringend bei seiner Bank
    anlegt. Diese bereits bei Schaffung des § 233a AO zum Ausdruck
    gekommene Absicht sollte nach Ergehen des Urteils des BFH vom 15.06.2010
    klarstellend gesetzlich geregelt werden. Dieser Zweck ist jedoch
    nur bei Einräumung eines Vorrangs vor § 12 Abs.
    3 EStG erreichbar. Da der Gesetzgeber der Ansicht war, die Steuerbarkeit
    der Erstattungszinsen sei auch sachlich zutreffend (BT-Drs 17/3549,
    S. 17), kann in der Neuregelung nur eine Ausnahmeregelung zu § 12
    Nr. 3 EStG gesehen werden. Dem ausdrücklichen Willen des
    Gesetzgebers kommt insoweit entscheidende Bedeutung zu (vgl. auch
    Schleswig-Holsteinisches FG, Beschluss vom 01.06.2011 - 2 V 35/11
    -, EFG 2011, 1687). Nach all dem sind die Erstattungszinsen als
    Einnahmen aus Kapitalvermögen zu erfassen.
    4. Die gesetzlichen Neuregelungen von §§ 20
    Abs. 1 Nr. 7 Satz 3, 52a Abs. 8 Satz 2 EStG verstoßen nicht
    gegen Verfassungsrecht, insbesondere liegt kein Verstoß gegen
    das aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) folgende Rückwirkungsverbot
    vor.
    Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
    (vgl. BVerfG-Beschluss vom 14.05.1986 2 BvL 2/83, BB 1986,
    1421 und Beschluss vom 22.03.1983 2 BvR 475/78, BVerfGE
    63, 343, 353) entfaltet eine Rechtsnorm Rückwirkung, wenn
    der Beginn ihres zeitlichen Anwendungsbereichs normativ auf einen
    Zeitpunkt festgelegt ist, der vor dem Zeitpunkt liegt, zu dem die
    Norm rechtlich existent, d. h. gültig geworden ist. Der
    zeitliche Anwendungsbereich einer Norm betrifft allein die zeitliche Zuordnung
    der normativ angeordneten Rechtsfolgen im Hinblick auf den Zeitpunkt
    der Verkündung der Norm. Entscheidend ist dabei, ob diese Rechtsfolgen
    für einen bestimmten, vor dem Zeitpunkt der Verkündung
    der Norm liegenden Zeitraum eintreten sollen (echte Rückwirkung)
    oder ob dies erst für einen nach oder mit Verkündung
    beginnenden Zeitraum geschehen soll.
    Verfassungsrechtlicher Maßstab für die Zulässigkeit
    einer Rechtsänderung, die an Sachverhalte der Vergangenheit
    anknüpft und zugleich Rechtsfolgen in die Vergangenheit
    erstreckt, ist vorrangig das Rechtsstaatsprinzip des Artikel 20
    Abs. 3 GG. Dieses zieht den Befugnissen des Gesetzgebers, den Eintritt
    nachteiliger Rechtsfolgen auf einen Zeitraum vor der Verkündung des
    Gesetzes zu erstrecken, enge Grenzen. So hat das BVerfG in seiner
    Entscheidung vom 14.05.1986 (a. a. O.) ausgeführt, dass
    aus dem in Artikel 103 Abs. 2 GG aufgestellten Rückwirkungsverbot
    für materielle Strafrechtsnormen nicht gefolgert werden
    dürfe, dass Rückwirkungen im Übrigen
    verfassungsrechtlich unbedenklich seien, denn die Verlässlichkeit
    der Rechtsordnung sei eine Grundbedingung freiheitlicher Verfassungen.
    Allein zwingende Gründe des gemeinen Wohls oder ein nicht
    - oder nicht mehr - vorhandenes schutzbedürftiges Vertrauen
    des Einzelnen könne eine Durchbrechung des rechtsstaatlichen
    Rückwirkungsverbots zugunsten der Gestaltungsfreiheit des
    Gesetzgebers rechtfertigen oder gar erfordern (BVerfGE 72, 200,
    258).
    Eine Änderung mit Rückwirkung ist darüber
    hinaus auch dann zulässig, wenn das geltende Recht, das
    durch die Norm mit Rückwirkung verändert wurde,
    unklar oder verworren war. Demzufolge ist es dem Gesetzgeber unter
    dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes nicht verwehrt, eine Rechtslage
    rückwirkend festzuschreiben, die vor einer Rechtsprechungsänderung
    einer gefestigten Rechtsprechung und einer einheitlichen Rechtspraxis
    entsprach (BVerfGE 81, 228, Beschluss vom 23.01.1990 1 BvL 4, 5,
    6 und 7/87 und vom 15.10.2008 1 BvR 1138, 06, BFH/NV
    2009, 110). Danach widerspricht es weder dem Gewaltenteilungsgrundsatz
    noch dem Rechtsstaatsprinzip, wenn der Gesetzgeber eine Rechtsprechungsänderung korrigiert,
    die auf der Grundlage der zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung
    bestehenden Gesetzeslage zwar mit gutem Grund erfolgt sein muss,
    deren Ergebnis er jedoch nicht für sachgerecht hält
    (BVerfG Beschluss vom 15.10.2008 1 BvR 1138/06 a. a. O.).
    5. Bei der Gesetzesänderung des § 20
    Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 und § 52a Abs. 8 Satz 2 EStG im JStG
    2010 handelt es sich um eine echte Rückwirkung, denn diese Änderung
    ist auf alle noch offenen und damit auch - wie im Fall des Klägers
    - auf bereits abgeschlossene Veranlagungszeiträume anwendbar. Der
    Senat hält diese Rückwirkung jedoch ausnahmsweise
    für zulässig, weil der Gesetzgeber dadurch lediglich
    eine Gesetzeslage geschaffen hat, die vor der Rechtsprechungsänderung
    des BFH im Urteil vom 15.06.2010 (a. a. O.) einer gefestigten Rechtsprechung
    und Rechtspraxis entsprochen hat.
    Nach dieser geänderten Rechtsprechung stellen Erstattungszinsen
    nach der zu diesem Zeitpunkt gültigen Rechtslage gem. § 233a
    AO keine Einkünfte aus Kapitalvermögen im Sinne
    von § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG dar, soweit sie auf Einkommensteuererstattungen
    entfielen. Aus dem Abzugsverbot für die Einkommensteuer
    und die darauf entfallenden Nebenleistungen des § 12 Nr. 3
    EStG ergebe sich eine gesetzgeberische Zuweisung zum nicht steuerbaren Bereich,
    die auch auf die Erstattungszinsen ausstrahle (so auch FG Münster, Urteil
    vom 10.05.2012, Az: 2 K 1947/00 E - juris). Mit dieser
    Entscheidung gab der BFH seine bisherige ständige Rechtsprechung
    auf, nach der Erstattungszinsen nach § 233a AO Einkünfte
    aus Kapitalvermögen darstellten (vgl. BFH-Urteile vom 08.11.2005
    VIII R 105/03, BFH/NV 2006, 527; vom 08.04.1986
    VIII R 260/82, BFHE 146, 408, BStBl II 1986, 557; vom 18.02.1975
    VIII R 104/70, BFHE 115, 216, BStBl II 1975, 568; sowie Beschluss
    vom 14.04.1992 VIII R 114/91, BFH/NV 1993, 165).
    6. Die unterschiedliche Behandlung von nichtabziehbaren
    Nachzahlungszinsen sowie steuerpflichtigen Erstattungszinsen verstößt
    auch nicht gegen das aus dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG
    abzuleitenden Folgerichtigkeitsgebot. Erstattungs- und Nachzahlungszinsen
    nach § 233a AO oder § 237 AO betreffen weder die
    Rückabwicklung des nämlichen Zahlungsvorgangs
    noch wirtschaftlich vergleichbare Sachverhalte. Demgemäß besteht
    auch kein tragfähiger Grund dafür, aus dem Folgerichtigkeitsgrundsatz
    ein Gebot der symmetrischen Behandlung des Inhalts abzuleiten, dass
    die Nichtabziehbarkeit von Nachzahlungszinsen einem Verbot der Besteuerung
    von Erstattungszinsen entsprechen müsse (vgl. BFH-Beschluss
    vom 15.02.2012 I B 97/11, BFHE 236, 458, BStBl II 2012,
    697).
    II.
    Das Verfahren war nicht nach § 155 FGO i. V. m. § 251
    Zivilprozessordnung (ZPO) zum Ruhen zu bringen oder nach § 74
    FGO auszusetzen.
    Eine Verfahrensruhe schied aus, weil der Kläger einem
    Ruhen des Verfahrens nicht mehr zugestimmt hat.
    Die Voraussetzungen des § 74 FGO lagen ebenfalls nicht
    vor. Ein beim BFH anhängiger Rechtsstreit, der eine vergleichbare
    Rechtslage wie im Streitfall betrifft, stellt keinen Aussetzungsgrund
    nach § 74 FGO dar. Da der Senat, wie oben ausgeführt,
    die hier anzuwendenden Vorschriften (§ 20 Abs. 1 Nr. 7
    Satz 3 EStG i. V. m. § 52a Abs. 8 Satz 3 EStG) nicht für
    verfassungswidrig hält, kam auch eine Aussetzung des Verfahrens
    zum Zwecke einer Einholung einer Entscheidung des BVerfG gem. Artikel
    100 Abs. 1 Satz 1 GG nicht in Betracht.
    III.
    Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
    Die Revision war gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher
    Bedeutung zuzulassen. Zudem sind zu der hier streitigen Rechtsfrage
    zahlreiche Verfahren beim BFH, wie oben ausgeführt, anhängig.

    VorschriftenGG Art. 3 Abs. 1, GG Art. 20 Abs. 3, EStG § 20 Abs. 1 Nr. 7 S. 3, EStG § 52 a Abs. 8 S. 2, EStG § 12 Nr. 3, AO § 233 a