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  • 17.07.2003 · IWW-Abrufnummer 031556

    Bundesfinanzhof: Urteil vom 22.05.2003 – IX R 9/00

    Der Gewinn aus der Veräußerung eines durch eine Kapitalerhöhung entstandenen Bezugsrechts innerhalb der Spekulationsfrist, die mit dem Erwerb der Altaktie beginnt, ist nach § 22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG 1986 (= § 23 Abs. 1 Nr. 2 EStG n.F.) zu versteuern.


    Gründe:

    I.

    Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) erwarb am 4. September 1986 (Streitjahr) 300 Daimler-Benz-Aktien für 405 431,88 DM und 600 VW-Aktien für 332 957,52 DM. Im Zusammenhang mit diesen Aktien wurden ihr nach entsprechenden Kapitalerhöhungsbeschlüssen Bezugsrechte gewährt, die sie am 3. Oktober 1986 für 14 838 DM (VW-Bezugsrechte) und am 12. Dezember 1986 für 292,10 DM (Daimler-Benz-Bezugsrechte) verkaufte.

    Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) unterwarf die aus dem Verkauf der Bezugsrechte erzielten Erlöse als Einnahmen aus Kapitalvermögen (15 130,10 DM) der Besteuerung.

    Der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) insoweit statt. Das FA habe die Veräußerungserlöse aus den Bezugsrechten zu Unrecht als Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S. von § 20 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.d.F. des Streitjahres behandelt. Die Veräußerung der Bezugsrechte führe auch nicht zu Einkünften aus Spekulationsgeschäften i.S. von § 22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG. Zwar lägen zwischen dem Erwerb der Daimler-Benz- und VW-Aktien, für welche die Bezugsrechte gewährt worden seien, und der Veräußerung der Bezugsrechte keine sechs Monate. Die durch eine Kapitalerhöhung erworbenen Bezugsrechte seien von der Klägerin indes nicht i.S. von § 23 EStG angeschafft worden. Die Konkretisierung eines veräußerbaren Bezugsrechts durch einen Kapitalerhöhungsbeschluss sei ein reiner Entstehens- und kein Anschaffungsvorgang. Dieser bewirke zugleich, dass die veräußerten Bezugsrechte auch nicht mit dem Erwerb der Altaktien als angeschafft angesehen werden könnten.

    Hiergegen richtet sich die Revision des FA. Das Bezugsrecht sei mittelbar über den Erwerb der alten Aktie als angeschafft anzusehen. Das konkrete Bezugsrecht sei ein von der Substanz der alten Aktie abgespaltenes Recht. Ihm sei auch ein Teil der Anschaffungskosten zuzuordnen, die für den Erwerb der Altaktie aufgewendet werden müssten.

    Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

    Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen, hilfsweise, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

    II.

    Die Revision des FA ist begründet und führt nach § 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.

    Das FG hat den Gewinn aus dem Verkauf der Bezugsrechte unzutreffend nicht als Spekulationsgewinn nach § 22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG i.d.F. des Streitjahres (1986) erfasst.

    1. Allerdings hat das FG zu Recht ausgeführt, dass weder das Entstehen noch der Verkauf der Bezugsrechte zu Einkünften aus Kapitalvermögen (§ 20 EStG) führt. Bezugsrechte, die zum Erwerb junger Aktien gegen Zuzahlung berechtigen (§ 186 Abs. 1 Satz 1 des Aktiengesetzes --AktG--), gehören weder zu den sonstigen Bezügen aus Aktien nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG noch zu den besonderen Entgelten oder Vorteilen, die neben diesen Einnahmen oder an deren Stelle gewährt werden (§ 20 Abs. 2 Nr. 1 EStG).

    a) Nach diesen Vorschriften gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen alle Vermögensmehrungen, die bei wirtschaftlicher Betrachtung Entgelt für die Überlassung von Kapital zur Nutzung sind (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 13. Oktober 1987 VIII R 156/84, BFHE 151, 512, BStBl II 1988, 252; Blümich/ Stuhrmann, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, Kommentar, 15. Aufl., § 20 EStG Rz. 14). Das Bezugsrecht, das den Aktionär im Falle einer Kapitalerhöhung gegen Einlage zum Erwerb junger Aktien berechtigt, ist nach einhelliger Ansicht in Rechtsprechung und Schrifttum, der sich der Senat anschließt, kein Entgelt der Aktiengesellschaft für die Überlassung von Kapital, sondern Teil der bisherigen Rechte des Aktionärs (so bereits Reichsfinanzhof --RFH--, Gutachten vom 14. Dezember 1920 I D 4/20, RFHE 4, 222, 227, RStBl 1921, 169; Blümich/Stuhrmann, a.a.O., § 20 EStG Rz. 112, m.w.N.; Wassermeyer, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 20 Rdnr. C 33). Solange das Bezugsrecht durch den Beschluss der Hauptversammlung der Aktiengesellschaft noch nicht konkretisiert ist, gehört es zu den durch die Aktie vermittelten allgemeinen Mitgliedschaftsrechten des Aktionärs und ist weder von der Aktie abtrennbar noch selbständig übertragbar (sog. allgemeines Bezugsrecht). Durch den Kapitalerhöhungsbeschluss der Hauptversammlung (§ 182 Abs. 1 Satz 1 AktG) wird das allgemeine Bezugsrecht zu einem selbständig verwertbaren Forderungsrecht des Aktionärs konkretisiert (vgl. dazu Wiedemann in Großkommentar zum Aktiengesetz, 4. Aufl., § 186 Rdnr. 60 und 61; Hefermehl/Bungeroth in Geßler/Hefermehl/ Eckardt/Kropff, Aktiengesetz, § 186 Anm. 16). Das konkrete Bezugsrecht berechtigt den Aktionär zum Bezug neuer Aktien gegen Zuzahlung entsprechend seiner bisherigen Beteiligung am Grundkapital (§ 186 Abs. 1 Satz 1 AktG). Es ist danach kein Entgelt der Aktiengesellschaft für das Kapital, das der Aktionär ihr überlassen hat, sondern ein mit dem Wirksamwerden des Kapitalerhöhungsbeschlusses von Gesetzes wegen entstandenes Forderungsrecht des Aktionärs, das aus der alten Aktie hervorgegangen ist.

    b) Die Veräußerung des Bezugsrechts führt auch zu keiner Einnahme aus der Veräußerung sonstiger Ansprüche durch den Anteilseigner nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG; denn der Grund für das Erfassen der Veräußerungsgeschäfte liegt darin, dass der Anteilseigner mit dem Entgelt für die Veräußerung sonstiger Ansprüche wirtschaftlich den Ertrag seines Kapitals zieht (BFH-Urteile vom 11. Dezember 1968 I 250/64, BFHE 94, 488, BStBl II 1969, 188, und vom 12. Dezember 1969 VI R 301/67, BFHE 97, 546, BStBl II 1970, 212). Mit der Veräußerung des Bezugsrechts verwertet der Aktionär indes wie dargelegt nicht den Ertrag der Aktie, sondern einen Teil ihrer Substanz (vgl. auch Wassermeyer, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 20 Rdnr. C 33).

    2. Unzutreffend hat die Vorinstanz indes entschieden, dass der Gewinn aus der Veräußerung der Bezugsrechte nicht nach § 22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG zu versteuern ist.

    a) § 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG erfasst Veräußerungsgeschäfte über Wirtschaftsgüter, die innerhalb der im Gesetz festgelegten Spekulationsfrist angeschafft wurden. Diesen Tatbestand erfüllt die Klägerin. Sie hat ihre Bezugsrechte bereits einen Monat bzw. drei Monate nach der durch den Aktienerwerb vermittelten Anschaffung veräußert. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz sind die veräußerten Bezugsrechte als i.S. von § 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG angeschafft anzusehen.

    Der BFH hatte bislang die im Schrifttum kontrovers behandelte Frage, ob ein Bezugsrecht mit dem Erwerb von Altaktien angeschafft wird (vgl. dazu einerseits --Anschaffung bejahend-- Blümich/Glenk, a.a.O., § 23 EStG Rz. 97; Bachem in Bordewin/ Brandt, Einkommensteuergesetz, § 23 Rz. 133; andererseits --Anschaffung verneinend-- Jansen in Herrmann/Heuer/Raupach (HHR), Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, 21. Aufl., § 23 EStG Anm. 145 --Stand: 2002--) ausdrücklich offen gelassen (BFH-Urteile vom 12. April 1967 VI 144/64, BFHE 89, 120, BStBl III 1967, 554, und vom 21. Januar 1999 IV R 27/97, BFHE 188, 27, BStBl II 1999, 638, unter B. II. 3. b). Der Senat bejaht diese Frage aus folgenden Gründen:

    aa) Die in § 23 Abs. 1 und Abs. 4 EStG verwendeten Begriffe "Anschaffung" und "Anschaffungskosten" sind i.S. des § 6 EStG und des § 255 Abs. 1 des Handelsgesetzbuches (HGB) auszulegen (vgl. BFH-Urteil vom 19. Dezember 2000 IX R 100/97, BFHE 194, 182, BStBl II 2001, 345). Anschaffungskosten sind danach u.a. die Aufwendungen, die geleistet werden, um einen Vermögensgegenstand zu erwerben. Das schließt es nicht aus, dass ein ursprünglich vom Steuerpflichtigen angeschaffter Vermögensgegenstand durch mehrere andere Vermögensgegenstände ersetzt wird und dass sich die auf den ursprünglich angeschafften Vermögensgegenstand entfallenden Anschaffungskosten anteilig in mehreren Ersatzvermögensgegenständen fortsetzen (BFH in BFHE 194, 182, BStBl II 2001, 345). So verhält es sich u.a. (vgl. zum Grundstücksaustausch das BFH-Urteil vom 13. März 1986 IV R 1/84, BFHE 146, 538, BStBl II 1986, 711) im Fall der Ausgabe von Bezugsrechten oder von neuen Gesellschaftsrechten aufgrund einer Kapitalerhöhung (BFH in BFHE 188, 27, BStBl II 1999, 638), die wirtschaftlich zu einer Abspaltung der in den Stammaktien verkörperten Substanz und deshalb zu einer Abspaltung eines Teils der ursprünglichen Anschaffungskosten führt (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. BFH in BFHE 188, 27, BStBl II 1999, 638, und in BFHE 194, 182, BStBl II 2001, 345).

    bb) Zwar bildet das konkrete Bezugsrecht ein originär entstandenes, selbständiges Wirtschaftsgut (vgl. oben II. 1. a) der Gründe, sowie Hüffer, Aktiengesetz, Kommentar, 5. Aufl. 2002, § 186 Rz. 6 und 7), wie es sich durch die Kapitalerhöhung aus dem allgemeinen, in § 186 Abs. 1 AktG geregelten Aktionärsrecht ergibt und das im Zeitpunkt des Aktienerwerbs noch nicht besteht. Sein Entstehen ist aber im Erwerb der Aktie angelegt, so dass es an der Bewertung des Aktienerwerbs als Anschaffung teilnimmt (so BFH in BFHE 188, 27, BStBl II 1999, 638).

    cc) Der BFH hat aus dem Gedanken der Substanzabspaltung für die Bewertung der alten Aktien gefolgert, dass die ursprünglichen Anschaffungskosten der Gesellschaftsanteile um den auf die Bezugsrechte entfallenden Teil zu kürzen seien (so die BFH-Urteile in BFHE 188, 27, BStBl II 1999, 638, und in BFHE 194, 182, BStBl II 2001, 345). Hieraus folgt umgekehrt, dass Anschaffungskosten den Bezugsrechten zuzuordnen sind. Anschaffungskosten lassen sich aber nur dann einem Vermögensgegenstand zurechnen, wenn er erworben wurde.

    b) Das Bezugsrecht ist auch mit der erworbenen Aktie teilweise identisch. § 23 EStG setzt für jeden einzelnen steuerbaren Vorgang Nämlichkeit (Identität) des angeschafften und des veräußerten Wirtschaftsguts voraus (BFH-Urteil vom 24. November 1993 X R 49/90, BFHE 173, 107, BStBl II 1994, 591; P. Fischer in Kirchhof, Einkommensteuergesetz, Kompaktkommentar, 3. Aufl. 2003, § 23 Rn. 4). Das allgemeine Bezugsrecht bleibt ebenso wie das Gewinnbezugsrecht dem Aktionär als Bestandteil seiner Aktie erhalten und berechtigt ihn, bei nachfolgenden Kapitalerhöhungen wiederum junge Aktien zu beziehen. Das konkretisierte Bezugsrecht ist indes ein selbständiges Wirtschaftsgut, das neben das Wirtschaftsgut Aktie tritt. Es ist jedoch zum Teil mit der Aktie identisch, der es entstammt. Denn die Identität des aufgeteilten Wirtschaftsgutes bleibt in seinen Teilen erhalten, wenn es durch bloßen Rechtsakt aufgeteilt wird (BFH-Urteil vom 19. Juli 1983 VIII R 161/82, BFHE 139, 251, BStBl II 1984, 26). Entsteht das Bezugsrecht aber durch Abspaltung aus der Substanz der Altaktie --nämlich vermittelt durch den Rechtsakt Kapitalerhöhungsbeschluss--, so ist es nur folgerichtig, zwischen dem Gesamtwirtschaftsgut Aktie und dem davon abgespaltenen konkreten Bezugsrecht eine wirtschaftliche Teilidentität anzunehmen.

    c) Bei wirtschaftlicher Teilidentität zwischen Aktie und Bezugsrecht ist das Bezugsrecht als unselbständiger Bestandteil der Aktie entgeltlich erworben. Welcher Teil des Gesamtentgelts auf das Bezugsrecht entfällt, ist eine Frage tatrichterlicher Würdigung. Das FG muss die Werte von Stammaktien und Bezugsrechten nach der Gesamtwertmethode berechnen (vgl. BFH-Urteile in BFHE 188, 27, BStBl II 1999, 638, und in BFHE 194, 182, BStBl II 2001, 345, m.w.N.).

    d) Das Erfassen des Gewinns aus der Veräußerung der Bezugsrechte als Spekulationsgewinn entspricht auch dem Sinn und Zweck des § 23 Abs. 1 EStG. Danach sollen Wertsteigerungen eines bestimmten Wirtschaftsguts im Rahmen des Privatvermögens, die innerhalb der Spekulationsfrist realisiert werden, der Einkommensteuer unterworfen werden (BFH-Urteile vom 29. März 1989 X R 4/84, BFHE 156, 465, BStBl II 1989, 652, und vom 25. August 1987 IX R 65/86, BFHE 151, 132, BStBl II 1988, 248). Entsteht ein konkretes Bezugsrecht aus der Altaktie, so bedeutet dies für den Aktionär wirtschaftlich eine Wertsteigerung seiner in der Aktie verkörperten Rechte, wenn es den Erwerb von jungen Aktien zu einem günstigen Kurs ermöglicht. Der Aktionär kann diese Wertsteigerung zusammen mit der Aktie oder aber selbständig durch Verkauf des Bezugsrechts realisieren.

    3. Nach diesen Maßstäben hat das FG unzutreffend den Steuertatbestand des § 22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG verneint. Das Urteil ist deshalb aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Denn das FG hat von seinem Standpunkt aus folgerichtig noch nicht geprüft, in welcher Höhe den veräußerten Bezugsrechten Anschaffungskosten zuzurechnen sind. Das wird die Vorinstanz in einer neuen Verhandlung und Entscheidung nachzuholen und sich dabei an der Gesamtwertmethode zu orientieren haben (vgl. dazu oben II. 2. c der Gründe). Zu den Einzelheiten der Berechnung der Anschaffungskosten verweist der Senat auf das BFH-Urteil vom 6. Dezember 1968 IV R 174/67 (BFHE 94, 251, BStBl II 1969, 105).

    RechtsgebieteFGO, EStG, KStG, GGVorschriftenEStG 1986 § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG 1986 § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG § 6 Abs. 1 Nr. 1 EStG § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG § 23 Abs. 1 Nr. 2 HGB § 255 Abs. 1 AktG § 186